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Innenpolitik

Welche Kapitalismuskritik?

Von D. Berger | 01.07.2005

Eine ernsthafte Kapitalismuskritik ist nur dann schlüssig, wenn sie tatsächlich auf das System zielt, also den Mechanismus kritisiert, der in jedem Fall – ob neoliberal oder keynesianisch – Massenerwerbslosigkeit produziert und auf der Ausbeutung des Menschen durch den Mensch basiert mit all seine Folgen für Mensch und Natur.

Nur wenn erstens die Systemfrage ??überhaupt erkannt wird, lassen sich ??überhaupt Überproduktion und Wirtschaftskrisen erklären. Nur wenn die Systemfrage aufgeworfen wird, lässt sich begreifen, warum die Bevölkerung gespalten wird, warum Frauen unterdrückt werden, warum bestimmte Bevölkerungsteile immer noch (oder überhaupt erst) ausgegrenzt und verfolgt werden.
Eine ernsthafte Kapitalismuskritik muss zweitens integraler Bestandteil eines aktiven Kampfes an der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten sein. Wer nur unverbindlich daherredet und – etwa wie Münte und seine Partei – in der Praxis das genaue Gegenteil einer Politik im Interesse der abhängig Beschäftigten und der Bedürftigen betreibt, ist nicht nur ein Schwätzer, er ist ein Zyniker. Wer dem Kapital ein Steuergeschenk nach dem anderen macht, wer etwa mit der Riester"schen Rentenreform die Abschaffung der hälftigen Finanzierung der Sozialsystem vorantreibt, der hat jeden Anspruch verwirkt als Kapitalismuskritiker aufzutreten.
Die Kapitalismuskritik der neuen Linkspartei
Die neue Linkspartei formiert sich erst noch, aber ihre bestimmenden Kreise sind ausreichend bekannt, um beurteilen zu können, was zu erwarten ist. Diese Kreise haben den Prozess der Parteiformierung zu hundert Prozent unter Kontrolle, daran können auch ein paar entristische Versuche aus linken Organisationen nichts ändern. Selten wedelt der Schwanz mit dem Hund.
Nehmen wir stellvertretend einen der Wortführer der WASG, das ex-PDS-Mitglied Joachim Bischoff. In typisch bürgerlicher Weise geht er von einem anzustrebenden Gleichgewicht von Arbeit und Kapital in einer demokratischen Gesellschaft aus. Die SPD habe nun eine "beschleunigte Entfesselung des Kapitalismus" betrieben. "Sie hat dem Kapital zu einem Übergewicht [sic!] verholfen und somit das shareholder value-Prinzip hegemoniefähig gemacht."(sozialismus 6/2005; Seite 17).
Weiter schreibt er: "Mit Deregulierung und Privatisierung wird die Tendenz zur Transformation in Richtung leistungsloser Einkommen verstärkt. Die Abwärtsspirale der Ökonomie dreht sich schneller, wohingegen eine Demokratisierung der Wirtschaft zu einem entschiedenen Politikwechsel führen würde, d.h. einer wesentlichen Verminderung der Massenarbeitslosigkeit und der Umweltgefährdung. Es gilt die Demokratisierung aber ausgehend vom Unternehmen, auch auf die Verteilung und die Kontrolle der Finanzmärkte zu erstrecken. Die kapitalistische Gesellschaft muss einer umfassenden demokratischen Kontrolle unterworfen werden." (ebenda, S. 18)
Hier wird überdeutlich, dass Bischoff den Systemcharakter der Kapitalherrschaft unterschlägt und die Illusion zu verbreiten sucht, man könne das vorhandene Wirtschaftssystem "demokratisieren".
Wenn es aber eine umfassende Kontrolle gibt, wenn nämlich die BürgerInnen entscheiden, was wo und wie produziert wird, dann kann es kein Kapitalismus sein. Eine "kapitalistische Gesellschaft" unter einer "umfassenden demokratischen Kontrolle" ist ein Widerspruch in sich selbst.
Nicht minder illusionsbehaftet sind die typisch bürgerlichen, keynesianisch-reformistischen Vorstellungen Bischoffs von der Bekämpfung der Erwerbslosigkeit. Er fährt nämlich fort: "Eine wirksame gesellschaftliche Reformpolitik ist an einen radikalen Kurswechsel geknüpft: Mit einer Ausweitung der Staatsausgaben für öffentliche Investitionen oder zur qualitativen Veränderung des Massenkonsums kann eine Vollbeschäftigung erreicht werden. [?] Eine grundlegende Reform der kapitalistischen Wirtschaft muss so angelegt sein, dass über das Mittel der Bekämpfung der bestehenden Ungleichheit in der Einkommensverteilung eine langfristige Strukturpolitik verfolgt wird." Nicht der Kampf der ArbeiterInnenklasse gegen das Kapital – etwa für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich – kommt ihm in den Sinn, sondern eine andere Regierungspolitik im Rahmen des bürgerlichen Staates und seiner Institutionen.
Welche Zielvorstellung herrscht hier vor, wenn von einer "Wiederherstellung einer gemischten Ökonomie" gesprochen wird? Sicher keine sozialistische und in jedem Fall eine, die voll dem keynesianischen Konzept der WASG-Macher entspricht.
Sollte es der PDS in dem Fusionsprozess doch noch gelingen, den neuen Parteinamen mit dem Wörtchen "sozialistisch" zu garnieren, wäre dies zwar auf der allgemeinen politischen-ideologischen Ebene nicht vollkommen bedeutungslos. Aber maßgeblich ist letztlich nicht ein Name oder eine Sonntagsrede, sondern die Frage: wo liegt der Schwerpunkt ihrer Politik? Worauf setzt die neue Linkspartei, auf eine andere Regierungspolitik im Rahmen des Kapitalismus oder setzt eine solche Formation auf Klassenkampf, auf die Stärkung der Widerstandskraft der Klasse, auf veränderte Kräfteverhältnisse in den Gewerkschaften, auf eine Kritik an der Gewerkschaftsbürokratie? Die Stillhaltepolitik gerade der WASG-Macher in der Vergangenheit gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie lässt nichts Gutes ahnen.

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