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Kultur

Neuester Pionier der Detektivliteratur

Von Clarissa Lang | 01.02.2009

Auch in Deutschland entwickelt sich die Trilogie von Stieg Larsson zu einem Renner. Inzwischen ist auch der zweite Band als Taschenbuch verfügbar. Zeit also, sich auch an dieser Stelle mit ihm zu beschäftigen, nicht nur, weil dieser 2004 an einem Herzinfarkt verstorbene ex-Genosse sein Erbe der schwedischen Sektion der IV. Internationale vermachen wollte.

Auch in Deutschland entwickelt sich die Trilogie von Stieg Larsson zu einem Renner. Inzwischen ist auch der zweite Band als Taschenbuch verfügbar. Zeit also, sich auch an dieser Stelle mit ihm zu beschäftigen, nicht nur, weil dieser 2004 an einem Herzinfarkt verstorbene ex-Genosse sein Erbe der schwedischen Sektion der IV. Internationale vermachen wollte.

Das voluminöse Werk (jeder der drei Bände umfasst ca. 800 Seiten) ist erst nach seinem Tod erschienen und hat in Windeseile die Herzen der skandinavischen Krimileser­Innen erobert.  Die meisten KommentatorInnen heben die vielfältigen Aspekte dieser drei zusammenhängenden Romane hervor und betonen, wie sehr sie bei der Lektüre gefesselt waren. Dies kann ich zwar nur unterstreichen, aber seine Hauptleistung liegt meines Erachtens auf einer anderen Ebene. Stieg ist es gelungen, die von der Gattung vorgegebene Grenze deutlich zu überschreiten, eine Leistung, die ihm so schnell kaum einer nachmachen wird.
Der Weg aus der Trivialliteratur
Der „normale“ Detektivroman (am extremsten bei der Subgattung der klassischen Detektivliteratur à la Sherlock Holmes, aber auch bei der Schwarzen Serie oder bei Mankell und anderen) führt den Leser ganz bewusst in die Irre. Der Dreh- und Angelpunkt des Detektivromans ist die Lösung eines Rätsels, die bis zum Ende aufgehoben werden soll, und dazu ist es von entscheidender Bedeutung, dass nicht wirklich alles über die Personen offen gelegt wird, bzw. bewusst in irreführende Zusammenhänge gebracht wird. Im klassischen Detektivroman können uns die Charaktere nicht wirklich schlüssig entwickelt werden, weil dies dann keine Überraschung mehr ermöglichen würde. Selbst da, wo der normale Detektivroman „psychologisch“ wird, verheimlich er an den entscheidenden Stellen Wesentliches. Vor geraumer Zeit schrieb ich (im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit, in der ich nachzuweisen suchte, dass Detektivromane strukturell triviale Literatur sind): „Detektivischer Plot [Handlungsstruktur] und tiefgreifende Charakterzeichnung sind wesensmäßig nur sehr begrenzt miteinander vereinbar“. Heute, nach der Entdeckung von Stiegs Romantrilogie muss ich sagen: Hier ist in einzigartiger Weise gelungen, was strukturell unmöglich schien.

Die Charaktere sind ausnahmslos glaubhaft und tiefgreifend entwickelt, selbst die Nebenpersonen sind, soweit erforderlich, als komplette Persönlichkeiten nachvollziehbar so eingebaut, dass das Ganze schlüssig zueinanderpasst. Für die Hauptpersonen nimmt sich der Autor in den beiden ersten Bänden immerhin jeweils mehr als 100 Seiten Platz, um die Person in ihrer Gänze vor uns entstehen zu lassen. Das hinderte ihn aber nicht daran, danach ein teilweise atemberaubendes Tempo in der Handlungsentwicklung einzuschlagen. Spätestens ab da werden die Bücher zu regelrechten „pageturner“.

Am Anfang ist gar nicht so recht klar, dass es sich überhaupt um einen Detektivroman handelt. Das gesamte Werk könnte im Prinzip auch woanders eingeordnet werden, aber das detektivische Element ist doch das Konstruktionsprinzip geblieben, das dem Gesamten seine zusätzliche Spannung verleiht. Unser ebenfalls verstorbener Genosse Ernest Mandel hätte mit aller größter Gewissheit in seinem einschlägigen Buch  dieser Trilogie ein besonderes Kapitel gewidmet.
Ein feministisches Buch
Was meines Erachtens bei vielen Kommentatoren ebenfalls zu kurz kommt, auch wenn manche dies im Ansatz würdigen: Diese Bücher sind ein flammendes antisexistisches Plädoyer. Das übergeordnete Thema aller drei Bände ist die Gewalt gegen Frauen und ich meine, die Art, wie eine Reihe von Frauen darin in ihrer Stärke nachvollziehbar dargestellt werden, macht dieses Buch auch zu einem feministischen Buch.

Die Personen werden facettenreich entwickelt, es entsteht nie der Eindruck, dass die Leser­Innen an der Nase herumgeführt werden und trotzdem entwickelt sich eine spannende Handlung mit überraschenden Wendungen (mehr soll hier ganz bewusst nicht gesagt werden).
In der Kürze dieser kleinen Kolumne kann nicht auf alle Aspekte der Romantrilogie eingegangen werden, aber es sei darauf hingewiesen, dass es in einem gewissen Umfang auch ein Polit-Thriller ist, der die Frage nach der Kontrolle der Geheimdienste aufwirft.

Dem sehr guten Stil in der deutschen Ausgabe nach zu urteilen, ist die Übersetzung ins Deutsche wahrscheinlich sehr gut (ich kann es nicht beurteilen), auf jeden Fall besser als die englische (dort sind jetzt die beiden ersten Bände erschienen). Einziger Kritikpunkt, den ich dem deutschen Verlag (Heyne) anlasten möchte: Es ist nicht einzusehen, wie es zu den deutschen Titeln kommt. Die Übersetzungen der schwedischen Originaltitel lauten: „Männer, die Frauen hassen“ (Bd. I), „Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte“ (Bd. II) und „Das Luftschloss, das gesprengt wurde.“

Letzte, wichtige Anmerkung: Die drei Bände bauen auf einander auf. Es ist absolut davon abzuraten, beim Lesen die Reihenfolge zu vertauschen.

1    Mehr zu seiner Person ist in der März/April-Ausgabe von Inprekorr nachzulesen.
2    Posthum erhielt er von der Kritik folgende Krimipreise: 2005 den skandinavischen Krimipreis für den ersten Band, 2006 den schwedischen Krimipreis für den 2. Band und 2008 den skandinavischen Krimipreis für den 3. Band.
3    E. M: „Ein schöner Mord. Sozialgeschichte des Kriminalromans“ Frankfurt (Athenäum) 1987.

 

TiPP!
Die Millennium-Trilogie:

Verblendung; dt. Heyne 2006; ISBN 3-453-01181-3)
Verdammnis dt. Heyne 2007; ISBN 3-453-01360-3)
Vergebung dt. Heyne 2008; ISBN 3-453-01380-8)

 

 

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