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Kultur

Warmer Regen für Günter Grass

Von Artur | 01.10.2006

Wohl bekannt ist die Szene aus Schlöndorffs genialer Verfilmung der Blechtrommel, in der mittels eines abgetrennten Pferdekopfes an der Danziger Ostseeküste Aale gefangen werden. Manch einem Kinobesucher wurde angesichts dieser Sequenz leicht übel, wie der Schauspielerin Angela Winkler, der Filmmutter von Oskar Matzerath.

Wohl bekannt ist die Szene aus Schlöndorffs genialer Verfilmung der Blechtrommel, in der mittels eines abgetrennten Pferdekopfes an der Danziger Ostseeküste Aale gefangen werden. Manch einem Kinobesucher wurde angesichts dieser Sequenz leicht übel, wie der Schauspielerin Angela Winkler, der Filmmutter von Oskar Matzerath.

Wie fängt man KäuferInnen, nicht unbedingt LeserInnen, für ein Buch? Heute reicht ein abgetrennter Pferdekopf nicht aus, da muss schon etwas Knalligeres in Szene gesetzt werden. Grass hatte schon immer einen ausgeprägten Sinn für das Marketing seiner Werke.
Literarische Kritikmacht
Für seinen Erstling „Die Blechtrommel”,  bediente er sich 1959 der Gruppe 47, jener heute manchmal mafiös anmutenden Vereinigung von deutschen NachkriegsliteratInnen, die es bewirkte, die literarische Kritikmacht über Jahre auf sich zu vereinigen. Kaum ein großes Verlagshaus der 50er und 60er Jahre fand den Mut, sich dem Urteil dieser Gruppe zu widersetzen. Eine positive Kritik der Gruppe 47 war der Ritterschlag für jede/n damals junge/n Autor/in. Die Frage nach den Verkaufszahlen stellte sich dann nicht mehr, waren sie doch dadurch auf einem hohen Niveau fast garantiert. Die weiteren Bände der „Danziger Trilogie” („Hundejahre”, „Katz und Maus”) wurden dann auch zu auflagenträchtigen Selbstläufern.
Das „Senftöpfchen”
Grass mutierte dann Mitte der 60er Jahre zum sozialdemokratischen Wahlkampfhelfer, speziell für Willy Brandt. Jenem Willy Brandt, der „mehr Demokratie wagen wollte” und gnadenlos den sog. „Radikalenerlass” mit durchsetzte, der vielen LehrerInnen, Postboten, Bahnmitarbeitern, Krankenpflegern und  -schwestern, SozialarbeiterInnen, ÄrztInnen und Verwaltungsangestellten den Beruf und damit die Existenz kostete. Günter Grass wurde von der damals linksliberalen Presse zur „moralischen Instanz” erhoben, einen Ruf, den er durchaus gewinnbringend für sich zu nutzen verstand. Grass meldete sich denn zu jeder „nationalen Frage” brav zu Wort, was den entsprechenden Medien auch denn wunderbar die Druckseiten und die Sendezeiten füllte. Am Niederrhein nennt man solche Leute „Senftöpfchen”, einer, der zu allem und jedem, zumeist ungefragt, seinen „Senf” dazu gibt.
Sein „umstritten sein” hat Grass zur Meisterschaft vervollkommnet. Denn, eine schlechte Presse ist allemal besser als gar keine Presse. In der Literaturwelt gilt ein Verriss eines Buches einer bekannten Person nicht selten als verkaufsfördernd. Bestes Beispiel: Reich-Ranickis Verriss des Buches „Ein weites Feld” im „Spiegel” 1995. Alle drei Beteiligten haben bestimmt ihren Profit daraus gezogen.

Was sagt uns das heute? Der 17jährige Günter Grass war gegen Ende des zweiten Weltkrieges ein paar Wochen Mitglied der Waffen-SS. Schlimm genug. Nur sollte man sich die Hintergründe vergegenwärtigen. Grass wurde am 16. Oktober 1927 geboren und ist dadurch zeitlich als Kind voll in den „Genuss” der faschistischen Gehirnwäsche geraten. Sein Elternhaus kann wohl als konservativ bezeichnet werden. Welche Chance hat dann ein pubertierender 16/17jähriger, sich ein klares Bild vom Faschismus zu machen? Eine große Anzahl seiner Zeitgenossen, auch die, die sich nach 1945 deutlich vom Faschismus abgegrenzt haben und ihn auf verschiedenen Ebenen bekämpft haben, waren 1945 in einer vergleichbaren Situation. Jahrelang wurde den Kindern und Jugendlichen der Mythos von der „Elite des Volkes” (SS) eingehämmert. Diese Lügen und Propaganda für einen pubertierenden 17jährigen zu durchschauen, ist 1945 wohl nur wenigen gelungen.
Knaller fürs Marketing
Hätte Grass die Zugehörigkeit zur Waffen-SS  z. B. 1961 eingeräumt, wäre es wahrscheinlich kaum eine Zeitungsnotiz wert gewesen. 2006 aber, in Kombination mit Grass’ autobiographischen Notizen, die unter dem Titel „Beim Häuten der Zwiebel” vor kurzem erschienen, ist das ein Knaller für das Marketing dieses Buches. Der Spiegel macht eine Titelstory daraus, keine Zeitung, die dieser „Story” nicht breiten Raum widmet. Die TV-Anstalten  bringen Sondersendungen zu diesem Thema, usw.  Prompt melden sich alle Promis und solche, die sich dafür halten mit wohlfeilen Kommentaren. Sie diskutieren oder kommentieren ohne Wimpernzucken, ob Grass jetzt noch die „moralische Instanz” sein könne. War er das jemals? Und wenn, für  wen überhaupt?  Der polnische Fundamentalkatholik Lech Walesa ist derartig „empört”, dass er Grass auffordert die Danziger Ehrenbürgerschaft zurück zu geben. Stimmen werden laut, die das Nobelpreiskomitee auffordern zu prüfen, ob Grass nicht der Literaturnobelpreis wieder aberkannt werden könne. Schade, der Kommentar von Verona Feldbusch ist leider nicht bekannt.

Können sich Autor und Verlag eine bessere Werbung wünschen? Nie und nimmer. Der Erfolg ist auch nicht ausgeblieben: das Buch führt seit seinem Erscheinen alle Bestsellerlisten an. Zurecht? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Man sollte getrost abwarten, wenn man denn das Buch unbedingt lesen will, bis es bei ebay für einen Euro zu ersteigern ist. Wird nicht lange dauern. Die Alternative: man schlüpft in den Pferdekopf. 

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