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Innenpolitik

Wahlen in Brandenburg und Sachsen: “Linke” und “rechte” Antworten auf den Neoliberalismus

Von B.B. | 01.10.2004

Die PDS ist die Gewinnerin der Landtagswahlen in Brandenburg, die NPD gewinnt bei der Sachsenwahl. Verlierer sind die Parteien des Neoliberalismus.

Die PDS ist die Gewinnerin der Landtagswahlen in Brandenburg, die NPD gewinnt bei der Sachsenwahl. Verlierer sind die Parteien des Neoliberalismus.

Der Freistaat Sachsen ist das Bundesland mit der höchsten Wachstumsrate. Die bürgerlichen Medien vergleichen die “neue Wirtschaftsstruktur” Sachsens mit der Brandenburgs, das den Umbau nicht geschafft habe. Auffällig ist jedoch, dass die absolute Zahl der Wahlberechtigten in Brandenburg zu-, in Sachsen abgenommen hat, was eine Abwanderung belegt. Die “Leuchttürme” der sächsischen Auto- und Chipindustrie können kaum überstrahlen, dass nach der “Wende” Sachsen entindustrialisiert und die Landwirtschaft zerstört wurde. Die Erwerbslosigkeit lag im August in Sachsen nur 0,8% unter der von Brandenburg mit 18,5 %. Würde es den von den Medien unterstellten direkten Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum, Erwerbslosigkeit und Wahlverhalten geben, dann wäre die CDU im Freistaat strahlender Wahlsieger. So kann sie ihre Verluste nicht so recht erklären.

Sachsen nach rechts

Der neoliberale Block CDU/FDP/SPD/Grüne ist zwar in Sachsen von insgesamt 1 288 850 Menschen unterstützt worden, hat aber im Vergleich zur letzten Landtagswahl 253 693 WählerInnen verloren. Von den bisherigen CDU-WählerInnen (- 376 006) sind 150 234 zu den neoliberalen Parteien FDP und Grüne und 161 494 zur NPD übergewechselt (vgl. Kasten). Der Übergang zu FDP und Grünen bestätigt oder vertieft neoliberales Bewusstsein. Im Fall des Wechsels zur NPD geht die Ablehnung neoliberaler Denkmuster in eine rassistische und völkisch-nationalistische Kritik über.
Die PDS Sachsen ist zwar aus ihrem Stimmungstief heraus, aber sie stagniert. Als “linke Alternative” hat sie nur 10 178 Stimmen gewonnen. Wenn sie noch nicht einmal die Menschen auffangen konnte, die von der SPD abwanderten, dann mag das auch daran liegen, dass die ohnehin kleine SPD, die in Sachsen nie richtig Fuß fasste, neoliberal geprägt ist. Von drei SPD-WählerInnen, die sich nach einer anderen Partei umschauten, ging nur eine/r nach links, zwei landeten bei FDP-Grünen bzw. der NPD.
Brandenburg nach links
Bei der Wahl des Landtages in Brandenburg verloren SPD und CDU als die beiden Hauptparteien des Neoliberalismus zusammen 126 163 WählerInnen, von denen 39 112 zu den FDP und Grünen gingen, also im neoliberalen Lager verblieben (s. Kasten 2). Insgesamt verlor der neoliberale Block SPD/Grüne/CDU/FDP 87 051 WählerInnen, von denen immerhin 69 613 die PDS wählten. Hier wirkt das Gewicht der PDS in der Hauptstadt auf das Umland zurück. Aus Ablehnung von Regierung und Reformen wechselten 12 756 Personen ins Lager der völkisch-nationalistischen und rassistischen DVU.

NPD und DVU

Die DVU richtete ihre Kampagne gegen Hartz IV und die Reformen der Bundesregierung. Sie hatte zwar in allen Dörfern ihre Plakate hängen, konnte aber mit ihrem Hauptslogan “Schnauze voll von Hartz IV, diesmal Protest wählen” nicht überzeugen. In Brandenburg trägt die glaubwürdige Alternative zum Neoliberalismus in den Augen der WählerInnen den Namen PDS. Das verurteilt die DVU zur Stagnation.
In Sachsen herrscht ein enormer Frust in der Bevölkerung auf Bundes- und Landesregierung und auf die Wiedervereinigung (!). Dabei geht es nicht nur um die materielle Benachteiligung wie bei Hartz IV, wonach das ALG II in Ostdeutschland mit 331 Euro weniger als im westlich Teil mit 345 Euro misst. Vielmehr nährt der Umgang mit den Menschen in den neuen Ländern bei ihnen immer wieder das Gefühl, im wiedervereinigten Deutschland zu einer Kaste von besonders Benachteiligten zu gehören. Der Austausch der Eliten auf allen Ebenen geht auch 15 Jahre nach der “Wende” weiter wenn z. B. das Personal der Arbeitsämter in Sachsen aus westdeutschen Angestellten rekrutiert wird. Da fragen sich alle: “Sind wir denn so blöde, dass wir das nicht auch lernen können”? Ergattern Jugendliche überhaupt einen Ausbildungsplatz, dann werden sie nach der Ausbildung mit Sicherheit arbeitslos – trotz der “Leuchttürme” der Autoindustrie. An der allgemeinen Perspektivlosigkeit versucht die NPD anzuknüpfen. Und damit ist sie bei der männlichen Jugend recht erfolgreich. Sie kann dabei eine weit verbreitete Stimmung ausnutzen, die heißt: “die müssen abgestraft werden”.
Die zentrale Parole der NPD lautete aber nicht “Schnauze voll von Hartz IV”, sondern “Die Grenzen dicht!”. Sie brachte damit recht erfolgreich die weit verbreitete Fremdenfeindlichkeit und den Rassismus auf einen Nenner. Die Fremdenfeindlichkeit ist mit der EU-Osterweiterung verbunden. In den Grenzgebieten, wo die NPD ihre Wahlerfolge erzielte, sieht sich der Mittelstand von der Konkurrenz aus Tschechien und Polen bedroht. Vor allem daran konnte die NPD mit ihrer Kampagne erfolgreich anknüpfen.

Rassistischer Sockel

Außerdem gibt es wie in jedem Bundesland einen Bodensatz von rassistischem Gedankengut, auf dem NPD und DVU aufsatteln können. In Sachsen fanden die Vorurteile gegen MigrantInnen in einer “Asyl-”, einer “Kriminalitäts-” und einer “Terrorismusdiskussion” ihren Ausdruck, an die die NPD sowohl anknüpfen konnte, wie sie sie auch anheizte. In Brandenburg holte die DVU ihre alten Plakate des letzten Wahlkampfes aus dem Keller mit der Parole “Kriminelle Ausländer raus!”. Den “braunen Sockel” hatte die DVU in Brandenburg aber bereits 1999 ausgeschöpft, in Sachsen gelang es der NPD erst jetzt.
Diese rassistisch-völkisch-nationalistisch-fremdenfeindlich-faschistische Stimmbasis existiert in jedem einzelnen Bundesland und ist jederzeit für bundesweit 5 % der Stimmen schlecht. Allein die Spaltung in NPD, DVU und REPs erklärt, dass sie bisher nur in einzelnen Bundesländern Wahlerfolge erzielten und nicht als vereinigte Partei in alle Landtage und in den Bundestag einzog.
Trotz ihres Wahlerfolgs ist die NPD in Sachsen sehr “westdeutsch”. Als tradierte Partei kam sie wie die DVU mit der kapitalistischen Wiedervereinigung aus West- nach Ostdeutschland. Ausgehend von der Sächsischen Schweiz schuf sie ein Netzwerk über das ganze Bundesland. Sie profitiert aktuell von den sozialen Verwerfungen, für die das Kapital und seine Bundesregierung verantwortlich sind. Und nicht zuletzt ist die NPD auch ein Produkt des Verfassungsschutzes, der wie ein Zauberlehrling nicht mehr die Geister beherrscht, die er rief.

Die PDS

Auf der Wahlebene erscheint die PDS als “linke” Alternative zum Neoliberalismus. In Brandenburg hatte nur die bürgerliche Presse mit über 30 % der Stimmen gerechnet, aber niemand in der Partei. In Sachsen ging mensch pds-intern von 25% + x aus. Trotz der Kampagne gegen den Spitzenkandidaten Posch – die 2 – 3 % kostete – ist die PDS aus ihrem Tief heraus. So erlangte sie zum ersten Mal in Chemnitz ein Landtagsdirektmandat, wo vorher allein die CDU dominierte.
Doch in Wirklichkeit ist die PDS keine linke Alternative. Denn ihr rechter Flüge
l geht dort, wo sie wie in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern an der Landesregierung bzw. dem Senat beteiligt ist, selbst in den Neoliberalismus über. Würde sie in Brandenburg mit der SPD die Landesregierung stellen, dann würde die PDS als Bundespartei bei der Integration in den kapitalistischen Staatsapparat einen riesigen Schritt nach “vorne” machen.

Entgegengesetzte Pole

Alles in allem verlieren die Parteien der Großen Koalition des Neoliberalismus aus SPD, Grünen, CDU und FDP an Zustimmung. Aber die Kritik an den Reformen von Hartz IV und Agenda 2010 kann von “links” oder von “rechts” beantwortet werden. Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg sind nur ein indirekter und sehr gebrochener Ausdruck des Klassenkampfes. Er findet, ausgehend von den tagtäglichen und zur Zeit nicht sehr erfolgreichen Auseinandersetzungen zwischen Lohnarbeit und Kapital in den Betrieben, zwischen “unten” und “oben” statt und wird von der sozialen Bewegung der Montagsdemonstrationen gegen die Regierung auf die Spitze getrieben.
Er drückt sich aber auch in dem Ringen um Antworten auf den Neoliberalismus aus, die auf der Wahlebene in Brandenburg mit der PDS reformistisch-sozialistisch oder in Sachsen mit der NPD völkisch-nationalistisch und rassistisch ausfallen können. Um eine “linke” oder eine “rechte” Antwort auf den Neoliberalismus wird auch ansatzweise bei den Montagsdemonstrationen gekämpft, in die die Nazis von außen ihre Politik hineinzutragen versuchen.

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