I.
Seit den Landtagswahlen im März 2016 in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, deren Ergebnisse für DIE LINKE desaströs waren, hat es in der Partei eine intensive Debatte über die Ursachen gegeben und darüber, welche Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Insbesondere das Papier von Katja Kipping und Bernd Riexinger mit dem Titel „Revolution für Demokratie und soziale Gerechtigkeit“ versucht eine Antwort auf den eigenen Misserfolg und den Aufstieg der Allianz für Deutschland (AfD) zu geben. Darin gibt es klare Aussagen gegen einen Kurs auf Regierungsbeteiligung um jeden Preis, gegen die These eines „linken Lagers“ (mit SPD und Grünen) und für verstärkte Anstrengungen, die Mobilisierungsfähigkeit der Partei zu verbessern. Dieser Kurs ist auf dem Bundesparteitag im Mai in Magdeburg eindrucksvoll bestätigt worden. Auf dem Landesparteitag im Juni in Nordrhein-Westfalen hat sich dieser Trend fortgesetzt, Änderungsanträge zum Leitantrag, die auf eine deutlich antikapitalistische Positionierung zielten und die wir unterstützt haben, sind mit breiten Mehrheiten angenommen worden.
Es gilt aber auch, Antworten auf die Frage zu entwickeln, wie linke Inhalte nicht nur formuliert, sondern auch durchgesetzt werden können. Viele, die die Partei Die Linke wählen, hoffen und erwarten, dass wenigstens ein Teil der linken Vorschläge und Forderungen umgesetzt werden. Die Antwort darauf kann nicht sein, dass sich Die Linke in einer Regierungskoalition mit SPD und Grünen bis zur Unkenntlichkeit verbiegt. Möglich ist aber etwa eine Politik der wechselnden Mehrheiten, ohne Verantwortung für pro-kapitalistische Politik zu übernehmen.
II.
Es bleibt allerdings festzuhalten, dass der Kurs der Partei sehr schwankend, schillernd und in einer Art und Weise vielfältig ist, die nicht unseren Vorstellungen von „pluraler Partei“, „Konsensfindung“ oder „Fragend schreiten wir voran“ entspricht. In allen fünf Landesverbänden im Osten plus Berlin ist die Politik des Mitregierens hegemonial; die Kräfte, die die Partei so umformen wollen, dass sie auch auf Bundesebene „Regierungsverantwortung“ übernehmen kann, sind stark und nutzen immer wieder schamlos ihre guten Verbindungen zu den Massenmedien, um die Linke in der LINKEN als politikunfähig und wahlweise als vorgestrig oder utopistisch hinstellen und diffamieren zu lassen.
Durch die Politik im Bundesland Thüringen, wo die „rot-rot-grüne“ Landesregierung mit dem ersten Ministerpräsidenten der Linken völlig geräuschlos die üblichen Geschäfte der Politik betreibt, und die Politik in Brandenburg mit der sog. „rot-roten“ Koalition, wo sich DIE LINKE als braver Juniorpartner der SPD erweist und unter anderem die Braunkohleverfeuerung gegen alle Kritik aus Bewegungen und im Widerspruch zu vielen schönen Papieren über das „rote Projekt für einen sozial-ökologischen Umbau“ bejaht, wird der Widerspruch zwischen Parteidebatten über sozialistische Transformation und realem Handeln in staatlichen Machtpositionen ohne besondere Situationen des Umbruchs und ohne radikale Veränderungen der Kräfteverhältnisse zugunsten derer unten deutlich. Dem nachhaltig wirksamen Trend zur Anpassung ist allerdings, betrachtet man die Bundesebene, bisher noch jedes Mal eine Kehrtwende gefolgt, die die Möglichkeit, antikapitalistische Positionen einzubringen, erweitert hat. Dies gilt erst einmal für die nächste Periode bis zur Bundestagswahl im Herbst 2017, sie stellt die Linke in der LINKEN trotzdem vor neue Herausforderungen.
III.
DIE LINKE hat sich sehr häufig an den Mobilisierungen gegen Nazistrukturen und rassistische Ereignisse beteiligt. Dies ist, neben der Friedensfrage, momentan sozusagen eines der Merkmale der Politik der Partei. Dies gilt genauso für die Beteiligung an den Initiativen, die im letzten Jahr dafür gesorgt haben, dass die Flüchtlingsaufnahme einigermaßen gelungen ist. In den Städten, in denen es wöchentliche Aufmärsche rechter Initiativen gegeben hat, waren die Strukturen der Partei am Ort an den Protesten beteiligt. Führende Personen der Linken wie Katja Kipping, Bernd Riexinger und Janine Wissler haben durch ihre Statements stets deutlich gemacht, wofür DIE LINKE in ihrem Programm steht: uneingeschränktes individuelles Asylrecht, offene Grenzen, gegen das Abschottungsregime der EU mit Frontex und Marineeinsätze gegen Flüchtlinge. Die Bundestagsfraktion hat sämtliche Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechtes abgelehnt.
Umso bedauerlicher ist es, dass Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine öffentlich gegen die Positionierung der Partei Stellung bezogen haben. Offensichtlich sind sie der Auffassung, dass der Debatte um Aufnahmefähigkeit, Asylmissbrauch, sexuellen Übergriffen von links argumentativ etwas entgegengesetzt werden muss. Oskar Lafontaine wirbt im Saarland offen für eine Begrenzung der Einwanderung und ist damit auf CSU-Linie. Die innerparteiliche Auseinandersetzung hat sich in der Folge nicht nur an Inhalten, sondern auch an den Personen festgemacht. So wurde die Aufforderung von Jan van Aken, Sahra Wagenknecht möge als Fraktionsvorsitzende zurücktreten, mit einer Solidaritätskampagne ihrer Verbündeten beantwortet, die von fast 10.000 Mitgliedern unterstützt wurde. Allerdings ist Sahra Wagenknecht mit den von ihr in der Öffentlichkeit geäußerten Positionen in der Partei in der Minderheit. Der Parteivorstand hat in allen Fällen für Klarstellung gesorgt und sein Missfallen über die Äußerungen geäußert. Offensichtlich mit Erfolg, denn bis jetzt gibt es keine Aktivitäten, die Positionen in dieser Frage zu verändern.
Die Verteidiger*innen von Sahra Wagenknecht argumentieren häufig, der Reformerflügel in der Partei würde die Gelegenheit nutzen, um die Positionen des linken Flügels in der Partei zu schwächen. Aber erfreulicherweise hat die AKL eindeutig gegen die öffentlich geäußerten Positionen von Sahra Wagenknecht Stellung bezogen. Das hat der Strömung AKL in der Partei zu Recht viel Anerkennung eingebracht.
IV.
Die LINKE zeigt sehr bedenkliche strukturelle Veränderungen, wie sie von allen reformistischen und regierungsfixierten Organisationen der Linken in der Geschichte bekannt sind. Nur leicht übertrieben möchte man konstatieren: Die Mitglieder haben so gut wie gar nichts, die Vorstände wenig und die parlamentarischen Fraktionen alles zu sagen. Das ist das bekannte Modell. Bürokratisierung, Ämterhäufung, Unterlaufen der Regeln zur Trennung von Amt und Mandat und die Zahl der Leute, die an ihren Posten kleben, nehmen immer mehr zu. Das wird durch das unregulierte Klammern an die Parlamentsarbeit begleitet. Erstaunlich und bedenklich zugleich ist, dass die LINKE so gut wie null Problembewusstsein für diese Entwicklung hat. Eine Entwicklung, die bei allen nach rechts wegbrechenden Parteien der sozialistischen Linken in der Geschichte immer vor der programmatischen Rechtsentwicklung in den großen politischen Fragen eingesetzt hat.
V.
Die Antikapitalistische Linke (AKL) ist zur Zeit die einzige politische Strömung in der Partei, die diese kritische Entwicklung zum Thema macht. Es gab früher „basisdemokratische“ Strömungen, die ausschließlich das Thema der innerparteilichen Zustände anpackten. Sie sind untergegangen, weil sie unpolitisch waren oder wurden. Die AKL schafft es erfreulicherweise, die Kritik an der Entdemokratisierung und Parlamentarisierung der Partei als integralen Bestandteil ihrer programmatischen Positionen zu vermitteln. Das findet bei vielen Mitgliedern der Partei wachsende Anerkennung und ist neben dem klar formulierten Ziel der Überwindung des Kapitalismus und der Orientierung auf die fortschrittlichen außerparlamentarischen Bewegungen das dritte Merkmal der AKL geworden.
Die AKL ist heute als eine programmatisch begründete und gleichzeitig loyal in der LINKEN mitarbeitende politische Strömung anerkannt. Sie hat das riskante Projekt – das die AKL sich seinerzeit gegen die Position der isl-Genossen zueigen gemacht hat –, sich als satzungsmäßig anerkannte Strömung („sonstiger politischer Zusammenschluss“) faktisch neu zu organisieren, einen neuen Gründungstext zu verabschieden und alle Mitglieder neu zu registrieren, ziemlich gut überstanden. Mittlerweile haben 850 Mitglieder den Eintritt in die AKL erklärt und der neue Aufruf bekommt immer noch neue Unterstützer*innen.
Es gibt viele Eifersüchteleien zwischen den Linken in der LINKEN und auch unschöne Ausgrenzungs- und Abschottungsversuche (bei denen leider auch unsere Genoss*innen nicht immer gemeinsam und klug gehandelt haben). Aber die AKL ist nicht mehr wegzuboxen und allein das hat einen beträchtlichen Anteil daran, dass die „Konkurrenzströmung“ Sozialistische Linke (SL) heute in der Krise ist.
Die AKL hat sich immer – und nach ihrer Neugründung und stärkeren organisatorischen Zusammenfassung noch einmal ausdrücklich – dafür entschieden, mit offenem Visier zu streiten. Sie ist eine programmatische Strömung und keine Strömung zur Eroberung von Posten. Im Gegenteil, es gibt immer noch parteiinterne Situationen und Wahlen, bei denen ein Bekenntnis zur AKL nicht karrierefördernd ist.
In der AKL setzen wir uns für die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zur Erarbeitung von gemeinsamen Positionen sowie für die Entwicklung von Vorschlägen an die Gesamtpartei im Sinne der Strategie der Übergangsforderungen ein.
Bei der SL (und darin besonders der Unterströmung marx21) gewinnt man oft den Eindruck, sie verfolge eine alternative Option, es ginge nämlich vorrangig darum, in der Partei und den Fraktionen die richtigen Posten mit den richtigen Leuten zu besetzen; das hat zu vielen bezahlten Posten und Ämtern, aber nicht zu mehr programmatischer Klarheit in der Gesamtpartei und zu mehr sozialistischer Politik geführt.
Die Grundhaltung der AKL hat die SAV – die leider allzu oft den Eindruck erweckt, sie praktiziere eine auf kurzfristige eigene Interessen angelegte Politik als „Partei in der Partei“ – veranlasst, die Strömung zu unterstützen. Das wirkt hier und da ungünstig, aber nicht so selten lassen sich die Genoss*innen der SAV davon überzeugen, dass ein besonneneres Verhalten besser ist.
Die dauerhafte organisatorische Fixierung der organisierten Strömungen in der Partei ist ein Problem. Auch ohne politische Ausweisung würden Strömungen fortbestehen, zum Beispiel, weil ihnen als förmlich anerkanntem Zusammenschluss Delegierte zustehen. Auch die Rivalität unter den Strömungen links vom regierungssozialistischen Lager ist dadurch schwerer zu überwinden.
VI.
Die internationale sozialistische linke (isl) hat von Anfang an Kontakte zu der Initiative „Arbeit & soziale Gerechtigkeit“ geknüpft und ist in der „Wahlalternative“ (WASG) sowie bei dem Prozess der Vereinigung von WASG und PDS zur Partei DIE LINKE kontinuierlich dabei gewesen. Die isl arbeitet inzwischen seit vielen Jahren mehr oder wenig koordiniert in der Partei DIE LINKE mit. Vor allem in Nordrhein-Westfalen haben Mitglieder der isl Verantwortung im Landesverband und in Kreisverbänden übernommen und sind in der Antikapitalistischen Linken aktiv. Generell bemüht sich die isl um Stärkung des linken Flügels in der Partei, um Verbindungen und Einheit mit radikalen sozialen Bewegungen außerhalb der Institutionen und mit antikapitalistischen Kräften außerhalb der Partei, um die Zusammenführung der marxistischen Linken in Deutschland und ein stärkeres Bewusstsein für die dringend gebotene Europäisierung der sozialen Bewegungen und politischen Kräfte, die der Austeritätspolitik aller etablierten und herrschenden Kreise der Europäischen Union nicht bloß verbalen, sondern realen Widerstand entgegensetzen und eine Alternative von unten aufbauen wollen.
Die isl setzt sich in der Partei Die Linke dafür ein, dass sie ihre Präsenz in der Fläche auch außerhalb von Wahlkämpfen organisiert und in Betrieben, Gewerkschaften und Stadtvierteln kollektive Arbeit entwickelt.
VII.
Im Einzelnen ist an dem konkreten Mitarbeiten der isl in der Partei DIE LINKE (und in anderen Bereichen) vieles zu verbessern. So gilt es vor allem, den bei uns häufig vorzufindenden Individualismus zu überwinden, unsere Ziele immer wieder gemeinsam zu formulieren und zu verfolgen und zumindest in den wichtigsten in der Partei anstehenden Entscheidungsfragen zu Übereinstimmungen zu kommen. Wir wollen außerdem vermehrt einen politischen Austausch mit den Teilen der Organisation organisieren, die den Schwerpunkt ihrer kontinuierlichen Arbeit anderswo – in gewerkschaftlichen Aktivitäten, sozialen Bewegungen usw. – haben.
Dass wir in der letzten Zeit innerhalb der AKL auf zwei verschiedenen Flügeln zu finden waren, macht unsere Besonderheit deutlich (keine stromlinienförmige und von oben durchregierte Organisation nach den üblichen Karikaturen von „Leninismus“), aber auch unsere Probleme („Sauhaufen“). Unsere in der Partei aktiven Mitglieder sollten sich regelmäßig treffen, um gemeinsame Positionen zu erarbeiten. Wirklich wichtige Differenzen müssen letztendlich in und mit der Leitung oder auf den bundesweiten Konferenzen mit der gesamten Organisation diskutiert werden, dort sollte eine gemeinsame Position gefunden werden.
Unsere Mitglieder präsentieren in der Partei Die Linke und in der AKL keine in der isl vorgestanzten Meinungen, sondern sagen, was sie denken, und nehmen an den Diskussionen mit der Bereitschaft teil, zu überzeugen und sich überzeugen zu lassen. Das ist uns wichtig. Wer von uns in solchen Diskussionen zu Schlussfolgerungen kommt, die mit dem Konsens in der isl nicht übereinstimmt, stellt die neue Differenz der isl zur Diskussion – mit offenem Ausgang.
Unsere in der Partei aktiven Mitglieder müssen sich regelmäßig treffen und den übrigen Mitgliedern berichten, damit gemeinsame Positionen erarbeitet werden können. Wir werden in der neuen Organisation, die aus dem Zusammenschluss der isl mit dem Revolutionär Sozialistischen Bund (RSB) hervorgehen wird, vorschlagen, dass wir 1. eine bundesweite Arbeitsgruppe zur Partei Die Linke einrichten; 2. rechtzeitig vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2017 eine Stellungnahme ausarbeiten; 3. über die Präzisierung unserer Mitarbeit in der Partei DIE LINKE – auch im Hinblick auf die Bundestagswahl im September 2017 – weiterdiskutieren.
An unserem unsektiererischen Verhalten, auch in der Partei Die Linke, halten wir in jedem Falle fest. Zugleich werden wir uns darum bemühen, Genossinnen und Genossen der Partei und der AKL für die isl zu gewinnen, in dem Maße wie die inhaltlichen Übereinstimmungen und die enge Zusammenarbeit das nahe legen.
Am 8. Oktober 2016 ausführlich diskutiert auf der Bundesweiten Mitgliederversammlung der internationalen sozialistischen linken (isl); in der Abstimmung in der generellen Linie bei einer Enthaltung mit sehr großer Mehrheit gebilligt