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Resolution gegen die militärische Besetzung und die Rekolonisierung Haitis

27.02.2010

Das Erdbeben, das Haiti am 12. Januar 2010 heimsuchte, traf das ganze Land, besonders aber die Hauptstadt Port-au-Prince und ihre Umgebung. Die Opferzahlen und die materiellen Schäden sind schrecklich: mehr als 200 000 Tote, Tausende Verletzte und Obdachlose. Das Elend, das seit Jahrzehnten dort herrscht, die prekären Lebens- und Wohnverhältnisse, ein repressives Regime, das sich einen Dreck um die Bedürfnisse der Bevölkerung und um die Vorsorgemaßnahmen schert, die in diesem Erbeben gefährdeten Gebiet getroffen werden müssten, haben dazu beigetragen, dass diese Katastrophe so viele Opfer forderte.

Diese Katastrophe ist nicht nur “natürlich”. Sie wird verstärkt durch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Herrschaft der Großmächte, die sie über Haiti ausgeübt haben und immer noch ausüben.

Haiti ist zwar die erste Kolonie gewesen, die sich von der Sklaverei befreit hat und für seine Unabhängigkeit gekämpft hat, aber die imperialistischen Länder, in erster Linie Frankreich und die USA, haben das Land diese Emanzipation teuer bezahlen lassen (seit 1825 mit der “historischen Schuld” gegenüber Frankreich).

Haiti ist das ärmste Land Amerikas, annähernd 90 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Seit Jahrzehnten ist das haitianische Volk Opfer der Machenschaften und der neokolonialen Ausbeutung durch die imperialistischen Mächte, vor allem Frankreichs und der USA. Diese Mächte haben in abwechselnder Folge ihnen hörige Regimes installiert und unterstützt – so die Duvalier-Diktatur von 1957 bis 1986 oder den Staatsstreich von 2004 – die die Reichtümer und die Bevölkerung ausplünderten, und zwar zum Wohle der multinationalen Konzerne und der Regierungen, die sie installiert haben.

Die neoliberale Politik, wie sie von der Weltbank und dem IWF aufgezwungen wurde, hat die lokale Landwirtschaft ruiniert und Zehntausende Bauern gezwungen, sich in prekären Behausungen in den Städten zusammenzupferchen. Das Erdbeben hat viele dieser Elendsviertel dem Erdboden gleichgemacht.

Diese neoliberale Politik hat die Einkommen beschnitten und die sozialen Dienste zerschlagen, vor allem im Gesundheitssektor. Vor dem Erdbeben hatten annähernd 40 % der Bevölkerung keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung, unter den Frauen waren es 60 %.

2004 haben die USA ihre militärische Beherrschung an eine Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen (MINUSTAH) “delegiert”, eine wirkliche Besatzungsmacht der Vereinten Nationen unter Führung Brasiliens, die ihren Charakter schon bei ihrer Ankunft mit der Unterdrückung der Hungerrevolten offenbarte, durch Morde, Vergewaltigungen und gewaltsame Übergriffe jeglicher Art gegenüber der armen Bevölkerung. Das umgesetzte Wirtschaftsprogramm ähnelte dem in anderen Ländern der Karibik: Freihandelszonen einrichten, in denen Industriebetriebe äußerst billige Arbeitskräfte beschäftigen.

Im Gefolge der gegenwärtigen Katastrophe kam es zur militärischen Besetzung der Insel. Die Medien haben die Vorstellung verbreitet, dass es zur Verhinderung von “Chaos”, Plünderungen und Unsicherheit einer massiven Militärpräsenz bedarf, während die militärische Führung der USA gleichzeitig anerkennt, dass “das Gewaltniveau niedriger liegt als vor dem Erdbeben”. Mehr als 20 000 GIs wurden entsandt, um die Bevölkerung wie auch den Verkehr (zu Land, zu Wasser und in der Luft) zu kontrollieren.

Diese Besetzung erklärt sich zum Teil durch die Strategie der Remilitarisierung des lateinamerikanischen Kontinents und der Karibik. Haiti liegt zwischen Venezuela und Kuba und gegenüber von Honduras (wo der Staatsstreich es ermöglichte, die Abwendung von den US-Interessen, die der gestürzte Präsident Zelaya vorgenommen hatte, wieder rückgängig zu machen). Ganz nebenbei bedient diese Besetzung auch die Interessen der amerikanischen Rüstungsindustrie, der Sicherheitsfirmen und der Bauindustrie. Die Rekolonisierung des Landes vollzieht sich ohne erkennbares internationales Interesse und kommt einem Rückschritt um 200 Jahre gleich.

Aber die Berichte aus Haiti zeigen, dass zwar der zentrale Machtapparat paralysiert ist, dass mensch aber eine sehr starke Solidarität der Bevölkerung beobachten kann, die sich selbst organisiert, die Zeltlager errichtet und das Land wieder aufbaut, und dies trotz des von den USA aufgezwungenen Ausnahmezustands.

Unter einer Militärherrschaft kann der Wiederaufbau nicht vorankommen. Die Besatzungstruppen müssen sofort abgezogen werden, das Land braucht keine Soldaten, sondern Ärzte und Ärztinnen, Pflegepersonal, Ingenieure und Ingenieurinnen.

Die Öffnung der Grenzen muss garantiert werden, um Hilfe herbeischaffen und die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung sicherstellen zu können. Es darf keine Abschiebungen nach Haiti geben, die sichere Aufnahme muss für alle HaitianerInnen garantiert werden, die das Land verlassen möchten (so wie Venezuela und Kuba es tun).

Der Wiederaufbau Haitis darf nicht Anlass zur Vergrößerung der Auslandsschuld werden, diese muss vielmehr von den anderen Ländern sowie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Interamerikanischen Entwicklungsbank vollständig erlassen werden.

Frankreich und die Vereinigten Staaten haben aufgrund der Plünderungen und der begangenen Ausschreitungen eine Schuld gegenüber Haiti. Zudem müssen die Gelder der Duvaliers, die auf ausländischen Banken liegen, dem haitianischen Volk zurückgegeben werden.

Die Vierte Internationale appelliert an die Arbeiterorganisationen, die gewaltige Solidaritätsmobilisierung in der Bevölkerung fortzuführen, und zwar in Form finanzieller und politischer Unterstützung für die Basisorganisationen der haitianischen Gesellschaft.

Die Vierte Internationale wird ihre materielle Hilfe den Organisationen der haitianischen ArbeiterInnenbewegung zukommen lassen, mit denen wir die gleichen Ziele haben, um damit zum Wiederaufbau dieses verwüsteten Landes auf einer neuen Grundlage beizutragen.

Angenommen vom 16. Weltkongress der IV. Internationale am 27. Februar 2010

Übersetzung: D. Berger

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