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Betrieb & Gewerkschaft

Strike Bike – symbolträchtiger Widerstand

Von D. Berger/Philipp Xanthos | 01.11.2007
Die Betriebsbesetzung der 124 KollegInnen des Fahrradwerkes Bike Systems in Nordhausen verläuft anders als die vom Kaliwerk Bischofferode 1993 und vom französischen Uhrenwerk Lip 1973/74. Im April 1993 antworteten die Beschäftigten im Kaliwerk Bischofferode auf die Ankündigung der Beendigung des Betriebs ebenfalls mit einer Betriebsbesetzung. Aus mehreren Gründen ist Bike Systems auch nicht mit der besetzten Uhrenfabrik Lip vergleichbar.

Die Betriebsbesetzung der 124 KollegInnen des Fahrradwerkes Bike Systems in Nordhausen verläuft anders als die vom Kaliwerk Bischofferode 1993 und vom französischen Uhrenwerk Lip 1973/74.

Im April 1993 antworteten die Beschäftigten im Kaliwerk Bischofferode auf die Ankündigung der Beendigung des Betriebs ebenfalls mit einer Betriebsbesetzung. Aber damals war dies vor dem Hintergrund der allgemeinen Abwicklung (Niederwalzung) großer Teile der ostdeutschen Industrie eine reine Verzweiflungstat. Die Kumpel wussten sich nach ihren erfolglosen Appellen an die Bundesregierung unter Kohl nicht anders als mit einem Hungerstreik zu helfen, an dem zeitweise bis zu 40 Hungerstreikende teilnahmen. Das sorgte zwar für bundesweites Aufsehen, aber die Parole „Bischofferode ist überall“ (um zu demonstrieren, dass es anderen genauso gehen kann, und dass die Menschen sich auch anderswo wehren) wurde – außer in den Solidaritätsstrukturen der Linken – weder von anderen ostdeutschen Belegschaften noch von den Gewerkschaften aufgegriffen.
Bei Bike Systems ist das etwas anders, zum Glück! Zwar suchen die KollegInnen vordringlich einen anderen Investor und hoffen auf eine Lösung unter kapitalistischen Vorzeichen, aber die Stimmung in dem besetzten Betrieb ist alles andere als niedergeschlagen, ganz im Gegenteil. Die Beschäftigten, die sich mehr wie eine große Familie fühlen, sind in den vergangenen drei Monaten noch enger zusammengewachsen. Dazu trug die aktive Unterstützung der Bevölkerung am Ort und in der Umgebung bei, wie auch die vielen Besuche von Interessierten aus der ganzen Republik.
Ein neues Lip?
Aus mehreren Gründen ist Bike Systems nicht mit der besetzten Uhrenfabrik Lip vergleichbar. Die zu produzierenden Gegenstände sind ungleich schwerer zu transportieren und zu verkaufen. Die 1973/74 in Palente (nahe Besançon) in Selbstverwaltung produzierten Uhren konnten überall im Land und im Ausland auf alle Veranstaltungen der Linken mitgenommen und dort mühelos in großen Mengen verkauft werden. Das ist mit Fahrrädern nicht so einfach. Die Materialbestellung ist schwieriger, die Summe, die von den KäuferInnen aufzubringen sind, sind größer, so dass eine reine Solidaritätsaktion schneller an ihre logistischen und finanziellen Grenzen stößt. Auch ist Deutschland nicht Frankreich und das neoliberale Umfeld von heute ist schwieriger als die Lage 1973.
Selbstverwaltung und ArbeiterInnenkontrolle
Aber das kann nicht im Vordergrund stehen. Zwei Aspekte gilt es hervorzuheben und breit bekannt zu machen: Erstens hat sich die Belegschaft bis jetzt nicht klein kriegen lassen und hat ein Projekt gestartet, das hohen politischen Symbolwert hat: Wir produzieren ohne Chef! Der Kapitalist braucht uns, aber wir brauchen keinen Kapitalisten. Produzieren können wir auch alleine.

Die Botschaft, die daraus entwickelt werden kann: Wenn es auf Dauer nicht geht, dann liegt es nicht an uns, sondern an den uns umgebenden gesellschaftlichen Verhältnissen, ganz bestimmt nicht daran, dass es keinen Kapitalisten gab und gibt (bzw. ein Private Equity Unternehmen à la Lone Star), der den von uns produzierten Mehrwert einstreicht bzw. eingestrichen hat.

Zweitens ist die damit sich entwickelnde Selbstverwaltung – Produktion unter vollständiger ArbeiterInnenkontrolle – nicht ohne Auswirkungen auf das vorhandene Bewusstsein unter den KollegInnen (auch weit über Bike Systems hinaus). Bis vor kurzem noch waren ihre Blicke ausschließlich auf einen neuen Investor gerichtet. Noch immer hofft man auf einen angeblichen oder tatsächlichen Interessenten. Was tatsächlich hinter dem anonymen Interessenten steckt, weiß keiner. Je mehr aber reale Bestellungen für das rote Fahrrad mit „Strike Bike“ in schwarzer Schrift verziert eintreffen und je anhaltender das Interesse der Solidaritätsbewegung ist, um so eher kann sich die Erkenntnis durchsetzen, dass eine fortschrittliche Perspektive eher darin liegt, die Verantwortung der Gesellschaft für die Aufrechterhaltung der Arbeitsplätze deutlich zu machen. Die Gesellschaft muss sicherstellen, dass kein Mensch Existenzsorgen haben muss! Hartz IV darf buchstäblich niemandem zugemutet werden!

Die konkreten Schritte, die wir dazu propagieren, sind: Garantie der Arbeitsplätze und des Einkommens durch den Staat, Beibehaltung der Arbeiterselbstverwaltung, Enteignung von Lone Star, MIFA (einschließlich der „Unternehmensberater“ und Abwickler) und allen anderen Beteiligten an der Zerschlagung der Biria-Werke.

Je mehr der Widerstand in Nordhausen anhält, umso mehr kann dies auch die KollegInnen in vergleichbaren Situationen beflügeln. Es könnte also sehr wohl ein Flächenbrand ausgelöst werden. Dazu fällt natürlich den Gewerkschaften (weniger der kleinen FAU als der IG Metall, aber auch den anderen großen Gewerkschaften) eine besondere Verantwortung zu. Angesichts der bisherigen Zurückhaltung der Gewerkschaften ist es heute eine ganz dringliche Aufgabe der linken und revolutionären Organisationen, die positiven Ergebnisse des Kampfes der KollegInnen von Nordhausen im ganzen Land und international bekannt zu machen, die Verantwortung des kapitalistischen Systems herauszustellen und sich für eine andere Perspektive einzusetzen.

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