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Geschichte und Philosophie

Vor 100 Jahren: Der Völkermord an den Herero

Von B.B. | 01.01.2004

Duerst kamen rheinische Missionare, dann hanseatische Kaufleute, dann preußische Militärs: Die Schaffung von “Deutsch-Südwestafrika”, dem heutigen Namibia, brachte den BewohnerInnen Tod und Verderben.

Duerst kamen rheinische Missionare, dann hanseatische Kaufleute, dann preußische Militärs: Die Schaffung von “Deutsch-Südwestafrika”, dem heutigen Namibia, brachte den BewohnerInnen Tod und Verderben.

Schon 1844 hatte die Rheinische Missionsgesellschaft aus Wuppertal-Barmen ihre erste Station in Namibia gegründet. Missionare und Forscher erkundeten das Land und knüpften Beziehungen zu den dortigen Völkern. 1868 entstand auf Initiative des Leiters der Rheinische Missionsgesellschaft und führenden Kolonialpropagandisten Friedrich Fabri, die Deutsche Missionshandels- und Aktiengesellschaft, der Bremer Kaufleute wie Adolf Lüderitz folgten. Fabri gründete auch 1879 den Westdeutschen Verein für Kolonisation und Export als ersten Kolonialverein, dem westdeutsche Industrielle und norddeutsche Kaufleute angehörten.

Lüderitz kaufte die Küste von der noch heute nach ihm benannten Bucht und Stadt bis zum Oranjefluss für 600 Pfund Sterling und 260 englische Gewehre. Am 24.4.1884 stellte Bismarck die Lüderitz-Bucht in Namibia unter den Schutz des Deutschen Reiches. Die erste deutsche Kolonie löste den Wettlauf der Großmächte zur Besetzung Afrikas aus.

Die deutsche Handelsbourgeoisie war bis ca. 1880 gegen Kolonien. Sie wollte ihr Kapital nur kurzfristig festlegen und befürwortete den Freihandel. Der auf Handel gestützte Imperialismus brauchte nur Küstenstützpunkte. Hamburgs und Bremens Afrikahandel bestand zu 60 Prozent aus Schnaps, Waffen und Pulver. Der auf Industrialisierung gestützte Imperialismus suchte dagegen nach Bodenschätzen zur Ausbeutung. Dafür musste das Land in Besitz genommen, Verkehrsverbindungen gebaut, Bergwerke errichtet und militärisch abgesichert werden. In Namibia wurde Gold vermutet; Kupfer und Diamanten gefunden.
Der "Friede" mit den Herero
Das Volk der Herero lebte traditionell von der Viehzucht und besaß riesige Rinderherden. Davon war nicht nur die Fleischversorgung der KolonisatorInnen, sondern auch der Transport, der weitgehend über vielspännige Ochsenwagen erfolgte, abhängig. Die Viehherden der Herero wurden 1897 durch die von den weißen KolonisatorInnen eingeschleppte Rinderpest zu 95 Prozent vernichtet und somit den Herero die Existenzgrundlage genommen. Deutsche Viehhändler und Farmer litten weit weniger unter der Rinderpest, weil sie ihr Vieh impfen konnten. Mit der Vernichtung der Rinderherden der Herero stiegen die Viehpreise um das drei- bis vierfache. Viehhändler und Farmer stürzten sich auf die neue Einkommensquelle und verschafften sich das Monopol über die Rinderzucht.

Die deutsche Kolonialverwaltung hatten 1890 entgegen allen Volksrechten den zunächst recht willfährigen Samuel Maherero als Nachfolger des verstorbenen Oberhauptes der Herero eingesetzt. Die Weißen zäunten das Land ein, das bei den Herero allen gehörte, besetzten die knapp bemessenen Wasserstellen und wollten die Herero in Reservate einpferchen. Hinzu kamen immer wieder Vergewaltigungen von Hererofrauen durch weiße Männer. 1904 standen die 60 – 80 000 Herero gegen die Fremdherrschaft der damals 4.500 weißen KolonisatorInnen auf.
Uns gehört Hereroland
Unter dem Kampfspruch "Wem gehört Hereroland? Uns gehört Hereroland!" griffen die Herero im Januar 1904 die deutschen "Schutztruppen" an. Zunächst konnten diese nur die wichtigsten Orte sichern. Doch mit der Verstärkung der deutschen Truppen auf 14.000 Soldaten
gerieten die Herero ins Hintertreffen. Sie wurden von den Kolonialtruppen des General von Trotha im August 1904 am Waterberg geschlagen und gezielt in die wasserarme Omahekewüste getrieben. Es überlebten zunächst 23.000, von denen noch einmal 7.700 in den deutschen Gefangenenlagern umkamen. 1911 zählten die deutschen Kolonialbehörden 15.130 Herero.

Nur einen Monat nachdem die Herero besiegt waren, griffen die Nama, die den Deutschen als Hilfstruppen gedient hatten, zum Aufstand. Ihr Guerillakrieg dauerte bis zum März 1908. Am Ende blieben von insgesamt rd. 20.000 Nama nur 9.781 am Leben.
Die Sieger damals …
Nach dem Sieg stieg die Einwanderung der Weißen auf rd. 11.000 Menschen im Jahr 1910. Die Besiegten wurden enteignet, ihre Lebensformen zerstört. Das Land kam in Besitz großer deutscher und britischer Land- und Minengesellschaften wie der Deutschen Kolonial-Gesellschaft, der Hanseatischen Minengesellschaft oder der South West Africa Company. Die Herero und Nama wurden in "öffentlichen Werften" mit etwa je 1.000 Menschen zusammengepfercht. Nicht mehr als zehn Familien durften in einem Sicherheitsabstand von 1000 Metern an einem weißen Farmhaus wohnen. Der Besitz von Großvieh und Waffen war ihnen verboten und damit de facto das Jagdrecht genommen. Die Männer wurden zu Lohnsklaven mit Arbeitszwang, Dienstbuch und Passpflicht gepresst. Kolonialapostel wie Paul Rohrbach forderten, den Herero "nach Möglichkeit seines Volkstums und seiner nationalen Eigentümlichkeiten zu entkleiden und ihn mit den anderen Eingeborenen allmählich zu einer einzigen farbigen Arbeiterklasse zu verschmelzen". Demnach sollte ihnen auch der Schreib- und Leseunterricht verwehrt werden.
… und heute
Heute leben in Namibia rd. 1,8 Mio. Menschen, von denen die Hälfte zum Volk der Ovambo gehört. Die Herero zählen 150.000 Menschen. 100.000 NamibierInnen sind Weiße. Sie kontrollieren Bergbau, Landwirtschaft, Handel und Tourismus. Ihnen gehört die Hälfte des fruchtbaren Bodens des Landes um die 5.000 Großfarmen. Ein Fünftel der Weißen sind deutscher Abstammung, die ein Viertel der Großfarmen besitzen.

Die namibischen Gewerkschaften fordern eine Landreform. Die lässt jedoch auf sich warten. Besetzungen wie in Zimbabwe sind in der Diskussion. Sollten sie stattfinden, wird das Geheul der hiesigen veröffentlichten Meinung über die "armen Deutschen" in Namibia laut werden – und es wird unsere Aufklärung über den deutschen Völkermord an den Herero und Nama erfordern.

Menschenverachtend
“Der Ethnologe mag es beklagen, dass ein so charakteristisch ausgeprägtes Stück Menschentum, wie es […] besonders die Herero und die Hottentotten […] darstellten, einst erinnerungslos eingeschmolzen sein wird, um, mit dem Zeichen des Reichsadlers und des christlichen Kreuzes versehen, mit der Aufschrift ‚farbige Arbeiter‚ als Wirtschaftswert in allgemeiner Tagelöhnerwährung wieder neu in Kurs gesetzt zu werden. Der Kampf um unsere eigene Existenz läßt aber keine andere Lösung zu”.
“Wir haben keinen Grund, in Afrika sentimentaler zu sein, als wir in Europa sind. Die wir auf dem Grabe jener Rassen unsere Häuser bauen, sollen es nur doppelt streng mit der Pflicht nehmen, für den Fortschritt der Kultur […] in diesem Neuland kein Opfer zu scheuen”.

(
Prof. Dr. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Leipzig 1910)

Menschenvernichtend
“Mit solchen Menschen können Kolonisten nicht rechnen; man läßt sie leben, solange sie wenigstens keinen Schaden anrichten. Wo sie diese Forderung aber nicht erfüllten, hat man sie wie Raubwild abgeschossen. Der Gedanke ist erwogen worden, den Buschmann […] in Reservaten zu erhalten […]. Man wird sich aber den Luxus nicht leisten können, die dazu nötigen Areale Land mit allem, was auch der Mensch dabei zur Erhaltung der Spezies ohne Inzucht fordern muss, brach liegen zu lassen”.

(Prof. Dr. Hans Meyer, Das Deutsche Kolonialreich, Leipzig 1910)

Erlaß des Oberbefehlshabers der deutschen Truppen bei der Niederschlagung des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika:
Osombo-Windembe, 2.10.1904:

„Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet, gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nase und andere Körperteile abgeschnitten und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volke: Jeder, der einen der Kapitäne an einer meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält 1000 M; wer Samuel Maharero bringt, 5000 M. Das Volk der Herero muß jeder das Land verlassen [sic]. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Das sind meine Worte an das Volk der Herero.“
Der Große General des mächtigen Kaisers v. Trotha

(Nach dem Schlächter v. Trotha sind heute noch in manchen Städten Straßen benannt).

Das Urteil des deutschen Militarismus
“Keine Mühen, keine Entbehrungen wurden gescheut, um dem Feind den letzten Rest seiner Widerstandskraft zu rauben; wie ein halb zu Tode gehetztes Wild war er von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich willenlos ein Opfer der Natur seines eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: Die Vernichtung des Hererovolkes”.

(Der deutsche Generalstab über seine “militärische Aktion”)


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