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DIE LINKE

“Wahlalternative” oder SAP?

Von Daniel Berger | 01.04.2004

In den letzten Nummern der Avanti haben wir dargelegt, dass es für die klassenpolitische Entwicklung in der BRD vorteilhaft wäre, käme es zur Bildung einer Sozialistischen ArbeiterInnenpartei. Und wir haben umrissen, welchen Charakter eine solche Partei haben müsste, wenn sie tatsächlich einen Fortschritt im Klassenbewusstsein bewirken soll. Sind die neuesten Bestrebungen zur Bildung einer Linkspartei nun ein erster Schritt für einen solchen Organisierungsprozess?

In den letzten Nummern der Avanti haben wir dargelegt, dass es für die klassenpolitische Entwicklung in der BRD vorteilhaft wäre, käme es zur Bildung einer Sozialistischen ArbeiterInnenpartei. Und wir haben umrissen, welchen Charakter eine solche Partei haben müsste, wenn sie tatsächlich einen Fortschritt im Klassenbewusstsein bewirken soll. Sind die neuesten Bestrebungen zur Bildung einer Linkspartei nun ein erster Schritt für einen solchen Organisierungsprozess?

Die Antwort ist zunächst einmal NEIN, auch wenn die damit verbundenen Prozesse komplexer Natur sind und nicht nur von den InitiatorInnen bestimmt werden. Bereits im Programm des RSB von 1996 ist die Parole einer Sozialistischen ArbeiterInnenpartei (SAP)Avanti 106 und 107), dann deswegen, weil nach unsrer Analyse der klassenpolitischen Lage die Kluft zwischen dem Bewusstsein der Lohnabhängigen von den Übeln des Neoliberalismus und den Instrumenten, die sie zur Verteidigung ihrer Interessen zur Verfügung haben, riesengroß geworden ist. Das große parteipolitische Vakuum ist vor allem deswegen so schmerzlich zu verspüren, weil die Gewerkschaften so untätig sind. enthalten, aber noch recht allgemein formuliert. Wenn aus unseren Reihen diese Losung im letzten Jahr verstärkt zur Diskussion gestellt wurde und wir sie heute zu konkretisieren versuchen (s.

Daran ändert auch der 3. April nicht viel. Gerade die Nibelungentreue der Gewerkschaftsvorstände zur neoliberalen SPD hat die Lage so zugespitzt. Die einzige in der Vergangenheit hin und wieder noch aktive Kraft mit einer gewissen organisatorischen Stärke, die Gewerkschaftsbewegung, ist seit dem Regierungsantritt von SPD-Grünen weitgehend gelähmt. Dies hat dem Siegeszug neoliberaler Politik ungemein geholfen. Ein anderes Instrument zur Verteidigung ihrer Klasseninteressen haben die Lohnabhängigen nicht. Die Verhältnisse drängen nach einer parteipolitischen Organisierung. Doch hilft es, wenn die Suche nach einer alternativen Kraft auf eine parlamentaristische Schiene gelenkt wird?

Something in the air
Das, was gerade in der Luft liegt, ist vor allem in gewerkschaftlichen Kreisen sehr konkret fassbar. Hier gibt es noch viele AktivistInnen, auch hauptamtliche FunktionärInnen, die sich mit der lähmenden Haltung der Gewerkschaftsbürokratie nicht abfinden können. Es hat nichts Überraschendes, wenn sich heute verschiedene Kräfte um eine parteipolitische Formierung bemühen.

Die objektiv-subjektiven Voraussetzungen sind heute für eine SAP, mehr aber noch für eine "wahlpolitische Alternative links von Rot-Grün" vorhanden. Doch nur vordergründig sind sich beide "Projekte" ähnlich, weil sie teilweise dieselben Menschen ansprechen und sogar zum Teil von denselben Personen Unterstützung erhalten oder erhalten können. Die Unterschiede sind strategischer und auch praktischer Art.

Was die "Wahlalternative" von einer SAP unterscheidet

Die Analyse der InitiatorInnen einer "Wahlalternative" geht in erster Linie von der Parteienlandschaft aus, nicht von den Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen. Für sie spielt auch die katastrophale Politik der Gewerkschaftsbürokratie eine vollkommen nachgeordnete bzw. überhaupt keine Rolle. Dies kann hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. (Wir müssen hier auf unsere einschlägigen Texte sowie auf die im Internet nachzulesende Vorlage der Wahlalternative verweisen).

In gewerkschaftlichen, linkssozialdemokratischen bis PDS-nahen Kreisen wird seit Monaten über eine neue parteipolitische Antwort diskutiert. Mindestens vier verschiedene Strömungen sind bisher auszumachen, wovon mindestens zwei sich sicherlich in der nächsten Zeit zusammenfinden werden, nämlich die "Wahlalternative" und der Aufruf "Arbeit & soziale Gerechtigkeit".

* Die "Wahlalternative.de" hat einen InitiatorenInnenkreis von 30 Personen. Auf ihrem Treffen am 5. März wurde ein 6-seitiges Grundsatzpapier diskutiert (seit dem 16.3. von ihrer Homepage herunterzuladen), das aber nicht die ungeteilte Zustimmung erfuhr. Vor allem die Abgrenzung zur SPD war umstritten, ebenso die Vorschläge zur Zusammenarbeit mit den sozialen Bewegungen sowie den "linksradikalen Gruppen".

Gravierender für sie ist die Frage, wie zumindest eine wohlwollende Haltung der Gewerkschaftsvorstände erreicht werden kann. Hier gingen die Meinungen über eine notwendige Kooperationsbereitschaft (zu gut Deutsch: Koalitionsbereitschaft) weit auseinander. Deswegen – so die meisten – dürfe man sich "nicht linkssozialistisch" definieren. Getragen wird diese Initiative im Wesentlichen von hauptamtlichen Gewerkschaftssekretären von IGM und Ver.di, und einer erkennbaren Unterstützung aus den Gewerkschaften IG BAU und NGG sowie von WissenschaftlerInnen aus dem Lager der "Memorandum-Gruppe".

Der Name ist leider Programm

Aus allen bekannt gewordenen Äußerungen und (wenigen) Schriften dieser Initiative geht hervor, dass sie sich tatsächlich zuerst und vor allem als eine Wahlinitiative, bzw. eine Wahlpartei versteht. Schlimmer noch: Sie will einen "Kurswechsel im Rahmen der gegebenen, grundsätzlich kapitalistischen" Verhältnisse und ein "sozial und ökologisch und emanzipativ ausgerichtetes Zukunftsprogramm" vertreten.. Die sozialen Bewegungen brauchen eine "parlamentarisch-politische Repräsentanz", um deren Anliegen in "staatliches Handeln umzusetzen".

Mit anderen Worten: Ähnlich wie schon beim Erfurter Appell (bzw. noch deutlicher) wollen diese Kräfte jetzt ausdrücklich das bestehende Gesellschaftssystem nicht in Frage stellen und sehen ihre zentrale Betätigungsebene im Parlament, was unter den gegebenen Verhältnissen nichts anderes heißen kann, als sich der SPD als Koalitionspartner anzudienen.

Es wird immer das Geheimnis des Reformismus bleiben, wie oppositionelle Kräfte wirksam gegen die Übel des Kapitalismus ankämpfen können, wenn sie nicht bereit sind, über den Kapitalismus hinauszudenken. Ja, den Lohnabhängigen vorzugaukeln, mensch könne wesentliche Ziele einer sozialen und emanzipativen Politik parlamentarisch durchsetzen, heißt, ihnen Sand in die Augen zu streuen und die nächste dramatische Wählertäuschung und -enttäuschung vorzubereiten.

* Nich
t anders sieht es bei der (völlig IG Metall-dominierten) Initiative von Gerd Lobboda und Günther Schachner aus ("Arbeit & soziale Gerechtigkeit"). Hier kommt hinzu, dass uns gerade solche "Gewerkschafter" wie Lobodda seit Jahren als ausgesprochene Vertreter des Co-Managements bekannt sind. Sind bei der ersten Initiative wenigstens noch ausgemachte Vertreter gewerkschaftlicher Gegenmacht beteiligt, sieht es bei der zweiten schon viel bescheidener aus. Vor allem ihre Vorstellung, sie könnten mit ihrer Initiative die SPD zu einem Kurswechsel bewegen, zeugt von einer völligen Verkennung des Charakters der SPD.

* Der dritte Kreis (ebenfalls gewerkschaftlich dominiert) ist politisch offensiver eingestellt, aber organisatorisch noch unentschlossen. Hier ist es – im Bereich der IG BAU und IGM – nur zu unstrukturierten Diskussionen ("man könnte…", "man sollte…") gekommen.

* Im vierten Kreis – hier gibt es die größten Überschneidungen mit dem ersten – diskutieren StamokapanhängerInnen mit AktivistInnen der Antiglobalisierungsbewegung. Da aber die dominanteren Kräfte aus dem Stamokaplager (von der Memorandumgruppe über Sozialismus bis zu einer nennenswerten Zahl von GewerkschaftssekretärInnen) der "Wahlalternative" zuneigen, wird v. a. der vierte Kreis keinen eigenen Formierungsprozess vorantreiben.

Ob es der "Wahlalternative" gelingen wird, alle anderen vergleichbaren (reformistischen) Kreise aufzusaugen, ist noch nicht ausgemacht und für uns zunächst nicht so bedeutsam, denn all diese Kreise verfolgen keine klassenkämpferische Perspektive. Wichtiger ist jedoch: Auf wen werden sie eine Anziehungskraft ausüben und vor allem: Wird es eine Bewegung zur eigenständigen politischen Organisierung von Vorhutelementen in den Betrieben und in den gewerkschaftlichen Basisstrukturen geben?

SAP – ein Gegenmodell
Die natürliche Vorhut der Klasse, also die Lohnabhängigen in Betrieb und Gewerkschaft, die die treibenden Kräfte der tagtäglichen Gegenwehr sind, und die AktivstInnen der sozialen Bewegungen wie auch der Antiglobalisierungsbewegung werden sicherlich interessiert beobachten, was sich da tut. Aber selbst wenn sie teilweise zur Wahl einer "Wahlalternative" bewogen werden können, heißt das noch lange nicht, dass sie sich selbst parteipolitisch aktivieren. Aber genau darauf kommt es an. Ein klassenpolitischer Fortschritt wird nur erreicht, wenn sich diese Elemente politisch aktivieren und organisieren und sie sich nicht auf Parlamente orientieren, sondern auf die unabhängige Klassenaktion.

Bezeichnend ist nämlich, dass die wahlpolitisch so aktiv gewordenen hauptamtlichen FunktionärInnen bisher noch nicht einmal auf die katastrophale Tarifpolitik der Gewerkschaften mit einer alternativen, klassenkämpferischen Linie reagiert haben und damit an die Öffentlichkeit getreten sind. Auch die völlig unkritische Haltung des Mitinitiators J. Bischoff gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie spricht eine beredte Sprache.

Formieren müssen sich die klassenkämpferischen Kräfte über einen offensiven Kampf für eine andere Tarifpolitik und eine kämpferische Protestbewegung gegen den Sozialkahlschlag, und zwar am besten über die Organisierung betriebsübergreifender (sowie Branchen- und Staatsgrenzen übergreifender) Abwehrkämpfe und Solidaritätsbewegungen.

Auf die Förderung dieser Schritte setzen wir und werden dabei ganz sicherlich in nächster Zeit verstärkt die Aktiven in Betrieb und Gewerkschaft ansprechen (müssen). Ein Fortschritt wird nur erreicht, wenn die Gegenwehrkräfte sich außerparlamentarisch organisieren.

Nicht auf Parlamente bauen, auf die eigne Kraft vertrauen!

Was heißt Stamokap?
Die Theorie des staatsmonopolitischen Kapitalismus wurde in der KPdSU (und auch in der SED) entwickelt, wonach der Staat nicht mehr der ideelle Gesamtkapitalist ist, sondern immer mehr mit den Monopolen verschmelze. Demnach gelte es nicht, den Staat in der Revolution zu zerschlagen und durch Räte zu ersetzen, sondern die Monopole von den staatlichen Schalthebeln zu verdrängen und den kapitalistischen Staatsapparat in Besitz zu nehmen bzw. dort Positionen zu besetzen. Der “antimonopolistische Kampf” ersetzt den Klassenkampf; das Bündnis mit dem nicht-monopolistischen Kapital gegen das Monopolkapital den Übergang des Kleinbürgertums auf den Standpunkt der ArbeiterInnenklasse. Stamokaptheorien vertreten in der ein oder anderen Form die PDS, die DKP, die Zeitschrift Sozialismus, die MLPD und früher … Uwe Benneter (SPD).
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