Plädoyer für eine demokratisch geplante Wirtschaft
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Alternativen zum Kapitalismus

Plädoyer für eine demokratisch geplante Wirtschaft

Von Jakob Schäfer | 01.08.2010

1.    Einleitung
Sozialismus ist die freie, demokratische und sozial gerechte Gestaltung der Gesellschaft, und zwar in allen relevanten Bereichen. In einer zukunftsweisenden Gesellschaftsordnung geht es also nicht nur um die ökonomischen Grundlagen, aber vor allem auf dieser Ebene ist die Skepsis gegenüber sozialistischen Vorstellungen am größten, denn sofort taucht die Frage auf: Planwirtschaft – ist das möglich? Führt das nicht unweigerlich wieder zu Ineffizienz, Misswirtschaft und Kommandostrukturen, wie sie jahrzehntelang im Ostblock vorherrschten?
Dass für gesellschaftlich wichtige Fragen der Wille der Gesamtbevölkerung ausschlaggebend sein soll, wird weithin als anstrebenswertes Ordnungsprinzip anerkannt. Also kein Einsatz der Bundeswehr, wenn die Mehrheit der Bevölkerung das nicht will; keine Kopfpauschale; für eine höhere Besteuerung der Reichen usw.
Aber ein so komplexes Gebilde wie eine gesamte Volkswirtschaft (bzw. ein größerer internationaler Verbund) per Beteiligung der Gesamtbevölkerung zu steuern, das könne nicht funktionieren. So oder ähnlich lautet der wesentliche Einwand nicht nur der Apologeten des kapitalistischen Systems, sondern auch derjenigen SkeptikerInnen in der linken und ArbeiterInnenbewegung, die sich zwar ein nicht-kapitalistisches System wünschen, aber nicht so recht wissen, wie das denn funktionieren könnte (und wie sie dafür argumentieren sollen).
Wir werden uns in diesem Beitrag ganz bewusst nicht mit den anderen Ebenen der Kapitalismuskritik befassen, nämlich mit dem Knechtschaftszusammenhang, den Krisen, der Ausbeutung und all dem anderen Elend, das der Kapitalismus tagtäglich erzeugt. Im Mittelpunkt soll die Frage stehen: Gibt es überhaupt eine wirtschaftliche Alternative zum Kapitalismus, eine, die überhaupt funktionieren kann?
2.     Die Misere der kapitalistischen Produktionsweise
Von Elmar Altvater über Noam Chomsky, Michel Chossudovsky und viele andere bis Jean Ziegler ist auch in den letzten Jahren immer wieder die Misere und die Grausamkeit des kapitalistischen Systems beschrieben worden. Allen angeblichen Entwicklungshilfeprogrammen zum Trotz (bzw. u. a. gerade auch aufgrund dieser Programme) nimmt in weiten Teilen der Welt die Armut ständig zu, und inzwischen ist die Tendenz zum Auseinanderdriften von Arm und Reich auch in den entwickelten Industriestaaten deutlicher geworden. Annähernd eine Milliarde Menschen hungern heute, mehr denn je in der Geschichte der Menschheit.
Und kein ernst zu nehmende(r) BeobachterIn kann heute die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus leugnen. Winfried Wolf hat dies gerade kürzlich wieder gut beschrieben. Dass die Blasenbildung viele Menschen täuscht, aber nichts an dem tendenziellen Fall der Profitrate und den daraus entstehenden abrupten Umbrüchen mit all ihren schwerwiegenden ökonomischen und sozialen Folgen ändert, hat Robert Brenner eindrucksvoll nachgewiesen.
Selbst (wert)konservative Politiker (etwa der ehemalige Entwicklungshilfeminister Todenhöfer) beschreiben die verheerenden Wirkungen des „Kriegs gegen den Terror“, und spätestens seit Ausbruch der Wirtschaftskrise 2007, der größten seit 1929, ist die Krisenanfälligkeit des kapitalistischen Systems auch unter den wildesten Verrenkungen nur schwer zu leugnen.

Grußwort Jean Zieglers an die Frankfurter Aktionskonferenz vom 21.8.2010 zur Vorbereitung des „Bankenaktionstages“ und weiterer Aktivitäten im Herbst 2010
„Liebe Freundinnen und Freunde,
Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 37000 Menschen sterben an Hunger jeden Tag. Über eine Milliarde Menschen sind permanent schwerstens unterernährt. Und derselbe World Food Report der FAO, der diese Opferzahlen gibt, sagt, dass die Weltlandwirtschaft in der heutigen Phase der Entwicklung ihrer Produktionskräfte problemlos normal (2700 Kalorien erwachsenes Individuum pro Tag) 12 Milliarden Menschen ernähren könnte. Praktisch das Doppelte der gegenwärtigen Weltbevölkerung. Fazit: Für das tägliche Massaker des Hungers gibt es keine Fatalität. Ein Kind, das am Hunger stirbt, wird ermordet.
Im Jahr 2009 haben gemäß Weltbank die 500 größten transkontinentalen Privatkonzerne 52% des Welt-Bruttosozialproduktes kontrolliert, also aller in einem Jahr auf der Welt produzierten Reichtümer. Die Konzerne haben eine Macht, wie sie nie ein König, nie ein Kaiser, nie ein Papst in der Geschichte der Menschen gehabt hat. Die Konzerne – und das ist völlig normal – funktionieren nach dem reinen Profitmaximierungsprinzip, außerhalb jeder sozialen Kontrolle. Die Weltdiktatur des globalisierten Finanzkapitals ist der Feind aller Menschen. Besonders jener in der südlichen Hemisphäre. Die kannibalische Weltordnung muss radikal bekämpft, und danach gestürzt werden.“
12. August 2010,
Jean Ziegler, Mitglied des Beratenden Ausschusses, UNO-Menschenrechtsrat, Autor des Buches: „Der Hass auf den Westen“ (2009)

Letztlich geht es bei den Wirtschaftskrisen um die strukturelle Unfähigkeit des Kapitalismus, die Disproportionen zwischen Angebot und Nachfrage zu vermeiden, d. h. Überkapazitäten zu vermeiden und eine kontinuierliche, ungestörte Kapitalverwertung zu sichern. Und auch ohne Wirtschaftskrisen kann der Kapitalismus die grundlegenden Bedürfnisse der Mehrheit der Menschen nicht befriedigen oder etwa die ökologischen Probleme lösen. Im Gegenteil, im Kapitalismus nehmen diese Probleme Tag für Tag nur noch weiter zu, nicht zuletzt steigt unaufhörlich die Dringlichkeit, auf den Klimawandel zu reagieren. Der Kapitalismus ist aufgrund der Profitorientierung strukturell unfähig, den Klimawandel auch nur zu bremsen.
Worin liegen die wesentlichen Charakteristika des Kapitalismus, die es ihm unmöglich machen, auf diese Probleme – steigende Armut für weite Teile der Menschheit, ständig neu aufflammende Kriege, Klimawandel usw. – adäquat zu reagieren? Seit Marx wissen wir, dass es an der kapitalistischen Warenproduktion liegt. Sie verhindert eine rationale Organisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, denn die Produktion von Waren für den anonymen Markt und die damit verbundene Verwertung des Kapitals dienen der Reichtumsanhäufung einer Minderheit in der Bevölkerung, der besitzenden Klassen; der Mehrheit bleibt nichts anderes als ihre Arbeitskraft anzubieten. Wenn diese nicht gebraucht wird, bleibt nur Hartz IV und Verelendung (oder Kriminalität).
Wesentliche Merkmale des strukturellen Gegensatzes von kapitalistischer Anarchie und geplanter Wirtschaft sind:
·    Auf der gesellschaftlichen Ebene ist kapitalistische Planung per se nicht möglich, denn die Kapitale konkurrieren miteinander. Von dem begrenzten Markt (d. h. der begrenzten Kaufkraft) möchte jedes Kapital den größtmöglichen Anteil für sich erobern und strebt deswegen danach, andere zu verdrängen, und zwar mittels Rationalisierungen und Lohndrückerei, um Kosten so weit zu senken, dass die Konkurrenten unterboten werden können. Unterlässt ein Unternehmen die weitere Rationalisierung (und damit tendenziell den Stellenabbau), droht ihm in der nächsten (oder übernächsten) Runde der Reproduktion das Aus. In diesem Mechanismus sind also strukturell der ständige Aufbau von Überkapazitäten und das ständige Erzeugen neuer Disproportionen zwischen Angebot und Nachfrage angelegt.
·    Kapitalistisches Wirtschaften kann nicht vorhersehen und kann nur im Nachhinein (post festum) reagieren. D. h. weder kann das einzelne Unternehmen wissen, welche Vorteile sich andere real verschaffen werden (und durchsetzen), noch können die Konsumentenwünsche im Kapitalismus vorher erfasst werden. Sie werden erst in Verbindung mit der Kaufkraft ermittelt (d. h. ihrer Größe und ihrer Verteilung auf die auf dem Markt vorhandenen Waren). Tatsächliche Bedürfnisse sind so nur sehr verzerrt (oder gar nicht) feststellbar. Faktisch herrscht im Kapitalismus auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene Anarchie, eine Form des Wirtschaftens und des Zusammenlebens, die die Menschheit teuer zu stehen kommt.
·    Im Kapitalismus werden keine größeren Investitionen getätigt, wenn sie nicht direkt oder indirekt für das Kapital nutzbringend sind. Große (säkulare) Investitionen, mit denen keine Profite zu erzielen sind, die aber für die Gesamtgesellschaft äußerst sinnvoll wären, haben im Kapitalismus keine Realisierungschancen. Am deutlichsten springt dies heute bei den notwendigen Umbaumaßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels ins Auge, betrifft aber grundsätzlich alle Bereiche von der Bildung über die Gesundheitsvorsorge, Ernährung usw. bis zur Kriegsverhinderung.
·    Aufgrund der kapitalistischen Konkurrenz und des Strebens nach möglichst kurzfristiger Verwertung des Kapitals (und damit auch nach maximalem Profit) ist es dem kapitalistischen System nicht möglich, den Einsatz der begrenzten Ressourcen so zu planen und einzusetzen (und langfristig, nicht profitorientiert in alternative Stoffe und Techniken zu investieren), dass sie auch für künftige Generationen in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Am deutlichsten tritt dies heute in der auf Öl basierten Energiewirtschaft zu Tage, wo nicht nur immer riskanter und rücksichtsloser ausgebeutet wird, sondern wo die Energieeinsparung grundsätzlich nicht im Interesse des Kapitals ist (wohl aber im Interesse der Menschheit läge). Aber auch andere Ressourcen (v.a. bestimmte Edelmetalle) werden gemäß der kapitalistischen Logik brutal (und dabei nicht nur im Kongo mit kriegerischen Mitteln) gefördert und vermarktet. In den nächsten 10 Jahren ist mit Peak Oil (dem Ölfördermaximum) zu rechnen. Danach werden die Ölpreise und die Preise aller davon abhängigen Produkte steil nach oben gehen; eine weitere Quelle kapitalistischer Krisen.
Ganz abgesehen von den tödlichen Auswirkungen imperialistischer Kriege, des Raubbaus an der Natur, der physischen und psychischen Verstümmelung eines Großteils der Menschheit und anderer Verheerungen können wir zusammenfassen, was Ernest Mandel wiederholt dargelegt hat: Im Kapitalismus gibt es eine gleichzeitige Tendenz zur Teilrationalität (nämlich auf der Betriebs- bzw. Konzernebene) und zur globalen Irrationalität.

Engels zur kapitalistischen Produktionsweise
„Je mehr die neue Produktionsweise auf allen entscheidenden Produktionsfeldern und in allen entscheidenden ökonomischen Ländern zur Herrschaft kam und damit die Einzelproduktion bis auf unbedeutende Reste verdrängte, desto greller mußte auch an den Tag treten die Unverträglichkeit von gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung [Hervorhebung im Original] […] Dieser Widerspruch zwischen vergesellschafteter Produktion und kapitalistischer Aneignung stellt sich jetzt so dar, daß die gesellschaftliche Organisation der Produktion innerhalb der Fabrik sich zu dem Punkt entwickelt hat, wo sie unverträglich geworden ist mit der neben und über ihr bestehenden Anarchie der Produktion in der Gesellschaft.“ Friedrich Engels: „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft“ („Anti-Dühring“), in MEW, 20, S. 252 und 253.

3.     Warenwirtschaft oder Güterwirtschaft
Wenn der Kapitalismus durch die Warenwirtschaft charakterisiert ist, dann stellt sich die Frage: Ist überhaupt eine andere Wirtschaft realistisch vorstellbar, in der nicht Waren getauscht werden? (Anmerkung: Auch das „Kaufen“ ist ein Tausch-Vorgang.)
Dazu wollen wir zunächst in Erinnerung rufen, was eine Ware auszeichnet: Sie wird hergestellt, um ein spezifisches Bedürfnis zu befriedigen (hat also einen Gebrauchswert) und wird von seinem Verkäufer zu einem bestimmten Preis (der im Durchschnitt dem Tauschwert entspricht) angeboten. In diesem Tauschwert stecken die Herstellungskosten (einschließlich der Lohnzahlung) und der Profit (der in der Produktion hinzugefügte Mehrwert, der über die Zirkulation verteilt und in Profit verwandelt wird). Der Kapitalist ist mit seinem Warenangebot aber nicht an der Bedürfnisbefriedigung interessiert, sondern an der Realisierung seines Gewinns, also ausschließlich am Tauschwert (am Geldwert). Der gesellschaftliche Nutzen seiner Waren interessiert ihn naturgemäß nicht (oft genug steht dieser sogar im krassen Gegensatz zum Verwertungsinteresse des Kapitals).
Wir leben also in einer Wirtschaftsordnung, die nicht nach den Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung ausgerichtet ist. Das Gegenstück dazu ist eine Güterwirtschaft, eine bedürfnisorientierte Ökonomie.
In der Güterwirtschaft bestimmt nicht das Tauschen (in der Regel das Bezahlen mit Geld) die Verteilung der Güter, sondern das Teilen (bzw. auch das Zuteilen) der Güter. Dazu müssen zwei Bedingungen erfüllt werden: Erstens muss der Bedarf (die Summe der jeweiligen Bedürfnisse) ermittelt werden, und zweitens muss die Produktion der Güter (und Dienstleistungen) entsprechend geplant werden, sodass es zu einer möglichst optimalen Bedürfnisbefriedigung kommt.
Für unsre Betrachtung stellen sich damit verschiedene Fragen:
1.    Ist nicht der Sozialismus (in Osteuropa) daran gescheitert, dass dort die Planwirtschaft ineffizient war? Und ist mit der Planwirtschaft nicht zwangsläufig eine diktatorische Gesellschaftsstruktur verbunden?
2.    Nach welchen Prinzipien ist eine bedürfnisorientierte Verteilung der Güter möglich? Und können auch Güter frei verteilt werden?
3.    Wie kann die geplante Wirtschaft real (als Gesamtgebilde) funktionieren (also ohne gravierende Fehlplanung)? Und wie sieht die entsprechende Gesellschaftsstruktur aus?

3.1. Übergangsgesellschaften
In der sozialistischen Literatur wird der Begriff „Übergangsgesellschaft“ für zwei unterschiedliche Gesellschaftsformen bzw. zwei unterschiedliche Stufen der Entwicklung benutzt. Bei Marx taucht dieser Begriff ausschließlich im Zusammenhang mit dem Übergang zum Kommunismus auf. Marx bezeichnet diese Phase (in der revolutionären Bewegung gemeinhin als Sozialismus bezeichnet) als die erste Stufe des Kommunismus, in der das Maß der Arbeit für die Verteilung der Güter noch eine gewisse Rolle spielt. Im Kommunismus gibt es nur noch die freie Verteilung der Güter.
So verstanden ist diese Übergangsgesellschaft (also der Sozialismus) in der Verteilungsfrage noch in einem gewissen Umfang am bürgerlichen Recht orientiert (Güter im Austausch gegen nicht frei tauschbare Scheine von der Art einer Theaterkarte), aber es gibt kein Geld mehr und damit auch keine Waren mehr.
In der kommunistischen Phase wird gar nicht mehr getauscht. Die Menschen bringen sich spielend/lernend/helfend in die Reproduktion der Gesellschaft ein und haben – gemäß ihren Bedürfnissen und den wirtschaftlichen Möglichkeiten an den Ergebnissen (Produkten/Dienstleistungen/kulturellen Errungenschaften usw.) der Gesamtgesellschaft teil.
Aufgrund der realen geschichtlichen Erfahrungen wird in unsrer Bewegung (der aus der linken Opposition in der Sowjetunion der 1920er und 1930er Jahre hervorgegangenen IV. Internationale) als „Übergangsgesellschaft“ eine Formation bezeichnet, in der zwar die Bourgeoisie nicht mehr herrscht – die Industrie (alle wesentlichen Produktionsmittel), die Banken und wesentliche Teile des Handels und Transports sind vergesellschaftet (mindestens verstaatlicht) – , aber es gibt noch Kleinproduzenten (selbstständige Bauern usw.), und es gibt noch Geld.
Das traf nicht nur auf die Sowjetunion zu, es galt für Kuba nach dem Sturz der Batista-Diktatur 1959 und sogar nach den großen Verstaatlichungen vom Herbst 1960. (Heute ist die Warenwirtschaft sogar wieder deutlich im Vormarsch, die Errungenschaften des revolutionären Kubas drohen alle zu erodieren.) Für uns war das Kuba des Che ganz zweifellos keine kapitalistische Gesellschaftsordnung, die Bourgeoisie war entmachtet, der Plan ermöglichte einen gewaltigen gesellschaftlichen Fortschritt, aber wir können diese Gesellschaftsformation in keinem Fall als sozialistisch bezeichnen, weil es dort unter anderem in jeder Phase ihrer Entwicklung noch Geld gab.
Die geschichtliche Erfahrung zeigte uns, dass es (zumindest im 20. Jahrhundert) ganz so schnell wie von Marx vorhergesehen dann doch nicht ging, als er nämlich annahm: „…mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt.“ Die Produktionsmittel werden nicht „über Nacht“ bzw. auf einen Schlag restlos vergesellschaftet.
Für eine solche nicht-kapitalistische“ Gesellschaftsformation benutzen wir in unsrer Tradition den Begriff „Übergangsgesellschaft“, weil in ihr prinzipiell noch beide Entwicklungsmöglichkeiten angelegt sind: Der Plan kann weiterentwickelt und die Geldwirtschaft zurückgedrängt werden, oder aber die Fortexistenz der Warenform verstärkt sich und ermöglicht die völlige Restauration des Kapitalismus, so wie wir dies in Osteuropa in den 1990er Jahren erlebten.
Sicherlich werden unter den heutigen Bedingungen einer hoch entwickelten Industriegesellschaft keine Jahrzehnte des Übergangs erforderlich sein. Wird die Durchsetzung der demokratisch geplanten Wirtschaftsordnung konsequent angegangen, dann handelt es sich nur um eine sehr kurze Phase (wenige Jahre). Marx schrieb dazu in seiner „Kritik des Gothaer Programms“: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“
Zwei wesentliche Bestimmungen:
1.    Bei der Darlegung unsrer Ziele müssen wir klar die Abschaffung der Warenform und des Geldes im Auge haben. Wenn dies nicht klar ist, kann nur die Sackgasse der gemischten Wirtschaft rauskommen, die schon im Ansatz die Restauration des Kapitalismus mit all seinen Übeln (Hunger, Elend, Krieg, Umweltzerstörung) vorbereitet.
2.    Die Hauptschritte zur Durchsetzung einer demokratisch geplanten Wirtschaft müssen sehr wohl mit einem Schlag erfolgen, nämlich mit dem positiven Ausgang der revolutionären Krise und der Machtergreifung durch die assoziierten ProduzentInnen. Nur dann kann der Plan überhaupt Realität werden, und nur dann können die Grundsteine einer sozialistischen (also egalitären) Gesellschaft ohne Krieg, Elend und Ausbeutung geschaffen werden.
Der zeitliche Ablauf der revolutionären Krise ist nicht vorherbestimmt. Es kann vergleichsweise rasch gehen, es kann aber auch eine längere Phase der Doppelherrschaft geben (in Russland vor der Oktoberrevolution dauerte sie länger als ein halbes Jahr). In dieser Zeit kann die Bourgeoisie nicht mehr voll ihre Macht ausüben, existiert aber noch als Klasse. Und die Klasse der Lohnabhängigen, das Proletariat, ist noch nicht in der Lage, die Staatsgewalt an sich zu reißen und die Bourgeoisie vollkommen zu entmachten.
Und noch eines bleibt genauso richtig wie vor hundert Jahren: Wird der Kapitalismus in einem Land gestürzt, dann muss sich dieser Prozess – aufgrund seiner unmittelbaren Anziehungskraft – international ausdehnen und mindestens eine ganze Region erfassen und umkrempeln, um gegen den Druck der Konterrevolution wirtschaftlich und politisch überleben zu können.
Oder aber der Prozess wird keine Ausstrahlungskraft entfalten (weil nur halbe Sachen gemacht werden, die Menschen weiterhin keine Entscheidungsbefugnisse haben, es also nicht in Richtung Sozialismus geht), dann wird die neue Gesellschaftsordnung sehr rasch zusammenbrechen und die Waren produzierende Wirtschaftsweise wieder die Oberhand gewinnen, die Bourgeoisie wird ihre Macht zurückerobern und die Konterrevolution wird sich mit all ihrer Brutalität an der sozialistischen Bewegung rächen.

3. 2. Trauma bürokratischer Herrschaft („Kommandowirtschaft“)
Die Schrecken stalinistischer Herrschaft müssen hier nicht erläutert werden. Die einschlägige Literatur ist endlos und reicht von den ersten Berichten der Linken Opposition in der Sowjetunion der 20er Jahren des letzten Jahrhunderts über den Archipel Gulag  von Solschenizyn bis zu den neueren Veröffentlichungen zur Auswertung der in den letzten Jahren in Moskau (teilweise) geöffneten Archive.
Die Wirtschaftsstruktur dieser spezifischen Art bürokratischer Herrschaft wies zwar in einem gewissen Umfang bestimmte Charakteristika einer Planung auf, aber eben ausschließlich solche der bürokratischen „Kommandowirtschaft“. Ziel der Durchsetzung und Beibehaltung dieser spezifischen Strukturen ab Ende der 20er Jahre war es, die Herrschaft einer Nomenklatura über die Gesellschaft ökonomisch abzusichern, koste es an Menschenleben und Zerstörung der Umwelt, was es wolle.
Diese Strukturen waren nicht nur extrem undemokratisch, sie waren auch wirtschaftlich äußerst ineffektiv: Da die Menschen keine Mitwirkungsmöglichkeiten hatten, hatten sie auch kein Interesse an einer wahrheitsgemäßen Meldung ihrer Produktionsmöglichkeiten in den Betrieben, ihrer Vorräte, ihres Ressourcenbedarfs usw. Somit wurden grundsätzlich auf allen Ebenen falsche Zahlen gemeldet, Güter gehortet und in die Schattenwirtschaft abgezweigt; Ernten ließ mensch verkommen, weil kein Interesse an ihrer rechtzeitigen Einholung bestand usw. Die Kreativität der Menschen wurde abgetötet, denn sie hatten ja eh nichts zu melden oder mitzubestimmen.
Spätestens bei dem Übergang extensiven Wirtschaftens (bis Ende der 30er Jahre) in die intensive Wirtschaftsweise, als somit die Ausbeutung der Naturreserven gepaart mit einer extremen Arbeitsverpflichtung an ihre Grenzen stieß, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis dieses System letztlich wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen musste. Für den Fall der DDR hat Hans-Jürgen Schulz den Zusammenbruch gut nachvollziehbar beschrieben.
Das Übel dieser Gesellschaften lag nicht nur in den politischen Strukturen, sondern in der Produktionsweise und dem damit verbundenen Fortbestehen der Warenwirtschaft in weiten Teilen der Gesellschaft. Zwar waren die Produktionsmittel keine Waren – sie wurden nicht gegen kaufkräftige Nachfrage getauscht –, aber große Teile der Konsummittel (selbst dort, wo sie subventioniert waren) und die gesamte Schattenwirtschaft basierten auf dem Warentausch. Somit konnte sich auch keine neue Verteilungsstruktur ergeben. Die Entwicklung konnte auf dieser Grundlage ab Ende der 20er Jahre nur rückwärts, d. h. zur völligen Restauration des Kapitalismus, gehen. Eine andere Entwicklung hätte einer neuen Revolution bedurft, die die wirtschaftlichen und politischen Grundlagen für eine fortschrittliche Übergangsgesellschaft zum Sozialismus hätte legen können.

3.3. Übergang oder Revolution?
Mit dem Begriff „Übergang“ wurde und wird in der politischen Auseinandersetzung viel Schindluder getrieben. Nicht zuletzt in Kreisen der Partei Die Linke wird eine andere Regierungszusammensetzung innerhalb der bürgerlichen Gesellschaftsordnung (und unter Beibehaltung der kapitalistischen Funktionsweise der Wirtschaft) gerne als ein „Politikwechsel“ und als „Übergang“ zu einer anderen Gesellschaft deklariert.
Bei unsren Ausführungen zum Sozialismus gehen wir allerdings immer davon aus, dass es dazu eines völligen Bruchs mit der bürgerlichen Gesellschaftsordnung bedarf. Ein stückchenweises Hinübergleiten ist grundsätzlich nicht möglich, denn die völlig anderen Prinzipien des Wirtschaftens und der vorbehaltlosen Machtausübung durch die gesamte Bevölkerung kann nicht in den Poren der alten Gesellschaft wachsen.
Denn: Gerade im Gegensatz zu allen anderen Revolutionen (Umwälzungen der Produktionsverhältnisse und der Produktionsweise) ist die proletarische (die sozialistische) Revolution gezwungen, mit einer völligen Umwälzung zu beginnen, ohne sich dabei auf entwickelte, existente Vorformen stützen zu können. Dies ist nicht einfach nur dem ökonomischen Kräfteverhältnis geschuldet (starke Stellung des Kapitals), sondern hängt ursächlich mit der Funktionsweise der neuen Produktionsverhältnisse zusammen: Gerade weil diese nur Sinn ergeben und funktionieren können – und dann erst ihre ökonomische Überlegenheit unter Beweis stellen können –, wenn der Plan gesamtgesellschaftlich wirkt, kann es schwerlich Vorformen innerhalb des Kapitalismus geben. Denn der Kapitalismus ist gerade auf Konkurrenz aufgebaut und trachtet danach, jeden Winkel der Erde der Konkurrenzwirtschaft zu unterwerfen, also auch noch so entlegene bäuerliche Subsistenzwirtschaften.
Zum Begriff der „Vorformen“ sollten wir aber klarstellen, dass wir hier die Funktionsweise einer Volkswirtschaft meinen, nicht die materiellen Voraussetzungen, die innerhalb des Kapitalismus heranreifen und sich entwickeln. Innerhalb eines kapitalistischen Unternehmens wird sehr wohl geplant (s. dazu weiter unten), die Planungsinstrumente werden ständig weiter entwickelt und verfeinert, die Notwendigkeit, gesamtwirtschaftlich zu planen, steigt gerade in Zeiten des Klimawandels rapide an usw. Aber all dies geschieht im Rahmen der Warenproduktion und der Konkurrenzwirtschaft. Der absolute, ja antagonistische Gegensatz zur Planung und Produktion von frei zu verteilenden Gütern, die also nicht als Waren auf den Markt kommen, bleibt bestehen.

Der Kapitalismus schafft ständig mehr Voraussetzungen für den Sozialismus
Die Möglichkeiten einer alternativen Ökonomie (im Widerspruch zur real herrschenden Produktionsweise) sind heute schon sichtbar, und zwar auf ganz unterschiedlichen Ebenen:
• Es gibt jede Menge Arbeit, und es gibt genug Menschen (annähernd eine Milliarde), die zur Reproduktion der Gesellschaft beitragen würden, wenn sie nur dürften. Sie sind erwerbslos und für die Kapitalverwertung „nicht zu gebrauchen“.
• Und es gibt jede Menge Güter, die für die Bedürftigen von großem Nutzen wären, aber sie können sie nicht bekommen, weil sie nicht die entsprechende Kaufkraft haben. Diese Güter (Ressourcen, Produktionskapazitäten und andere Waren) werden stattdessen vernichtet, damit das übrige Kapital besser verwertet werden kann.
Diese Widersprüche im Kapitalismus zeigen – mehr als jede Landkommune oder bäuerliche Produktionsgenossenschaft – das Potenzial an. Um es allerdings nutzbar zu machen, braucht es eine fundamental andere Funktionsweise der Wirtschaft.

Leider ist die Vorstellung der angeblichen Überlegenheit warenförmiger Produktion und ist das Konkurrenzdenken heute ungeheuer tief im Bewusstsein der großen Mehrheit der Menschen verankert. Wenn die Stromkonzerne mithilfe von Preisabsprachen Extra-Gewinne einstreichen, dann ist für die meisten KollegInnen die erste Reaktion: Das kommt von der „fehlenden Konkurrenz“. Dass wir eine ganz andere Perspektive verfolgen müssten (Vergesellschaftung unter Kontrolle der Beschäftigten und der Verbraucher), ist den Menschen äußerst fern, nicht nur, aber ganz besonders in der BRD. Vor allem können sie sich unter „Vergesellschaftung“ nichts vorstellen (also Inbesitznahme und Kontrolle durch die Beschäftigten und die Verbraucher/Konsumenten). In ihrer Vorstellungswelt gibt es nur die Verwaltung durch den kapitalistischen Staat, und dass der nicht im Interesse der lohnabhängigen Bevölkerung agiert, spüren die Menschen nicht nur bei bürokratischer Misswirtschaft.
Diese Einstellungen sind nicht fest geschmiedet und unabänderlich, aber es zeigt im gegenwärtigen Stadium zunächst einmal, wie stabil die Verhältnisse (noch) sind.

Ernest Mandel schreibt in „Lenin und das Problem des proletarischen Klassenbewusstseins“:
„1. Die proletarische Revolution ist die erste erfolgreiche Revolution in der Geschichte, die von der untersten Gesellschaftsklasse vollzogen wird, einer Klasse, die zwar über eine riesige potenzielle, aber faktisch äußerst geringe Wirtschaftsmacht verfügt und im Großen und Ganzen von jeder Teilnahme am gesellschaftlichen Reichtum (im Gegensatz zum Besitz von laufend verzehrten Konsumgütern) ausgeschlossen ist. Dies im Unterschied zum Bürgertum und zum Feudaladel, die die politische Macht zu einem Zeitpunkt an sich rissen, als die tatsächliche wirtschaftliche Macht in der Gesellschaft bereits in ihren Händen lag, oder zu den Sklaven, denen keine erfolgreiche Revolution gelingen konnte.
2. Die proletarische Revolution ist die erste Revolution in der Geschichte, die eine bewusst geplante Umwälzung der bestehenden Gesellschaft zum Ziel hat, d. h., die nicht einen vergangenen Zustand wiederherstellen will (wie dies bei den Sklaven- und Bauernrevolutionen der Vergangenheit der Fall war), sondern einen völlig neuen, noch nie dagewesenen, nur als „Theorie“ oder als „Programm“ gegebenen Prozess verwirklichen soll…“
Mit anderen Worten: Eine sozialistische Planwirtschaft (bedürfnisorientierte Ökonomie) kann gerade nicht in den Poren der alten Gesellschaft entstehen. Schon gar nicht kann sie Anziehungskraft oder gar ökonomische Dominanz entwickeln. Konkurrenzwirtschaft (also kapitalistische Anarchie) und geplante Ökonomie schließen sich gegenseitig aus. Keime des künftigen Produktionsverhältnisses kann es im Kapitalismus strukturell nicht geben, und auch die politischen Strukturen können nur in der allgemeinsten Form und nur ansatzweise auf Formen des künftigen Zusammenlebens bzw. künftiger gemeinsamer Verwaltung der Gesellschaft verweisen.
Selbst der Streik ist keine Vorahnung dessen, was kommen wird. Er ist es auch nicht als „negative Form“, die – durch die (zeitlich befristete) Verweigerung der Fortführung des Produktionsprozesses – auf die Produktionsverhältnisse der Zukunft verweist. Der Streik ist eben nur eine Verweigerung (um das Kapital bzw. um Kabinett und Kapital unter Druck zu setzen), aber noch nicht die Keimform einer künftigen Produktionsweise. Dass sich dies sehr wohl unterscheidet von den ökonomischen Druckmitteln der Sklaven oder der Leibeigenen, ist sicher klar (diese haben zusätzlich eine persönliche Abhängigkeit), aber daraus (aus der Arbeitsverweigerung) resultiert noch nicht, was der Inhalt der künftigen, der proletarischen (sozialistischen, bedürfnisorientierten) Ökonomie ist.
Ansatzweise kann die Betriebsbesetzung eine Vorahnung geben, aber eben nur auf der betrieblichen Ebene, nicht auf der Ebene gesellschaftlichen Funktionierens und der positiven Aufhebung der Warenproduktion. Auch ein besetzter Betrieb stellt Waren her, die auf dem nationalen (oder internationalen) Markt (gegen Geld oder andere Waren) getauscht werden.
Eine Fortführung der Produktion unter Arbeiterselbstverwaltung ist auf Dauer nur vorstellbar, wenn es eine radikale Umwälzung der Besitzverhältnisse auf gesellschaftlicher Ebene gegeben hat, sodass ein gesamtgesellschaftlicher Plan erstellt werden kann, denn nur dieser kann dem Kapitalismus überlegen sein. Lip (1973/74 in Besançon) (eine erklärende Fußnote für Nachgeborene und/oder ein Literaturhinweis?) und viele andere Beispiele belegen dies. Ähnliches gilt für die genossenschaftliche Produktion.

Wenn wir zudem die reale Geschichte der verschiedenen Revolutionen des letzten Jahrhunderts anschauen, werden wir an keiner Stelle eine bedeutsame Entwicklung von Elementen sozialistischer Produktionsverhältnisse vor den entscheidenden Kämpfen um die Macht feststellen können, weder in Russland 1917 noch in Deutschland in der revolutionären Welle nach dem Ersten Weltkrieg, weder in Spanien noch in Kuba 1959.
Worauf wir vielmehr den Schwerpunkt legen müssen, ist die Bedeutung der Eroberung der politischen Hegemonie im Alltagsbewusstsein der Menschen, zu allererst der ArbeiterInnenklasse, aber auch der Intellektuellen im weitesten Sinne und später auch der „politischen Öffentlichkeit“. Darauf hat Gramsci in seinen Gefängnisheften (Quaderni del carcere; nicht in den Gefängnisbriefen, den Lettere del carcere) ausführlich hingewiesen, als er die Funktionsweise der bürgerlichen Gesellschaft (vor allem der ökonomischen Basis, also der “societa civile” im Gegensatz zum Staat) untersuchte und die große Bedeutung der „organischen Intellektuellen“ der jeweils herrschenden Klasse in den verschiedenen Hegemonieapparaten (Schulen, Gewerkschaften, Medien, Kirchen etc.) hervorhob.
Auf diesen Gebieten haben wir noch viel zu leisten, aber wir sollten gerade nicht die Illusion haben, die antikapitalistische Bewegung solle und könne sich starkmachen für die Bildung von Genossenschaften. Hier würden sich die Kräfte verausgaben und in eine ökonomische Sackgasse laufen (zudem: Wohin führt dies bei einer vorherrschenden kapitalistischen Denkweise? Zwangsweise doch nur zu solchen Entwicklungen wie bei der Neuen Heimat, Coop etc.). Der politische Kampf um die Köpfe muss in diesem Zusammenhang die vordringlichste Aufgabe sein.
Mit anderen Worten: Der Übergang zum Sozialismus kann nicht über eine allmähliche Veränderung der bestehenden Gesellschaftsordnung (via Reformen) erfolgen, sondern erfordert einen bewussten Bruch und einen grundsätzlichen Neuanfang.
Wir müssen aber auch klarstellen, dass nach einer Revolution nicht mit einem Schlag der „ausgereifte“ Sozialismus „zur Welt kommt“. Es wird zunächst zwangsläufig eine Übergangsgesellschaft sein, in der die Warenform nicht von einem Tag auf den anderen vollkommen verschwunden sein wird.

Die wesentlichen Wirtschaftsentscheidungen werden nicht mehr vom Wertgesetz diktiert sein, Investitionen werden sich nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen richten, und zwar basierend auf einer demokratischen Entscheidung der jeweils Betroffenen usw. Aber nicht mit einem Schlag können damit alle Bedürfnisse mittels freier Verteilung der vorhandenen Güter befriedigt werden. Dazu wird es – je nach geografischer und politischer Ausdehnung des revolutionären Prozesses – einige Jahre, für bestimmte Güter eventuell eine ganze Generation bedürfen. Jedenfalls wird in der ganzen Periode der Übergangsgesellschaft gelten: Je grundlegender die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse sein soll, umso mehr gesellschaftliche Ressourcen müssen dafür aufgebracht werden, damit es weder Existenzsorgen noch Benachteiligung gibt.
Es gibt sicherlich eine Rangfolge von Bedürfnissen: Grundbedürfnisse wie Grundnahrungsmittel, Getränke, Kleidung, Wohnung; sodann zweitrangige Bedürfnisse und dann drittens Luxusbedürfnisse (marginale Bedürfnisse). Alle drei Kategorien, besonders die erste, sind sowohl durch physiologische als auch durch gesellschaftliche historische Momente bestimmt. Vor allem bei wachsender Produktivität und Wohlstand gibt es eine Tendenz zur Sättigung der Grundbedürfnisse. „Rationales Verhalten tritt allmählich mehr und mehr an die Stelle des angeblich instinktiven Wunsches, immer mehr zu konsumieren.“
Welche Produkte und Dienstleistungen später einmal zur zweiten oder dritten Kategorie gehören werden, darüber muss heute nicht befunden werden. Die Gesellschaft wird das souverän und autonom entscheiden, jedenfalls sich nicht über den Markt aufdiktieren lassen.
Über die Details der konkreten Möglichkeiten und der politisch zu entscheidenden konkreten Verlaufsform – nach der Umwälzung der Machtstrukturen – muss heute nicht spekuliert werden. Denn eines steht in jedem Fall fest: Die Übergangsgesellschaft, also die nach-kapitalistische Gesellschaft, wird in ständigem Umbruch sein und sich nicht nur politisch, sondern auch in ihren ökonomischen Strukturen (vor allem, was die Verteilungsformen angeht) ständig weiterentwickeln (und weiterentwickeln müssen, will sie sich langfristig gegenüber restaurativen Tendenzen durchsetzen).
Wenn die angestauten, bisher unbefriedigten Grundbedürfnisse gesichert befriedigt werden, pendelt sich das Bedürfnis auf ein „rationales“ Maß ein. Und je mehr lebenswichtige Güter nicht mehr knapp sind, desto mehr kann die Rolle des Geldes eingeschränkt werden. Wenn also vorher ermittelt wird, wie viel jeweils gebraucht wird, muss keine Feststellung des Bedarfs über den Markt erfolgen.
Die Frage, die sich uns heute stellt: Wie kann Planwirtschaft überhaupt funktionieren? Und: Kann sie grundsätzlich sicherstellen, dass die Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden und dass keine Misswirtschaft betrieben wird? Und kann sie auch die natürliche Umwelt (nicht zuletzt das Klima) vor weiteren Schäden bewahren bzw. langfristig bestimmte Schäden wieder beseitigen?

Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus

„Nach Marx und Lenin ist der Sprung vom Kapitalismus zum Sozialismus unmöglich ohne
1. die Zerstörung des bürgerlichen Staats, der alten Staatsmaschinerie, wie Marx sich ausdrückt bei seiner Würdigung der Pariser Kommune;
2. die Diktatur des Proletariats, d. h. ohne den Aufbau eines Arbeiterstaats in der Übergangsperiode und
3. das Verständnis dessen, daß der Staat ein Staat besonderer Art ist, ein Staat, der anfangen muß, abzusterben vom Augenblick seines Entstehens und der in der klasselosen sozialistischen Gesellschaft abgestorben ist.
Das sind die drei Elemente. Marx war kein Anarchist, Marx glaubte nicht, daß man mit einem Sprung vom Kapitalismus in eine Gesellschaft ohne Staat gehen könne. Er war also Befürworter der Diktatur des Proletariats, des Arbeiterstaats. Aber er verstand die besondere Funktion, die besondere Form dieses Staates, die Umkehrung, die darin besteht, daß wir es jetzt mit einem Instrument zu tun haben, das nicht mehr zur Unterdrückung der Mehrheit der Bevölkerung dienen darf.“
Ernest Mandel, Johannes Agnoli: „Offener Marxismus. Ein Gespräch über Dogmen, Orthodoxie und die Häresie der Realität“ Frankfurt/New York (Campus Verlag), 1980, S. 17 f (hier ein Auszug einer Antwort von Mandel auf eine Frage Agnolis).

4.     Demokratische Planwirtschaft: die positive Alternative
4.1. Grundsätzliches zur geplanten Wirtschaft
In den Ohren vieler Menschen klingt Planwirtschaft nach Bevormundung und Unfreiheit. Hier hat Ernest Mandel in einem Referat anlässlich eines Seminars der jugoslawischen „Praxis“-Gruppe im Jahr 1968 einige sehr erhellende Ausführungen gemacht:
„Wie heute meist angenommen wird, wollen wir die Freiheit doppelt, im negativen und positiven Sinne, definieren. Freiheit wovon, und Freiheit wofür. Die negative Freiheit ist die Abwesenheit von äußerem Zwang, der autonomes, spontanes Handeln des Individuums verhindert. Positive Freiheit ist das Vorhandensein solcher Bedingungen, die das spontane Handeln des Individuums ermöglicht. Die dialektische Einheit kann durch die einfache Formel gegeben werden: Freiheit ist die Möglichkeit der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung.
Und was ist Wirtschaftsplanung im allgemeinsten Sinne des Wortes? Es ist eine bewusste Kombination und Verteilung – allocation – von Wirtschaftsgütern, mit dem Ziel, gewisse vorher festgelegte Ziele zu verwirklichen.
Aus dieser knappen Definition der beiden Begriffe ergibt sich sofort, dass diese an und für sich keineswegs antithetisch sind. Im Gegenteil: Beide Begriffe enthalten mindestens ein gemeinsames Element, jenes des bewussten Handelns, des Zieles. Die Antithese von Freiheit ist äußerer Zwang, der den Menschen auferlegt wird. Die Antithese von Planung ist ein Wirtschaftsverlauf, der von bewussten Zielen der Menschen unabhängig ist und worin vom Willen des Menschen unabhängige Bedingungen und Gesetze – die Unterwerfung unter Naturkräfte oder unter objektive Wirtschaftsgesetze, die sich mit der Macht von Naturgesetzen durchsetzen – das Wirtschaftsleben bestimmen.
In diesem Sinne können wir sogar die Behauptung aufstellen, dass Planung in letzter Instanz nichts anderes ist als die Verwirklichung der Freiheit für die Gemeinschaft, nämlich der Freiheit, sich von dem äußeren Zwang der ökonomischen Gesetze der Warenproduktion zu befreien. Aber indem wir feststellen, dass es in letzter Instanz keine Antithese zwischen Freiheit und Planung gibt, verstehen wir ebenfalls, woher die Möglichkeit dieser Antithese rührt. Während es sich bei der persönlichen Freiheit um die Möglichkeit der Selbstbestimmung und der Selbstverwirklichung des Individuums handelt, geht es bei der Planung um die Möglichkeit der Orientierung des kollektiven Wirtschaftslebens auf die Verwirklichung bestimmter Ziele. Und wenn diese Ziele entweder mit jenen gewisser Individuen zusammenprallen, oder wenn ihre Verwirklichung gewissen Individuen äußere Beschränkungen der Handlungsfreiheit auferlegen, die vorher nicht bestanden, dann kann daraus gefolgert werden, dass die Planung tatsächlich eine Beschränkung der persönlichen Freiheit bedingt hat.
Um das Problem jedoch schärfer zu umreißen, müssen wir ihm nun eine neue Dimension hinzufügen. Freiheit wird nur dann ein moralisch wertvoller Begriff, wenn er sich universalisieren lässt. Jede Art von Freiheit, die so beschaffen ist, dass nur ein Teil der Menschen sie ausüben kann, und dass ein wichtiger Teil der Gesellschaft von vornherein von ihrem Genuss ausgeschlossen ist, verdient es nicht, als verteidigenswert angesehen zu werden. Das ist der Grund, warum man konzeptionell einen grundlegenden Unterschied machen muss zwischen der sogenannten politischen oder zivilen Freiheit und der sogenannten ‚Wirtschaftsfreiheit‘, der Freiheit des ‚freien Unternehmers‘, der Freiheit des Privateigentums an Produktionsmitteln. Die Tatsache, dass ich meine Meinung frei in Wort und Schrift ausdrücken will, hindert keinen anderen Bürger daran, dasselbe zu tun. Aber die Tatsache, dass ich die Freiheit fordere, mir Produktionsmittel anzueignen und aufgrund dessen ein Unternehmen zu gründen, hat zur Folge (außerhalb des Bereiches des primitivsten Handwerks und der kleinen Parzellenlandwirtschaft), dass es Menschen gibt, die nicht über die Möglichkeit verfügen, dieselbe Freiheit zu genießen. Denn auf der Grundlage der modernen Technik und des Großbetriebs ist keine Wirtschaft möglich, worin es nur Kapitalisten gäbe und keine Klasse, die der Unfreiheit, dem materiellen Zwang unterworfen wäre, ihre Arbeitskraft an Kapitalisten verkaufen zu müssen.“
Wenn wir also dem formalen Freiheitsbegriff im Kapitalismus – der nur dazu dient, die spezifische Freiheit einer bestimmten Minderheit, der Kapitalbesitzer, zu legitimieren – einen umfassenden Freiheitsbegriff gegenüberstellen, dann müssen wir unweigerlich auch die Bedingungen definieren, unter denen diese Freiheit realisiert werden kann. Eine umfassende, für alle Menschen materiell unterlegte, also wirklich gleiche Freiheit ist nur möglich, wenn es kein Hineingeborenwerden in eine materielle Abhängigkeit mehr gibt. Dies schließt strukturell die Existenz von Kapital aus, also die Möglichkeit, die Arbeit anderer Menschen auszubeuten und dabei Kapital zu akkumulieren. Zu Ende geführt bedeutet dies aber auch, dass die Warenproduktion verschwinden muss. Ernest Mandel dazu im selben Vortrag:
„Es genügt nicht festzustellen, dass die Sozialisierung etwa der Banken, der Grundstoffindustrien und der großen Transportmittel dem Staat die Möglichkeit gibt, die schwersten Auswirkungen der Marktwirtschaft zu verhindern. Man muss hinzufügen, daß jede Ware im Keim die Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise in sich enthält, dass, solange Warenproduktion besteht, diese, um ein Leninwort zu wiederholen, die permanente Tendenz, die sogenannten primitive [ursprüngliche] Akkumulation von Kapital zu erzeugen, an den Tag legen wird, und sobald die Warenproduktion auch auf den Bereich der Produktionsmittel übergreift, sie die Tendenz zeigt, Wirtschaftsfluktuation , d. h. periodische Überproduktion und Arbeitslosigkeit zu erzeugen.“

4.2. Vorteile einer geplanten Wirtschaft
Wenn der Kapitalismus nur über den Markt, also nur ex post, reagieren kann, dann hat die demokratisch geplante Wirtschaftsorganisation aufgrund der vorher (ex ante) gemeinsam festgelegten Produktionsziele und Verteilungsmodalitäten unvergleichliche Vorteile:
·    Zunächst lassen sich über die Erfassung der Bedürfnisse die notwendigen Planziele bestimmen. Dass sich aus der Addition der Einzelinformationen nicht automatisch ein Plan ergibt, versteht sich von selbst. Es müssen verschiedene Varianten einer möglichen Planfestlegung ausgearbeitet und demokratisch entschieden werden (Näheres dazu weiter unten).
·    Die gemeinsam erfassten Bedürfnisse und die daraus abgeleiteten Produktionsziele ermöglichen nicht nur eine unvergleichlich bessere Bedürfnisbefriedigung, es verhindert auch die dem Kapitalismus so typische Verschwendung. Das betrifft nicht nur die Produktion unverkäuflicher Waren und den Aufbau riesiger, nicht genutzter Fabrikanlagen oder Bauruinen (beispielsweise sind in den Jahren 2007 – 2010 in den USA, Irland und Spanien gewaltige Immobilienkrisen aufgetreten). Das betrifft auch solche Sektoren wie Werbung, Rüstungsproduktion, parallele Entwicklung und Verausgabung immenser Forschungs- und Entwicklungskosten (FuE) usw.
·    Dadurch, dass eine geplante Wirtschaft keine Überkapazitäten produziert, kommt es dort auch nicht zu Wirtschaftskrisen.
·    Ressourcen können von der gesamten Gesellschaft so schonend eingesetzt werden (und die Nutzung von Alternativen gemeinsam entschieden werden), dass etwa der Peak Oil oder der Klimawandel keine unlösbaren Probleme bereiten müssen.
·    Die im Kapitalismus typische Fertigung von Wegwerfprodukten und von Ersatzteilen jeweils nur für eine bestimmte Marke könnte umstandslos entfallen. Eine durchgehende Normung von Ersatzteilen (Austauschbarkeit) ist eine der Grundprinzipien, die eine geplante Wirtschaft ohne Schwierigkeit umsetzen könnte, die aber dem Prinzip der Kapitalverwertung widerspricht.
·    Schließlich und ganz und gar nicht als Allerletztes: Kriege wird es nicht mehr geben, weil weder Kapitalinteressen noch vom Kapital geschürter Rassismus oder vergleichbare Motive die Menschen zu dieser Widersinnigkeit treiben können: Kapital wird es keins mehr geben, Waffen (zumindest schon mal die Kriegswaffen) werden abgeschafft und die Menschen haben dann Besseres zu tun, als sich gegenseitig umzubringen.

4.3. Wie kann geplant werden?
Die Frage nach der Ausarbeitung eines realistischen Plans, der sowohl angemessen die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigt als auch keine „Misswirtschaft“ erzeugt, ist berechtigt, denn bisher hat es so was noch nicht gegeben. Aber im Gegensatz etwa zu den mehr als bescheidenen Möglichkeiten, die der Menschheit etwa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Verfügung standen, können wir heute auf ganz andere Instrumente der Datenerhebung und Verarbeitung zurückgreifen.
Paul Cockshott und Allin Cottrell gebührt das Verdienst, mit ihrem Buch „Towards a New Socialism“ vor allem die gewaltigen Kapazitäten der modernen Informationstechnologie dargelegt zu haben.
„Cockshott und Cottrell zeigen, dass die Organisierung der Ökonomie auf der Basis der Arbeitszeitrechnung radikale egalitäre und demokratische Konsequenzen hat. Das Werk-/Denkzeug Computer spielt eine wesentliche Rolle dabei, weil dieser eine Erweiterung der Sinnesorgane insofern ermöglicht, als er die indirekte Kommunikation über den Markt durch direkte Kommunikation in Echtzeit und praktisch nach überall hin ersetzt. Wir werden es zu tun haben mit einer Gemeinschaft von nicht nur gleich Berechtigten, sondern auch gleich Gestellten, für die Wesensmerkmale einer Demokratie in Erscheinung treten können, die Aristoteles in der griechischen Polis auf die freien Bürger bezog: Auf der Agora von heute kann man bequem im Sessel sitzen und den Knopf des interaktiven Fernsehers bedienen, Leitungspersonen werden durch Losentscheid bestimmt …. So lässt sich heute Lenins Gedanke fassen, dass die Köchin die Küche und zugleich den Staat verwalten können muss.“

Paul Cockshott fasste auf einer Konferenz in Berlin 2006 folgendermaßen zusammen:
„In unserem Buch gehen wir davon aus, dass Supercomputer die Planung durchführen und es einen Echtzeit-Feedback-Mechanismus gibt. Dieser Mechanismus beruht auf zwei Quellen: Auf der einen Ebene sind das die Echtzeitdaten darüber, was z. B. tatsächlich in den Geschäften verkauft wird. Alles, was heute aus einem Supermarkt herausgeht, wird über den Barcode eingescannt. Wir verfügen über Computer, die diese Daten auf die Planungscomputer übertragen können, sodass wir einen Echtzeit-Input darüber haben können, was wirklich verkauft wurde.
Zugleich gibt es viele Güter, die nicht als Waren verkauft werden. Über ihre Verteilung müssen demokratische Entscheidungen getroffen werden. Die Verbindung beider Mechanismen würde es einer Wirtschaft gestatten, sehr schnell zu reagieren.“

Seit der Herausgabe ihres Buches, das seinerzeit aufgrund der Umbrüche in Osteuropa kaum Beachtung fand, sind inzwischen fast 20 Jahre vergangen (auch die deutsche Ausgabe 2006 hat die allgemeine Sozialismusdebatte nicht groß beeinflussen können), und heute sind die Möglichkeiten der notwendigen Berechnungen für eine effektive Planung noch um einiges weiterentwickelt.
In ihrem Buch erläutern sie, wie sich eine effektive Planung einer sozialistischen Ökonomie auf mathematische Iterationsverfahren und Simulationstechniken (z. B. neuronale Netze) stützen kann. Dabei legen sie großen Wert auf die Erfassung ökonomischer Verflechtungen (mit Input-/Outputtafeln) und verknüpfen dies mit einer Arbeitszeitrechnung.
In ihrem Konzept muss sich eine Wirtschaft der „gleich Berechtigten und der gleich Gestellten“ auf folgende Säulen stützen: die Arbeitswertlehre, die kybernetische Regulierung und die partizipative Demokratie. Nach ihrer Auffassung muss dies die prinzipielle Grundlage eines „post-sowjetischen Sozialismus sein: radikale Demokratie und effiziente Planung.“

4.4. Kritik des Modells Cockshott/Cottrell
Zurecht stellen Cockshott/Cottrell klar, dass die „Besitzergreifung der sämtlichen Produktionsmittel durch die Gesellschaft“ und ihre Unterstellung unter einen „gemeinsamen Plan“ unabdingbar ist, um diese zwei Ziele zu verfolgen. Aber wir haben doch einige grundsätzliche Vorbehalte gegenüber ihrem Sozialismusmodell.
Erstens ist ihr Heranziehen der Arbeitswertlehre zu statisch, sie geht zu sehr von den Bedingungen im Kapitalismus aus und berücksichtigt zu wenig, welche neuen gesellschaftlichen Beziehungen in einer nach-kapitalistischen Gesellschaft entstehen und weiter entwickelt werden müssen. So gehen Cockshott/Cottrell davon aus, dass jede Arbeitsleistung genau erfasst werden muss, dass die Kosten „qualifizierter Arbeit“ in eine (mathematische) Beziehung zu „nicht-qualifizierter Arbeit“ gesetzt werden müssen usw. Die Bewertung der Arbeit eines Ingenieurs beispielsweise müsste die gesellschaftlichen Kosten für die Ausbildung und die notwendige „Abschreibung“ berücksichtigen und ist dann für die Planer mit einem Faktor X zu berücksichtigen. Cockshott/Cottrell halten es für nötig, die künftig anfallenden Arbeiten in drei Kategorien einzuteilen: gesellschaftlich überdurchschnittlich produktive, durchschnittlich produktive und unterdurchschnittlich produktive Arbeiten. Sie müssen also solche erkannt werden, damit „die Planer“ wissen, wie viel von der jeweiligen Arbeit gebraucht wird. Damit in Zusammenhang steht auch die Berechnung der Renten als ein Teil der Arbeitswerte.
Mit ihrer Versessenheit auf „detaillierte Datenbanken“ schalten sie nicht nur alle menschlichen Veränderungen (vor allem die freien und freiwilligen Beiträge zur Gesellschaft) aus, sie bleiben vollkommen dem Prinzip des nachweisbaren Ausgleichs von Geben und Nehmen verhaftet. Eine sehr statische Sicht und im krassen Gegensatz etwa zur Sicht eines Che Guevara, der in der kubanischen Planungsdebatte zu Beginn der 60er Jahre unter anderem auch die Notwendigkeit der Förderung eines „neuen Menschen“ betont hat.
Zweifellos ist es für eine geplante Wirtschaft sinnvoll (zumindest in der Phase der Übergangsgesellschaft), Arbeitswerte zu erfassen, um eine ausreichende Grundlage für eine effektive gesamtgesellschaftliche Planerstellung und die Ausgabe von „Berechtigungsscheinen“ zu haben. Aber mit mathematischen Berechnungen alleine lassen sich nicht die Bedürfnisse ausreichend erfassen und die grundsätzlichen Alternativen für verschiedene Planvarianten herausarbeiten. Enthüllend ist Cockshotts Vorschlag, die an der Ladentheke verkauften Konsumgüter (demnach sind es Waren!) über Barcode in Echtzeit zu erfassen. Nicht die vorherige (ex ante) Erfassung der Bedürfnisse und ihre Eingabe in die Planerstellung (in Verbindung mit den Verbrauchsdaten vorangegangener Perioden!) soll die Grundlage sein, sondern das, was die Verbraucher als Waren (!) einkaufen!

Zweitens steckt hinter der Detailversessenheit im Nachweis der Berechenbarkeit von notwendigen Planvorgaben ein eingeschränkter Sozialismusbegriff. Deutlich zum Ausdruck kommt dies am Festhalten an der Warenkategorie. Sie gehen von einer umfassenden Steuerung des Konsums über die Austeilung (Zuteilung und Erwerb) von Arbeitsgutscheinen aus. Auch die Renten sind letztlich an diesen Mechanismus gekoppelt, weil der Preis der Waren neben den Arbeitswertgutscheinen eine anteilige Abgabe für die Renten vorsieht. Letztlich bleiben Cockshott/Cottrell bei der „Besitzergreifung der sämtlichen Produktionsmittel durch die Gesellschaft“ und ihrer Unterstellung unter einen „gemeinsamen Plan“ stehen.
So sehr die rein mathematische Seite ihrer Rechenbeispiele überzeugt: Das grundsätzliche Festhalten an der Warenkategorie im Konsumgütersektor würde das ganze Projekt des Sozialismus auf wacklige Beine stellen. Cockshott/Cottrell gehen von einer umfassenden Steuerung des Konsums (Begrenzung/Zuteilung) über den Erwerb (und Zuteilung) von Arbeitsgutscheinen aus. Die Grundidee des „Marktalgorithmus“ von Cockshott/Cottrell beruht auf der Ermittlung des Verhältnisses von Gleichgewichtspreis und Arbeitswert. Dieses Verhältnis sollte Cockshott/Cottrell zufolge bei 1 (gemeint ist 1:1) liegen. Der tatsächlich zu zahlende Preis sollte höher liegen (also beispielsweise bei 1,3), weil er auch Abgaben enthalten sollte.
Dabei können sie sich u. E. nur in Teilaspekten auf Marx stützen (s. Kasten).

Karl Marx in seiner Kritik des Gothaer Programm der deutschen Sozialdemokratie von 1875

„Es herrscht hier [im Programm des Gothaer Parteitags] offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt, soweit er Austausch Gleichwertiger ist. Inhalt und Form sind verändert, weil unter veränderten Umständen niemand etwas geben kann außer seiner Arbeit und weil andererseits nichts in das Eigentum der einzelnen übergehen kann außer individuellen Konsumtionsmitteln. Was aber die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft, herrscht dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten, es wird gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer andern ausgetauscht.
Das gleiche Recht ist hier daher immer noch – dem Prinzip nach – das bürgerliche Recht [….] Das Recht kann nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft.
In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden: nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“
Im Einklang mit Marx meinen wir, dass die Zurückdrängung der Warenproduktion auch im Konsumsektor ständiges Ziel sein muss. Alles nur in Kategorien des „gerechten Tauschs“ zu sehen (also des Erwerbs von Gütern im selben Ausmaß, wie Arbeitsgutscheine erworben wurden), würde letztlich die Nachteile der Warenproduktion nicht endgültig überwinden können und trüge den Keim des Wiedererstarkens der Warenproduktion auch in anderen Sektoren nach sich. Der Schwerpunkt der politischen und wirtschaftspolitischen Entwicklung muss vielmehr auf der zunehmenden freien Zurverfügungstellung aller notwendigen Mittel zur Daseinsvorsorge liegen, verbunden mit dem Ausbau menschlicher Solidarität, also auch des „Gebens ohne Rechnung“. Nur dann kann die Menschheit auf Dauer eine neue Stufe menschlicher Zivilisation

Drittens plädieren Cockshott/Cottrell für die „direkte Demokratie“ als Gegensatz zur Rätedemokratie. So sehr einige ihrer Überlegungen zur „direkten Demokratie“ wichtige Anregungen enthalten, so müssen wir doch der Sonderstellung, die sie den „Planern“ beimessen, entschieden widersprechen.
Eine sinnvolle und wirklich demokratische Planung kann nicht so ablaufen, dass letztlich die „Planer“ faktisch mehr Kompetenzen haben als die übrige Bevölkerung. Sicherlich werden Fachleute bestimmte Vorarbeiten leisten müssen. Und klar muss auch sein, dass nicht über Tausende von unterschiedlichen Detail- bzw. Einzelplanungen in einem aufwändigen Verfahren von der Gesamtbevölkerung entschieden werden kann. Aber sie müssen Bestandteil von Grundalternativen sein, die der Bevölkerung zur Entscheidung vorgelegt werden.

4.5.    Planungsziel
Grundsätzlich muss eine nicht-kapitalistische Wirtschaftsordnung – also schon in der Übergangsgesellschaft vom Kapitalismus zum Sozialismus – darauf ausgerichtet sein, die Warenkategorie zurückzudrängen und systematisch den Sektor bargeldloser Bedarfsdeckung auszubauen.
„Sobald die marginale Nachfrage-Elastizität einer Ware (bei wachsendem Einkommen) dem Nullpunkt zustrebt oder sogar negativ wird, kann zu bargeldloser Verteilung in diesem Bereich übergegangen werden, ohne dass dies für die Gesellschaft die Gefahr größerer Verschwendung von Ressourcen mit sich bringt. Freie Konsumwahl kann durch die Technik der vorherigen unmittelbaren Befragung der Konsumenten, durch verschiedene dazu geeignete Mittel geschehen. Dieselben Techniken können, nebenbei gesagt, auch heute schon in vielen Bereichen verwendet werden, denn sie geben viel direkter als der Umweg über den Markt Aufschluss darüber, was der Konsument wirklich wünscht.
Je mehr der gesellschaftliche Reichtum wächst, umso mehr Waren kommen in die Lage, wo ihre marginale Nachfrage-Elastizität bei wachsendem Einkommen tatsächlich negativ wird (in den am meisten entwickelten Industriestaaten ist dies heute bereits für Brot, Kartoffeln, gewisse Gemüse und Obstsorten, und sogar gewisse Fleischsorten und z. T. Zucker der Fall).
Je mehr der rationale Verbrauch einer wachsenden Reihe von Waren an Stelle des quantitativ zunehmenden Verbrauchs tritt, umso mehr hat der steigende materielle Reichtum die Tendenz, die Bedürfnisdeckung einer wachsenden Zahl von Menschen zu ‚entdinglichen‘, d. h. Frei-Zeit-Beschäftigung, kulturelle Tätigkeit, Schulung usw. an Stelle der Anhäufung von materiellen Gütern zu stellen. Um es noch schärfer auszudrücken: Je mehr der gesellschaftliche Reichtum steigt, umso weniger können zusätzliche Dinge die Menschen tatsächlich befriedigen. Dies ist der tiefere Grund der wachsenden Leere des menschlichen Lebens gerade in den sogenannten ‚reichen‘ Industriestaaten. In einer sozialistischen Gesellschaft muss dann in wachsendem Ausmaß Beschäftigung mit Menschen an Stelle der Beschäftigung mit Dingen, die Humanisierung gesellschaftlicher Beziehungen an Stelle der Verdinglichung treten. Das Absterben der Warenproduktion schafft die notwendigen gesellschaftlichen und psychologischen Vorbedingungen für diese Entwicklung.“
Wir wollen aber auch mit Mandel hinzufügen: Das Verschwinden der Warenproduktion muss zwar das gesellschaftliche Ziel sozialistischer Planung sein, aber es lässt sich nicht administrativ durchsetzen:
„Der Versuch, eine sozialistische Distributionsweise, eine sozialistische Moral oder ein sozialistisches Bewusstsein künstlich durch Propaganda und Indoktrination zu erzeugen, bevor die materiellen Vorbedingungen dazu bestehen, ist eine offensichtlich voluntaristische Entgleisung des Marxismus, und er ist zum Scheitern verurteilt. Aber ein anderer Versuch ist genauso zum Scheitern verurteilt und stellt genauso eine – diesmal mechanistisch deterministische – Entgleisung des Marxismus dar, der Versuch nämlich, erst die materielle Produktion mit steigender Benützung der Warenproduktion voranzutreiben, die Menschen in steigender Weise auf den Erwerb materieller Güter und privater Bedürfniserfüllung über materielle Anreize auszurichten, die ganze gesellschaftliche Atmosphäre dadurch mehr mit egoistisch-materiellen Motiven zu durchtränken, die gleichzeitig eine wachsende Verdinglichung der zwischenmenschlichen Beziehungen bedingen – und gleichzeitig zu hoffen, dass durch irgendein Wunder das Wachstum des materiellen Reichtums an irgend einem Punkt plötzlich die völlig gegenteilige gesellschaftliche Atmosphäre von verschwindendem Egoismus, wachsender gesellschaftlicher Solidarität und rein-moralischem Arbeitsanreiz automatisch erzeugen wird.“
Dabei müssen wir sowohl die Entwicklung unmittelbarer menschlicher Solidarität im Auge haben wie auch die gesamtgesellschaftliche (letztlich auch auf die Zukunft ausgerichtete) Vernunft.
„Es gibt keine fundamentale Logik in der Dialektik von mikroökonomischer Effizienz und makroökonomischer (makrosozialer) Vernunft. Zur Befriedigung der Bevölkerungsbedürfnisse (auch solcher makrosozialer Natur wie etwa Umweltschutz) kann nicht mehr als die Summe der vorhandenen Mittel und Ressourcen verwendet werden. Je grundlegender die Befriedigung sein soll, um so mehr Ressourcen werden dafür aufgewendet werden müssen, auch wenn in manchen Bereichen, wie zum Beispiel beim Energieverbrauch, Einsparungen durch weniger verschwenderisches Wirtschaften möglich ist.“
Die Umstellung von Warenform auf bargeldlose Verteilung wird möglich, wenn die marginale Nachfrage-Elastizität dem Nullpunkt zustrebt oder sogar negativ wird. Je reicher die Gesellschaft ist, desto geringer wird die Rolle zusätzlicher Bedürfnisse sein.

4.6.    Planungsinstrumente und Planungsmechanismen
Ausgangspunkt unsrer Vision einer geplanten Wirtschaft sind die zwei folgenden Grundfeststellungen:
Schon in der kapitalistischen Gesellschaft gibt es eine wachsende objektive Vergesellschaftung der Arbeit, also eine wachsende gegenseitige Bedingtheit und Abhängigkeit der Arbeitsprozesse und der Auswahl und Produktion von Gütern, die wir verbrauchen. Eine Planung der Wirtschaft muss auf dieser grundlegenden Erkenntnis aufbauen. Eine nicht-kapitalistische Gesellschaft kann sich nicht auf ein Zurück zum isolierten „Familienbetrieb“ orientieren. Und mit dem Wachstum der kapitalistischen Unternehmen (Zunahme der Produktion, Ausdehnung der Fertigungspalette, geografische Ausdehnung vor allem bei den multinational tätigen Konzernen) weitet sich auch die geplante Organisation der Arbeit aus. Gleichzeitig ist damit im „Gesamtarbeiter“ auch die Kompetenz angelegt, die Produkte so oder anders zu projektieren und zu fertigen.
Zweitens gibt es im Kapitalismus einen schreienden Widerspruch zwischen der Rationalität auf der betrieblichen Ebene und der Irrationalität des Gesamtsystems. Ernest Mandel schreibt dazu in „Der Spätkapitalismus“:
„Andererseits führt der im Widerspruch zwischen wachsender Vergesellschaftung der Arbeit und privater Aneignung wurzelnde objektive Gegensatz zwischen Teilrationalität und Gesamtrationalität, der für die kapitalistische Produktionsweise kennzeichnend ist, im Zeitalter des Spätkapitalismus zu einer solchen Potenzierung dieser Gesamtirrationalität, daß sie nicht nur die bestehende Gesellschaftsform, sondern die menschliche Zivilisation mittelfristig bedroht. Daß es nicht nur irrational und sinnlos, sondern geradezu gemeingefährlich ist, den ‚freien Verkauf‘ von Atombomben und Giftgasen zu gestatten, versteht mittlerweile jedes Kind. Und daß die dem Profitstreben überlassene Privatinitiative zur ‚freien Erzeugung‘ und zu ‚freiem Verkauf‘ vergifteter Lebensmittel, gesundheitsschädlicher Pharmaka und Drogen, unsicherer PKWs, Umwelt gefährdender Chemikalien die Menschengattung genauso mit Vernichtung bedroht wie Kernwaffen, wird mittlerweile sogar von der Forschung dokumentiert. […] Nur weigern sich die Experten, die notwendigen gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen aus dieser Analyse zu ziehen: Die Wurzel des Übels liegt in der Fortdauer der Warenproduktion, d. h. der Wiedervereinigung von Arbeitsteilung und Sozialisierung der Arbeit über den Umweg von Marktgesetzen, d. h. in der Verdinglichung aller menschlichen Beziehungen, und in der Umwandlung sämtlicher Wirtschaftstätigkeiten aus Mitteln zum Zweck – Befriedigung rationaler menschlicher Bedürfnisse, Erweiterung menschlicher Lebenspotenzen – in Selbstzwecke. Nur eine unmittelbare Vergesellschaftung der Produktion und ihre bewusste Unterwerfung unter demokratisch bestimmte allgemeine Lebens- und Entwicklungsbedürfnisse aller Menschen können zu einer Neuentwicklung von Technologie und Naturwissenschaft führen, die die Selbstverwirklichung und nicht die Selbstzerstörung der Individuen impliziert.“

Krise der kapitalistischen Produktionsverhältnisse

„Die Krise der kapitalistischen Produktionsverhältnisse erscheint so als Krise eines Systems von Beziehungen zwischen Menschen innerhalb der Produktionseinheiten und zwischen den Produktionseinheiten (Betriebe), das der bestehenden und potentiell entwickelbaren technischen Grundlage der Arbeit immer weniger entspricht. Wenn wir diese Krise sowohl als Krise der kapitalistischen Aneignungs-, Verwertungs- und Akkumulationsbedingungen wie auch als Krise der Warenproduktion, als Krise der kapitalistischen Arbeitsteilung, als Krise der kapitalistischen Betriebskultur, als Krise des bürgerlichen Nationalstaates und als Krise der Subsumtion der Arbeit unter das Kapital kennzeichnen, so handelt es sich dabei nur um verschiedene Aspekte einer Wirklichkeit, d. h. einer gegebenen sozialökonomischen Totalität: der kapitalistischen Produktionsweise.“ Ernest Mandel, Der Spätkapitalismus, Frankfurt (suhrkamp), 1972, S. 507

„Ist dagegen die kapitalistische Produktionsweise, d. h. die verallgemeinerte Warenproduktion aufgehoben, dann kann die objektive Vergesellschaftung der Arbeit a priori von den assoziierten Produzenten anerkannt werden. Dann werden die Wirtschaftsressourcen planmäßig nach gesellschaftlich bestimmten Prioritäten über die verschiedenen Wirtschaftszweige verteilt. Und dann ist unter Bedingungen unmittelbar gesellschaftlicher Natur der Arbeit die Kategorie der ‚gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit‘ (des gesellschaftlich notwendigen Arbeitsquantums) genauso wie die Kategorie der Verwertung des Kapitals gegenstandslos geworden.“
Wenn nun der emanzipierte „Gesamtarbeiter“ – also nach der Revolution die Gesamtheit der heute lohnabhängig Beschäftigten unter Einschluss der restlichen 10% der Werktätigen  (d. h. der heute Selbstständigen) – an die Planung der Wirtschaft geht, so wird er zwar eine völlig neue Wirtschaftsorganisation durchsetzen müssen, wird aber beim dazu notwendigen Datenmaterial und den dafür nötigen rechnerischen und organisatorischen Kompetenzen nicht bei Null anfangen.
4.7.    Datenerhebung
Alec Nove hatte in seinem Buch behauptet: Eine koordinierte Selbstverwaltung ist im makroökonomischen Bereich undurchführbar, und die einzelnen Betriebe arbeiteten auch nicht effizient. Deswegen trat er für eine (sozialdemokratisch motivierte) Form der sozialistischen Marktwirtschaft ein.  Es sollten nach seiner Auffassung am besten nur die großen, infrastrukturell bedeutsamen Betriebe verstaatlicht werden, aber die Warenproduktion als solche wurde von ihm nicht infrage gestellt. Seine Aufarbeitung der Erfahrungen der Misswirtschaft in der Sowjetunion bewegte ihn zu der Annahme, dass eine gesamte Volkswirtschaft einfach „nicht planbar“ sei. Es gäbe dabei zu viele Entscheidungen zu treffen, und die Masse der Produzenten könne nicht a priori bewusst abschätzen, welche dieser Produkte in welchem Ausmaß produziert werden sollten.
Grundsätzlich wird aber eine geplante Wirtschaft zwei wesentliche Datenquellen haben:
·    Zum einen die auf den verschiedenen Ebenen erfassten Antworten auf die Fragen des künftigen Bedarfs. Dies so zu organisieren, dass sowohl bei den Produktionsmitteln wie bei den Konsumtionsmitteln die konkreten Bedürfnisse aufgelistet und zusammengetragen (gebündelt) werden, ist mit den heutigen Datenerfassungsprogrammen der geringste Aufwand und wird quasi nebenher laufen können.
·    Zum anderen die Auswertung der realen Bedarfe in den vorangegangenen Perioden. Gerade auf diese Ebene hat Ernest Mandel in der berühmt gewordenen Debatte mit Alec Nove deutlich hingewiesen:
„Die Masse der heutigen Produktion richtet sich nach Verbrauchsmustern, die sich eingependelt haben und nach im Vorhinein festgelegten Produktionstechniken, die weitgehend, wenn nicht gar vollständig vom Markt unabhängig sind. Wie ist es dazu gekommen? Es ist genau das Ergebnis der objektiv zunehmenden Vergesellschaftung der Arbeit.“
Mandel weist beispielsweise darauf hin, dass das Produktionsausmaß für Ersatzteile, Maschinen, Rohstoffe ohnehin durch technische Faktoren bestimmt ist. Es ergibt sich „somit entweder innerhalb der Firmen selbst oder aus konkreten Abmachungen zwischen Abnehmern und Produzenten.“

 

5.    Planung im Kapitalismus
5.1. Programme der Datenverarbeitung
Auf der Ebene der Datenverarbeitung ist heute ein gewaltiges Potenzial vorhanden, denn kapitalistische Betriebe und Konzerne verarbeiten mit den Programmen, die in den letzten Jahrzehnten entwickelt wurden, gewaltige Datenmengen und planen damit bis ins letzte Detail die gesamten Abläufe in den Betrieben und Konzernen. Diese Programme wurden in den 70er Jahren zunächst als getrennte BDE- und PPS-Programme entwickelt (Systeme zur „Betriebsdatenerfassung“ und „Produktionsplanung und –steuerung“). Nach heutigen Maßstäben waren sie recht primitiv, denn sie waren keine integrierten Programme und waren deswegen auch so unflexibel, dass zumindest für die kleineren und mittleren Betriebe im Zweifelsfall die Nachfrage vor Ort (also in der Fertigungshalle oder in der Verkaufsabteilung usw.) den Ausschlag für die eine oder die andere Entscheidung gab (Bestellungen, Angebotsunterbreitung, Rechnungslegung usw.). Dennoch waren diese Programme natürlich schon um Welten weiter entwickelt, als sie die Planungsbehörde der bürokratisch und diktatorisch regierten Sowjetunion (die Gosplan) bei ihrem forcierten Industrialisierungsprogramm in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zur Verfügung hatte. Auch das Kuba des Che, also die kubanische Planungsbehörde in der ersten Hälfte der 60er Jahre, kannte nichts Vergleichbares.
Danach wurden von den sogenannten Softwareschmieden, allen voran der deutschen SAP, integrierte Programme entwickelt, zunächst als MRP (Manufacturing Ressource Planning, ein Teilbereich der Produktionsplanung, also eine Sekundärbedarfsplanung), danach als MRP II – Systeme (funktionsbereichsbezogene Planung) und schließlich die ERP-APS-Programme (Enterprise Ressource Planning System; APS: Advanced Planning and Scheduling). Lange Jahre war das SAP R/3 das dominante System. Es wurde dann von SAP weiterentwickelt zu SAP ERP ECC (ECC steht für ERP Central Component).
Die modernen ERP-Programme umfassen alle Bereiche eines Unternehmens/Konzerns. Es baut auf den Daten der ERP-Programme der Zulieferer auf und nutzt dabei die jeweilige SCM-Software (Supply Chain Management). Dies ist eine der Voraussetzungen für die Umsetzung der schlanken Produktion (lean production), die mit möglichst geringer Lagerhaltung und punktgenauer Anlieferung die Lager- und Verwaltungskosten minimiert. Das Einbinden der Zulieferer über die SCM-Software in eine konzernweite (und damit auch weltweite) Lieferkette ist eine der Charakteristika des heutigen industriellen Kapitals, wird aber auch in anderen Bereichen eingesetzt.
Gablers „Wirtschaftslexikon“ schreibt zur Weiterentwicklung der ERP-Systeme:
„Mit zunehmender Vernetzung der Unternehmen in Form sog. Supply Chains reicht eine rein unternehmensbezogene Planung und Steuerung heute nicht mehr aus. Die Geschäftsprozesse sind vielmehr unternehmensübergreifend zu planen und zu steuern. Softwaresysteme, die eine derartige unternehmensübergreifende Planung und Steuerung der Geschäftsprozesse im Sinne des Supply Chain Managements unterstützen, werden als SCM- oder APS-Systeme bezeichnet […] Ermöglicht wurde der Einsatz von APS-Systemen durch die rasante Verbreitung der Internet-Technologie Ende der 1990er Jahre.“ Und: „APS-Systeme lösen den Einsatz von ERP-Software in den Unternehmen somit nicht ab, sondern integrieren die ERP-Systeme verschiedener Unternehmen entlang der Supply Chain und optimieren durch die Bereitstellung fortschrittlicher oder fortgeschrittener („advanced“) Algorithmen die unternehmensübergreifenden Geschäftsprozesse.“
Was das in den Betrieben konkret bedeutet, können alle berichten, die heute in einem mittleren oder größeren Industriebetrieb arbeiten. Auf Knopfdruck steht der Leitungsebene in Bruchteilen einer Sekunde praktisch jede nur erdenkliche Information zur Verfügung: Lagerbestände, Bestellmengen der Zulieferteile, Lieferantenauflistungen mit Eingruppierung in die A-, B- oder C-Kategorie (also Erstlieferant, Ersatzlieferant, weil nicht ganz so zuverlässig usw.), Stand der eigenen Produktion (in welchem Arbeitsgang befindet sich gerade dieses oder jenes Produkt oder dieser oder jener Auftrag), wie viele Menschen arbeiten gerade daran (im Zweifelsfall, wenn es keine gute Betriebsvereinbarung gibt, auch: Wer arbeitet gerade daran?), was haben diese Produkte bei der letzten Auslieferung der Firma real gekostet, wie wurden sie fakturiert, wie hat der Kunde bezahlt, was ist von welchen Kunden für wann bestellt, bis wann kann der eigene Betrieb (oder ein anderer Betrieb des Konzerns) dies mit den vorhandenen Kapazitäten fertigen? Usw., usf.
Mit diesen Programmen werden nicht nur die Abläufe in den Betrieben gesteuert, es werden auch die anderen Betriebe des Konzerns von der Zentrale aus mitgesteuert, und zwar weltweit. Die entsprechende Software muss also „multi-site“-fähig sein (also alle Betriebsdaten anderer Standorte direkt einsehen können), sonst ist sie für Konzerne nicht brauchbar und heute im besten Fall noch für einen isolierten mittelständischen Betrieb interessant.
Und zu den Zeiträumen, für die geplant wird, stehen die Konzerne dem kapitalistischen Staat in nichts nach. Im Gegenteil: Ein imperialistischer Staat der Größenordnung der BRD plant nur für ganz wenige Bereiche weiter als für die nächsten 5 Jahre. Die großen Konzerne müssen angesichts der enormen Kapitalmengen, die beispielsweise für die Erkundung von Rohstofflagerstätten und ihre Ausbeutung erforderlich sind, in Zeiträumen von zehn bis im Extremfall zwanzig Jahren planen. Noch länger zu planen gibt für kapitalistische Unternehmen nicht so sehr viel Sinn, weil damit verbundene Investitionen nicht zu lange auf ihren Return warten dürfen, also darauf, dass sich die Anlage wenigstens amortisiert hat und beginnt Gewinn abzuwerfen. Eine nicht-kapitalistische Ökonomie hingegen, die gerade wegen ihrer Fähigkeit der Globalisierung von Kosten (also der Umlegung der Kosten auf die Gesamtgesellschaft) qualitativ andere Möglichkeiten hat, wird bei Infrastrukturmaßnahmen von vornherein in ganz anderen Zeiträumen planen.
Die ERP-Programme sind in den einfachen Versionen recht erschwinglich (zwischen 200 000 und 400 000 Euro, komplexere können auch ein paar Millionen kosten) und werden von einer Vielzahl von konkurrierenden Software-Firmen angeboten (auch das eine der zwangsläufigen Idiotien des Kapitalismus, denn auch hier werden nicht die schon vorhandenen Entwicklungen aller anderen Entwicklerteams zur weiteren Optimierung zur Verfügung gestellt, sondern auch hier – wie ständig im Kapitalismus – wird an sehr vielen Stellen parallel das Rad jeweils neu erfunden).

5.2. Planung in den Konzernen
Wenn mensch diese gewaltigen Planungskapazitäten nur ansatzweise kennt, dann wird sofort ersichtlich, dass damit auch was ganz Anderes geplant werden kann, nämlich eine ganze Volkswirtschaft.
Denn auf der Ebene der Größenordnung der zu bewältigenden Datenmengen und der zu erstellenden Pläne ist das überhaupt kein Problem. Diese Konzerne fertigen ja nicht nur ein einziges Produkt (oder Produktreihe), sondern sind zusammengesetzt aus ganz unterschiedlichen Intra-Konzern-Zulieferern und Fertigungsstätten und sind gleichzeitig auf ganz unterschiedlichen Geschäftsfeldern aktiv, mit zum Teil sehr ausgeprägten Fertigungstiefen (d. h. längst nicht alle sind nur auf die Durchführung eines oder weniger Arbeitsgänge konzentriert). Sie sind also vom Prinzip her (was die Menge der zu verarbeitenden Daten und die zu bewerkstelligende Planungsleistung angeht) heute schon sehr wohl mit einer kleineren bis mittleren Volkswirtschaft zu vergleichen. Und geleitet werden diese gewaltigen Wirtschaftsmächte von einem kleinen Stab von Entscheidern, ohne dass es eine breite Beteiligung und reale Mitwirkung der wirklichen Produzenten gibt.
Zur Größenordnung der Umsätze ausgewählter Konzerne im Vergleich zum BIP einiger Volkswirtschaften:

Konzerne                                      Länder

Konzern-rangNameUmsatzAnzahl der BeschäftigtenLänder-rangLandBIP in Mrd. $
in Mrd.$
1Shell458,361102 00019Schweiz494,622
2Exxon Mobil442,85145 22020Belgien470,4
3Wal-Mart405,6072 100 00021Polen430,197
4BP367,05392 00022Schweden405,44
5Chevron263,15966 71623Norwegen382,983
6Total234 67496 95924Österreich381,888
7ConocoPhillips230,76433 80025Taiwan378,969
8ING Groep226,577125 28526Saudi Arabien369,671
9Sinopec207,814639 69027Venezuela337,295
10Toyota Motor204,352320 80828Griechenland330,78
11Jap.Post Group198,7233 40029Iran330,461
12General Electric183,207323 00030Argentinien310,065
13Chin.Nat.Petro181,1231 618 39331Dänemark309,252
14Volkswagen166,579369 92832Südafrika287,219
18General Motors148,979243 00033Thailand263,889
19Ford Motor146,277213 00034Finnland238,128
23Daimler140,328237 21635Ver.Arab.Emirate229,971
26E.ON127,27893 53836Kolumbien228,836
30Siemens123,595420 80037Portugal227,855
64Fiat86,914193 34838Irland227,781
74ThyssenKrupp80,21199 37439Hongkong210,731
78BMW77,864100 04140Tschechien194,825
89RWE71,85162 90841Israel194,825
98Bosch66,052281 71742Malaysia191,463

Mit anderen Worten: Jeder einzelne der ersten 10 Konzerne setzt jährlich mehr um als das jeweilige Bruttoinlandsprodukt ganzer Länder wie Tschechien, Israel, Malaysia usw. Und wenn wir nur auf die ersten drei Konzerne schauen, so setzen sie jeder einzelne von ihnen bereits mehr um als ein ganzes Land wie Schweden oder alle nachfolgenden (Norwegen, Griechenland usw.).
Aber auch eine ganze Reihe von Großereignissen werden heute über Jahre hinweg geplant, einschließlich der ganzen Baumaßnahmen, Sicherheitskonzepte usw. So werden Olympische Spiele 8 Jahre im Voraus geplant, die entsprechende Infrastruktur (zumindest Verkehrswege und Versorgungseinrichtungen) in der betroffenen Region neu konzipiert und gebaut, Menschen gewaltsam umgesiedelt usw.
Allein schon die Fußball-WM 2010 hat über 4 Mrd. Euro gekostet. Und auch hier wird der Irrsinn kapitalistischer Politik allzu offenbar: Schon in Portugal hatte sich erwiesen, dass Stadien, die ausschließlich für ein Großereignis gebaut wurden (Fußball-EM) nachher nicht mehr ausreichend genutzt werden können und dann dem Staat gewaltige Unterhaltskosten verursachen. Eine gesamtgesellschaftliche Planung, bei der die Menschen gemeinsam bestimmen, was über den Tag hinaus mit diesen Bauwerken geschehen soll, kann es im Kapitalismus nicht geben, denn es widerspräche sowohl dem Geltungsbedürfnis der Veranstalter wie auch dem Verwertungsinteresse des Kapitals (Fernsehanstalten, Baukonzerne usw.)
Wenn also mit einem ERP-System große Konzerne (oder über Jahre hinweg die Planung eines Großereignisses wie Weltausstellungen, Olympische Spiele usw.) zentral zu steuern ist, wieso sollte es dann nicht möglich sein, auch eine ganze Volkswirtschaft mit vergleichbaren Programmen zu planen? Die diversen Konzerne sind beileibe keine Betriebe, die nur mit einem Produkt handeln, sondern komplexe Strukturen mit zum Teil sehr großen Fertigungstiefen. In diesen Konzernen wird streng nach betriebswirtschaftlicher Rentabilität gearbeitet. Nicht profitable Bereiche werden liquidiert und das Personal entlassen („freigesetzt“).
Und: Dieser Vergleich schließt noch nicht die Anzahl der Beschäftigten in den Zulieferbetrieben ein, die ja letztlich von den Konzernen (indirekt) mitgeplant werden. Hier ist speziell in der Autoindustrie ein Faktor von 1 zu 7 die Regel. Das heißt: In der Zulieferindustrie ist noch mal das Siebenfache des Personals der eigentlichen Autokonzerne beschäftigt.
Nebenbei sei angemerkt: Die obige Liste sagt noch nichts über die Profite aus. Auch hier ist eine Gegenüberstellung äußerst aufschlussreich:
Exxon Mobile hat im Jahr 2008 mehr als 404,5 Mrd. $ umgesetzt und dabei einen Gewinn von 45,2 Mrd. $ gemacht. Das sind Traumrenditen, die außerhalb der Öl-Industrie sonst nur von der Pharmaindustrie erzielt werden. Zur Erläuterung: Eine Umsatzrendite von mehr als 10% (in der Metallindustrie bewegt sie sich in den letzten 30 Jahren im Schnitt zwischen 1,5 und 3,5 %) kommt im Fall von Exxon Mobil schätzungsweise (genaue Zahlen stehen nicht zur Verfügung) auf eine Umsatzrendite von über 10% (!) und eine Kapitalrendite (marxistisch ausgedrückt: Profitrate) von mehr als 25%! Nicht alle Konzerne haben solche Traumrenditen, aber in den allermeisten Fällen haben sie doch ganz beachtliche Renditen (Gesamtprofite, nicht Profitraten!).
Im Gegensatz dazu haben praktisch alle Länder dieser Welt nicht nur große Schulden angehäuft, sondern gerade im Rahmen der aktuellen Krise 2007 – 2010 Riesenschübe an Zusatzverschuldungen zu verzeichnen, und zwar nicht zuletzt, weil sie mit Steuermitteln eine ganze Reihe von Konzernen vor Verlusten (oder dem Untergang) bewahrt haben, allen voran die Banken. Allein die Verschuldung der 82 wirtschaftsstärksten Länder ist heute genauso groß wie das jährliche Bruttoinlandsprodukt aller Länder zusammengenommen, nämlich 48 Billionen US $. Selbst wenn keine neuen Schulden dazukämen (was reine Illusion wäre), dann bräuchten diese 82 Länder bei einer jährlichen Abzahlungsrate von 3% des BIP (was für die Bundesrepublik immerhin 75 Mrd. € wären!) 33 Jahre, ohne Preissteigerungen und ohne Zinseszinsen – und ohne neue Schuldenaufnahme! Eine Situation, die über kurz oder lang zu weiteren großen Einbrüchen und einer Fortführung und Vertiefung der Krise führen wird.
Im Vergleich dazu haben allein die 100 größten börsennotierten Unternehmen – abzüglich der in der Bilanz ausgewiesenen Verluste einiger dieser Konzerne! – nach unsrer Rechnung im Jahr 2008 einen Gesamtgewinn von sage und schreibe 332 Mrd. $ gemacht. Hier ist zu beachten, dass ein Großteil der in dieser Bilanz ausgewiesenen Verluste (die wir wie gesagt gegengerechnet haben) nur auf dem Papier stehen, in jedem Fall via Verlustübertrag sich in den folgenden Jahren steuermindernd auswirken.
Zweitens muss angemerkt werden, dass in den Zahlen der obigen Tabelle die Gewinne der nicht-börsennotierten Unternehmen gar nicht erfasst sind, also Boehringer Ingelheim, Cargill, Koch Industries (die beiden Letztgenannten haben allein im Jahr 2007 mehr als 200 Mrd. $ umgesetzt), der in der Schweiz ansässige Rohstoffhändler Glencore (Umsatz 2007: 142,3 Mrd. $), Saudi Aramco (216 Mrd. $), National Iranian Oil Company (101,6 Mrd. $) usw.
Von diesen und vielen anderen Konzernen stehen die Gewinnzahlen nicht zur Verfügung. Aber wir wagen hier eine grobe Schätzung: Allein der jährliche Gewinn der 500 größten Konzerne (Global Player) dürfte nach unsrer überschlägigen Berechnung in einer Größenordnung zwischen 600 und 900 Mrd. $ liegen (gegenüber dem jährlichen Anstieg der Staatsschulden von mehreren Hundert Milliarden $!).
Die 82 großen Volkswirtschaften der Welt werden Ende 2010 auf einen Schuldenstand von 48 Billionen Dollar kommen. Das amerikanische Wirtschaftsforschungsinstitut Global Insight geht davon aus, dass die Schulden im nächsten Jahr (2011) um weitere 10% auf gut 52 Bio. $ steigen werden. Mehr als ein Drittel der Schulden dieser 82 Ländern fallen auf die USA.
„Die Neuverschuldung der 82 Staaten lag 2007 schon bei 247 Milliarden Dollar. In diesem Jahr wird sie auf einen Rekordwert von 3 667 Milliarden Dollar klettern. Und selbst im Jahr 2014 dürfte den Experten von Global Insight zufolge ein Niveau erreicht werden, das mit 1 737 Milliarden Dollar viel höher ist als zu Vorkrisenzeiten.“ Wir möchten allerdings hinzufügen, dass die letzte Zahl eher eine Wunschzahl der Haushaltsplaner ist. Realistischerweise muss eher mit einem Anstieg als mit einer Reduzierung gerechnet werden. Jedenfalls ist eine Reduzierung der Neuverschuldung um ca. 50% eine völlige Illusion.
Unter bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftlern gilt die 90-Prozentmarke als gefährliche Schwelle: Wird dieser Prozentsatz der Gesamtverschuldung, gemessen am jährlichen BIP eines Landes, überschritten, dann droht ein Teufelskreis, eine Schuldenfalle, aus der es auch mit den üblichen „Sparprogrammen“ kein Entrinnen gibt. Deutschland wird den Prognosen zufolge im nächsten Jahr bei 74 % liegen, aber Belgien, Griechenland, Italien und die USA liegen schon drüber. Japan wird im nächsten Jahr bei 226% liegen! Japan hat den Vorteil, dass es nicht nennenswert bei ausländischen Gläubigern verschuldet ist und ein hohes inländisches Nettofinanzvermögen der privaten Haushalte hat (jedenfalls statistisch gesehen). Das ist aber gerade bei Griechenland, Portugal und Spanien nicht der Fall. U. a. deswegen hat sich die Krise in der EU im Frühjahr 2010 so zugespitzt.

6.    Planung im Sozialismus
6.1. Planungsebenen und demokratische Planung
Wenn also einer Planung im großen Umfang (also für viele Produkte und für viele Menschen) nicht wirklich objektive, d. h. materielle und technische Hindernisse im Wege stehen (der Kapitalismus schafft täglich mehr objektive Voraussetzungen dafür), dann müssen wir nur noch klären, wie denn eine demokratische Planung aussehen könnte.
Häufig wurde gegen das Konzept der Rätedemokratie angeschrieben (und von rechts immer wieder polemisiert). Aber auch von Linken gab es verbreitet Vorbehalte, entweder weil es mit bürokratischen oder gar stalinistischen Systemen verwechselt wurde, oder weil mensch es nur für eine abstrakte, nicht realisierbare Vorstellung hielt.
Auch Cockshott/Cottrell lehnen ein Rätesystem ab, weil sie es für zu starr und zu „undemokratisch“ (!) halten. Sie plädieren für ein – nicht näher erläutertes – System abgestufter Komitees in Verbindung mit Volksabstimmungen („direkte Demokratie“). Sie knüpfen am System einer „Demarchie“ an und setzen dabei auf Rotation (statt Wahlen!), räumen aber (trotz Rotationsgedanken) den „Planern“ faktisch mehr Kompetenzen ein als den übrigen Menschen.
Auf den Seiten 172 ff (in der pdf-Ausgabe S. 184 ff) erläutern Cockshott/Cottrell ihr Konzept einer „Demarchie“. Der Übersetzer des Buches erklärt dazu in einer Fußnote:
„In der Demarchie soll jeder funktionale Entscheidungsbereich von einem Komitee verwaltet werden, das nach einer statistisch repräsentativen Auswahl aus denjenigen Bürgern und Gemeinschaften zusammengesetzt wird, deren Interessen von der Entscheidung betroffen sind. Diese Komitees würden sich nach oben wie eine Entscheidungspyramide organisieren und damit die aktive Beteiligung der Menschen in jeder Ebene ermöglichen.“
Gegen die Gefahr der Bürokratisierung das Mittel der Rotation zu setzen, ist sicherlich in gewissem Umfang für bestimmte Bereiche sinnvoll und praktikabel bzw. geboten, aber es ist im Grunde nur ein technokratisches Hilfsmittel, ein eher unpolitisches Instrument. Es klärt nicht, auf welche Weise sich die Gesamtbevölkerung für die einen oder die anderen Planvarianten entscheiden kann.
Dem stellen wir das Rätesystem gegenüber, und zwar nicht nur, weil es in der Theorie schlüssiger ist (nämlich wirklich demokratisch), sondern weil es in der Geschichte schon funktioniert hat und nur deswegen nicht weiterleben konnte, weil aufgrund der generellen Kräfteverhältnisse die entsprechenden revolutionären Prozesse (vor allem nach der russischen Oktoberrevolution) zurückgedrängt und beendet bzw. in Blut ertränkt wurden.
Zum Grundgedanken: In einer wirklichen Demokratie müssen alle Betroffenen auf der für sie jeweils relevanten Ebene (zu den sie betreffenden Fragen) uneingeschränkte Entscheidungsbefugnis haben. Sobald die Zahl der Betroffenen zu groß wird (eine Diskussion und Abstimmung unter Tausenden von Menschen ist nicht umsetzbar), muss ein Delegierten-System aufgebaut werden. Entscheidend beim Rätekonzept: Diese Delegierten werden von der jeweiligen Ebene der Betroffenen gewählt und können jederzeit abgewählt (abberufen) werden.
Ein imperatives Mandat sollen diese Delegierten aber nicht haben, sonst bräuchte es eine Diskussion und Auseinandersetzung (mit dem Ziel der gegenseitigen Überzeugung oder des Findens neuer Lösungen) gar nicht zu geben. Wenn nun der oder die Delegierte gegen den Willen der jeweils sie Entsendenden (also ihrer „Basis“) handelt (abstimmt), muss das Recht gewährleistet sein, diese Delegierten mit sofortiger Wirkung abzuberufen.
Aufgrund der modernen Kommunikationstechnologie, also spätestens seit es das Fernsehen gibt, erst recht aber im Zeitalter des Internet, stehen uns heute ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung als zur Zeit der russischen Revolution von 1905, als die Petrograder Arbeiter und Arbeiter*innen spontan die Räte (Sowjets) erfanden ( wo Leo Trotzki maßgebliches Mitglied des Vorstands der Exekutive war). Heute können wir also diese Debatten der Delegierten auf den Ebenen, auf denen nicht wir selbst anwesend sind, aber wohin wir unsre Delegierten geschickt haben, live (oder als Aufzeichnung) mitverfolgen. Es lässt sich also nachvollziehen, wie die Delegierten sich verhalten haben, ob ihr Abstimmungsverhalten (im Lichte der Diskussion) von den Menschen zu Hause gebilligt wird oder nicht.
Und noch ein anderer großer Vorteil ergibt sich aus den Möglichkeiten moderner Informationstechnologie: Es lässt sich heute nach entsprechenden Diskussionen in der ganzen Bevölkerung viel leichter eine direkte Abstimmung durch die Gesamtheit aller Betroffenen durchführen. Das wird bestimmt nicht für jede Einzelfrage Sinn machen, aber für wichtige grundlegende Richtungsentscheidungen sehr wohl. Über welche Fragen, wie und wie oft dann von allen in Volksentscheiden befunden werden soll, genau das wird die Bevölkerung selbst entscheiden können.
„Nur durch konkrete Teilnahme an wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen können die Massen lernen, derartige Entscheidungen mit immer mehr Effizienz zu treffen. Niemand kann schwimmen lernen, ohne ins Wasser zu gehen.“ Die Menschen und die von ihnen gewählten Räte werden die Auswirkungen ihrer Entscheidungen im Positiven wie im Negativen zu spüren bekommen und deshalb ganz andere Lernprozesse durchmachen als ein unbeteiligter „Betrachter“. D. h., Räte sind zur Selbstkorrektur in der Lage und entsprechend motiviert.
Bei der Frage nach den „Betroffenen“ sollten wir klarstellen, dass es diese auf drei unterschiedlichen Ebenen gibt: als ProduzentInnen, als KonsumentInnen und auf der territorialen Ebene (Stadtteil, Stadt, Region usw.). Es versteht sich, dass über die Arbeitsbedingungen der ProduzentInnen die davon nicht betroffenen KonsumentInnen nicht mitzuentscheiden haben. Umgekehrt haben die ProduzentInnen nicht etwa gegenüber anderen Teilen der Bevölkerung (also solche in der Ausbildung oder die RentnerInnen usw.) höhere Rechte, wenn es um die Form des Zusammenlebens, die Entscheidung zum Bau von Infrastrukturprojekten usw. geht. Und die ProduzentInnen können nicht allein bestimmen, was, in welcher Form und in welcher Menge produziert wird. Das muss sich logischerweise aus den gesamtgesellschaftlich entschiedenen Prioritäten ergeben.
Sicher sind für viele Einzelfragen die Kompetenzen von Fachleuten erforderlich, die diese Entscheidungen vorbereiten müssen. Und es wird auch Fachgutachten und wissenschaftliche Kompetenz für Wirtschaftsplanung geben müssen. „Daraus folgt nicht, dass die Experten die Entscheidungen treffen müssen.“, was aber im Gegensatz dazu bei Cockshott/Cottrell mindestens in gewissem Umfang so angelegt ist.
Ernest Mandel führte in seinem Referat bei der „Praxis“-Gruppe aus:
„Die Antithese zwischen persönlicher Freiheit der Masse der Produzenten und der Planung der Gesamtwirtschaft kann dann aufgehoben werden, wenn ein System der Selbstverwaltung der assoziierten Produzenten von der Ebene des Betriebs und der unmittelbaren Lebensgemeinschaft auf die Ebene der Gesamtwirtschaft ausgedehnt wird, d. h. wenn die zentralen Planziele durch Mehrheitsbeschluss der assoziierten Produzenten nach voll demokratischer Diskussion, vollem Zugang zu allen Informationsquellen und reichlicher Auswahl zwischen zahlreichen Planvarianten bestimmt werden, und gleichzeitig ein systematischer Abbau der Warenbeziehungen zugunsten der Verhältnisse von bargeldloser Bedürfnisdeckung bewusst eingeführt und verallgemeinert wird.
Das bedeutet konkret: Übergabe der Verfügungsgewalt über die großen Produktions- und Verkehrsmittel an einen nationalen Kongress von Arbeiterräten, der in Permanenz funktioniert, dem die Planbehörden unterstellt sind, der in geheimer Wahl gewählt wird, dessen Mitgliedschaft mit keinerlei materiellen Privilegien verbunden ist, der im Gegenteil aus seinen Reihen Vertreter privilegierter Schichten auf ein Minimum reduziert, dessen Mitglieder jederzeit von ihren Wählern abberufbar sind, dessen Verhandlungen sich in aller Öffentlichkeit abspielen, dessen Wahl auf Basis von Wettkampf verschiedener Listen und Alternativlösungen entscheidender Fragen der Verteilung des Nationaleinkommens stattfindet und der mit einer Atmosphäre vollständiger sozialistischer Demokratie verbunden ist, d. h., in dem das Programm, das Marx in seiner Behandlung der Pariser Kommune und das Lenin in „Staat und Revolution“ ausgearbeitet haben, tatsächlich verwirklicht wird; das Programm, welches uneingeschränkte Presse-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit für alle Werktätigen beinhaltet, mit Ausschluss dieser Freiheit nur für Mitglieder der ehemalig unterdrückenden Klassen und für Personen, die gerichtlich der konterrevolutionären Aktionen überführt werden können, die auf die Zerstörung der sozialistischen Gesellschaft ausgerichtet sind.“
Und in „Der dritte Weg“ schreibt Mandel:
„Demokratische sozialistische Planung auf der Grundlage einer klar als solcher erkennbaren Selbstverwaltung bedeutet, dass die Prioritäten in der Verteilung uneingeschränkt zur Verfügung stehender ökonomischer Güter in demokratischer Weise von den Produzenten/Konsumenten/Staatsbürgern selbst getroffen werden. Dabei muss die Möglichkeit einer bewussten Wahl zwischen mehreren durchschaubaren Alternativen gewährleistet sein; diese Wahl muss auf der Basis eines in jeder Hinsicht pluralistischen Mehrparteiensystems zur Gänze öffentlich und unter Einhaltung aller demokratischen Freiheiten erfolgen.“
Zentral zu entscheidende Prioritäten müssen natürlich ergänzt werden durch Umsetzungsplanungen, und zwar vor allem basierend auf den Erfahrungswerten der Produzenten (resp. derjenigen, die „Dienstleistungen“ verrichten). Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Projektierung (Planung) der künftigen Produktion.
Mit diesem Gesamtinstrumentarium ist die selbstverwaltete Planung unvergleichlich effektiver als die für den anonymen Markt produzierenden (und konkurrierenden) Einzelpläne kapitalistischer Unternehmen.

6.2.    Dezentralisierung
Aus zwei ganz wesentlichen Gründen wird eine sehr weitgehende Dezentralisierung der Wirtschaft (national und international) umgesetzt werden müssen: Erstens ist eine reale Entscheidungsbefugnis der Menschen über das, was und wie produziert wird (welche Verkehre dazu wie bewerkstelligt werden), nur möglich, wenn diese Angelegenheiten nicht weit entfernt sind und sie selbst möglichst unmittelbaren Einblick (reale Beteiligung) haben. Und zweitens müssen allein aus Klimaschutzgründen möglichst viele Transporte (von Gütern, aber auch Personen) vermieden werden.
Nur zur Erinnerung: Von 1990 bis 2007 ist das Weltsozialprodukt um das 2,5-fache gewachsen, der Welthandel aber um das Vierfache, und 50% dieses Welthandels ist heute „intra-firm“ (also innerhalb des Konzerns). Wenn sich von 1990 bis 2007 im internationalen Handel die Tonnenkilometer versechsfacht haben, dann sind damit keineswegs mehr grundlegende Bedürfnisse der Mehrheit der Menschen zufriedengestellt worden. Ganz im Gegenteil: Die Durchdringung auch der letzten Winkel dieser Erde durch den kapitalistischen Warenverkehr und die Zerstörung weiterer Reste der Subsistenzwirtschaft haben die Zahl der Armen gewaltig wachsen lassen und die Zahl der Hungernden auf über eine Milliarde hochgetrieben.
Der ständig wachsende internationale Handel hängt einzig und allein mit der kapitalistischen Funktionsweise der Wirtschaft zusammen. Im Kapitalismus sind die „economies of scale“, also die Größenkostenersparnisse („zunehmende Skalenerträge“), im Wesentlichen eine natürliche Folge der Konkurrenzwirtschaft. Es wirken sich hier zwei Faktoren aus:
A.  Je größer der Mengenausstoß pro Anlage, desto geringer die „durchschnittlichen totalen Kosten“ (DTK). Die Fixkostenregression, die die bürgerliche Betriebswirtschaft dabei verzeichnet, beinhaltet allerdings nicht nur rein technische Größen, die zur „mindestoptimalen technischen Betriebs- bzw. Unternehmensgröße“ (MOS) führen, sondern auch sehr viele FuE-Kosten (Forschungs- und Entwicklungskosten), die bei einer totalen Abschaffung jeglichen Patentschutzes völlig wegfallen werden. Hinzu kommt, dass die nationale und internationale Kooperation zu einer ständigen Optimierung von Fertigungsabläufen führen wird. Denn wenn nicht nur an fünf Stellen auf der ganzen Welt mit viel Aufwand (parallel und unter Geheimhaltung, d. h. völliger Abschottung gegenüber der Konkurrenz) die nächste technische Generation bestimmter Produkte oder eines bestimmten Produktionsverfahrens entwickelt wird, sondern wenn die mit dieser Produktion befassten Menschen gemeinsam – und aufbauend auf dem jeweils aktuellen technischen Stand – ihren Gehirnschmalz darauf verwenden können, wie die Sache optimiert werden kann, dann werden gewaltige Kosten eingespart. Hinzu kommt, dass das Verschiffen von Teilen um den halben Erdball im Kapitalismus nur deshalb „rentierlich“ ist, weil die Transportkosten so extrem billig sind – nämlich basierend auf der Öl-Wirtschaft, ohne für die Folgeschäden des CO2-Ausstoßes aufkommen zu müssen.
B.  Der zweite Hauptfaktor der „Economies of Scale“ bürgerlicher Betriebswirtschaft ist der „Spezialisierungsvorteil“, der aber gerade aus den oben genannten Gründen wegfallen wird, denn diese Spezialisten sind weitgehend deswegen Spezialisten in der Anwendung bestimmter Fertigungsverfahren, weil sie ihre spezifischen Erfahrungen für sich behalten, nicht weil dieses Wissen nicht weitergegeben werden könnte.
Und auch die anderen Faktoren für die Kostenvorteile der allermeisten Großanlagen sprechen eher gegen ihre Beibehaltung: Ersparnisse aus „zentralisierter Reservehaltung“ usw. können nur entstehen, wenn zuvor der Transport dorthin über den Klimawandel teuer bezahlt wird, von dem anschließenden (klimaschädlichen) Transport der Fertigprodukte ganz abgesehen.
Sicherlich wird nach der Ausschaltung des Kapitals und in einer demokratisch geplanten Wirtschaft nicht alles in einer „Garagenwerkstatt“ zu fertigen sein. Aber wenn nicht mehr die Verwertungsinteressen des Kapitals über die Größe von Fertigungsanlagen bestimmen und wenn der Klimawandel wirklich gebremst (oder eventuell gestoppt) werden soll – viel Zeit hat die Menschheit dafür nicht mehr (s. Kasten) –, dann muss die Wirtschaft sehr weitgehend dezentralisiert werden.

Klimawandel
2008 schrieb Walden Bello: „In der wissenschaftlichen Gemeinde herrscht heute ein solider Konsens: Sollte die Temperatur im 21. Jahrhundert – durch den globalen Klimawandel – um mehr als 2,4 Grad Celsius steigen, wird der Wandel des Weltklimas irreversibel, verheerend und umfassend sein. […]
Das Zeitfenster für Aktionen, die daran noch etwas Grundlegendes zu ändern vermögen, ist schmal. Es geht um die nächsten 10 bis 15 Jahre.“

6.3.    Arbeiterkontrolle und Arbeiterselbstverwaltung
Die Kontrolle der Produktion durch die ArbeiterInnen, die sich im revolutionären Prozess – in der Phase der Doppelherrschaft – durchsetzen bzw. erobern lässt, umfasst solche Momente wie Veto-Rechte gegen Entscheidungen der Betriebsleitung, Öffnung der Bücher, Kontrolle der Arbeitsbedingungen usw. Sie sind das Experimentierfeld und bilden dann – dort, wo es vor dem Umsturz dazu kommt – einen ersten Erfahrungshintergrund für die Übernahme der Betriebe und für die Selbstverwaltung. Aber letztlich muss die Selbstverwaltung der Betriebe durch die ArbeiterInnen (dann besser zu formulieren: durch die dort Beschäftigten) immer im gesellschaftlichen Zusammenhang begriffen werden. Eine völlige Selbstverwaltung (also eine Autonomie) muss sowohl zum Schutz der Beschäftigten wie auch der übrigen Bevölkerung abgelehnt werden.
Werden nämlich gewisse Produkte nicht mehr gebraucht, dann kann es nicht das Schicksal der zufällig in diesen Betrieben Beschäftigten sein, dies dadurch ausbaden zu müssen, dass sie dann ausrangiert werden, ganz unabhängig von einer materiellen Absicherung bei „Erwerbslosigkeit“. Erwerbslosigkeit in diesem Sinne kann es gar nicht mehr geben, weil schließlich von allen Arbeitsfähigen zu erwarten sein wird, dass sie einen Beitrag zur Reproduktion des Gemeinwesens leisten.
Und auf der anderen Seite kann es nicht im Belieben der einen oder anderen Belegschaft sein, bestimmte Produkte überhaupt oder in einer gewissen Form weiter zu fertigen, die von der Gesamtgesellschaft so nicht gewünscht werden. D. h.: Der Souverän, die Gesamtbevölkerung der jeweiligen Region bzw. auch des nationalen oder supranationalen Rahmens, muss bei den grundsätzlichen Entscheidungen das letzte Wort haben.
Das betrifft nicht die Arbeitsbedingungen für jede einzelne Belegschaft. Diese muss ein Größtmaß an Selbstbestimmung haben, wohl wissend, dass alle Beschäftigen ja auch gleichzeitig KonsumentInnen sind.
In dem Maße, wie sich die Arbeiterselbstverwaltung von der Betriebs- und Kommunalebene auf die gesamte Volkswirtschaft ausdehnt, wird es auch ein wachsendes Bewusstsein für die unterschiedlichen Interessen geben. Das heißt natürlich nicht, dass es in einer geplanten Wirtschaft und bei voller Entfaltung der Rätedemokratie keine Zielkonflikte mehr geben wird. Aber sie werden dann in den großen Linien immer von der Mehrheit der Bevölkerung entschieden und nicht von einer Plutokratie wie im Kapitalismus.

6.4.    Arbeitszeitverkürzung und anderes Zusammenleben
Wir gehen davon aus, dass eine demokratisch geplante Wirtschaft enorme Effizienzvorteile haben wird:
·    Es wird keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen mehr geben und von daher nicht diese gewaltige Anhäufung von Reichtum auf der einen Seite und Elend auf der anderen;
·    Unsinnige Produktion von schädlichen Dingen und die massenhafte Verschwendung von Ressourcen können eingedämmt bzw. beseitigt werden. Produkte (und Ersatzteile) werden nicht mehr nur für den einmaligen Gebrauch produziert, sind vielfältig einsetzbar; Wegfall des Patentschutzes usw.
·    Die Menschen werden ihre Kreativität voll einbringen können. Die Verlagerung der Entscheidungskompetenzen nach unten (zu den Produzenten) wird die Menschen die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auch tatsächlich spüren lassen. Die realen Mitwirkungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der Menschen auf der unmittelbaren Produktionsebene wie auf den darüber liegenden Ebenen (über die von ihnen gewählten und jederzeit abberufbaren Räte) wird zu einer qualitativ anderen Entwicklung und Einbringung menschlicher Kreativität führen.
Aus all diesen und vielen im Zusammenhang damit stehenden Gründen wird die notwendige Arbeitszeit (nicht nur, weil es dann keine Erwerbslosen mehr geben wird, die heute von den Erwerbstätigen mitversorgt werden) gewaltig verkürzt werden können. Ernest Mandel hatte Anfang der 1970er Jahre errechnet, dass selbst ohne die Umstellung der Produktion auf andere Güter (!) die Arbeitszeit bei einer rationalen Planung der Wirtschaft mühelos auf ca. 25 Wochenstunden reduziert werden könnte. Mit den heutigen Möglichkeiten moderner Informationstechnologie und erst recht, wenn die Produktion umgestellt wird (und noch lange bevor die Menschen die Arbeit mit befreiter Kreativität angehen) könnte die Arbeitszeit mit Sicherheit auf deutlich unter 20 Stunden sinken (s. dazu auch den Beitrag von Guenther Sandleben in diesem Heft).
Das ist gleichzeitig eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass Planwirtschaft und Rätedemokratie wirklich funktionieren werden, denn um sich in die Verwaltung der Gesellschaft einzubringen, um die Produktion mitzubestimmen, um sich bei der Gestaltung der unmittelbaren Lebenszusammenhänge (in der Wohnanlage, in der Kommune usw.) wirklich einzubringen, brauchen wir auch Zeit – sagen wir beispielsweise 1 Stunde am Tag –, um daneben ausreichend Zeit zur Muße zu haben.
Wie bereits erläutert, wenden wir uns schon in der Übergangsgesellschaft vom Kapitalismus zum Sozialismus (also nach dem Sturz der Bourgeoisie und beim Erstellen der ersten Planungen) gegen ein „eins zu eins“-Austausch-Verhältnis von Arbeit(swertscheinen) und Konsumgütern. Die Verteilung von Gütern sollte weitestgehend ohne Bezahlung stattfinden. Aber es sollte uns auch klar sein, dass eine Gesellschaft sich nur reproduzieren kann, wenn die Mitglieder in ihr auch daran mitwirken. Wenn es niemanden gibt, der den Abwasserkanal repariert, der die Kartoffeln erntet oder Waschmaschinen produziert oder repariert, dann kann die Gesellschaft nicht existieren.
Daraus leitet sich für uns auch die Ablehnung eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ ab. Die Brücke von den heutigen miserablen Verhältnissen (auf der einen Seite Erwerbslosigkeit und auf der anderen Seite Arbeitshetze und unzumutbare Arbeitsbedingungen) ist der Kampf um eine generelle und radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Entgeltausgleich. Das Ziel muss sein: Verteilung der Arbeit auf alle Hände. Dafür kämpfen wir heute schon im Kapitalismus, wohl wissend, dass dieses Ziel im Kapitalismus nie wirklich erreicht werden kann; aber Schritte dorthin könnten wir durchsetzen und damit die allgemeinen Kräfteverhältnisse verändern.
Nur diese Logik der Verteilung der Arbeit auf alle Hände hat auch eine Zukunft in einer nach-kapitalistischen Gesellschaft. Was wir heute fordern und wofür wir heute eintreten (bzw. kämpfen), muss sich auch mit unsren historischen Zielvorstellungen vereinbaren lassen. Ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ ermöglicht entweder nur das rein physische Überleben, aber keine volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dann ist es kein vertretbares Ziel und menschenunwürdig. Oder aber es ermöglicht diese Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, dann ist nicht einzusehen, warum die „Arbeitswilligen“ so blöd sein sollen, für den Unterhalt derjenigen zu sorgen, die auf „die Arbeit pfeifen“, also den Müßiggang pflegen, wie Marx das über den Adel und die Kapitalistenklasse schrieb.
Es muss natürlich nicht extra betont werden, dass die Gesellschaft als Ganzes in vollem Umfang auch für diejenigen sorgen muss, die aus gesundheitlichen oder anderen Gründen (Alter) nicht arbeiten können.

Ein anderes Zusammenleben wird nicht nur auf der politischen und ideologischen Ebene anzustreben sein. Kommunen werden einen neuen Typus von Architektur entwickeln müssen, die Infrastruktur der Städte und der Industrie muss vollkommen umgebaut werden (kurze Wege von der Wohnung zur Arbeit), ein anderes Verkehrssystem muss entwickelt werden (weg von der Autogesellschaft und dem motorisierten Individualverkehr hin zu umweltfreundlichen Verkehrsmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), mehr fußläufige Strecken, mehr Fahrradwege usw., Renaturierung des Umlandes und weg von der „Unwirtlichkeit der Städte).

7. Schluss
Wenn sich heute große Teile Widerstandsbewegungen gegen den Kapitalismus den Sozialismus – und speziell eine demokratisch geplante Wirtschaft – nicht auf ihre Fahnen geschrieben haben, dann hat dies ganz sicherlich mehrere Ursachen:
·    Zum einen die relative Stabilität des Kapitalismus, der zwar viele Krisen erlebt und viel Elend produziert, der aber mangels glaubwürdiger politischer Alternative als die einzige mögliche Wirtschaftsordnung erscheint.
·    Zum anderen die ungeheure Diskreditierung, die die stalinistische Diktatur der sozialistischen Bewegung beschert hat. In Zeiten gewaltiger ideologischer Dominanz des Bürgertums bleibt wenig Raum für genaueres Hinsehen und für ein Erkennen des fundamentalen Unterschieds zwischen der Herrschaft einer (nachkapitalistischen) Staatsbürokratie und einer sozialistischen Gesellschaftsordnung.
·    Schließlich ist die linke und sozialistische Bewegung gerade in der Bundesrepublik (nicht nur, aber auch wegen der spezifischen Erfahrungen mit der zusammengebrochenen DDR) politisch weitgehend desorientiert und traut sich kaum noch offensiv für einen Umsturz der herrschenden Gesellschaftsordnung zu argumentieren.

„Die Sache an der Wurzel fassen“
„Schon als entschiedener Widerpart der bisherigen Weise des deutschen politischen Bewußtseins verläuft sich die Kritik der spekulativen Rechtsphilosophie nicht in sich selbst, sondern in Aufgaben, für deren Lösung es nur ein Mittel gibt: die Praxis.
Es fragt sich: Kann Deutschland zu einer Praxis à la hauteur des principles gelangen, d. h. zu einer Revolution, die es nicht nur auf das offizielle Niveau der modernen Völker erhebt, sondern auf die menschliche Höhe, welche die nächste Zukunft dieser Völker sein wird ?
Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift. Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird.
Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst. Der evidente Beweis für den Radikalismus der deutschen Theorie, also für ihre praktische Energie, ist ihr Ausgang von der entschiedenen positiven Aufhebung der Religion. Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als durch den Ausruf eines Franzosen bei einer projektierten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln!“
Karl Marx: „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“, MEW Bd. 1, S. 385 f.

Wie wir versucht haben, darzulegen: Die Alternative zum Kapitalismus ist keine abgehobene Träumerei, eine niemals realisierbare Utopie. Im Gegenteil: Sie ist nicht nur dringend erforderlich, sie ist auch – gerade in den Industrieländern – gut umsetzbar, und zwar unvergleichlich leichter als im ausgebluteten Russland nach der Oktoberrevolution oder auf Kuba zu Beginn der 1960er Jahre.
Dazu sollte sich die sozialistische Bewegung nicht nur intensiv mit den wachsenden Widersprüchen des Kapitalismus beschäftigen, sondern auch die ständig besser werdenden objektiven Voraussetzungen studieren und herausarbeiten, damit sie breiteren Kreisen bewusst gemacht werden können.
Besser werden die objektiven Voraussetzungen allerdings nicht auf allen Ebenen: Die kapitalistische Brutalität bedeutet nicht nur Raubbau an der Gesundheit der Menschen, sondern auch an den wirtschaftlichen Ressourcen (Reichtümern) dieser Erde und den natürlichen Lebensgrundlagen. Wenn die Menschheit nicht in absehbarer Zeit den Kapitalismus überwindet, dann wird besonders der Klimawandel in gar nicht so ferner Zukunft ein besseres Leben gar nicht mehr zulassen.
Ob dieser düsteren Perspektiven einer vom Kapitalismus beherrschten Welt gilt es, die Hände nicht in den Schoß zu legen und auch nicht ideologisch zu kapitulieren. Noch gilt jedenfalls:
„Sozialismus ist machbar, Herr Nachbar!“
Wiesbaden, August 2010

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