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Betrieb & Gewerkschaft

ver.di-Gewerkschaftstag: Stark im Wandel zum weiter Nichts tun

Von Ida Liethen | 01.04.2004

Das Motto des 1. ordentlichen Bundeskongress ver.dis nach der Gründung: “stark im Wandel”, wurde ad absurdum geführt, denn der Kongress hat nicht einen richtungsweisenden Beschluss gefasst. Obwohl es mehrere Chancen dazu gegeben hätte und manche auch nur knapp verpasst wurden.

Das Motto des 1. ordentlichen Bundeskongress ver.dis nach der Gründung: “stark im Wandel”, wurde ad absurdum geführt, denn der Kongress hat nicht einen richtungsweisenden Beschluss gefasst. Obwohl es mehrere Chancen dazu gegeben hätte und manche auch nur knapp verpasst wurden.

Der Kongress lässt sich in drei große Blöcke unterteilen: Wahlen und Rechenschaftsberichte, das Grundsatzreferat des mit 92,6 Prozent wiedergewählten Vorsitzenden Frank Bsirske und die Antragsberatung der fast 1300 Anträge. Beiwerk dazu waren die Reden der PolitikerInnen. Am ersten Kongresstag sprach Fischer und der Kongress war nicht vorbereitet. Bsirske ließ die extrem provozierende Rede des Außenministers unkommentiert, die KongressteilnehmerInnen hatten keine Möglichkeit zu widersprechen und lediglich der Versuch durch Pfiffe und Buhrufe die Hilflosigkeit zu überwinden, ließ die Frustration nicht überkochen. Diese Erfahrung vom ersten Tag lag wie ein "reinigender Alptraum" über den nachfolgenden Politikerreden. In den einzelnen Besprechungen der Fachbereiche und Ebenen verständigten sich die Delegierten auf Schweigen: Kein Beifall für niemanden zu keinem Zeitpunkt, kein Pfiff, keine Buh – eisiges Schweigen. Lediglich Bisky wurde wohlwollend behandelt, zumal er Berlin unerwähnt ließ. Die ver.di-Jugend zeigte Transparente und zog schweigend mit zugehaltenen Ohren in den Saal und wieder raus.
Reden unterbrochen
Überraschender Weise zeigte das Verhalten Erfolg. Alle PolitikerInnen waren sichtlich verunsichert ob des Schweigens. Als weiteren Ausdruck des Protestes hielten die Delegierten ihre roten Abstimmungskarten während der Reden hoch und der gesamte große Landesbezirk NRW stand bei Merkel und Müntefering mitten in der Rede auf und drehte den RednerInnen der Rücken zu. Alle trugen das gleiche T-Shirt mit dem Rückenaufdruck: Sozialstaat hat Zukunft – ver.di NRW. Selbst als Müntefering die Tarifautonomie zusicherte, klatschten nur eine Handvoll der 1000 Delegierten. Der Kanzler jedenfalls kam nicht – angeblich wegen Terminschwierigkeiten.

In der Aussprache zum Rechenschaftsbericht wurde von nahezu allen RednerInnen ein fast schon kämpferischer Ton angeschlagen. Immer wieder war zu hören: Tarife, Gegenwehr gegen die soziale Demontage, Demos, Kampagnen usw. – wir haben nicht genug getan, wir müssen viel mehr tun und vor allem kämpferischer.

Bei den Wahlen zum Bundesvorstand wurde das Bundesvorstandsmitglied Beate Eggert abgewählt, was hauptsächlich mit der von ihr vertretenen Gesundheitspolitik als dafür zuständige Bundesfachleiterin zu tun hatte. Der Kongress war in Aufruhr: Die Abwahl eines Bundesvorstandsmitglieds aus politischen Gründen ist nicht alltäglich. Auch Isolde Kunkel-Weber wurde für ihr Verhalten in der Hartz-Kommission mit einem Wahlergebnis von 67,8 Prozent abgestraft.

Das folgende Grundsatzreferat Bsirskes "alles kann, nichts muss, vieles sollten wir" war eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen bundesdeutscher Gewerkschaftsrhetorik. In seinen Angriffen auf die Regierung allerdings war er sehr direkt, so dass man fast hätte Hoffnung bekommen können. Er blieb aber letztlich doch sehr unkonkret, was den Widerstand anbelangt. "Wenn dann am 1. November attac zu einer Demonstration aufruft (…) lasst uns da hingehen, wenn wir unsere Hausaufgaben in den Betrieben und vor Ort gemacht haben. (…) Aber unsere Aufgabe wird zuerst darin bestehen müssen, dort an die Arbeit zu gehen, wo wir sind. In den Betrieben, wo wir Verantwortung haben, wo wir Leitfiguren sind (…), um dort aktiv zu werden." Dennoch wurde ein Antrag verabschiedet, dass "die Delegierten (…) den Bundesvorstand und alle Gremien auf(fordern), sich öffentlichkeitswirksam der (…) Demonstration (…) am 1. November (…) anzuschließen und alle Mitglieder zu Teilnahme aufzurufen".
Anträge
Ein großer Batzen der Anträge beschäftigte sich mit der Weiterentwicklung der Matrixstruktur ver.dis, also eine innerorganisatorische Debatte, die den Großteil der drei Tage Antragsberatung verschlang. Als es dann zu den Antragsteilen kam, die eine politische Ausrichtung hatten, lief dem Kongress die Zeit davon. Hunderte von Anträgen wurden einfach entsprechend der Empfehlung der Antragberatungskommission aus Zeitdruck durchgewinkt und Debatten abgebrochen. Als am vorletzten Kongresstag die Delegierten um 23.30 Uhr in ihre Hotels fuhren, wurde eine Kommission beauftragt, für den nächsten Tag nur noch die allerwichtigsten Anträge auszuwählen. Zu diesen wurden noch Redebeiträge zugelassen, alle anderen, zu denen bereits Wortmeldungen vorlagen, wurden an den Gewerkschaftsrat zur Abstimmung verwiesen.

Am umstrittensten waren u.a. B 77: Sofortiger Ausstieg aus dem Bündnis für Arbeit (mit 383 zu 357 Stimmen abgelehnt); Initiativantrag B 342-1: Abschaffung der privaten Krankenkassen/Bürgerversicherung (lediglich als Arbeitsmaterial angenommen); B 175: Abschaffung der Bundeswehr und der NATO (abgelehnt).

Alles in allem gab es durchaus ein Potential, von diesem Kongress deutliche Signale zu verschiedensten brennenden gesellschaftspolitischen Themen auszusenden, nur leider ist es in keinem Fall dazu gekommen. Dass sich während des Kongresses mehrere Dutzend KollegInnen, die sich als ver.di-Linke verstehen, zwei Mal getroffen haben und für Anfang 2004 ein erstes bundesweites Treffen planen, lässt nach sieben Tagen Kongress hoffen.

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