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Türkische Linke: Tabuthema Homosexualität

Von Ali Sirin | 01.10.2003

Sexuelle Freiheit ist mit dem politischen Kampf der Linken in der Türkei nicht vereinbar und gefährdet nach ihrer Ansicht ihre Glaubwürdigkeit.

Sexuelle Freiheit ist mit dem politischen Kampf der Linken in der Türkei nicht vereinbar und gefährdet nach ihrer Ansicht ihre Glaubwürdigkeit.

Der türkischen Linken wird seitens der ausländischen GenossInnen oftmals vorgeworfen, zu sehr hierarchisch und patriarchalisch organisiert zu sein. Sie würden vom Denken her noch in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts feststecken. Kurzum, die türkische Linke befinde sich in der heutigen Zeit in einer Krise, die die Massen nicht mehr mobilisieren kann.
Homosexualität ignoriert

Vielleicht liegt es auch an der Tatsache, dass bestimmte Themen nicht aufgegriffen werden. Als bestes Beispiel kann das Tabuthema Homosexualität unter den Linken in der Türkei genommen werden. Die Mehrheit der türkischen Linken aller Spektren ignoriert die Homosexualität. Sie passt nicht in die linke (türkische) Ideologie und Theorie der Auseinandersetzung der Klassen. Politischer Klassenkampf und Sexualität sind für die türkische Linke einfach nicht vereinbar. Eher engagieren sich die Genossen aus dem Ausland für die Sache der Homosexuellen in der Türkei.

Was die Homosexualität anbetrifft, so teilen viele der Linken mit der Mehrheit der türkischen Gesellschaft die Ansicht, dass es sich um eine Krankheit handelt, die mensch behandeln könnte. Selbst die Tatsache, dass die Homosexualität in der Türkei eine lange Tradition hat, ändert nichts an der Ignoranz. Homosexualität ist dazu verdammt, ein Schmuddelthema zu bleiben. An diesem Tabu wird nicht gerüttelt, stattdessen geschwiegen. Auch unter den türkischen Linken in der Diaspora herrscht das Desinteresse an dem Thema Homosexualität.
Homosexualität als Vorwurf
Warum über dieses Thema hinweggesehen wird, liegt darin, als Linker in der Gesellschaft eventuell nicht mehr ernst genommen zu werden und sein Gesicht zu verlieren. Noch schlimmer wäre der Vorwurf, wenn mensch sich mit Homosexualität beschäftigt, als homosexuell bezeichnet zu werden. Sexuelle Freiheit zu fordern, hieße, die Glaubwürdigkeit unter der eigenen Anhängerschaft sowie die der Gesellschaft zu verlieren, und ist mit dem politischen Kampf der Linken in der Türkei nicht in Einklang zu bringen. Politische Rivalen machen sich unter anderem gerne mit homosexuellen Beleidigungen mundtot. Mensch hätte dann ein kleineres Repertoire an Beschimpfungen.

In der türkischen Gesellschaft werden vor allem Schwule gerne in die Lächerlichkeit gezogen. Wenn in den Medien Schwule thematisiert werden, dann meistens irgendwie als Friseur. Sie stehen für Schwächlichkeit und Angst, Attribute also, die generell nicht mit „linken Eigenschaften" vereinbar sind. Linkes Engagement für gleichgeschlechtlichen Sex würde die Gefahr beinhalten, die Klischees vor allem der Schwulen ungewollt oder gewollt von politischen Gegnern aufgezwungen zu bekommen.
Ausgrenzung unter Linken
Nur wenige Linke in der Türkei haben die Courage, sich gegen die vielen Klischees gegenüber Homosexuellen einzusetzen und für mehr sexuelle Akzeptanz zu werben, so schwer diese Arbeit auch sein mag. Aber bis dahin erfordert die sexuelle Aufklärungsarbeit einiger weniger Personen noch viel Geduld. Die Klischees in der Bevölkerung sind hartnäckig in den Köpfen der Menschen verankert.

Natürlich darf die Tatsache nicht unerwähnt bleiben, dass einige Homosexuelle gerne auf ihre Religiosität verweisen, um Verständnis in der Gesellschaft zu erhalten. Sie teilen nicht unbedingt dieselbe Ideologie wie die Linken. Mensch möchte ungern mehrfach diffamiert und ausgegrenzt werden.

Türkische Homosexuelle, die trotzdem in einer linken Gruppierung aktiv sind, vermeiden es, sich zu outen. Die soziale Ausgrenzung der Homosexuellen ist selbst unter den linken Gruppierungen leider ebenso vorhanden. Viele Homosexuelle können oder wollen nicht den Kontakt zur Familie und ihrem sozialen Umfeld verlieren. Diese Angst vor einer drohenden Ausgrenzung lähmt ihre gesellschaftliche Initiative um mehr Gleichberechtigung. Die dadurch hervorgerufene Lethargie verhindert wiederum den Brückenschlag zwischen Homosexuellen und Linken.

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