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Griechenland

Nach der Schließung der staatlichen Senders ERT – Ein neues Widerstandszentrum in Griechenland

07.07.2013

Der nachfolgende Text erschien am 24. Juni in der US-amerikanischen Zeitung Socialist Worker.  Wir haben den Text ins Deutsche übersetzt. Die Zwischenüberschriften entstammen nicht dem Original. Sie wurden der Übersichtlichkeit halber vom Übersetzer hinzugefügt.

Der Widerstand gegen Sparpolitik und die soziale Krise in Griechenland hat sich rund um die Besetzung der staatseigenen Rundfunk- und Fernsehstation ERT neu formiert, nachdem die Regierung – zum ersten Mal seit der Militärdiktatur in Griechenland – den Versuch gemacht hat, den Sender zu schließen. Seit mehr als einer Woche versammeln sich tausende von Menschen auf dem Gelände des ERT Hauptquartiers, um die BesetzerInnen vor Angriffen seitens der Polizei zu schützen.

Die ERT-Besetzung und die Solidaritätsbewegung, die sie verteidigt, sind die bisher größte Herausforderung für die Regierung von Premierminister Antonis Samaras und seine Mitte-Rechts Partei “Nea Demokratia” (ND). Nea Demokratia hat vor einem Jahr mit sehr knappem Vorsprung die Parlamentswahlen vor der Koalition der radikalen Linken, SYRIZA, gewonnen. Das führte zu einer Koalitionsregierung mit PASOK, der Mitte-Links-Partei in Griechenland, und der kleineren Mitte-Links Partei, DIMAR. Samaras und sein Regime betrieben eine Politik des Durchdrückens von Sparmaßnahmen, wie sie von der Troika – Europäische Union, Europäische Zentralbank und IWF – als Gegenleistung für die “Rettungsaktionen” zugunsten des griechischen Finanzsystems gefordert wurden.

Panos Petrou, Mitglied der der sozialistischen Organisation “Internationale Arbeiterlinke” (DEA), eine der Gründungsorganisationen von SYRIZA in 2004, erklärt, wie die ERT-Besetzung die politische Situation in Griechenland verändert und neue Möglichkeiten für die Linke eröffnet hat.

2012: Rückgang der Kämpfe

Letzten November gelang trotz eines 48-stündigen Generalstreiks und Massendemonstrationen vor dem Parlament nicht zu verhindern, dass ein neues Sparpaket verabschiedet wurde. Seit diesem Zeitpunkt haben die Führungen der wichtigsten Gewerkschaftsdachverbände praktisch die Organisierung von Kämpfen eingestellt.

Dadurch wurden auch viele AktivistInnen bis zu einem gewissen Grad entmutigt. Über einen Zeitraum von drei Jahren hatten sie Streiks und Demonstrationen organisiert, sie hatten bei den Wahlen im Mai und Juni bei den Wahlen erreicht, dass die Koalition der radikalen Linken, SYRIZA, mehr als ein , Viertel der Stimmen bekam und sie waren im November wieder auf die Straße gegangen; Dennoch mussten sie erleben wie ständig neue Wellen der Austeritätspolitik über ihnen zusammenschlugen und ihr Leben erschütterten.

Viele GenossInen in SYRIZA kamen unter diesen Umständen zu dem Schluss, dass die Leute verzweifelt und eben nicht bereit seien zu kämpfen. Die Führung von SYRIZA schlug eine Taktik des Abwartens ein. Man wollte abwarten bis die Regierung unter der Last ihrer eigenen Widersprüche zusammenbricht und orientierte seine Politik auf parlamentarische Manöver, um für diesen Fall zur Stelle zu sein.

All dies waren Gründe für einen deutlichen Rückgang der Kämpfe in Griechenland – zumindest im Vergleich zur Militanz in den Jahren davor.

Samaras: selbstgestrickte Erfolgsgeschichte

Natürlich gab es auch seit November 2012 wichtige Kämpfe. Beschäftigte in vielen Sektoren versuchten militante und anhaltende Kämpfe zu organisieren – Transportarbeiter, Seeleute, Regierungsbeschäftigte, Lehrer.  Aber sie alle sahen sich mit immer öfter mit unverhüllt autoritären Maßnahmen der Regierung konfrontiert.

Innerhalb weniger Monate zog Samaras in allen vier Fällen die Karte einer “Dienst- und Arbeitsverpflichtung” um die die Streiks zu zerschlagen – eine extreme Maßnahme, die seit dem Ende der Militärdiktatur bis dahin gerade drei Mal zur Anwendung gekommen war. Im letzten fall, als die Lehrergewerkschaft ankündigte, während der Zeit der Prüfungen streiken zu wollen, griff Samaras zu einer bisher nicht bekannten Law-und-Order Maßnahme: Er verhängte die “Dienst- und Arbeitsverpflichtung” gegenüber den Gewerkschaftsmitgliedern schon präventiv, was zur Folge hatte, dass die Gewerkschaft den Streik abblies.

Durch diese Erfolge bei der Ausübung der Regierungsgewalt gegen Streik schuf sich Samaras das Image eines starken Führers, der stets vorwärts geht. Zum Entstehen dieses Bildes trug ein publizistisches Trommelfeuer der Medien über vermeintliche Errungenschaften der Regierung und angebliche wirtschaftliche Fortschritte bei. Der Premierminister und seine Verbündeten wähnten sich selbst als Darsteller in einer “Erfolgsgeschichte”.

Die Senderschließung: Wer Wind sät, erntet Sturm

In dieser Situation entschloss sich Samaras, ERT, den staatliche Fernseh- und Rundfunksender zu schließen. Diese beispiellose Aktion – keine zivile Regierung hat jemals einen staatlichen Sender schließen lassen – war das Resultat von Selbstüberschätzung Samaras glaubte fest an den von selbst geschaffenen Mythos, dass er ohne weite
res die ArbeiterInnenbewegung zermalmen und jede ihm gefällige Politik durchsetzen könne ohne ernsthaften Widerstand fürchten zu müssen.

Die Schließung war aber auch das Resultat von permanentem Druck seitens der Troika. Die Regierung hatte der Troika die Zusicherung gegeben, in diesem Monat (Juni) noch 2000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes zu entlassen. Jetzt da es so aussah als könne die Regierung ihr Versprechen nicht einhalten, glaubte Samaras offenbar, dass die Schließung der ERT der große Wurf wäre: Denn mit einem Schlag hätte er 2600 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes los. Da die Bosse der privaten Sender ohnehin schon die ganze Zeit über ERT als Ort der Verschwendung und der Korruption an den Pranger stellten, glaubte die Regierung offenbar, die ERT Schließung werde in der Öffentlichkeit sehr populär sein.

Die Mischung aus Arroganz und Druck von außen ließ Samaras schließlich zu einer Maßnahme greifen, die die zu diesem Zeitpunkt bestehenden Verhältnisse in Griechenland auf den Kopf stellen sollte.

Am Dienstag, den 11. Juni, kündigte die Regierung an, ERT würde um 23 Uhr am selben Tag den Betrieb einstellen. Und so geschah es auch – jeder Fernsehzuschauer konnte verfolgen, wie in dieser Nacht der Bildschirm schwarz wurde und jeder Radiohörer wurde Zeuge, wie ERT stumm wurde.

Diese unvermittelte Abschaltung der staatlichen Fernsehstation war für viele Leute ein Schock. Schon seit einiger Zeit hatte sich Ärger über das zunehmend autoritäre Gebaren der Regierung aufgestaut – was sich in der in populären Parole seinen Ausdruck fand, der einem Slogan aus der Zeit des Aufstands gegen die Militärdiktatur 1973 entlehnt war: “Brot, Bildung, Freiheit – die Junta endete nicht 1973”.

Die ganze Zeit über warteten die Menschen, die unter der Last der Austeritätspolitik litten, auf einen Anlass zurückzuschlagen – auf den Funken, der das Feuer entzünden würde. Diese beiden Faktoren kamen jetzt zusammen in der kraftvollen Antwort der Bevölkerung auf die Abschaltung der ERT. Im Nu wurde ERT zum Symbol des Widerstands.

Die ERT Beschäftigten beschlossen, das zentrale ERT Sendegebäude zu besetzen und weiter auf Sendung zu bleiben. Gleichzeitig erhoben sie die Forderung nach Rücknahme des Dekrets, das die Schließung des Senders und die Entlassung tausender von Beschäftigten zum Inhalt hatte. Sie organisierten Streikposten, um das besetzte Gebäude zu verteidigen und im Gebäude selbst installierten sie einen Reinigungsdienst. Außerdem schickten sie  eine Botschaft des Widerstands an die Menschen in Griechenland.

Lektion gelernt

Spezialeinheiten der Polizei wurden an die Gebäude mit Übertragungstechnik geschickt, um den Sendebetrieb von ERT zu verhindern. Aber Dutzende von Web-Seiten begannen, das ERT Streikprogramm zu übertragen. Mit dem “illegalen” Senden seitens der ERT wurde die Parallele zum Aufstand von 1973 perfekt – auch damals hatten sich die Studenten, die sich in der polytechnischen Fakultät verbarrikadiert hatten, über einen Piratensender an die Öffentlichkeit gewendet.

Ab Mitternacht 11. Juni strömten tausende von Menschen hin zum Gelände des besetzten Senders um eine Räumung durch Sondereinheiten der Polizei zu verhindern. Von da an versammelten sich Tag und Nacht Menschen auf dem Gelände außerhalb des zentralen ERT Gebäudes.

Es wurden Parolen gegen die die Regierung angestimmt. Die Sprecher der Sender BesetzerInnen spielten bekannte linke Lieder aus den 1970er Jahren, die Hymnen der Widerstandsbewegung gegen die Nazis aus den 40er Jahren und das italienische Lied “Bella Ciao”. Dutzende von Bands und zahllose Künstler machten Solidaritätskonzerte auf dem Gelände des ERT Gebäudes. Das ERT-Orchester veranstaltete Konzerte für die Menschen, die sich um das Gebäude herum versammelt hatten.

Es sieht ganz so aus als wären die bitteren aus der Niederschlagung der Streiks durch die Regierung Lektionen gelernt worden – was ja nicht zuletzt einem Mangel an organisierter Solidarität zuzuschreiben war. Und man wiederbelebte die erfolgreiche Praxis aus der Platzbesetzerbewegung im Frühjahr 2011: Es gab eine massenhafte körperliche Präsenz um die die Streikenden und das Gebäude vor Angriffen der Polizei zu schützen und parallel dazu große Versammlungen und intensive Diskussionen, Gemeinschaftsküchen usw. Natürlich war Athen das Zentrum des Kampfes. Aber in Thessaloniki sah es nicht anders aus: Vom besetzten Gebäude des Lokalsenders ET3 wurden Programme über die sozialen Kämpfe ausgestrahlt. Genauso war es in jeder Stadt, wo es eine ERT Radiostation gab, die versuchte weiter zu senden.

Einheit im Kampf

Das Thema ERT war zu einem Brennpunkt des Kampfes geworden. Dutzende von Solidaritätserklärungen von verschiedenen Gewerkschaftsgliederungen wurden auf dem Gelände verlesen. Die Senderschließung hatte für so großes Aufsehen gesorgt, dass sogar internationale Medien ihre Solidarität mit der ERT erklärten – einige französische Zeitung erschien zum Beispiel mit geschwärzter Titelseite. Es gab Solidaritätsdemonstrationen in London, Paris und anderen europäischen Städten.

Es gab auch Solidaritätsstreiks. Da sie enorm unter Druck gerieten, kamen auch die Führer der beiden Gewerkschaftsdachverbände nicht umhin, für Donnerstag, den 13. Juni einen Generalstreik auszurufen. Anstelle der traditionellen Route hin zum Syntagma Platz gegenüber dem Parlament wurde nun als Endpunkt der Streikdemonstration das ERT Geländes angesetzt. Tausende von Menschen versammelten sich dort. Beschäftigte im Medienbereich waren seit
Tagen im unbefristeten Streik, so dass als einziges Programm ERT sendete.

Viele Medienbosse organisierten Streikbrecher Aktionen. So gelang es ihnen, ihre Zeitungen herauszubringen. Als Antwort darauf veröffentlichten die Streikenden eine Streikzeitung der Gewerkschaften – eine Maßnahme, die zum ersten Mal seit 1975 wieder stattfand.

Abgesehen von der Besetzungsaktion in Athen  war die spektakulärste Phänomen die Einigkeit in der Aktion zwischen allen linken Kräften. Es waren tausende von DemonstrantInnen auf dem Gelände, aber das Herz und Seele der Mobilisierung waren die linken AktivistInnen.

Zum ersten Mal seit Jahren konnte man/frau Parteifahnen von SYRIZA und ANTARSYA, der KKE nahen Gewerkschaften und der Anarchisten und Antiautoritären in trauter Eintracht nebeneinander wehen sehen. Mitglieder von SYRIZA, ANTARSYA, der kommunistischen Partei und der anarchistischen Bewegung standen Schulter an Schulter, um die Besetzung zu verteidigen.

Regierung kriegt die Krise

Die Senderbesetzung und die Proteste sorgten für eine große Krise innerhalb der Regierungskoalition.

PASOK und dann auch DIMAR drückten öffentlich ihre Missbilligung von Samaras Vorgehensweise aus. Nach drei Krisensitzungen entschied sich DIMAR zum Austritt aus der Koalition.

DIMAR hatte bisher der Koalition als linkes Feigenblatt gedient. Jetzt muss die Regierung ohne Feigenblatt auskommen. “Nea Demokratia” und PASOK bleiben zusammen und diskutieren die Details einer Umstellung des Kabinetts und neue Absprachen über das politische Programm. In der Frage der ERT scheinen sie sich auf ein Wiederanschalten des Senders geeinigt zu haben, aber in neuem “reformierten” Format – was beinhaltet, dass ungefähr 1500 Leute entlassen werden sollen und ein neuer nationaler Fernsehsender geschaffen werden soll mit deutlich schlechteren Arbeitsbedingungen und noch stärker unter der Regierungsfuchtel als bisher.

Das Finanzministerium hat bereits angekündigt, dass eine “Neue ERT” alsbald starten soll und dass die Beschäftigten alsbald Abfindungen erhalten sollen – was so viel heißt, dass die Entlassungen beschlossene Sache sind.

Besorgniserregender an der Ankündigung des Ministeriums ist die Aufforderung an Adresse der ERT-Beschäftigten, das Gebäude zu räumen, damit die neuen Regeln in Kraft treten können. Das läuft auf eine Drohung mit einem Einsatz der Sonderpolizei hinaus. Die Gewerkschaft der ERT-Beschäftigten hat geantwortet, dass alle im Gebäude bleiben. Gleichzeitig hat sie zu Solidaritätsdemonstrationen aufgerufen.

Es scheint so als würde Samaras politisch überleben. PASOK Führer Evangelos Venizelos hat erklärt, dass die politische Stabilität und die Stabilität der Regierung sein oberstes Anliegen seien. DIMAR Mitglieder scheinen unzufrieden mit dem Ausscheiden ihrer Partei aus der Regierung zu sein – die offizielle Position der demokratischen Linken ist offiziell eine kritische Unterstützung der Regierungsmehrheit.

Unabhängig von den Entscheidungen der Parteiführungen – es ist offensichtlich dass die Regierung jetzt, ein Jahr nach Regierungsübernahme, in einer tiefen Krise steckt.

Soziale Bewegungen organisieren!

Der Kampf um die ERT ist beileibe nicht vorüber. Wir können nicht voraussagen, wie er ausgeht, aber er ist ein schwerer Rückschlag für Samaras. Das Image des allmächtigen Premierministers und seiner “Erfolgsgeschichte” ist Vergangenheit. Gegenwart sind die Krise der Regierung, die Demonstrationen rund um die ERT Zentrale und die internationalen Proteste gegen die Abschaltung.

Als er von Unten ernsthaft herausgefordert wurde, zeigte Samaras , was er wirklich ist: Der Führer der rechten Hardliner Fraktion in Nea Demokratia, der nicht in der Lage ist die Koalition oder auch nur seine eigene Partei ohne große Konflikte zu kontrollieren – es gibt Gerüchte, wonach Teile von ND die Führungsqualitäten von Samaras in Frage stellen und über seine mögliche Ersetzung diskutieren. ERT war das Ereignis, das nötig war, um zu zeigen, dass das Ziel, der Regierung eine Niederlage zuzufügen, viel realistischer ist als viele gedacht hatten.

Es muss aber klar sein, dass wir unsere Hoffnungen nicht auf parlamentarische Manöver zwischen den Parteiführungen setzen sollten. Der Kampf um die ERT hat für die Linke eine Chance eröffnet, eine politische und soziale Bewegung gegen die Regierung zu organisieren. Alle Kräfte und AktivistInnen müssen sich für dieses Ziel engagieren.

Das heißt: Durch Kampagnen an Arbeitsplätzen und in den Wohngebieten, Unterstützung für ERT organisieren immer wieder die Notwendigkeit der Vereinheitlichung der Kämpfe herausarbeiten, Solidaritätsaktionen organisieren. Versammlungen einberufen, Druck auf die Gewerkschaftsdachverbände machen, damit sie zu weiteren Generalstreiks aufrufen. Einige Kräfte in der Linken tun das bereits. Aber es muss der Normalfall linker Aktivität werde.

Schlussfolgerungen

Egal wie der Kampf um die ERT ausgeht, es gibt jetzt bereits einige Schlussfolgerungen die wir für die kommenden Wochen und Monate im Kopf behalten sollten.

Erstens:  Selbst wenn die Regierung diese Krise übersteht, wird ihre Schwäche
ein Thema sein. Hinter dem Mythos von der “Erfolgsgeschichte” tritt immer deutlicher die Wirklichkeit hervor. Die Krise ist tiefer als vorhergesagt – die Wirtschaft schrumpfte im ersten Quartal 2013 um 5,6 Prozent, verglichen mit dem Vorjahr – und die griechische Wirtschaft wurde herabgestuft von einen “entwickelten” Land zu einem “Entwicklungsland”

Nach all den Austeritätsmaßnahmen wird die Staatsverschuldung 2014 genauso hoch sein wie 2009. Der Versuch Privatisierungen durchzudrücken wird durch geopolitische Widersprüche zwischen russischen, Amerikanischen, europäischen und griechischen “Möchte-Gern"-Investoren blockiert, die sich gegenseitig sabotieren. Die Regierung ist gezwungen, erneute unerträgliche Sparmaßnahmen durchzudrücken ohne auch nur den Anschein eines Auswegs anbieten, geschweige denn versprechen zu können, weil sowohl eine ausgeglichener Haushalt und eine erträgliche öffentliche Verschuldung gegenwärtig wie Luftschlösser aussehen.

Zweitens: Der Kampf um ERT hat Vorbildcharakter. Jede Schule, jedes Krankenhaus, das von Schließung bedroht ist, jedes öffentliche Unternehmen, das von Privatisierung bedroht ist, jede “Reform” des öffentlichen Dienstes – sie alle haben jetzt ein “Widerstandsmodell”, an dem sie sich orientieren können.

Die Schlacht um ERT hat wiederum die Grenzen der von der Regierung bisher praktizierten Politik der “eisernen Faust” bloßgestellt. Das mag die letzte Variante sein, die der Regierung noch bleibt. Aber wenn sie in brüchig wird, so wird das für das gesamte Establishment zum ernsten Problem. Wenn die Berater von Samaras ihm zureden, er solle die ERT Krise so regeln wie der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit den Protest umgesprungen ist, so sollten sie sich daran erinnern, dass tausende von GriechInnen durch die Demonstrationen rund um den Taksim Platz inspiriert wurden.

Samaras ist bereit, mit “eiserner Faust” zu regieren, um die Agenda der herrschenden Klasse durchzusetzen. Wenn wir ihn zu Fall bringen wollen müssen wir unsererseits eine ähnliche Entschlossenheit und eine Bereitschaft zur Anwendung militanter Taktiken aneignen anstatt auf eine parlamentarische Lösung irgendwann in der Zukunft zu hoffen. Die sozialen Kräfte, um dieses Ziel zu erreichen sind vorhanden.

Mit ERT löste sich in Luft auf. Das “unterirdische Glühen des Feuers” brennt weiterhin. Es liegt an den AktivistInnen in den Gewerkschaften und in der Linken das in Aktion zu übersetzen.

Was in den Streiks vom letzten November fehlte, waren eben solche Initiativen. Es war nicht eine allgemeine Kampfmüdigkeit der Arbeiterklasse. Die Linke muss all ihre Anstrengen auf die soziale Mobilisierung richten. Streiks, Besetzungen, Demonstrationen, Solidarität – da liegt unsere Stärke.

Diese Initiativen erfordern Einheit in der Aktion. Die anregende Erfahrung der Einheitsfront, die wir während der ERT Besetzung erlebten, muss zu einer bewussten, systematischen Praxis seitens der Führungen aller linken Organisationen werden. In den Kämpfen gegen Privatisierung, bei der Verteidigung der öffentlichen Schulen und Krankenhäuser, und beim Kampf gegen Lohn- und Rentenkürzungen kann “linke Einigkeit” in der Aktion zum Rückgrat langdauernder Kämpfe werden.

Der Kampf Schulter an Schulter, in Einheitsfront für unmittelbare Tagesforderungen gegen Sparmaßnahmen wird auch den Weg freimachen für eine ehrliche und kameradschaftliche Diskussion um weitergehende Fragen wie unsere Haltung zur Eurozone, die öffentlichen Schulden und die Ziele einer Linksregierung.

Das heißt nicht, dass wir wichtige politische Themen einfach ignorieren sollten Im Gegenteil, der Vorschlag für linke Einheit in der Aktion ist der erste Schritt dahin, diese Fragen wirklich anzugehen. Der Weg, den wir einschlagen sollten, ist nicht der der parlamentarische Manöver um die Gewinnung von mehr Sitzen im Parlament. Es ist der der militanten Einheitsfront der fortgeschrittenen Teile der Arbeiterschaft.

Das gibt dem Begriff einer “Linksregierung” einen konkreten Inhalt. Das wird eine Regierung, die aus den außerparlamentarischen Kämpfen der Arbeiterklasse hervorgehen wird mit AktivistInnen, die in diesem Kämpfen verwurzelt sind.

Die herrschende Klasse wird ihr Möglichstes tun, um die gegenwärtige politische Krise zu überwinden. Sie wird das auf parlamentarischer Ebene tun mittels Versuchen das Parteiensystem umzukrempeln und sie wird es auf der außerparlamentarischen Ebene versuchen mit einer Gegenoffensive, die ideologische, politische und repressive Dimensionen haben wird.

Unsere Antwort muss von der gleichen Entschlossenheit getragen sein wie die ihre. Die herrschende Klasse wird nicht freiwillig das Feld räumen. Wir müssen sie dazu zwingen – mit allen erforderlichen Mitteln.

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