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Innenpolitik

Was wir von der Linkspartei erwarten – und was nicht!

Von Daniel Berger | 01.09.2005

Ganz ohne Zweifel wurde die parteipolitische Landschaft mit der Wahlkandidatur der Linkspartei bedeutsam verändert. Zum ersten Mal wird auf Massenebene eine anti-neoliberale Stimme vernehmbar.

Die Frage, die sich uns allerdings stellt: Reicht der Anti-Neoliberalismus aus? Braucht es angesichts der schweren Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse, auf die Armen und Bedürftigen, auf Flüchtlinge und Minderheiten, nicht eine konsequente Politik im Interesse gerade dieser unterdrückten und ausgebeuteten Schichten? Ist der ausdrückliche Bezug aller programmatischen Aussagen der Linkspartei auf die Vereinbarkeit mit der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, auf die Realisierbarkeit (die „Finanzierbarkeit“ durch den bürgerlichen Staat und ohne die Profite in Frage zu stellen) nicht gerade der entscheidende Wesenzug, der es dieser Formation strukturell unmöglich macht, konsequent Klasseninteressen zu vertreten?
Die Wunschträume mancher Linksradikaler
Nach den vielen Jahren der Defensive und der klassenpolitischen Niederlagen, nach so vielen Jahren  der Zersetzung gewerkschaftlicher Kampfkraft und der politisch-ideologischen Integration der Gewerkschaftsführungen in die neoliberale Weltordnung wird – bei flüchtigem Hinschauen – jede Entstehung einer anti-neoliberalen Kraft wie ein Befreiungsschlag empfunden. Endlich kann mensch sich mal „massenwirksam“ betätigen, den Herrschenden „mal die Wahrheit sagen“ und den Massen eine „Alternative“ bieten.
Deswegen engagieren sich eine ganze Reihe von linksradikalen Organisationen und Individuen in dieser Partei. Zusammen dürften es einige hundert Menschen sein, die sich jetzt darum bemühen, aus der Linkspartei eine klassenkämpferische und konsequent sozialistische Kraft zu machen.
Aus zwei Gründen haben so manche unter ihnen von vornherein schon große Bauchschmerzen: Die Erfahrungen mit der PDS zeigen wie sehr die bestimmende Kraft in dem neuen Bündnis in das parlamentarische System integriert ist und gerade nicht in erster Linie eine außerparlamentarische Kampfpartei ist. Ihre parlamentarische Vertretung als eine „Ergänzung“ zu ihren außerparlamentarischen Aktivitäten zu begreifen hieße, sich selbst in die Tasche zu lügen. Gerade ihre Politik in den Landesregierungen bezeugt, dass sie im Machbarkeitsdenken bürgerlicher Politik befangen bleibt.
Zum zweiten steht die WASG in ihrer Gesamtheit (nicht an einzelnen Orten) noch weiter rechts als die PDS, was gerade mit ihrem so gefeierten Spitzenkandidaten Lafontaine überdeutlich wird. Wirtschafts- und gesellschaftspolitisch steht er für eine keynesianische Wahlalternative, eine Alternative zur Reformierung des bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystems und eine Rückkehr zu den Mitteln bürgerlicher Politik, wie sie bis Mitte der 70er Jahre noch funktionierten. Um Arbeiterinteressen gegenüber der aggressiver gewordenen Politik des Kapitals zu vertreten, ist dies vollkommen untauglich.

Klassenpolitik!
Womit ist die ArbeiterInnenklasse tagtäglich konfrontiert? Es sind Werksschließungen; Verlagerungen; betriebliche Bündnisse für Arbeit, die auf Lohnsenkung und Arbeitszeitflexibilisierung hinauslaufen; Lohndrückerei; Billiglöhne; ungeschützte Beschäftigung, sinkende soziale Absicherung (ALG II, erhöhte Zuzahlungen); Massenerwerbslosigkeit auf Rekordniveau usw.
Wer hinter all dem nur das Ergebnis einer verfehlten Regierungspolitik sieht, hat entweder den Kapitalismus nicht begriffen oder verdrängt ganz bewusst die Einsicht, dass es zur Bekämpfung dieser Übel etwas anderes braucht als eine „bessere parlamentarische Vertretung“.
Wo steht die Linkspartei ganz praktisch, wenn es um die Ablehnung etwa aller Detailvereinbarungen zum letzten Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst geht? Wo steht die Linkspartei beim Kampf um die Arbeitsplätze bei Bosch-Siemens-Hausgeräte (Berlin) oder Alstom (Mannheim) oder Siemens (Bocholt) usw.? Wird sie für die Enteignung dieser Betriebe eintreten? Wird sie zur Sanierung der Sozialversicherung und zur Abschaffung aller Zuzahlungen die Profite der Pharmaindustrie in Frage stellen, indem sie für die Vergesellschaftung des medizinisch-industriellen Komplexes eintritt? Wird sie vor allem der Massenerwerbslosigkeit dadurch begegnen wollen, dass sie sich aktiv und ohne jeden Vorbehalt für eine massive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich einsetzt? Etwa in der Form: 30 Stunden für alle und zwar sofort und ohne Lohnverlust?
Ein solcher Kampf – und sei es vorerst nur auf der „Propagandaebene“ – würde gesellschaftliche Perspektiven weisen, steht aber leider im absoluten Gegensatz zur „Machbarkeitspolitik“ der Linkspartei.
Wie steht es schließlich um die Billiglöhne und um die menschwürdige Existenz derjenigen, für die das Kapital keine Verwendung hat? Selbst hier ist das Machbarkeitskonzept der Linkspartei – sprich ihre Sorge um die Finanzierbarkeit in diesem System – überdeutlich (s. Artikel in dieser Avanti) Ihr neuer Vorschlag läuft auf einen Stundenlohn von sage und schreibe 7,19 Euro hinaus!

Eigenständig agieren!
Unausgesprochen steckt hinter dem Konzept derjenigen radikalen Linken, die heute in der Linkspartei  arbeiten, entweder ein Etappenkonzept, nachdem halt heute nicht mehr möglich ist. Oder dahinter steckt eine unbeschreibliche Selbstüberschätzung, die davon ausgeht, die paar hundert Linksradikalen könnten als Schwanz mit dem Hund (Gesamtpartei) wedeln und die Partei auf Kurs bringen. Das ist eine totale Verkennung der Machtverhältnisse in dieser bürokratisch von oben nach unten beherrschten und strukturierten Partei, in der v. a. der Apparat der PDS und an zweiter Stelle der Populist Lafontaine – gestützt auf die erfahrenen Gewerkschaftsfunktionäre der WASG – die Linie bestimmen. Da können in Zukunft noch so sehr Parteitagsbeschlüsse an dem einen oder anderen Punkt „links“ ausfallen. Die medienwirksamen Auftritte und damit das tatsächliche Profil der Partei werden von den Promis beherrscht und die propagieren bestenfalls keynesianische Politik, aber nie und nimmer den Klassenkampf.
Wir nehmen mal einen Augenblick an, Lafontaine habe seine Vergangenheit der 90er Jahre, als er ganz wesentlich zur Durchsetzung des Neoliberalismus in der SPD beitrug, wirklich hinter sich gelassen. Für populistische – im Zweifelsfall sogar rechtspopulistische – Ausfälle wird er auch in Zukunft allemal gut sein. Das hat er schließlich in diesem Sommer bewiesen.
Zur Änderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse  kommt es nach marxistischer Erkenntnis auf die Selbsttätigkeit der ArbeiterInnenklasse an. Eine politisch-ideologische Unterstützung durch eine politische Partei ist nur dann wirklich hilfreich, wenn sie die Arbeiterinteressen an oberste Stelle setzt und wenn sie nicht in keynesianische Sackgassen weist.
Unter den gegebenen Umständen, unter denen zwar auch eine ganze Reihe von KollegInnen zum ersten Mal seit längerem mit Interesse die Entwicklung einer linken Partei verfolgen und sich auch mehrere hundert darin engagieren, bleibt die Wirkung der Linkspartei sehr zwiespältig. Ihre Existenz und ihre Kritik an der Regierungspolitik regen an manchen Stellen bestimmte Diskussionen an, die sonst nicht stattgefunden hätten.
So weit so gut. Aber reicht das als Argument, diese Partei aufzubauen, auf deren Profil und auf deren Kurs diese KollegInnen real keinen wirklichen Einfluss haben? An zu viele Stellen müssen klassenkämpferische KollegInnen (und erst recht RevolutionärInnen) eine andere Position vertreten als die Linkspartei (Mindestlohn, Enteignungen, Bekämpfung der bürokratischen Politik der Gewerkschaftsführungen usw.)
Deswegen ist das ungeschmälerte Eintreten für unsere eigenen Positionen angesagt. So manche Fehler im Aufbau einer unabhängigen Organisation (und damit das Verpassen der wirklichen Chancen) hat in den Reihen der IV. Internationale gerade auch die deutsche Sektion in den 50er und vor allem in den 60er Jahren gemacht. Der „Entrismus“ (also das Arbeiten in einer anderen Partei) wurde in der IV. Internationale inzwischen kritisch bilanziert. Im Kasten zitieren wir ein prominentes Führungsmitglied der IV. Internationale. Daniel Bensaïd ist Mitglied der LCR, der franz. Sektion der IV. Internationale, die rechtzeitig den Entrismus aufgegeben hat, und deswegen im Mai 68 eine bedeutsame Rolle spielen konnte. Die Tatsache, dass die LCR heute ein nicht zu übersehender Faktor in der französischen politischen Landschaft ist, ist ein Produkt jahrzehntelanger Aufbauarbeit und eigenständiger Intervention in den Klassenkampf.

Was braucht es?
Statt „endlich mal“ in einer Massenpartei wirksam zu werden (und zwar ohne Rücksicht auf die Vertretbarkeit der Inhalte) sollten sich die Linken auf ihre eigenen Positionen besinnen. Sie sollten sich zusammentun und:
–    breite Aktionseinheiten initiieren, die sich beispielsweise massiv für eine breiten Kampf  zur             Durchsetzung eines akzep tablen Mindestlohns einsetzen.  Alles was auf einen Lohn unter  der Armutsgrenze (oder netto  unter der „Pfändungsfreigren ze“) hinausläuft, ist menschen  unwürdig und kann sogar als Bezugsgröße für die Absenkung  von Löhnen dienen;
–    gemeinsam kämpfen mit allen Menschen – auch hier gerade mit den Mitgliedern der Linkspartei – für ein bedingungsloses Grundeinkommen;
–    Solidarität organisieren mit Belegschaften, die um ihre Arbeitsplätze kämpfen;
–    eine offensive Tarifpolitik einfordern und dafür die KollegInnen mobilisieren: für hohe  Lohnzuwächse, für Festgeldforderungen, gegen Arbeitszeitflexibilisierung usw.
–    nicht zuletzt eine Kampagne starten für eine Arbeitszeitverkürzung in großen Schritten bei vollem Lohn- und Personalaus gleich
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Die Früchte des "Entrismus"
 „Die Wahl zwischen einer entristischen Politik und einer unabhängigen Organisation kann nur anhand der Frage entschieden werden: Wo spielt sich die Radikalisierung ab? Als uneinheitlicher Prozess, genährt von gesellschaftlichen Erfahrungen, nimmt die politische Bewusstseinsbildung immer unterschiedliche Wege: in der gewerkschaftlichen und sozialen Bewegung, in den großen traditionellen Parteien, in der Herausbildung neuer Phänomene und Formationen. Es gibt keinen einheitlichen Weg. Die Entscheidung muss danach getroffen werden, den Hebelpunkt zu finden, um die Massen in Bewegung zu setzen. Eine entristische Orientierung ist unter Bedingungen der Repression begreiflich oder wenn die hegemoniale Kontrolle reformistischer Apparate eine unabhängige Organisation zu einem propagandistischen vegetativen Leben verurteilt, das von einer sektiererischen Nekrose [Absterben von Teilen eines Organismus, D. Berger] bedroht wäre. Wenn die Situation offener ist und sich Räume für eine unabhängige Politik öffnen, gibt es im Entrismus mehr zu verlieren als zu gewinnen. Die revolutionäre Organisation selbst riskiert von dem Körper, von dem sie sich angeblich nährt, abhängig zu werden, und sich dessen Kultur anzupassen. Für die Mitglieder der Partei, in der der Entrismus praktiziert wird, schafft das ein Klima des Misstrauens, von Gerüchten und Illoyalitäten, die ebenso viele Hindernisse für Klarstellungen und mögliche zukünftige Annäherungen sind.
Wir möchten hinzufügen, dass aus einer entristischen Praxis gewonnene Mitglieder oftmals die Tendenz haben, Mutanten zu werden. Einem doppelten Gesetz unterworfen, dem Newton’schen der Erdanziehungskraft und dem Darwin’schen der Anpassung an die Umwelt, assimilieren sie sich häufig an die Umgebung, die umzustürzen sie angetreten waren. Lionel Jospin in ein anschauliches Beispiel dafür.“
Daniel Bensaïd „Was ist Trotzkismus?“, Neuer ISP-Verlag, Köln 2004, S. 82f.
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