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Innenpolitik

Wahlalternative: Der Weg ist alles, das Ziel ist nichts

Von B.B | 01.02.2005

Am 22. Januar gründete sich die Partei Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative in Göttingen. Ehemalige SozialdemokratInnen, GewerkschafterInnen und einige SozialistInnen proklamieren einen neuen Aufbruch der Linken in der Bundesrepublik. Ob es dazu kommen wird, bezweifeln wir. In einer kleinen Serie stellen wir unsere Kritik der ASG vor. In dieser Ausgabe der Avanti setzen wir uns mit dem Programmentwurf der neuen Partei auseinander.

1899 formulierte Eduard Bernstein den berühmten Ausspruch: „Das, was man gemeinhin Endziel des Sozialismus nennt, ist für mich nichts, die Bewegung alles“ und brach damit den Revisionismusstreit in der SPD vom Zaun. Hundert Jahre später fällt die Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative (ASG) nicht nur weit hinter Bernstein zurück, der Sozialist blieb, sondern selbst hinter das aktuelle Programm der PDS.
Während im Programm der PDS das Ziel des Sozialismus häufig benannt wird, ist es im Programmentwurf der ASG überhaupt nicht enthalten. Die Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative „will die solidarische Umgestaltung der Gesellschaft“ d. h. des bestehenden kapitalistischen Gesellschaftssystems. An anderer Stelle wird die „kapitalistische Wirtschaftsordnung“ benannt, nur um zu fordern: „Die Macht des Kapitals muss beschränkt werden“. Wo sich die PDS die Vision einer sozialistischen Gesellschaftsordnung bewahrt hat – die von der PDS-Linken als völlig unzureichend abgelehnt wurde – verzichtet die ASG auf jede konkrete Utopie jenseits des Kapitalismus. Damit akzeptiert sie ungewollt die These vom „Ende der Geschichte“.
Von Verantwortlichen der ASG wird der Verzicht auf eine sozialistische Perspektive häufig mit den vielen Mitgliedern gerechtfertigt, die aus der SPD kamen und an deren Bewusstsein die neue Partei anknüpfen müsse. Vergessen wird dabei, dass die heute 50jährigen nicht mit einem sozialliberalen Bewusstsein in die Sozialdemokratie der 70er und 80er Jahre eintraten, sondern dass sich damals sogar die Rechtesten der JUSOS zum Sozialismus bekannten. Das mindeste, was mensch heute von diesen Ex-SPD-Mitgliedern verlangen muss, ist, dass sie ihre Entwicklung in der Sozialdemokratie reflektieren und zu ihren Wurzeln zurückkehren. Das tun ja auch viele andere 50jährige, die, durch den neoliberalen Kapitalismus herausgefordert, ihre Ideale von damals bestätigt sehen und wieder in der sozialistischen Linken aktiv werden.

Teilhabe durch Mitbestimmung

Für den demokratischen Sozialisten Julius Braunthal, der die Geschichte der Internationale schrieb, erstrebte die II. Internationale nach 1914 die Umwandlung der kapitalistischen in eine sozialistische Gesellschaftsordnung durch die Institutionen der Demokratie. Auch die ASG möchte an den demokratisch-bürgerlichen Institutionen teilhaben – allerdings ohne systemkritischen Umwandlungsanspruch.
Zum einen soll die „Demokratisierung der Wirtschaft“ über den „Ausbau der Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten“ erfolgen: „Wir wollen, dass in allen großen Unternehmen die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften bei wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen paritätisch mitbestimmen können“.
Ausgerechnet die paritätische Mitbestimmung! Die Mitbestimmung im Bergbau, der Eisen- und Stahlindustrie nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz ermöglicht die Besetzung des Aufsichtsrats paritätisch durch Kapital- und „Arbeitnehmervertreter“, zuzüglich einem „neutralen Mann“. Der Personalchef (Arbeitsdirektor) wird von den „Arbeitnehmervertretern“ gestellt. Er ist Mitglied des Vorstands des Unternehmens. In der IG Metall standen die Arbeitsdirektoren immer stramm auf dem rechten Flügel. Die paritätische Mitbestimmung verhinderte weder Massenentlassungen in der Stahlindustrie noch Zechenschließungen. Sehen wir einmal von dem großen Streik im März 1997 im Bergbau und der anschließenden Mobilisierung bei Thyssen gegen die feindliche Übernahme durch Krupp ab, dann setzte das Kapital über die paritätische Mitbestimmung die Arbeitsplatzvernichtung bei Bergbau und Stahl ohne Widerstand durch. Sie erreichte dies gerade durch die Einbindung der Betriebsratsfürsten und IGM-Spitzen in die Aufsichtsräte, durch die Herausbildung einer Schicht von Arbeiteraristokraten.
Überhaupt ist die Mitbestimmung in Aufsichtsräten nach dem Mitbestimmungsgesetz eines der wichtigsten Einfallstore zur Korruption von Betriebsräten und Gewerkschaftern. Dabei geht es weniger um materielle Vorteile. Auch die fehlen zwar nicht und manche Spitzenbetriebsräte sind billig zu haben. In erster Linie handelt es sich aber um die Vernichtung und Untergrabung gewerkschaftlicher Ideen und solidarischen Handelns durch neoliberale Gehirnwäsche, durch die Ideologie „mein Betrieb“, „mein Konzern“, „unser Standort Deutschland“ und „unser Standort Europa“.

Mitbestimmung als Knackpunkt

Die paritätische Mitbestimmung war ein Abfallprodukt des Kampfes um die Vergesellschaftung der Eisen- und Stahlindustrie nach dem 2. Weltkrieg. Sie und die nicht-paritätische Mitbestimmung in Aufsichtsräten sind das Herzstück der Klassenzusammenarbeit in der Bundesrepublik. Zwar drohen immer mal wieder die Unternehmerverbände mit der Einschränkung der Mitbestimmung, um Betriebsratsfürsten und Gewerkschaftsbürokratie zu disziplinieren. In Wirklichkeit würde das Kapital die Mitbestimmung gerne als Exportschlager Marke sozialer Frieden in die EU verkaufen.
Nun könnte mensch ja behaupten, das Kernstück der Mitbestimmung im Programm der ASG drücke das Bewusstsein des anderen sozialen Bestandteils der Wahlalternative aus – der GewerkschafterInnen. Zum Teil trifft das zu. Denn die in der ASG führenden hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre teilen das Konzept der Mitbestimmung meist aus Überzeugung und auch aus Opportunismus. Die Mitbestimmung ist das Heiligtum offizieller gewerkschaftlicher Interessenpolitik sprich der Interessen der Gewerkschaftsbürokratie und der Betriebsratsfürsten. Wer als hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär die Mitbestimmung in Aufsichtsräten ablehnt und dagegen mobil macht, ist im Apparat nicht gut gelitten.
Dagegen lehnen viele Gewerkschaftslinke die Mitbestimmung über Aufsichtsräte wie die Klassenzusammenarbeit überhaupt rigoros ab. Wenn sie dann trotzdem in die ASG eintreten, sollten wir sie bei jeder Gelegenheit auf diesen Widerspruch aufmerksam machen. Wichtiger ist jedoch den Streit vorauszusehen, der hier im Keim angelegt ist. Beim nächsten großen Klassenkampf, wo der Konflikt zwischen Gewerkschaftsbürokratie und Gewerkschaftslinke aufbricht, wird sich die ASG positionieren müssen. Und dann werden sich die hauptamtlichen Gewerkschafter der ASG samt der Parteiführung auf Seiten von Peters und Bsirske stellen und die Gewerkschaftslinken werden in der Praxis erleben, dass die ASG doch keine ArbeiterInnenpartei ist.

Teilhabe am bürgerlichen Staat

Als zweite Strategie, um die „Demokratisierung der Wirtschaft“ zu erreichen, dient der Marsch in die Institutionen des Staates BRD: „Die große Mehrheit der Bevölkerung ist d
arauf angewiesen, ihre Interessen durch den demokratischen Rechts- und Sozialstaat politisch zur Geltung zu bringen. Nur so können sie Wirtschaft und Gesellschaft solidarisch gestalten und ihre Forderungen durchsetzen“. Da aber für die große Mehrheit der Bevölkerung nicht genug Platz im Parlament ist und nicht ausreichend Ministerposten vorhanden sind, opfert sich die ASG: „An einer Regierung in Land und Bund werden wir uns nur dann beteiligen, wenn dies zu einem grundlegenden Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen führt“. Unter strikten „Bedingungen“ versteht sich! Und die stellen ja bekanntlich die PDS und die ASG dem kapitalistischen System und nicht umgekehrt. Die Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative ist noch bei keiner Wahl angetreten, sitzt noch in keinem einzigen Parlament und schon wird eine Regierungsbeteiligung für möglich gehalten. Mangelnden Ehrgeiz kann mensch den Machern der ASG nicht vorwerfen.
Es ist schon bemerkenswert, wie nach den Erfahrungen mit den Grünen und nach dem Anpassungsprozess der PDS eine Partei sich bereits vor ihrer Gründungskonferenz für die Beteiligung an einer kapitalistischen Regierung aussprechen kann, ohne einen Schrei linken Entsetzens auszulösen. Bei der PDS dauerte es Jahre bis die Parteiführung unter schweren inneren Auseinandersetzungen eine Regierungsbeteiligung durchsetzen konnte. In der ASG geht alles schneller und gleich alles auf einmal: Befürwortung der EU, der Welthandelsorganisation, des Internationalem Währungsfonds und der UN, die selbstverständlich „reformiert“ werden sollen.
Der Programmentwurf der ASG ist weitgehend mit dem Programm der PDS identisch – unter Verzicht auf das sozialistische Ziel. Insofern nimmt die ASG nur das Programm der zukünftigen PDS vorweg. Verzichtet die PDS dann noch auf ihr sozialistisches Ziel – vielleicht nachdem sich beide Parteien in NRW gegenseitig die Stimmen weggenommen haben und unter dem Druck der Bundestagswahl 2006 – dann steht der Wiedervereinigung unter linkem Vorzeichen kein programmatisches Hindernis mehr entgegen.
Während ihre Integration in den bürgerlichen Staatsapparat den Grünen den sozialistischen und basisdemokratischen Flügel kostete und die PDS die Strömung um Winfried Wolf verdrängte, werden die Diskussionen in der ASG so geführt, dass die sozialistischen KritikerInnen von vorne herein keinen Platz in der Wahlpartei finden oder sich extrem anpassen müssen. Und wenn erst Ende 2005 die Doppelmitgliedschaften in der ASG untersagt werden, dann werden sich die sozialistischen Linken in der Partei entscheiden müssen: Auflösung der eigenen Organisation und Mitarbeit als Strömung in der oder Austritt aus der ASG!?

Zusammenarbeit möglich?

Sicherlich wird die sozialistische Linke mit der Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative in Aktionseinheiten und in der Gewerkschaftslinken gegen die neoliberale Offensive des Kapitalismus zusammenarbeiten müssen, wenn die Mitglieder der ASG vor lauter Wahlkämpfen dazu noch die Zeit finden sollten. Denn es wäre fatal, den Widerspruch zwischen dem bürgerlich-sozialliberalen Programm der ASG und dem Neoliberalismus nicht auszunutzen. Aber Illusionen über den sozialliberalen Neuaufguss der 70er-Jahre-SPD sind nicht angebracht.

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