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Innenpolitik

SPD-NRW: Mit Kapitalismuskritik zum Wahlsieg?

Von B.B. | 01.05.2005

Wenn eine Partei, die keine Kapitalismuskritik hat, sie trotzdem leistet, dann steht sie entweder vor einem Kurswechsel – oder ihr droht eine schwere Wahlniederlage.

 
Die Kapitalismuskritik von Franz Müntefering traf die bürgerliche und die linke Öffentlichkeit wie der rote Blitz aus heiterem Himmel. Wahrscheinlich zum ersten Mal in seiner Politlaufbahn sprach der SPD-Vorsitzende Worte wie: „Die international forcierten Profit-Maximierungs-Strategien gefährden auf Dauer unsere Demokratie“ (s. Kasten 1). Müntefering wird wohl selbst von dem überrascht gewesen sein, was ihm seine Schreiber und Wahlkampfberater als Redemanuskript vorlegten.
Sicherlich droht uns die SPD nicht mit einem Kurswechsel. Die Sozialdemokratie, die gerade mit der CDU/CSU die Körperschaftssteuer senkt, hat alles andere vor, als sich von ihrem neoliberalen Kurs zu verabschieden. Aber die Landtagswahl im bevölkerungsstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen möchte sie schon gewinnen. Für ein paar Wahlprozente hetzte früher ein Schröder schon mal gegen „kriminelle Ausländer“ und ein Oskar Lafontaine gegen „Russlanddeutsche“. Münteferings BeraterInnen haben einfach die Worthülsen ausgetauscht und „kriminelle Ausländer“ durch „Deutsche Bank“ ersetzt. Wenn sie „dem Volk“ aufs Maul schauen und auch danach reden, kommt dabei in neun von zehn Fällen reaktionärer Müll heraus. Diese eine Ausnahme ist Münteferings Kapitalismuskritik.

Krise & Absplitterung

Dass ein sozialdemokratischer Wahlsieg in NRW nicht einfach werden wird, belegt die aktuelle Krise der SPD. Um eine Orientierungskrise handelt es sich nicht, denn innerhalb der Partei ist die neoliberale Ausrichtung unumstritten. Der Ausstieg sozialliberaler Elemente aus der Partei fand stetig statt, seitdem 1997 die SPD-Parteispitze unter dem Vorsitz Oskar Lafontaines ein von Gerhard Schröder und 30 TOP-Managern ausgearbeitetes Wirtschaftsprogramm angenommen hatte. Mit der Agenda 2010 wuchsen die Austritte vorübergehend zur Austrittswelle an.
Die SPD zählte Ende März 2005 597.540 Mitglieder, über 30.000 weniger als ein Jahr zuvor. Weitere 7.500 Mitglieder traten seit Ende 2004 aus. Die Sozialdemokratie gewann seit Jahresanfang aber auch 4.000 neue Mitglieder hinzu, die Hälfte davon unter 35 Jahren, die gerade wegen dem Reformkurs in die Partei eingetreten sind. Würde Oskar Lafontaine die SPD verlassen, würde dies sicherlich noch einmal zu einer Austrittswelle führen. Vielleicht würden dann auch mehr ehemalige SozialdemokratInnen in die WASG eintreten, die zur Zeit gut 5.000 Mitglieder zählt. Über einen längeren Zeitraum hinweg gesehen wuchs die SPD in den sechziger und siebziger Jahren von 644.780 Mitgliedern 1961 auf 1.002.191 Mitglieder 1976 stark an, um sich ab den achtziger Jahren bis heute fast zu halbieren. Der organisatorische Aufstieg fällt in die Phase der Reformhoffnungen, der Abstieg ist mit der neoliberalen Reformperiode identisch.
Die aktuelle Krise der Partei liegt nicht an denen, die sie bereits verlassen haben oder es demnächst tun werden. Das politische Debakel der Regierungsbildung in Schleswig-Holstein war von der neoliberalen Parteimehrheit selbst verschuldet. Hier wurden ernste politische Zerfallserscheinungen offenkundig. Aber auch die Bildung einer SPD-CDU-Landesregierung hat ihre eigene Logik. Warum nicht offiziell eine Große Koalition bilden, die de facto in Bund und Ländern sowieso schon besteht?
Die Krisenerscheinungen der Sozialdemokratie in NRW reichen tiefer als anderswo. Der „rheinische Kapitalismus“, der alle Konflikte „sozial“ und „partnerschaftlich“ abfederte, gehört mit der Babcockpleite im Jahr 2002 der Vergangenheit an. Das sozialdemokratische Wirtschafts- und Politimperium um die Westdeutsche Landesbank (WestLB), die Preussag-TUI, Babcock und die HDW u.a. ist auseinandergebrochen. Der Kölner Müllverbrennungsskandal oder die Affäre um die Nebentätigkeit des Oberhausener SPD-MdB Grotthaus beleuchten im Großen wie im Kleinen wie die sozialdemokratische Politkaste an Rhein und Ruhr regiert und sich selbst dabei nicht vergisst. Durch Hartz IV machen breite Kreise der ArbeiterInnenklasse ihre eigenen Erfahrungen mit dem sozialen Kahlschlag der SPD und der Abstand zur herrschenden Klasse wird spürbar.
Deshalb wäre sicherlich die Behauptung falsch, dass Müntefering die Kritik der „SPD-Basis“ aufgegriffen habe. Die mittleren und höheren Führungsschichten der SPD sind sozial so weit von der Existenz einer Hartz IV-Empfängerin entfernt, dass die Kritik der Basis eine halbe Ewigkeit bräuchte, um all die Etagen der Partei bis in die TOP-Hierarchie zu erklimmen. Besonders unempfänglich für antikapitalistische Botschaften ist die Spitze der Landes-SPD, die mit dem Finanzkapital der WestLB verschmolzen ist.

Spiel mit dem Feuer

Wenn auch nicht an der SPD-Basis, so wird Münteferings Kapitalismuskritik durchaus bei einem Teil der Erwerbslosen und Noch-Beschäftigten laut. Bei den erwerbslosen Kernen der Montagsproteste, die mit Aktionen und Informationen weitermachen, ist die Kritik der sozialistischen Linken schon längst auf fruchtbaren Boden gefallen, so dünn deren Stimme sich für uns oft auch anhören mag. Diese Hartz IV-EmpfängerInnen bilden offensichtlich nicht die Basis der SPD. Hier wird seit einem halben Jahr ein ganz anderer „antikapitalistischer Diskurs“ geführt: über Mindestlohn, radikale Arbeitszeitverkürzung, Offenlegung der Geschäfts- und Bankkonten und über die Enteignung der Deutschen Bank. Vielleicht benutzen diese AktivistInnen manchmal die gleichen Worte wie es Müntefering tat, aber aus seinem Mund wird die Kritik als vollkommen unglaubwürdig empfunden. Die Gefahr besteht für das Kapital also nicht darin, dass die SPD vom Neoliberalismus wieder zurück zum Antikapitalismus fände. Vielmehr droht den Herrschenden, dass Müntefering eine Kritik weiter anheizt, die mit Hartz IV ihren sozialen Sprengstoff bereits gefunden hat und von der sozialistischen Linken längst
gezündet wurde.

Müntefering und die WASG

Immerhin sind Münteferings Worte ein Hinweis auf die Vermutung seiner Berater-Innen, was bei Teilen der lohnabhängigen WählerInnen in NRW ankommen würde: Kapitalismuskritik! Mit seiner Kritik schaffte es Müntefering die Wahlalternative (WASG) weit links zu überholen, deren Parteiführung bei den Lohnabhängigen Punkte machen will – indem sie ausdrücklich auf eine Kapitalismuskritik verzichtet! In kürzerer Frist wurde noch kein (Wahl)Programm von der politischen Entwicklung demontiert und als untauglich abgestraft als das sozialliberale Programm der WASG.
Nicht sehr wahrscheinlich ist, dass Münteferings Schachzug die SPD-Grüne Landesregierung in NRW noch retten wird. Aber im Fall ihrer Niederlage wird die SPD die Schuld an fehlenden Wahlprozenten frühzeitig auf die PDS und die Wahlalternative schieben, die dann angeblich „der Kapitalismuskritik der SPD in den Rücken gefallen sind“.

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