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Feminismus

Ohne den Kampf der Frauen geht gar nichts

Von Linda Martens | 28.09.2012

Zum Internationalen Frauenseminar der IV. Internationale kamen vom 13. bis 18. Juli 2012 ca. dreißig Frauen in Amsterdam zusammen: um gemeinsam zu diskutieren, sich zu vernetzen und um Ansätze zu finden, die Position von Frauen in den einzelnen Sektionen zu stärken. Denn ohne Frauen ist revolutionäre Politik nicht zu machen.

Zum Internationalen Frauenseminar der IV. Internationale kamen vom 13. bis 18. Juli 2012 ca. dreißig Frauen in Amsterdam zusammen: um gemeinsam zu diskutieren, sich zu vernetzen und um Ansätze zu finden, die Position von Frauen in den einzelnen Sektionen zu stärken. Denn ohne Frauen ist revolutionäre Politik nicht zu machen.

Die ca. dreißig Frauen kamen aus Belgien, Brasilien, Großbritannien, Dänemark, Deutschland, Ecuador, Frankreich, Italien, Kanada, Mexiko, den Philippinen, Sri Lanka, der Schweiz und dem spanischen Staat. Diskutiert wurden die drei Hauptthemen „Prostitution”, „Frauen und Religion” sowie die Situation von Frauen in den Sektionen der IV. Internationale. Konferenzsprachen waren englisch, französisch und spanisch. Für die Diskussionen im Plenum konnte in diesen drei Sprachen eine Simultanübersetzung gewährleistet werden, sodass der Austausch zwischen den Frauen im direkten Gespräch möglich war. Da zufällig alle drei Sprachgruppen zahlenmäßig etwa gleich vertreten waren, ohne dass dadurch Frauen einer Sektion quasi unter sich gewesen wären, bot es sich an, einen Teil der Diskussion im kleineren Kreis einsprachig zu führen. So konnten die einzelnen Frauen häufiger zu Wort kommen und einzelne Aspekte intensiver beleuchtet werden. Die Ergebnisse der Sprachgruppen wurden anschließend im Plenum zusammengetragen, sodass alle davon profitieren konnten.

Bewegte Frauen nehmen Einfluss auf linke Politik

Bei allen angesprochenen Themen zeigte sich, dass die jeweilige Stärke der Frauenbewegung, die in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ist, eine wichtige Rolle spielt. Die Stärke der Frauenbewegung spiegelt sich in dem, was Frauen in der IV. Internationale untereinander diskutieren und gemeinsam vorantreiben. Sie zeigt sich in den Fragestellungen, die sie in die heimischen Strukturen hineintragen. Die Folge ist ein entsprechend unterschiedlicher Einfluss von Frauen in ihren jeweiligen Organisationen.

So lässt sich die Tatsache, dass das Thema Prostitution in der deutschen Sektion kein Diskussionsthema ist, nicht damit erklären, dass Prostitution in Deutschland gesellschaftlich keine Rolle spielt oder sich die Lage von Prostituierten hier positiv von der Lage derer in anderen Ländern unterscheidet. Tatsächlich ist es nicht allein aus der gesellschaftlichen Relevanz von Prostitution heraus ableitbar, dass Frauen aus Indonesien, Spanien oder Brasilien in Amsterdam Ergebnisse intensiver Diskussionen präsentieren konnten. Wesentlich ist das Vorhandensein oder Fehlen der Bewegung von Frauen.

In Deutschland gäbe es ähnliche Ansatzpunkte für Frauen und Linke, Prostituierte als potenzielle Bündnispartnerinnen anzusprechen. Dies gilt sowohl in Bezug auf Zwangsprostituierte als auch in Bezug auf legale Sexarbeiterinnen. Auch wenn Frauen sich selbst dazu entscheiden ihren Körper für Geld anzubieten, so geschieht dies üblicherweise nicht deshalb, weil sie diese Form von Sex wünschen. Vielmehr spielt der Aspekt, den Lebensunterhalt bestreiten zu müssen, die zentrale Rolle. Damit ist Prostitution nicht eine reine „Frauenfrage”, sondern gehört als eine Form entfremdeter Arbeit, die ihre Ursache in der sozialen Ungleichheit hat, auch zum Themenkomplex „Kapitalismus”.

Ist Prostitution ganz normale Arbeit oder gehört sie verboten?

Die Fragen, was für eine Art von Arbeit Prostitution ist, ob stattdessen der Begriff „Sexarbeit” verwandt werden sollte und inwieweit sich Sexarbeit von Lohnarbeit unterscheidet, sind Fragen, die je nach Interessenlage ganz unterschiedlich beantwortet werden. Und je nachdem, wie sie beantwortet werden, folgen daraus entsprechend unterschiedliche Schlussfolgerungen:

Eine mögliche Antwort ist die Forderung von Regulierung bzw. Verbot der Prostitution. Das ist eine Antwort, die Frauen in die Illegalität drängt und sie rechtlos macht, ohne dass Prostitution dadurch tatsächlich eingedämmt würde. Es besteht gleichzeitig die Gefahr, dass Frauen kriminalisiert werden, wenn sie selbstbewusst ihre Rechte wahrnehmen, weil schon dies unter eine schwammige Definition von Prostitution fällt.

Eine in der bürgerlichen Frauenbewegung verbreitete Position ist, Frauen als Klasse zu betrachten. Sexarbeiterinnen wären dann so etwas wie Streikbrecherinnen, die der Sache der Frauen insgesamt schaden, da sie die Degradierung von Frauen zu Sexobjekten vorantreiben. Diese Sicht wurde in Amsterdam nicht geteilt. Vielmehr wurde von den Anwesenden nicht die Ausübung von Prostitution, sondern die Abwertung von Prostituierten als problematisch gesehen. Auch sahen sie nicht den Verkauf von Sex als zentral an, sondern die Warenbeziehung.

Die liberale Forderung nach Legalisierung von Prostitution wurde ebenfalls mehrheitlich abgelehnt. Sie würde zur Institutionalisierung des Verkaufs des eigenen Körpers beitragen.

Favorisiert wurde vielmehr die Forderung nach Abschaffung von Prostitution, weil dies eine emanzipatorische Forderung ist. Sie grenzt sich von einer Erlaubnis der Sexarbeit dadurch ab, dass sie sie nicht als eine Form der Arbeit wie andere Dienstleistungen akzeptiert, sondern sie als menschenunwürdig ablehnt. Wobei Prostitution nicht die einzige Form von Arbeit im Kapitalismus ist, die Menschen entwürdigt. Sie sieht die Existenz von Prostitution aber auch als Folge komplexer patriarchaler Machtbeziehungen, die generell abgelehnt und aufgehoben werden muss. Gleichzeitig wendet sie sich gegen das Abdrängen der Frauen in die Illegalität, die ein Verbot der Sexarbeit nach sich ziehen würde.

Die Forderung nach Abschaffung der Prostitution richtet sich folglich gegen die Freier und unterstützt gleichzeitig die Frauen gegen Kriminalisierung und in der Wahrnehmung ihrer Rechte. Die Frauen, insbesondere die Zwangsprostituierten, werden als Opfer wahrgenommen, die sich aber emanzipieren können, indem sie sich als Subjekte für die Wahrung ihrer eigenen Interessen organisieren und für sich selbst sprechen.

In Deutschland befassen sich im Wesentlichen Frauenorganisationen mit dem Thema, die sich hierauf spezialisiert haben. Es gibt hier keine Frauenbewegung, die die Diskussion in die Gesellschaft und in linke Organisationen trägt.

Religiosität oder Selbstbestimmungsrecht der Frau?

Ähnliches ließ sich bei dem Internationalen Frauenseminar auch für die Thematik „Frauen und Religion” feststellen. Die Diskussion beschäftigte sich hauptsächlich mit dem Thema „Abtreibung”. In viele
n Ländern ist Abtreibung weiterhin kriminalisiert. Hiervon sind im Wesentlichen arme Frauen betroffen, die Verhütungsmittel nicht bezahlen können und deren Gesundheit und Leben durch illegal durchgeführte Abtreibungen gefährdet wird. Die Frage des Selbstbestimmungsrechts über ihren Körper sowie das Recht, über ihre Fortpflanzungsfähigkeit selbst zu bestimmen, sind international zentrale Themen bewegter Frauen.

Religion spielt hier eine wesentliche Rolle, weil gerade durch religiöse Institutionen und Gruppen Frauen das Recht auf Abtreibung abgesprochen wird. Dies mündet zum Beispiel in den USA oder in Mexiko in offene Gewalt wie Mord, Entführungen oder Bombenattentate. Oder es gibt breiter getragene ideologische Kampagnen mit öffentlichen Gebeten vor Abtreibungskliniken oder Demonstrationen, wie heute in Frankreich.

Andererseits sind religiöse Frauen und Gruppen aber auch potenzielle Bündnispartnerinnen in vielen gesellschaftlichen Fragen. Und es stellt sich das Problem, sie trotz des Dissenses in der Frage „Abtreibung” für die Zusammenarbeit zu gewinnen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auch religiöse Frauen davon überzeugt werden können, dass nicht Priester oder Imame darüber zu entscheiden haben, ob eine Frau abtreiben darf. Sondern dass es das Recht der einzelnen Frau ist, Abtreibung aus religiösen Gründen für sich abzulehnen – oder auch nicht.

Ist Feminismus out?

In Deutschland sind die heißen Diskussionen zum § 218 Vergangenheit. Und damit die Diskussionen über das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper und reproduktive Rechte generell. Dadurch ist auch das Bewusstsein von der Wichtigkeit dieser Frage weitgehend verloren gegangen. Viele junge Frauen behandeln ihren Körper wie eine Ware, mit der sie im Schönheitswettbewerb bestehen müssen, und bieten ihn feil für kleine materielle Vorteile. Sie sind von sich selbst entfremdet, denn sie betrachten ihren Körper nicht mehr als integralen Bestandteil ihrer selbst. In Deutschland ist die Frauenbewegung institutionalisiert und Feminismus erscheint vielen jungen Frauen nicht mehr als Notwendigkeit. Diskussionen, die heute in Ländern mit einer starken Frauenbewegung auf der Tagesordnung stehen, erscheinen hier antiquiert und überholt. Dass dieser Eindruck zu Unrecht besteht, wurde bei den Diskussionen in Amsterdam sehr deutlich. Bei einem Vergleich der Situation der Frauen in den einzelnen Ländern und ganz besonders in den einzelnen Organisationen der IV. Internationale schnitten die Frauen in Deutschland keineswegs gut ab.

Die scheinbar modernere Herangehensweise der Dekonstruktion der Geschlechter, die hier viel diskutiert wird, führt leicht zu einem Verdecken des weiterhin existierenden Machtverhältnisses Patriarchat und einer Entwaffnung von Frauen, die ihrer Begriffe und ihres Bewusstseins von ihrer gesellschaftlichen Stellung beraubt werden.

Der internationale Austausch von Erfahrungen hat deutlich gemacht, wie ähnlich die Anliegen von Frauen trotz oft ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Bedingungen sind. Und dass die Gleichberechtigung von Frauen bisher nirgendwo erreicht wurde. Feminismus ist kein Relikt aus der Vergangenheit. Weiterhin müssen sich Frauen im Kampf um ihre Rechte zusammenschließen – überall und auf allen Ebenen.

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