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Innenpolitik

Rassismus als Kapitalismuskritik? Neue Diskriminierung und Ausgrenzung!

Von Oskar Kuhn | 19.06.2005

Millionen Erwerbslose in diesem Land leiden unter den Auswirkungen des neuen Sozialgesetzbuches II (SGB II). Die Gewährung des Arbeitslosengeldes II (Alg II) bedeutet u.a.: Materieller und sozialer Lebensstandardverlust, Rückfall in die Abhängigkeit vom Lebenspartner durch das Bedarfsgemeinschaftsprinzip, Verlust ersparter Lebens- und Alterssicherung, erzwungener Wohnungswechsel, …

Die Liste der materiellen und ??sozialen Verschlechterung ist ??lang. Hinzu kommt faktischer Arbeitszwang vornehmlich für Menschen bis zum 25 Lebensjahr im Alg II-Bezug durch 1 Euro-Jobs und die Abschiebung älterer Menschen in die Altersarmut durch das SGB II. Auch ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des SGB II sind die zuständigen Arbeitsgemeinschaften (ARGE) der Bundesagentur für Arbeit und die optierenden Kommunen mehr mit dem Aufbau ihres neuen Apparates beschäftigt als mit der vollmundig versprochenen Förderung Langzeitarbeitsloser und ehemaliger SozialhilfeempfängerInnen. So verzögert sich vielfach die Auszahlung des "Grundbedarfs", der Miete oder der Mehraufwandentschädigung (1 Euro-Vergütung).
Bei der langen Liste berechtigter Klagen gerät jedoch eine Gruppe von Menschen aus dem Blickfeld, denen die Bundesregierung vor Jahresfrist ebenso wie den übrigen Hartz IV-Betroffenen Besserung in Aussicht gestellt hatte: den Migrantinnen und Migranten.
Schlechtere Lage durch Hartz IV
Hartz IV versetzt MigrantInnen, AsylbewerberInnen und deren Familien, die ohnehin in jeder Hinsicht, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, schlechter gestellt sind, in eine noch schlechtere Lage. Von der Verschärfung dieser Regelung, die für MigrantInnen insgesamt größere gesellschaftliche Hindernisse schaffen wird, sind aber besonders Flüchtlinge und so genannte Geduldete betroffen. Gerade diese Menschen erhalten im ersten Jahr ihres Aufenthalts ein striktes Beschäftigungsverbot, und dann einen nachrangigen Arbeitszugang. Das heißt, sie bekommen konkret Jobs, die Lohnabhängige mit deutschem Pass oder bevorrechtigte ausländische Lohnabhängige (z.B. EU-BürgerInnen) nicht annehmen. Bei der Massenarbeitslosigkeit kann sich jede und jeder ausrechnen, wie hoch die Chancen auf einen Job in diesem Fall sind. Diese Rechtslage (Vorrangprüfung) gilt nicht nur für die oben genannten Gruppen, sondern auch für alle nicht-deutschen Staatsangehörigen, wenn sie nicht fünf Jahre in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren oder sich sechs Jahre ununterbrochen hier aufgehalten haben.

Die Hartz-Gesetze und die Einführung von Alg II bedeuten für bereits jetzt an den Rand gedrängte Flüchtlinge in Deutschland, dass sie noch weiter ausgegrenzt werden und ihre Lage extrem verschlechtert wird. Die Arbeitslosenquote bei den hier lebenden MigrantInnen ohne deutschen Pass liegt bei 24,9 Prozent (Stand 2004), wobei die Asylbewerberinnen und -bewerber, die im ersten Jahr nicht arbeiten dürfen, noch gar nicht mitgerechnet sind.
AsylbLG bedeutet: 30 Prozent unter Sozialhilfeniveau
Bisher hatten einige Flüchtlinge Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Diese wird aber seit Januar vom Alg II ersetzt – und davon sind Flüchtlinge generell ausgeschlossen. Darin liegt ein großer Rückschritt. Für diese Menschen bedeutet das, dass sie, wenn sie ihren Job verlieren und der Anspruch auf Arbeitslosengeld ausläuft, mit den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) auskommen müssen. Diese liegen rund 30 Prozent unter dem Sozialhilfeniveau (siehe Kasten). Während also andere Arbeitslose mit dem Alg II auf Sozialhilfeniveau gedrückt wurden und werden, hat man sich für einen Teil der Flüchtlinge noch eine Stufe darunter ausgedacht. Außerdem haben die vom Alg II Ausgeschlossenen auch keinen Anspruch auf Fördermaßnahmen wie Fortbildung oder Wiedereingliederungshilfen. Damit werden die sowieso schon bestehenden enormen Schwierigkeiten dieser Menschen, eine Arbeit zu finden, noch verstärkt.
Ein Beispiel
In der Praxis sieht das dann etwa so aus: Ein Flüchtling lebt seit fünf Jahren hier und wartet auf die Anerkennung seines Asylantrages, er hat sich mühselig einen sozialversicherungspflichtigen Job gesucht und sich etwas etabliert. Wenn er dann seine Stelle verliert und nicht bald eine neue Arbeit findet, dann kann es ihm – je nachdem, in welcher Kommune er lebt – passieren, dass er nicht einmal mehr Bargeld bekommt, sondern nur noch Einkaufsgutscheine und Sachleistungen. Er wird also aus seinem ganzen sozialen Gefüge, das er sich aufgebaut hat, herausgerissen.
Genauso kann es seit Januar auch abgelehnten AsylbewerberInnen gehen, die aufgrund nachgewiesener Gefahr für Leib und Leben nicht abgeschoben werden können und daher eine Aufenthaltsbefugnis haben. Nach den neuen Gesetzen haben Bürgerkriegsflüchtlinge, Asylbewerber, alle Personen im so genannten "Flughafenverfahren", Geduldete und die so genannten vollziehbar Ausreisepflichtigen keinen Anspruch auf das Alg II. Das galt bisher auch im Falle von Erwerbslosigkeit als gegeben, wenn der Lebensunterhalt noch für sechs Monate durch den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gesichert war. Da es aber künftig keine Arbeitslosenhilfe mehr gibt, bedeutet der Absturz ins Alg II beziehungsweise der für die genannten Gruppen noch tiefere Sturz, dass es wesentlich schwieriger wird, an diesen relativ sicheren Aufenthaltstitel zu kommen.
Zusammenspiel mit dem neuen Zuwanderungsgesetz
spiel mit dem neuen Zuwanderungsgesetz. Dieses weitet den Personenkreis derer aus, die unter das genannte Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Immer mehr Menschen bekommen Leistungen nach diesem Gesetz und verlieren damit ihren Anspruch auf Alg II.
Im Jahr 2002 bestätigte die öffentliche Debatte die Anerkennung Deutschlands als ein Einwanderungsland. Im Allgemeinen wurde das zu Recht als ein Fortschritt in diesem Land bewertet und rief bei den MigrantInnen eine große Resonanz hervor. Die Agenda 2010, das Zuwanderungsgesetz und Hartz IV machten dies allerdings wieder rückgängig. Auch die erweckten Hoffnungen im Hinblick auf die hinfällige Integrationsproblematik der seit annähernd 40 Jahren hier lebenden Zuwanderern werden enttäuscht. Denn die neuen Entwicklungen in diesem Land entsprechen ganz und gar nicht diesem oben genannten Zugeständnis. Im Gegenteil; diese werden den großen Teil der MigrantInnen und alle AsylbewerberInnen und Flüchtlinge stärker denn je diskriminieren und ausgrenzen.

Armut durch Hartz IV
Bisher haben nicht wenige Flüchtlinge Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Diese Leistung wird aber ab Januar durch das Alg II ersetzt – und davon sind Flüchtlinge generell ausgeschlossen. Für diese Menschen bedeutet das, dass sie, wenn sie ihren Job verlieren und der Anspruch auf Arbeitslosengeld ausläuft, mit den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auskommen müssen. Diese liegen rund 30 Prozent unter dem Sozialhilfeniveau. Während also andere Arbeitslose mit dem Alg II auf Sozialhilfeniveau gedrückt werden, fällt ein Teil der Flüchtlinge noch eine Stufe tiefer.
Modellrechnung:
Für eine allein stehende Person nach ALG II monatlich Regelsatz des Haushaltsvorstandes (West) 345,- Euro
Miete
: 276,- Euro
Heizkosten: 45,- Euro
Gesamt: 666,- Euro

Für eine allein stehende Person nach dem Asylbewerberleistungsgesetz monatlich Barbetrag: 40,90 Euro
Bedarf für Kleidung, Ernährung,
Verbrauchsgüter und Körperpflege: 184,07 Euro Unterkunftskosten: 120,00 Euro
Gesamt: 344,97 Euro
In der Praxis kann das so aussehen:
Ein hier lebender Flüchtling verliert nach mehrjähriger durchgehender Beschäftigung seine/ihre Arbeit. Nach dem Bezug des Arbeitslosengeldes erhält er/sie wieder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Dann kann es sehr schnell geschehen, dass er/sie nicht einmal mehr Bargeld bekommt, sondern nur noch Einkaufsgutscheine und Sachleistungen – je nachdem, in welchem Landkreis oder in welcher kreisfreien Stadt er/sie lebt.
Außerdem haben die vom Alg II-Ausgeschlossenen auch keinen Anspruch auf Fördermaßnahmen wie Fortbildung oder Wiedereingliederungshilfen. Damit werden die sowieso schon bestehenden Schwierigkeiten dieser Menschen, eine Arbeit zu finden, noch verstärkt. Das bedeutet, dass auch die bisherige Regelung "Deutschkurse für Flüchtlinge" nicht mehr greift und somit auch keine reale Chance besteht, Deutsch richtig zu erlernen. Damit wird ihnen der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt versperrt, und sie haben nur noch die Möglichkeit schlecht bezahlte, zum Teil gesundheitsgefährdende, prekäre Tätigkeiten ohne Sozialversicherungsschutz anzunehmen
Quelle: Material zur BAG-SHI Fachtagung Migration: "Von Abschie-bung über Hartz bis Zuwanderungsgesetz" 2. Dezember 2004 in Mainz

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