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Innenpolitik

Welcher Kapitalismus?

Von D. Berger | 01.07.2005

Geht es nur um die Auswüchse im Kapitalismus beziehungsweise nur um bestimmte Ausprägungen des Kapitalismus (etwa den "Shareholder1-Kapitalismus") oder geht es um den Kapitalismus überhaupt?

Shareholder
Wenn der Begriff "Shareholder-Kapitalismus" einen Sinn macht, dann insofern, als damit andere Zeitvorgaben für die Realisierung von Gewinnen gesetzt sind. Das führt zwangsläufig zu hektischen Kapitalverschiebungen, was wiederum zu zwei (teilweise mit einander verknüpften) Konsequenzen führt. Erstens werden damit bestimmte Fertigungsmethoden (neue Maschinen und andere Fertigungsabläufe) schneller verallgemeinert als das in den bisherigen Zyklen der Fall war. Länder- und teilweise auch branchenübergreifend werden jetzt schneller neue Techniken übertragen und zu Standards gemacht. Die Beschleunigung des technologischen Wandels ist zwar eine generelle Tendenz, die sich aus dem Konzentration- und Zentralisationsprozess des Kapitals ergibt. Aber diese starke Beschleunigung des "moralischen Verschleißes" wie Marx das Auswechseln von Fertigungsanlagen durch eine neuere Technik nennt, erhielt durch die Erleichterungen der Kapitalbewegungen einen deutlichen Schub.
Zweitens gelingen diese Prozesse nicht immer glatt und unter "ausreichender" Verwertung der eingesetzten Kapitale. Es wird also, je hektischer die Prozesse werden, auch vermehrt Kapital (also Maschinen und Anlagen) vernichtet, obwohl das eingesetzte Kapital noch nicht wieder "eingespielt" wurde.
Zusätzlich zur Deregulierung und steuerlichen Freistellung des Kapitalverkehrs hat gerade die Osterweiterung der EU dem Kapital neue Möglichkeiten geschaffen. Im Mai 2004 sind die Zollgrenzen zu den Beitrittsländern weggefallen, was zu einer drastischen Ausweitung der Verlagerung von Produktionsstätten geführt hat. Vor allem nach Tschechien, aber auch nach Polen, Slowakei und Ungarn haben jetzt sogar viele so genannte Mittelständler ihre Fertigung verlagert. Dies macht aufgrund der vergleichsweise geringen Entfernung für sie sehr viel Sinn und erklärt auch, warum Deutschland hier besonders stark betroffen ist. Über größere Entfernungen (also etwa von Spanien oder Großbritannien in diese Länder zu verlegen (oder von Deutschland in die Ukraine, wo der Stundenlohn bei 1 Euro liegt) macht für die meisten Produkte, die nicht dort abgesetzt werden können, keinen Sinn.
Alternativen im Kapitalismus?
Es ist müßig zu spekulieren, welche Alternativen zum Shareholder-Kapitalismus das europäische Kapital hätte, denn der weltweite Konkurrenzdruck zwingt auch das hier ansässige Kapital zu einer ständigen Suche nach "Kostensenkungen". Zwar gelingt es großen Teilen des Kapitals mit ihren Einsparprogrammen sowie mit Steuersenkungen ihre Profite kurzfristig zu sanieren, aber eben nur so lange bis die Konkurrenz nachgezogen hat und sich ein neues technisches Niveau verallgemeinert hat. Aber letztlich ist gerade die Steigerung der Kapitaltransfers und die Verschiebung in Richtung Finanzholdings, Hedgefonds und Spekulationsgeschäfte ein Ausdruck sinkender Profitraten und gestiegener Schwierigkeiten der Kapitalverwertung.
Nichts verdeutlicht dies mehr als die Krise bei General Motors. Es reicht eben nicht, in Europa (bei Opel, Vauxhall und Saab) Stellen zu streichen und die Schließung bestimmter Werke vorzubereiten. Die weltweiten Überkapazitäten im Automobilsektor sind einfach zu groß. In den USA sollen jetzt 25 000 weitere Stellen gestrichen werden. In den anderen Branchen ist es natürlich nicht anders. Man schaue sich nur an, was gerade bei den Haushaltsgeräten, den Mobiltelefonen (s. auch die Artikel in dieser Avanti) oder der Textilindustrie abläuft.
Ursache für die Entstehung von Überkapazitäten auf der einen Seite und die fehlende kaufkräftige Nachfrage auf der anderen ist das anarchische Prinzip im Kapitalismus. Es wird nicht nach vorher festgestellten Bedürfnissen produziert, sondern nur nach den Profiterwartungen der konkurrierenden Kapitale. Wenn also beispielsweise aufgrund einer Marktanalyse weltweit sagen wir mal 10 Mio. Minivans verkauft werden können, bemühen sich fünf oder noch mehr Konzerne darum, einen großen oder den größten Teil dieser 10 Mio. Minivans zu produzieren und zu verkaufen. Es werden folglich die Kapazitäten für 5 mal 3 -4 Mio. Minivans aufgebaut. Dann werden bestimmte Anlagen nicht ausgelastet (etwa wie beim Vectra in der modernsten Autofabrik Europas, bei Opel Rüsselsheim, das zu keinem Zeitpunkt zu mehr als 60% ausgelastet war).
Kapital muss ständig Kosteneinsparungen betreiben und jedes Einzelkapital, und sei es noch so groß (wie etwa das des GM-Konzerns) ist potentiell in seinem Bestand gefährdet. Fressen und gefressen werden gehört zur Funktionsweise des Kapitals.
Deswegen können Appelle zur Einführung "ethischer Maßstäbe" für die Konzerne (corporate governance) von den KapitaleignerInnen nur milde belächelt werden.
1 Der "Shareholder" ist der Aktienbesitzer. Gemeint sind damit die "Anteilseigner", die kurzfristig Anteile kaufen und – mit Gewinn – wieder verkaufen, ohne eine bestimmte Zeit mit dem Unternehmen verbunden zu sein oder "ihm die Treue" zu halten.

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