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Innenpolitik

NRW Landtagswahl: SPD kämpft um Bundesregierung

Von B.B. | 01.06.2005

Von allen Parteien war die SPD am besten auf ihre Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen vorbereitet. Mit der Ankündigung vorgezogener Bundestagswahlen überraschte die SPD-Spitze rechts wie links zum zweiten Mal nach Münteferings Kapitalismuskritik.

Positiv fürs Kapital

Für das Kapital ist die Bilanz der Sozialdemokratie in Bund und Land rundum positiv. Der Umbau des Standorts Deutschland hat zwischen 1998-2005 unter Kanzler Schröder erstaunliche Fortschritte gemacht. Die gleiche neoliberale Offensive unter einer Bundesregierung CDU-FDP wäre auf erheblich größeren Widerstand bei den Lohnabhängigen und namentlich bei den Gewerkschaften gestoßen. Unter einer CDU/CSU-FDP-Regierung hätte der politische Preis für die Durchsetzung neoliberaler Reformen sicherlich deutlich höher gelegen als unter der Regierung SPD-Grüne. Für das Kapital hat die SPD ihre Schuldigkeit getan. Nach der Wahlniederlage in NRW kann sie geh’n.
Wahlkampf um Ministerposten
Bekam der Reform-Crash-Kurs dem Kapitalismus gut, so bekam er der sozialdemokratischen Partei überhaupt nicht. Mitglieder traten aus, andere zogen sich resigniert zurück. Wahl auf Wahl, Landesregierung auf Landesregierung gingen verloren. Mit Hartz IV schlugen bei den Lohnabhängigen Empörung und Kritik an der neoliberalen Politik der SPD hohe Wellen. In den sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaftsapparaten der IG Metall und bei Verdi machten sich parteipolitische Desintegrationstendenzen breit. Links von der SPD entstand die Wahlalternative. Und nachdem das parteigesteuerte Wirtschaftsimperium im sozialdemokratischen Kernland NRW selbst dem Neoliberalismus zum Opfer gefallen war, verlor nun dort die SPD nach 39 Jahren auch noch ihr Abo auf die Regierungsgewalt.
Unter diesen Umständen räumt die SPD nicht einfach das Feld und trollt sich in die Opposition, sondern die SPD-Parteiführung ruft zum Bundestagswahlkampf auf. Über eine breite gesellschaftliche Debatte will sie von den WählerInnen das Mandat für die Fortsetzung einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung bis zum Jahr 2009 erhalten. Dabei verteidigt die SPD die bisherigen Reformen der Agenda 2010 als ”notwendig”. Mit der ”Kapitalismuskritik” betont sie im gleichen Atemzug, dass die Lasten nicht einseitig verteilt werden dürfen.
Hartz IV und die Reformen entsprachen sicherlich den Wünschen der KapitaleignerInnen und ihren neoliberalen Vor- und Nachbetern. Das kann mensch von einer breiten öffentlichen Debatte über eine Kritik am Kapitalismus nicht behaupten. Allein der Begriff ”Kapitalismuskritik” sorgt in herrschenden Kreisen für Panikattacken. Früher suchte Franz-Josef Strauß die gesellschaftspolitische Konfrontation unter dem Schlagwort ”Freiheit statt Sozialismus”. Heute polarisiert die SPD mit der Kapitalismusdebatte von links, allerdings nur verbal und mit unverbindlichen Schlagworten. Obwohl es dabei in erster Linie um die Verteidigung einer Bundesregierung SPD-Grüne geht, will die die SPD den Eindruck erwecken, sie klebe nicht an Ministerposten.

Mobilisierung mit Erfolgsaussichten?
Versucht die SPD eine gesellschaftliche Mobilisierung wie 1972 hinzubekommen? Damals streikten zehntausende ArbeiterInnen vieler Großbetriebe und gingen für die Sozialdemokratie auf die Straße. Sie brachten das von der CDU angestrebte Misstrauensvotum gegen SPD-Bundeskanzler Willy Brandt zu Fall. Und in der Tat stehen heute schon einige schwere Bataillone der Gewerkschaftsbewegung – namentlich in Bergbau und Chemieindustrie – bereit, um für Schröder und Müntefering zu Lande und in der Luft mobil zu machen (s. Kasten).
Möglich, dass die SPD ihren traditionellen Anhang bis zum Herbst mobilisieren kann. Das ist bei bestimmten Schichten der BeamtInnen und FacharbeiterInnen nicht ohne Erfolgsaussichten, die dem rechten Flügel der Gewerkschaftsbürokratie folgen. Mit den von Hartz IV Betroffenen gibt es in diesen Kreisen vielleicht Mitleid. Aber als gut bezahlte Lohnabhängige in Brot und Arbeit halten sie die bisherigen Reformen für notwendig, ”weil es so ja nicht weitergehen kann”. Mit einer Kapitalismuskritik haben sie nicht etwa deswegen was am Hut, weil sie die Opfer der neoliberalen Politik bedauern, sondern weil sie in Zukunft nicht selber zu den Opfern weiterer Reformen gehören wollen. Darauf setzen Müntefering, Schröder und IGBCE-Schmoldt. Aber das ist auch die Achillesferse ihrer Kampagne.
Indem die bisherigen Reformen als notwendig verteidigt werden, kann die SPD viele Erwerbslose und Ausgegrenzte kaum erreichen. Durch das dort verbreitete Massenbewusstsein von der Verantwortung der SPD für Hartz IV, für die Agenda 2010 und für alle anderen Reformen stößt die Sozialdemokratie auf eine Mauer des Misstrauens. Mensch hält zwar oft die Kapitalismuskritik für richtig, glaubt aber der SPD nicht. Damit haben die von der IGBCE und anderen Gewerkschaften geführten Facharbeiterschichten kaum die Möglichkeit auch nur Teile der Erwerbslosen und Ausgegrenzten mitzureißen. Vielmehr strahlt deren Kritik in die Facharbeiterschaft aus. Im Unterschied zu 1972 handelt es sich heute auch nicht um eine allgemeine Aufbruch- sondern Defensivsituation, in der mit einem neoliberalen Abbruchprogramm nicht viele Lohnabhängige zu bewegen sind.

Kurswechsel in der Opposition?
Würde die SPD, was recht unwahrscheinlich ist, die Bundestagswahl im Herbst gewinnen, dann würde sie die neoliberale Reformpolitik tatkräftig fortsetzen und in Worten die soziale Verantwortung des Kapitals anmahnen. Von einem Kurswechsel könnte keine Rede sein. Ob die SPD in der parlamentarischen Opposition die kapitalismuskritische Rhetorik verstärkt und diese zu einem tragenden Element ihrer Parteilinie macht, wird sich noch zeigen. Vielleicht dient ihr ja auch die Kapitalismuskritik, um sich einerzukünftigen CDU-Bundesregierung als sozialer Juniorpartner anzudienen.
Dass diese Kritik insgesamt zunehmen wird, dafür werden auf der objektiven Ebene der neoliberale Kapitalismus und auf der subjektiven die Anti-Globalisierungsbewegung sorgen. Und das sollte gerade eine revolutionär-marxistische Kapitalismuskritik beflügeln.
Das Abschneiden der NPDNicht zuletzt muss auf das Abschneiden der NPD hingewiesen werden. Sie erreichte fast aus dem Nichts 1000 Stimmen mehr als die PDS. In NRW ist heute die NPD keine wirkliche Gefahr. Aber ihr ”Wahlerfolg” belegt, dass sie leider erfolgreich dabei ist, eine Infrastruktur und ein Umfeld aufzubauen. Und das wiederum ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Zukunft.

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