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Innenpolitik

Vor und nach dem 18. September: Bundestagswahlen und APO-Kongress

Von B.B. | 01.09.2005

Mit dem Aufkommen der Linkspartei hat die ideologische Offensive des Neoliberalismus ihren Höhepunkt in der BRD überschritten. Doch die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse gehen weiter und erfordern eine außerparlamentarische Antwort. Da kommt der Vorschlag von Bernd Riexinger  u.a. zu einem APO-Kongress und einer Großdemonstration im Frühjahr 2006 gerade richtig.

Die gesellschaftliche Bedeutung des absehbaren Einzugs der Linkspartei in den Bundestag geht weit über die erfolgreiche Initiierung einer linken Sammelpartei hinaus. Übersetzt in die Sprache der Parteipolitik drückt das Aufkommen der Linkspartei aus, dass die Offensive des Neoliberalismus in der BRD ihren ideologischen Höhepunkt überschritten hat. Der Marktradikalismus, seit langem von der de facto Großen Koalition von SPD-Grünen-CDU/CSU-FDP als allein selig machend verkauft, trifft auf wahrnehmbaren Widerspruch. Das Monopol neoliberaler Meinungsbildung ist aufgebrochen, auch wenn es nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Die soziale Frage, welche Unternehmerverbände, bürgerliche Medien und etablierte Parteien vergeblich im neoliberalen Morast zu ertränken suchten, ist wieder als fester Bestandteil der öffentlichen Debatte aufgetaucht. Mit dem Wirken der Linkspartei im Bundestag und bald in allen Landtagen und Stadträten wird die Kritik am herrschenden Konsens weiter zunehmen. Das bietet auch anderen als neokeynesianischen und sozialliberalen Antworten die Möglichkeit, ein größeres Echo zu finden. Diese Öffnung gilt es auf revolutionäre Weise für eine grundsätzliche Kapitalismuskritik zu nutzen, die die Klassenfrage neu stellt und eine sozialistische Perspektive weist.
Neoliberale Offensive hält an
Während die Hegemonie der neoliberalen Ideologie hinterfragt wird, geht die Offensive des Kapitals ungebrochen weiter. In Hunderten von Betrieben wurden vor der Bundestagswahl die Arbeitszeiten verlängert, die Löhne gekürzt oder die Sozialleistungen gestrichen. In Hunderten von Betrieben werden die Angriffe ab dem 19. September, dem Montag nach dem Wahlsonntag, fortgesetzt werden. Sie sind auch im Parlament nicht zu stoppen, egal wie viele Sitze die Linkspartei gewinnen wird.
Allein die Selbsttätigkeit der Arbeiter-Innenklasse kann die neoliberale Offensive zurückweisen. Leider ist zurzeit der gemeinsame Widerstand auf wenige Beispiele wie Alstom begrenzt. Lohnabhängige und GewerkschafterInnen, die sich vom Kapital überrollt und keine Möglichkeit der eigenen kollektiven Gegenwehr sehen, hoffen auf die Linkspartei, die stellvertretend und parlamentarisch die sozialen Probleme lösen soll. Nach dem Niedergang der Proteste gegen Hartz IV im Dezember letzten Jahres gab es aber auch keine Initiative, die eine glaubwürdige Aktionsperspektive angeboten hätte.

APO-Kongress im November
Bernd Riexinger, Geschäftsführer des verdi-Bezirks Stuttgart und ein führender Vertreter der Gewerkschaftslinken, sowie Nele Hirsch, Horst Schmitthenner, Willi van Ooyen und andere schlagen nun konkrete außerparlamentarische Aktionen vor: Am 19./20. November soll ein bundesweiter “APO-Kongress” in Frankfurt/M. stattfinden, der auf gemeinsame Proteste orientiert. Aktionsziel ist eine “große bundesweite Protestaktion im Frühjahr 2006” unter dem Motto “Umverteilen – aber richtig!”. Die Versammlung sozialer Bewegungen auf dem Erfurter Sozialforum nahm diesen Vorschlag auf und will den Kongress als “Aktions- und Strategiekonferenz der sozialen Bewegungen” ausrichten.
Riexingers “Vorschlag für APO-Aktivitäten” kommt gerade rechtzeitig vor der Bundestagswahl (s. Kasten). Sollte sich eine Regierung der Großen Koalition aus CDU und SPD bilden, dann werden noch genug Bedenkenträger im Gewerkschaftsapparat auftauchen, die kein Interesse an einer Mobilisierung haben und die offiziellen Gewerkschaften aus Aktionen herauszuhalten versuchen. Es könnte eine interessante Debatte entstehen, bei der sich auch die vielen hauptamtlichen GewerkschafterInnen der Linkspartei positionieren müssten. Doch jetzt kommt es darauf an, Riexingers (u.a.) Vorschlag bekannt zu machen, um möglichst frühzeitig breite Aktionsbündnisse zu bilden, die den “APO-Kongress” im November und die Demonstration im Frühjahr auch vor Ort vorbereiten.

Und die Linkspartei?
Das Verhältnis zwischen linker Parteibildung und sozialer Bewegung ist nicht einfach. Trat das Projekt WASG während der Montagsproteste im Sommer und Herbst 2004 in den Hintergrund, so kam seine große Zeit ab folgendem Winter mit dem Abflauen der sozialen Bewegungen. Erreichte die Linkspartei im ersten Halbjahr 2005 immer mehr Zulauf und im Juli ihre bisher besten Umfragewerte, blieb die Anziehungskraft der Versammlung sozialer Bewegungen in Erfurt bescheiden. Wer jedoch mit den geplanten sozialen Protesten mehr Menschen als die 100 000 DemonstrantInnen am 3. November 2003 in Berlin auf die Beine bringen will, muss auch alle diejenigen ansprechen, die am 18. September die Linkspartei wählen.
Überhaupt ist die Entwicklung der Linkspartei weit mehr vom Entstehen einer außerparlamentarischen Bewegung abhängig, als manche ihrer FunktionärInnen ahnen mögen. Nur offene Klassenkämpfe könnten jener Radikalisierung der ArbeiterInnenklasse ergeben, die nötig wäre, um vielleicht auch jenes Sammelsurium von Sozialliberalismus, Rechtsreformismus und Populismus nach links zu drücken, das sich Linkspartei.PDS nennt. Von den Galionsfiguren Gregor Gysi und Oskar Lafontaine wird auf ihrem Marsch durch die Institutionen sicherlich keine Linksentwicklung ausgehen. Vielleicht kann die Wahleuphorie noch einige Zeit die Sprengsätze wie Regierungsbeteiligung und Rechtspopulismus innerhalb der Linkspartei.PDS verdecken – aber die Explosionsgefahr bleibt.

APO-Kongress
 Aus dem Vorschlag von Bernd Riexinger und anderen: “Als Leitidee soll das Thema ‚Umverteilen – aber richtig!’ (oder ähnlich) im Mittelpunkt stehen. Zum einen, weil verschiedene politische Maßnahmen die Verteilungsungerechtigkeit weiter zu verschärfen drohen und zum anderen, weil sich verschiedene thematische Zugänge in diesem Focus bündeln lassen…
Aus unserer Sicht geht es darum, die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Umverteilungsprozesse zu diskutieren und einen gemeinsamen Politisierungsprozess verschiedener “Betroffenengruppen” zu organisieren.
So geht es beispielsweise bei der Verlängerung von Arbeitszeiten auch um die Berufsaussichten von Jugendlichen, oder die Qualität öffentlicher Dienstleistungen für BürgerInnen. Das Thema Studiengebühren wiederum betrifft nicht nur die Frage des Zugangs zu Bildung, sondern auch Elitebildung, Bildungsinhalte  und Demokratie. Tarifverträge schützen nicht nur die noch Beschäftigten, sondern sind Ausdruck regulierter Verhältnisse zwischen Kapital und Arbeit …. Teilhabe an der Gesellschaft, Geschlechtergerechtigkeit, Friedenspolitik, ökologischer Umbau werden dabei eine Rolle spielen und das auch mit Blick auf globale Entwicklungen.  Darüber hinaus soll auch unsere Perspektive für Europa unter dem Blickwinkel der Verteilungsgerechtigkeit diskutiert werden. Dazu gehö
rt die Steuerpolitik eben so wie die sozialen Rechte oder die Entwicklungen im Umwelt- oder Rüstungsbereich”.

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