Es ist nicht mehr lange hin – am 5. November laufen die Präsidentschaftswahlen in den USA. Die ersten Stimmen sind schon abgegeben. Zeitgleich werden alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses neu gewählt und auch 35 Mitglieder des Senats. Das Ergebnis dieser Wahlen wird eine Weichenstellung sein, weit über die USA hinaus. Davon abgesehen, dass die Republikanische Partei seit Jahren weit nach rechts außen abdriftet: Donald Trump, dem ein Attentäter tragischer Weise ein Stückchen vom Ohrläppchen abgeschossen hat, plant allem Anschein nach eine Neuauflage der sogenannten „Machtergreifung“ und droht offen mit Bürgerkrieg.
Trump verkörpert die Art von politischem Personal, das den gordischen Knoten der multiplen Krise der kapitalistischen Klassengesellschaft mit brutaler Gewalt zerschlagen will. Eine wichtige Zutat dafür ist völlige Skrupellosigkeit. Der Champion der „alternativen Fakten“ – der haltlosen Lügen – hält sich in der untersten Schublade moralischer Verkommenheit auf. Ein Beispiel dafür ist der Verlauf seiner Beziehungen mit dem Mentor seines Aufstiegs in den 70er und 80er Jahren, dem Anwalt Roy Cohn. Der war schon Stabschef des berüchtigten Joseph McCarhy gewesen und diente dann auch Nixon und Reagan als Berater.
„Schaff dir eine eigene Realität, die Wahrheit ist biegsam“, riet er dann dem jungen Trump. Legendär sind die drei Devisen, die er ihm eingeschärft hatte: 1 Immer angreifen 2 Nie etwas zugeben 3 Niemals eine Niederlage eingestehen. Der Schüler war allzu gelehrig. Roy Cohn war Jude und verstand sich auf antisemitische Demagogie, er war auch schwul, wozu er sich nie bekannte, und hetzte hemmungslos gegen Schwule. Als dann herauskam, dass er an Aids erkrankt war, ließ Trump ihn sofort fallen und kein gutes Haar mehr an ihm.
Äußerungen von Trump im Wahlkampf und in Interviews mit dem ihm hörigen Fernsehsender Fox News lassen an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig: „Der Feind im Innern ist … gefährlicher als China, Russland und all diese Länder.“ Soweit stimme ich ja mit ihm überein, bloß meint er nicht das Kapital und seine Handlanger: „Wir haben hier ein paar sehr schlimme Leute, kranke Menschen, radikale linke Irre.“ Damit meint er keineswegs bloß wirkliche Linke, die für sozialistische Demokratie eintreten, von denen es in den USA durchaus nicht wenige gibt. Er meint zum Beispiel den [S1] [S2] [S3] Kongressabgeordneten Adam Schiff, den er wegen seiner gemäßigt liberalen Ansichten als „Arschloch“ beschimpft. Für ihn sind Leute schon „Bolschewisten“, wenn sie für ein halbwegs solidarisches Krankenversicherungssystem eintreten, „linksradikal“, wenn sie benachteiligte Bevölkerungsgruppen gegen Unrecht und Diskriminierung in Schutz zu nehmen versuchen.
Gegen den „Feind im Innern“ will Trump „die Nationalgarde“ und „wenn nötig die Armee“ einsetzen. Aus der widerlegten und ständig von ihm wiederholten Lüge, haitianische Einwanderer würden Hunde und Katzen aufessen, leitet er ab, er werde diese Leute, die in großer Mehrheit ganz legal in den USA leben, massenhaft ausweisen. Aber Momentchen mal, wären denn seine Maßnahmen überhaupt legal? Darauf pfeift er. Das Oberste Gericht der USA, dessen Zusammensetzung er als Präsident maßgeblich beeinflusst hatte, hat ihm ja Immunität für „alle offiziellen Amtshandlungen als Präsident“ zugebilligt.
Trump droht offen damit, er werde politische Gegner verhaften lassen. Aber nicht nur das. Er will auch „den tiefen Staat“ ausrotten. Da dieser eine Erfindung abstruser Verschwörungserzählungen von QAnon und Konsorten ist kann jeder Pizzabäcker und jede Hamburger-Verkäuferin deswegen hinter Schloss und Riegel landen.
Es wäre naiv anzunehmen, Trump würde sich, wenn er erneut Präsident wird, in etwa so verhalten wie in seiner ersten Amtsperiode. Ganz andere Szenarien sind vielmehr in der Pipeline. Nehmen wird das über tausend Seiten starke „Project 2025“ der Denkfabrik Heritage Foundation, von der Trump sich inspirieren lässt. Da geht es um lange Listen von Leuten, die man aus ihren Funktionen jagen muss, da wird detailliert geschildert, wie Trump die Besetzung aller Schaltstellen der Macht mit getreuen Gefolgsleuten erreichen kann. Hinzu kommt die Unitary Executive Theory, der zufolge der Präsident ganz alleine über die gesamte Exekutive verfügt,
Genügt das? Alle Menschen in den USA, die potenzielle Zielscheiben des rechtsextremistischen Hasses sind, haben alles Interesse daran, sich zusammenzutun und auf gemeinsamen und robusten Widerstand vorzubereiten. Der Feind kennt keine Skrupel und ist bis an die Zähne bewaffnet. Ein Wahlsieg von Trump wäre auch weltweit eine Ermutigung für Rechtsextremisten, Faschisten und Nazis, und da gilt dieselbe Perspektive wirksamer einheitlicher Selbstverteidigung.
Aber vielleicht verliert Trump ja die Wahlen knapp gegen die demokratische Kandidatin Kamala Harris? Nun, dann tritt der dritte Ratschlag des Roy Cohn in Kraft: Niemals eine Niederlage eingestehen. Was dann folgt, dürfte den Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 in den Schatten stellen.