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Innenpolitik

Neue “Linkspartei” – Der Schatten Oskar Lafontaines

Von B.B. | 19.06.2005

Schneller als erwartet fällt Schatten auf den Aufbruch des "Linksbündnisses" bzw. der "Linkspartei" – der politische Schatten Oskar Lafontaines. Der ist wie spätestens jetzt allgemein bekannt sein dürfte, nicht rot sondern schwarz.

Seine Chemnitzer Rede richtete ??sich u.a. gegen "Schandgeset-??ze" und "Fremdarbeiter". Denn nach Lafontaine werden "Familienväter und Frauen arbeitslos (…), weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen". Für Lafontaine sind also nicht die KapitalistInnen für die Arbeitslosigkeit und für Billiglöhne verantwortlich, sondern die "Fremdarbeiter". Der ex-SPD-Vorsitzende mit Nazijargon wurde am 18. Juni 2005 auf dem Landesparteitag der Wahlalternative NRW mit 124:29 Stimmen zum Spitzenkandidaten gewählt. Vorher hatte er seinen Eintritt in die WASG verkündet. Auf dem Parteitag versuchte Lafontaine seinen Begriff "Fremdarbeiter" mit Floskeln über Fremde als Freunde und Gäste zu entschuldigen (s. Kasten). Viel schwerer als seine Ausflüchte wiegt allerdings, wie solche Reden bei der Bevölkerung ankommen. In Chemnitz fand Lafontaine den Beifall von etwa der Hälfte der 2.500 Menschen, die zusammenströmten, um ihn zu hören. Dort gelang es ihm, das Gift des Rassismus zu verbreiten. Bei manch anderen örtlichen Bündnissen und Aktionsgruppen hätte er nach solchen Äußerungen seine Rede abbrechen müssen. Eine Wahlalternative, die meint, eine sozialistische Perspektive sei "nicht aktuell", braucht sich über "aktuellere" Vorschläge a la Lafontaine nicht zu wundern.
Populist Lafontaine und die "Linkspartei"
Ohne Halt an einer festen sozialistischen Überzeugung, getrieben von persönlichem Ehrgeiz und verletzter Eitelkeit drückt das Schwanken zwischen Links- und Rechtspopulismus das Unberechenbare an der Person Lafontaines aus. Eine gute linke Rede versucht die Massen nicht nur anzustacheln, sondern auch auf eine höhere Stufe des Bewusstseins zu heben. Lafontaine ist nur ein Demagoge, der mal seine neo-, mal seine sozialliberalen "Zehn-Punkte-Programme" variiert. Er redet dem "Volk" nach dem Maul und dessen Vorurteile fließen in seine Reden ein. Dabei ist Lafontaine immer für eine rhetorische Explosion gut – manchmal auch im eigenen Lager. Dieser Mann repräsentiert weniger die mächtige Vergangenheit der deutschen Sozialdemokratie, als die Allgegenwart der BILD-Zeitung.
In dem neuen Wahlbündnis bzw. der zukünftigen "Linkspartei" werden die bisher bereits existierenden Strömungen aufgehen: – die äußerst gemäßigte sozialistisch-reformistische Mehrheit der PDS in Ostdeutschland, die den Parteiapparat beherrscht und deren Spitzen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern bereits zum Neoliberalismus übergehen; – eine Mehrheit der WASG, die von einer Schicht von GewerkschaftsbürokratInnen geführt wird und sogar eine vage sozialistische Perspektive ablehnt; – eine kleine Minderheit von LinkssozialistInnen in Westdeutschland, die die neue Formation bisher weder als "Arbeiterpartei" noch als "antikapitalistisch" ansieht, aber guter Hoffnung ist, sie zu einer solchen zu machen.
Mit Lafontaine wird sich das Spektrum des neuen Linksbündnisses bzw. der neuen "Linkspartei" um eine populistische Strömung, die sowohl links- wie rechtspopulistische Elemente vertritt, erweitern (bzw. sie ist in der WASG bereits vorhanden). Für diese Richtung ist in der neuen Partei der meiste Zulauf zu erwarten.
Politische Lage & "Linkspartei"
Verlorene Kämpfe wie 2003 der ostdeutsche Metallstreik, die Welle der Arbeitszeitverlängerung und Lohnsenkung in westdeutschen Betrieben seit 2004 (Siemens, Daimler-Chrysler) und die vergeblichen Proteste auf der Straße gegen Hartz IV lassen viele auf eine parlamentarische Alternative hoffen. Wer als ArbeiterIn und Angestellte die Offensive des Kapitals nicht selber stoppen konnte, setzt seine Hoffnungen auf die neue "Linkspartei", die das im Parlament tun soll. Und sicherlich wird die gemeinsame Liste mit Lafontaine und Gysi in alle Parlamente einziehen.
Das Entstehen der "Linkspartei" ist Ausdruck einer Glaubwürdigkeitskrise des Neoliberalismus, aber nicht Ausdruck einer Radikalisierung der ArbeiterInnenklasse. Sicherlich ist es angenehmer, wenn zukünftig statt 99% nur noch 90% marktradikaler Einheitsbrei von PolitikerInnen und Medien zu hören ist. Aber an den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen ändert das nichts. Die neoliberale Offensive von Regierung & Kapital kann nur gemeinsam durch die breite Mobilisierung der ArbeiterInnen und Angestellten gestoppt werden. Der Zusammenhang von verlorenen Kämpfen und parlamentarischen Hoffnungen bestärkt nicht gerade die Annahme, dass die parlamentarische (Schein)option neue außerparlamentarische Kämpfe anregen wird. Im Gegenteil. Wenn die offenen Klassenkämpfe fehlen, können die vielen Pöstchen, Gelder und das "öffentliche Interesse" nur zur Integration auch von systemoppositionellen Kräften in den Parlamentarismus und den bürgerlichen Staat führen.
Verwirrende Gemengelage
Der Fall Lafontaine zeigt, dass die Gemengelage zur Bildung der neuen "Linkspartei" alles andere als klar und tatsächlich antikapitalistisch ist. In Ostdeutschland will sich die Kommunistische Plattform (KPF) innerhalb der PDS nicht mit der Wahlalternative vereinigen, weil damit die Identität der PDS einschließlich der sozialistischen Perspektive verloren gehe. Dabei ist sich die KPF nicht zu schade, auch die Kritik an eben dieser – von ihr selbst kritisierten Regierungsbeteiligung – zu bemängeln. Die KPF über die WASG: "(…) wir sind die letzten, die kein Verständnis für deren Kritik an der Rolle der PDS in rot-roten Landeskoalitionen hätten. Allerdings: Die WASG hat sich nicht zuletzt auch dadurch profiliert (…), daß sie vor allem die Berliner PDS dafür angegriffen hat". Wenn es letztendlich zum Schwur kommt, in die "Linkspartei" zu gehen oder nicht, dann wird die KPF um Sarah Wagenknecht tun, was sie immer getan hat, nämlich der jeweiligen Parteiführung folgen.
In Westdeutschland sammelt die SAV in der WASG Unterschriften, um die undemokratische Vereinigung mit der PDS zu kritisieren. Wer sich die Liste ansieht, wird feststellen, dass sogar WASG-Mitglieder aus antikommunistischen Motiven einen Mangel an Demokratie empfinden können. Kommentare von Unterschreibenden wie "Für mich sind beide Parteien unfähig konstruktive Systemkritik zu leisten. Für Deutschland sehe ich in der Zukunft schwarz!" Und: "Das ist ein von langer Hand vorbereiteter schmutziger Betrug an den Hoffnungen von Millionen Deutschen auf…" sprechen wohl kaum für die Unterschriftensammlung. Am Punkt Demokratie trifft sich in der WASG ein Teil der linken mit einem Teil der rechten Kritik. Letzterer bietet sich Oskar Lafontaine mit seinen "fremden" Tönen als integratives Element an.
Parlamentarische Zwangsvereinigung
Warum kann das Linksbündnis nicht in Ruhe von Sieg zu Sieg bei den kommenden Landtags- und Kommunalwahlen eilen, um dann erst 2009 in den Bundestag einzuziehen? "Zu spät!", ruft der Chor der EntscheidungsträgerInnen und zukünftigen Bundestagsabgeordneten. Allein
dass die Bundestagswahl als Argument für die Vereinigung herhalten muss, beweist den durch und durch parlamentarischen Charakter der neuen Formation. Zurück bleibt eine innerparteiliche Demokratie, die zwar auf dem Papier steht, die es aber tatsächlich nie gegeben hat. Die parlamentarische Zwangsvereinigung der beiden Parteien im Hitparadenschnelldurchgang wird nur möglich durch die Vorherrschaft bürokratischer Strukturen sowohl in der PDS wie in der WASG. Warum soll auch ausgerechnet in der BRD bei den hiesigen unterentwickelten Klassenauseinandersetzungen eine "Linkspartei" entstehen, die zwar nicht einmal sozialistisch, aber dafür wenigstens demokratisch ist?
SozialistInnen in WASG: Ohne Wahl, ohne Alternative
Tatsächlich ist die sozialistische Linke innerhalb der WASG ohne Alternative. Die einen, die ihre Hoffnungen nicht so schnell begraben wollen, wie Lafontaine reden kann, meutern, aber machen weiter. Wer nach wie vor die große Linksentwicklung zu einer "Linkspartei" (die Zeitschrift Sozialismus spricht von "Neugründung der Linken") erwartet, hat keine andere Wahl, als auf diesen Prozess zu hoffen.
Wer dagegen überraschend vor der Vereinigung mit der PDS steht, kann austreten um gegenüber der "Linkspartei" … sich selbst wie die MLPD als "sozialistische Alternative" anzubieten?
Die einzige unsektiererische Perspektive besteht nicht in der Proklamation des eigenen Parteiladens als der Alternative gegenüber der "Linkspartei", sondern in der Konzentration auf den Aufbau des Widerstandes in Betrieben, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen hin zu einer außerparlamentarischen Opposition. Dazu bedarf es der gemeinsamen Anstrengungen der Gewerkschaften, der sozialen Bewegungen und der ganzen Linken, auch derjenigen, die hoffentlich das Projekt "Linkspartei" politisch überleben werden.

Rassismus als Kapitalismuskritik?
Oskar Lafontaine auf einer Demonstration am 14.6.2005 gegen Hartz ?IV in Chemnitz:
"Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen" (FR 17.6.2005).
In seiner Rede auf dem Landesparteitag der WASG-NRW am 18.6.2005 in Köln korrigierte sich Lafontaine:
"Zu meinem Begriff des `Fremdarbeiters`. Ich sehe Fremde eher im Sinne der griechischen Sprache. Dort heißt Fremder auch Freund und Gast. Ich will diesen Begriff in keinem Zusammenhang mit den Nationalsozialisten verstanden wissen" (Homepage WASG NRW).
Mit dieser "Korrektur" würde nun die nach Oskar Lafontaine richtige Aussage lauten:
"Der Staat ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Freunde und Gäste ihnen zu Billiglöhnen die Arbeitsplätze wegnehmen".
Der "verbesserte" Spruch ist nicht weniger rassistisch als der vorher verwendete Begriff "Fremdarbeiter". Von den bürgerlichen PolitikerInnen und Medien wird fast nur Lafontaines Wortwahl kritisiert, nicht aber der Inhalt seiner Aussage. Bereits früher hatte sich Lafontaine gegen die Einwanderung von Russlanddeutschen ausgesprochen oder für Auffanglager für Asylsuchende in Nordafrika.

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