Proteste gegen die IAA in Frankfurt ein großer Erfolg

Demonstration am 14. September 2019 für eine Verkehrswende und Klimaschutz anläßlich der IAA Foto: ISO/U.B.

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Internationale Automobilausstellung

Proteste gegen die IAA in Frankfurt ein großer Erfolg

Von Paul Michel | 20.09.2019

Was waren das für Zeiten als wir uns bei der IAA ungestört in Szene setzen konnten und dafür gefeiert wurden – mag mancher Manger der Autoindustrie in diesen Tagen im stillen Kämmerlein sinniert haben.

Aber in diesem Jahr war alles ganz anders als sonst. Am Samstag hatten sich 25 000 Menschen nach Frankfurt auf gemacht, nicht um sich von         Glamour und Glitter und fetten Schlitten beeindrucken zu lassen, sondern um gegen diesen bizarren Schwachsinn zu demonstrieren. Am Sonntag blockierten 1000 Menschen einen ganzen Tag lang den Haupteingang zur IAA. Und was machten die so sonst ultraselbstbewussten Autobosse?         Sie fraßen Kreide.

Vom Rinnsal zum Strom

Sie taten das nicht freiwillig oder aus guter Absicht oder gar aus Einsicht. Sie taten es, weil seit Jahren das Ansehen der Autobosse im permanenten Sinkflug ist und kurz vor der IAA einen neuen Tiefpunkt erreichte. Es ging los mit dem Dieselskandal, der in vertrauensvoller Zusammenarbeit von Autobossen und politischen Entscheidungsträgern weitgehend zur Zufriedenheit Letzterer geregelt wurde. Im Massenbewusstsein waren jedoch einige hässliche Kratzer auf der Karosserie der Autobauer zurückgeblieben. Dann wurde der Sommer 2018 ein „heißen Sommer“. Auch hierzulande begann es immer mehr Leuten zu dämmern, dass auch in unseren Breitengraden der Klimawandel katastrophale Folgen haben könnte. Die Bewegung zum Schutz des Hambacher Forst nahm einen überraschenden Aufschwung und zwang schließlich sogar den Energiegiganten REW in die Knie. Parallel betrat, ebenfalls völlig überraschend, die Bewegung der „Fridays for Future“ (FFF) die politische Bühne. Aber die Herrschenden schafften es irgendwie nicht, diese jungen Leute einzubinden, einzuwickeln und damit politisch unschädlich zu machen. Nun da Klimawandel ein Thema war, verbreitete sich allmählich die Einsicht, dass es außer den Braunkohlekraftwerken noch ganz andere „Dreckschleudern“ gibt.

Der Dieselskandal wurde in vertrauensvoller Zusammenarbeit von Autobossen und politischen Entscheidungsträgern weitgehend zur Zufriedenheit Letzterer geregelt.

Zunehmend wurden die haarsträubenden Auswirkungen des Pkw- und Lkw-Verkehrs Gegenstand von Diskussionen: Lärmbelästigung durch Lkws und Pkws, krankmachende Feinstaubbelastung, Dauerstaus – soweit das Auge reicht, autokonforme, aber lebensfeindliche Städte, Dauerchaos bei der Bahn infolge von Mehdorns „Verschlankung“ des Betriebs für den Börsengang, unsinnige, sündhaft teure aber nutzlose Protzprojekte wie Stuttgart 21, miserabler Zustand des ÖPNV, vernachlässigter Ausbau von Fahrradwegen und und und…

Die Initiativen agierten weitgehend isoliert voneinander, es entstand nichts, was den Namen „Bewegung“ verdient hätte. Die Autobosse mit ihrer Protzshow schafften, was die die zersplitterten Gruppen bis dahin nicht hingebracht hatten: Über alle spezifischen Einzelinteressen hinaus, führte der Protest gegen die IAA unterschiedlichste Akteure zusammen. Innerhalb weniger Wochen wurde aus unzähligen kleinen Rinnsalen ein doch ganz ansehnlicher Strom, der sich am Wochenende 14./15. September nach Frankfurt aufmachte. Dort trugen die versammelten Organisationen und Initiativen ihre Vorstellung von einer Verkehrswende vor: Ausbau der Fahrradinfrastruktur und des ÖPNV, Personen und Güterverkehr auf die Schiene, Mehr Lebensqualität durch autofreie Städte.

Autobosse: Am Rand des Nervenzusammenbruchs

Argumentativ hatten dem die Autobosse wenig entgegenzusetzen. Der Versuch, sich mit den Verweis auf die Elektroautos als ökologische Saubermänner zu präsentieren, verfing nicht, weil kurz vor der IAA eine Meldung die Runde machte, dass bei den Neuzulassungen im August 2019 beinahe jede vierte Neuzulassung (22,2 Prozent) auf einen SUV entfiel. Sie werden von den Autokonzernen besonders gepusht, weil sie für die deutschen Autobauer die eigentlichen „Cash-Cows“ sind.

Es zahlte sich aus, dass die Gegner*innen der IAA im Vorfeld der Aktionen die SUVs zur privilegierten Zielscheibe ihrer Kritik gemacht hatten. Als knapp eine Woche vor Eröffnung der IAA in Berlin ein SUV Fahrer die Kontrolle über seinen Straßenpanzer verlor, mehrere Poller und einen Ampelmasten ummähte und vier Menschen tötete, war dies ein PR-Desaster für die Autoindustrie. In der Woche vor der IAA wurde in sämtlichen Nachrichtenmagazinen der öffentlich rechtlichen Sender und fast allen Zeitungen über die Gefährlichkeit des SUV für Mensch und Klima informiert.

Der Versuch, sich mit den Verweis auf die Elektroautos als ökologische Saubermänner zu präsentieren, verfing nicht.

In dieser Situation entschlossen sich die Autobosse, einen auf Dialog zu machen, eine Sache die früher völlig ausgeschlossen war. Wenn früher ein paar Umweltschütze mit ihren Pappschildern vor den Toren der IAA standen, nötigte das den Bossen allenfalls ein müdes Lächeln ab. Wenn die Umweltschütz*innen versucht hätten, in die Showrooms der IAA zu gelangen, wären sie Ruck-Zuck eher unsanft als sanft an die frische Luft befördert werden. Nun ließen die Ordner zu, dass während des Rundgangs von Kanzlerin Merkel Greenpeace- Aktivisten sich aufs Dach von Luxusschlitten stellten und in die Kameras ein Schild mit der Aufschrift „Klimakiller“ hielten. Der „Verband der Deutschen Automobilindustrie“ (VDA) bemühte sich emsig um einen Dialog mit seinen Kritikern – mit wenig Erfolg. Fast hätte man es geschafft, die „Fridays for Future„ an die Angel zu bekommen. Dann machte der bei ihnen tief verwurzelte Hochmut einen Strich durch die Rechnung: Sie hatten nämlich den Frankfurter OB Peter Feldmann, der als „Gastgeber“ normalerweise die Eröffnungsrede der IAA hält, ausgeladen, weil ihnen zu Ohren gekommen war, dass dieser ein paar kritische Worte zur Autoindustrie IAA verlieren würde. Das löste in der Öffentlichkeit einen Sturm der Empörung aus und brachte die fast gelungenen Einbindungsbemühungen gegen über den FFF zum Scheitern.

Zum Zeitpunkt der Eröffnung der IAA standen die Autobosse PR-mäßig ziemlich bedröppelt da. Ob sie – wie die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) schreibt – „Angst vor den  Umweltschützern“ hatten, sei dahingestellt. Angesichts dessen, dass ihr Ansehen in der Öffentlichkeit bereits miserabel war, wollten die Autobosse sich wohl keinen weiteren Konflikt mit den Demonstrant*innen leisten. Das erklärt, weshalb „Sand im Getriebe“ praktisch den ganzen Sonntag lang den Haupteingang zur IAA blockieren konnte ohne dass die Autobosse ihnen die Polizei auf den Hals hetzten.

Und wie weiter?

Für die Umweltschütz*innen waren die Proteste in Frankfurt in mehrerer Hinsicht ein großer Erfolg: Vor drei Monaten hätte es alle Welt für undenkbar erklärt, dass 25 000 Menschen gegen die IAA demonstrieren oder gar 1000 Menschen einen ganzen Tag lang die Show der Autokonzerne blockieren würden. Vor allem in den letzten vier Wochen wurde dank des Aufgreifens der Argumente gegen SUVs durch die Medien die öffentliche Meinung über SUVs deutlich verändert. Das Image des Autos als „goldenes Kalb“ der Nation ist angekratzt. In Frankfurt konnten die Argumente für die Notwendigkeit einer Verkehrswende einer Öffentlichkeit vorgestellt werden, die sich durchaus empfänglich für die Argument zu zeigen schien. Es geht jetzt darum, den Schwung von Frankfurt in Aktivitäten vor Ort umsetzen. Es ist zu hoffen, dass jetzt vor Ort viele lokale Bundnisse für eine Verkehrswende weg von der Straße hin zur Schiene, Bus, Fahrrad, und den eigenen Beinen entstehen.

Über die tägliche Kleinarbeit hinaus, die immer in Gefahr ist, sich im Klein-Klein zu verlieren, geht es darum, Allianzen mit Teilen der Arbeiter*nnenschaft zu schließen. Momentan sind die Beschäftigten von DB Cargo von massivem Arbeitsplatzabbau bedroht. Die Bahn will fast die Hälfte der Güterverladestellen schließen. Betroffen wäre vor allem der Einzelwagenverkehr (EV) bei dem einzelne Wagons über aufwendiges Rangieren zu längeren Zügen zusammengestellt werden. Es geht um 3000 Vollzeitstellen. Das ist nicht nur eine soziale Grausamkeit gegenüber den Beschäftigten, sondern auch verkehrspolitischer und klimapolitischer Wahnsinn. Wenn durch die Schließung von Güterbahnhöfen noch mehr Frachtverkehr auf die Straße verlagert wird, droht eine weitere Zuspitzung des Chaos auf den Autobahnen. Es wird noch mehr CO2 in die Luft gepustet und das Treibhaus noch stärker aufgeheizt. Die DB Cargo-Betriebsräte haben die rund 17 000 Beschäftigten im Inland zur Teilnahme an der Fridays-for-Future-Demo am 20. September aufgerufen. Eine massive Kampagne für die den Ausbau und die Modernisierung des Güterfrachtverkehrs bei der Bahn seitens der Klimaschutzbewegung ist ein Gebot der Stunde.

Vor drei Monaten hätte es alle Welt für undenkbar erklärt, dass 25 000 Menschen gegen die IAA demonstrieren.

Für das Frühjahr 2020 steht die Tarifrunde beim öffentlichen Nahverkehr an. Hier geht es darum, nicht nur die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der Beschäftigten gegen das „Diktat der schwarzen Null“ durchzusetzen. Es gilt, diese Gelegenheit zu nutzen, um gemeinsam mit den Busfahrer*innen und ihrer Gewerkschaft Verdi den oft jämmerlichen Zustand des ÖPNV in Deutschland zum Thema zu machen. Ein Ausbau des ÖPNV auf das Niveau der Schweiz wäre ein Schritt hin zu einer nachhaltigen Mobilität, ein Beitrag zur Reduzierung der Klimagase und würde zudem viele Arbeitsplätze schaffen – bei den Busfahrer*innen, aber auch in den Betrieb, den erforderlichen Mehrbedarf an Bussen und Bahnen herstellen müssten.

Hier zeigt sich einmal mehr: Sozial und ökologisch sind keine Gegensätze. Sie gehören zusammen. Das gilt insbesondere in der Autoindustrie. Bei den Betriebsräten der großen Konzerne, aber auch in weiten Teilen der Belegschaften der Autofabriken und deren Gewerkschaft, der IG Metall, ist diese Einsicht leider nicht sehr weit verbreitet. Umso wichtiger ist es, die Diskussion um eine Konversion der Autoindustrie in Gang zu bringen. Bei der Rosa-Luxemburg Stiftung gibt es einen „Gesprächskreises Zukunft Auto Umwelt Mobil“, der sich darum bemüht. Es wäre zu wünschen, ja dringend erforderlich, dass die Linke diese wichtige Arbeit an Angriff nimmt – auch wenn hier wirklich dicke Bretter zu bohren sind.

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