Erforderliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Erderhitzung und der notwendigen Reduzierung der CO2-Emissionen, unter Berücksichtigung der Klimagerechtigkeit, sind nicht möglich, ohne eine grundsätzlich strukturverändernde sozial-ökologische, geschlechtergerechte und generationenübergreifende Verkehrswende. Ein konsequenter Umbau des Verkehrs bedeutet letztlich:
Verkehr VERMEIDEN, Verkehrswege VERKÜRZEN, Verkehr VERLAGERN.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise und ihr innewohnender Zwang zur privaten Profitmaximierung – Haupttriebkraft für die Klimakatastrophe – von ihren Apologeten samt den staatlich stützenden Strukturen dieses Wirtschaftssystem mit allen Mitteln verteidigen. Individuelle Einzelmaßnahmen können dem nichts Entscheidendes entgegensetzen.
Gut begründete Forderungen, breit vorgetragen, können indes helfen, Veränderungen im Bewusstsein der Menschen anzustoßen, so dass die lebenszerstörenden Strukturen aufgebrochen werden und zu einer ökologisch nachhaltigen Verkehrswende führen. Die Internationale Sozialistische Organisation (ISO) versucht mit den hier vorgelegten wichtigsten Forderungen diesen notwendigen Strukturwandel zu unterstützen und befürwortet alle Bestrebungen, die in die hier aufgezeigte Richtung führen.
Autoverkehr
Der derzeit vorherrschende motorisierte Individualverkehr wird von einer recht großen Gruppe der Bevölkerung als alternativlos zum ÖPNV angesehen. Nicht selten wird das Auto sogar als Symbol für Unabhängigkeit und Freiheit empfunden und entsprechend verteidigt. Dieses scheinbare Freiheits- bzw. Statussymbol wird von der Autolobby und den mit ihr verbundenen Parteien gerade dann wie eine Monstranz vor sich hergetragen, wenn es um Forderungen und Maßnahmen geht, die eine umfassende Verkehrswende durchsetzen möchten. Dabei wird von diesen Vertretern geflissentlich übersehen, dass das derzeitige Verkehrssystem mit seinem riesigen Flächenverbrauch (z.B. Fahren und Parken) einseitig auf den Autoverkehr zugeschnitten ist und andere Verkehrsteilnehmer:innen benachteiligt. Diesen Interessengruppen geht es nicht um die Belange der Gesamtgesellschaft, die durch klimaschädigende Treibhausgase, Luftverschmutzung, Lärm, Krankheiten, Unfall- und Todesrisiken, enormen Ressourcenverbrauch u.v.a.m. dafür bezahlt.
Um dem schnell, einfach und kostensenkend begegnen zu können, ist die Durchsetzung von Tempolimits auf Autobahnen mit 100 km/h, auf Fernstraßen mit 80 km/h und in Wohngebieten mit 30 km/h unabdingbar. Dies wäre ein großer Schritt hin zur Vision Zero: keine Verkehrstoten. Die Motorleistung, das Gewicht sowie die Höchstgeschwindigkeit der PKWs sind zu limitieren.
Darüber hinaus ist der Fernstraßenneubau einzustellen. In den Städten ist eine systematische Strukturpolitik der kurzen und autoarmen Wege zu schaffen, so wie es z.B. Barcelona und Paris umsetzen. Durch gut ausgebauten ÖPNV muss die Nutzung von Pkws und einer flächendeckenden Parkraumbewirtschaftung weitgehend überflüssig gemacht werden.
Klimaschädliche Verkehrs-Subventionen, wie Dieselkraftstoffe, Entfernungspauschale und Dienstwagenbesteuerung, sind zu Gunsten der hier skizzierten Verkehrswende umzuwidmen. Zudem ist die Kfz-Steuer um eine Zulassungssteuer auszuweiten und die CO2-Steuer auf Kraftstoffe merklich zu erhöhen, um eine Lenkungswirkung auf kleinere, leichtere und emissionsärmere Fahrzeuge zu erzielen. Die Entfernungspauschale ist durch ein Mobilitätsgeld zu ersetzen, um besonders betroffene Personen zu entlasten. Elektroautos sind in diesem Zusammenhang keine Alternative, da die Herstellung enorme Ressourcen verschlingt, ungeheure Mengen an elektrischer Energie benötigen und die Probleme im Straßenverkehr dadurch nicht behoben werden.
Flächendeckende Carsharing-Modelle und Mitfahrverbände, sinnvoll genutzt, können mit dazu beitragen, den Pkw-Bestand deutlich zu reduzieren. Autonomes Fahren wird die benötigte Verkehrswende nicht voranbringen. Diese Technik, die enorme Mengen von Rechenleistung mit entsprechend hohem Energiebedarf verlangt, verteuert die Fahrzeuge, erhöht damit die Profite der Autokonzerne und trägt nicht dazu bei, den Verkehr zu reduzieren.
Eine Stadt- und Regionalplanung, die die derzeitigen Zentralisierungstendenzen stoppt bzw. wieder rückgängig macht, ist erforderlich, um unnötige Verkehre zu vermeiden. Hierzu zählen z.B. Lebensmittelgeschäfte, Krankenhäuser und sonstige Dinge, die für Städter alltäglich sind.
ÖPNV & Schienenverkehr
Der durch Unternehmenssteuern finanzierte barrierefreie ÖPNV, als kollektives Verkehrsmittel, muss gestärkt und ausgebaut werden und steht allen Bürger:innen zum Nulltarif zur Verfügung. Straßenbahnsysteme sind zu schaffen und lösen den um ein Vielfaches teureren U-Bahnbau mit seinen zudem hohen Bau-CO2-Emissionen weitestgehend ab.
Regelmäßig fahrende Busse, Sammel- und Anrufsammeltaxis, flächendeckend eingerichtet und einfach zu bestellen, bieten nicht nur eine Lösung für den ländlichen Raum, sondern sind auch in Zeiten schwacher Nachfrage als Alternative zu größeren Fahrzeugen zu sehen.
Ein deutlich vergrößertes, teils reaktiviertes, flächendeckendes, grundsaniertes und mit erneuerbaren Energien betriebenes elektrifiziertes Schienennetz, bildet die Grundlage für eine effiziente, integral getaktete und pünktliche Bahn in öffentlichem Eigentum. Dies wäre eine wirkliche Alternative zum Auto. Unterstützt wird dieses Ziel durch stark reduzierte Bahnpreise und einen europaweiten Nachtzugverkehr. Zerstörerische Großprojekte sind zu stoppen.
Der LKW-Güterverkehr wird drastisch reduziert, zunächst durch umfangreiche Vermeidung bei Integration der tatsächlichen Transportkosten (Verteuerung) und dann Verlagerung von der Straße auf Schienen und Binnenschiffe. Bedingung für die Wasserstraßen: kein weiterer Ausbau der Flüsse und naturverträgliche Nutzungskonzepte! Regionales Wirtschaften unterstützt diese Absicht nach dem Motto: so dezentral wie möglich, so zentral wie nötig.
Ein gut ausgebauter öffentlicher Nah- und Fernverkehr ist nur möglich, wenn die Zahl der Arbeitsplätze und die Entlohnung der Beschäftigten erhöht und die Arbeitsbedingungen sichtbar verbessert sowie die Arbeitsverdichtung reduziert wird.
Radverkehr
Fahrradverkehr benötigt eine fahrradfreundliche Infrastruktur, die unterschiedliche Radverkehre berücksichtigt und sich im Rahmen eines gut organisierten Umweltverbundes steigender Beliebtheit erfreuen wird. Hierfür ist der Ausbau von Radwegen bzw. Radfahrstreifen, Schutzstreifen sowie kreuzungsfreien Radschnellwegen, ein Um- und Rückbau von Straßen und Parkflächen, eine Erweiterung von Fahrradparkplätzen sowie die Entwicklung von Stadtradsystemen, die dem ÖPNV gleichgestellt sind, von Nöten.
Fußverkehr
Der Fußverkehr ist wesentlicher Bestandteil der Alltagsmobilität und als gleichberechtigte Mobilitätsform bei Planungsprozessen und Stadtentwicklungsstrategien zu bedenken. Ein engmaschiges, durchgehendes und möglichst barrierefreies Wegenetz auf angemessenen Flächen (z.B. durch Einrichtung von Einbahnstraßen) ist zu schaffen, das den Schutz von Zufußgehenden priorisiert und die Bedürfnisse von Menschen mit Rollatoren, Rollstühlen oder Kinderwagen berücksichtigt. Zudem ist neben der Schaffung von zusätzlichen Fußgängerüberwegen auf ausreichende Beleuchtung und kurzen Wartezeiten bei signalgesteuerten Kreuzungen zu achten. Fußwege sind keine Parkflächen für Autos und müssen deshalb durch geeignete Maßnahmen gesichert werden.
E-Scooter
Seit einiger Zeit ergänzen E-Scooter die Mobilität, allerdings meist nur in Innenstädten, da hier kaufkräftige Kundschaft vorliegt. Der Gebrauch dieser Fahrzeuge ist umstritten, weil sehr viele Nutzer:innen diese Fahrzeuge unzulässigerweise auf Gehwegen nutzen und nach Gebrauch an den ungeeignetsten Stellen zurücklassen, so dass sie nicht nur Fußgänger:innen behindern. Aus diesem Grunde sollte eine gewerbliche Vermietung dieser Fahrzeuge, wie z.B. in Paris, in den Innenstädten nicht mehr erlaubt werden.
Flugverkehr
Der Fracht- und Personen-Flugverkehr muss durch Vermeiden und Verteuern drastisch eingeschränkt werden. Flüge unter 1000 km, auch ins Ausland, sind auf die Schiene zu verlagern und nur in lebensbedrohlichen Situationen gestattet. Kerosin ist zu besteuern, die Flugverkehrsabgabe ist zu erhöhen, Subventionen und Sozialdumping bei Airlines und Airports sind zu beenden. Insgesamt muss das Fliegen die tatsächlichen Kosten – auch der Umweltkosten – widerspiegeln.
Schiffsverkehr
Die stetig steigende Zahl an Schiffen, die täglich Ozeane und Flüsse befahren, werden hauptsächlich mit extrem umwelt- und klimaschädlichen Treibstoffen wie Schweröl oder Schiffsdiesel angetrieben. Diese Treibstoffe sind, ebenso wie das Einleiten von flüssigen und festen Abfällen ins Meer, zu verbieten. LNG als fossiler Brennstoff ist keine Alternative.
Um den Emissionsausstoß kurzfristig zu mindern, sind z.B. eine stärkere CO2-Bepreisung, ein verpflichtender Einsatz von Rußpartikelfiltern, Abgasnachbehandlungen, Landstromzwang, Geschwindigkeitsobergrenzen, ökonomischeres Fahren sowie schifffahrtsfreie Zonen festzulegen. Letzteres würde durch Lärmreduzierung auch dem Schutz der Meerestiere dienen.
Neubauten erfordern optimalere Schiffsrümpfe mit geringerem Tiefgang, effizienten Antriebstechniken, die – wo immer möglich – elektrifiziert, mit grünem Wasserstoff, eFuels oder per Windkraft angetrieben werden. Kein Einsatz von Biofuels.
Integrierte Verkehrskonzepte, unter Einhaltung ökologischer Standards (z.B. Umsetzung der Wasserrahmenlinie), müssen die Potenziale der Schifffahrt nutzen, ohne dass ein weiterer Ausbau bzw. eine Vertiefung für noch größere Schiffe vorgenommen wird. Langfristig muss der Schiffsverkehr reduziert und die weltweite Arbeitsteilung reduziert werden. Regionale Kreisläufe sind zu stärken.
Die Zahl der ständig wachsenden Kreuzfahrtschiffe belastet, mit ihren etlichen Millionen von Passagieren, nicht nur die Umwelt, sondern auch die Gesundheit der Menschen.
Betrieb
Die hier vorgestellte Konzeption zu einer nachhaltigen Verkehrswende kann nicht ohne Beteiligung der betroffenen Betriebe und deren Belegschaften erfolgen. Da, wo z.B. bisher millionenfach Autos produziert wurden, muss zukünftig etwas Sinnvolleres, unter Begrenzung der Steigerung des Verbrauchs von Primärrohstoffen, erzeugt werden. Für diese notwendige Konversion, die derzeit leider in Richtung Rüstungsproduktion verläuft, müssen die Beschäftigten gewonnen werden und darin eine langfristige und sinnvolle Perspektive erkennen.
Die erzeugten Produkte müssen Materialeffizienz mit langer Lebensdauer verbinden und ökologischen Standards genügen. Betriebsräte müssen dabei ein Vetorecht erhalten, wenn ökologisch schädliche Produkte hergestellt werden sollen oder der Arbeitsschutz wegen Umweltgefährdung nicht gewährleistet ist.
Perspektive: Demokratisierung und Solidarität!
Die hier skizzierte Verkehrswende lässt sich nur in breit angelegten, demokratisch organisierten Beteiligungsstrukturen und unter Prüfung und Planung aller umweltgerechten Möglichkeiten umsetzen, um den Erhalt des Ökosystems zu sichern bzw. zu verbessern.
Da es diese Transformation nicht umsonst gibt, sind notwendige Veränderungen im Steuerwesen erforderlich, wobei nicht nur „Tax the rich!“ eine Lösung sein kann.
Die Verkehrsindustrie, die von diesen Veränderungen besonders betroffen ist, ist zu vergesellschaften und demokratisch unter öffentliche Kontrolle zu stellen.
Die hier vorgestellten Forderungen brechen mit dem „Schneller, Weiter, Mehr“ und setzen stattdessen die demokratische Planung an die Stelle der Konkurrenz, um damit die Lebensqualität auf diesem Planeten dauerhaft zu erhalten.
Wir brauchen eine echte Verkehrswende!