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Innenpolitik

Nach Berliner Abgeordnetenhauswahlen: Die Zeichen stehen auf Rot-Rot-Grün

14.11.2016

So wie es aussieht, wird der nächste Senat von Berlin (Landesregierung) von einer Koalition aus SPD, LINKE und den Grünen gestellt werden.

So wie es aussieht, wird der nächste Senat von Berlin (Landesregierung) von einer Koalition aus SPD, LINKE und den Grünen gestellt werden.

Gleich nach der Wahl zeigte sich, wohin die Reise gehen soll: Eine Rot-Rot-Grüne Koalition wird angestrebt. Dass SPD und Grüne um jeden Preis regieren wollen, ist selbstverständlich, bei der LINKEN gab es im Rahmen der Sondierungsgespräche und Verlautbarungen des Vorstandes ein sprachliches Her­antasten an Möglichkeit einer erneuten Regierungsbeteiligung. Hier spricht man von einem neuen Stil der Politik und von Her­ausforderungen in den nächsten fünf Jahren.

Koalitionsverhandlungen

Am 25. Oktober sollen die Koalitionsverhandlungen beginnen und der Vorstand der Berliner LINKEN kann mit deutlicher Rückenstärkung der Partei in diese Verhandlungen gehen: Auf der Sitzung des Landesvorstandes am 19.10.16 sprachen sich von siebzehn Mitgliedern zwölf für die Aufnahme solcher Gespräche aus, bei zwei Gegenstimmen und drei Enthaltungen. Bei der folgenden Delegiertenversammlung (142 Delegierte) gab es eine breite Zustimmung für diese Gespräche. Die nächsten Wochen werden zeigen, wie die konkrete Koalition mit welchen Personen dann ab Dezember den Senat stellen wird. Sollte die LINKE in die Landesregierung einsteigen – und davon ist auszugehen –, dann wird es die zweite Regierungsbeteiligung der LINKEN (anfangs noch als PDS) nach 2002-2011 in Berlin sein.

Erinnerungen an damals

Die erste Regierungsbeteiligung in Berlin lastet wie eine schwere Hypothek auf der LINKEN. In diese Zeit fällt die Verarbeitung des Berliner Bankenskandals, der zur Folge hatte, dass Berlin Risiken aus desaströsen Immobiliengeschäften der damaligen landeseigenen Bankenholding in Milliardenhöhe ohne Gegenwert übernehmen musste und den Haushalt an den Rand des Ruins brachte. Um überhaupt als Regierung weitermachen zu können, wurden über 60 000 Wohnungen landeseigener Gesellschaften privatisiert, mit fatalen Folgen für die Mieter; man sprach damals vom Verkauf des Tafelsilbers. Einstellungsstopps und massiver Personalabbau in der öffentlichen Dienstleistung wurden durchgezogen.

Die damalige PDS beteiligte sich an den Konsolidierungsmaßnahmen des Haushaltes, der besonders durch die Politik der vorhergehenden Regierung in extremer Schieflage war. Wie so häufig kommen dann linke Kräfte zum Mitregieren, wenn die bürgerlichen Parteien als Verwalter des kapitalistischen Systems die Gemeinwesen in die Sümpfe geritten haben.

Fairerweise muss gesagt werden, dass die PDS/LINKE damals einer weitergehenden Privatisierung landeseigener Betriebe einen Riegel vorschieben konnte und sich für die Re-Kommunalisierung auch der Wasserbetriebe eingesetzt hat. Im Sozialbereich versuchte die PDS besonders für Hartz-IV-Empfänger­Innen deren Wohnraum zu sichern und schaffte Jobs im sogenannten zweiten Arbeitsmarkt. Auch die heutigen arbeitsmarktpolitischen Erfolge in Berlin, besonders im Bereich neuer Technologien, sind wesentlich auf die Arbeit des Teams unter dem damaligen Senator Harald Wolf (LINKE) zurückzuführen.

Heute sehen die Bedingungen nicht viel besser aus. SPD, Grüne und Linke wollen die unzumutbaren Zustände z. B. bei den Bürgerämtern (bis zu fünf Wochen Wartezeit auf einen Bearbeitungstermin!) abschaffen, wollen mehr Personal einstellen, die Situation an den öffentlichen Schulen verbessern (mehr Lehrkräfte), die Gebäude sanieren, den sozialen Wohnungsbau wiederbeleben, mehr für den Schutz und die Sicherheit der Bürger investieren (Polizei) und eine neue Verkehrspolitik forcieren (weniger Autos, mehr Fahrräder).

Allerdings wurde bereits Anfang Oktober klar, dass dem Land aufgrund von geänderten steuerpolitischen Beschlüssen der Bundesregierung bis zu einer Milliarde weniger Mittel als bisher angenommen zur Verfügung stehen werden. Schon spürt man eine Ernüchterung nach der Euphorie, es deutet sich wieder einmal die Verwaltung des Mangels an. Die Koalitionsverhandlungen der nächsten Wochen werden in eine Wunschliste unter Vorbehalt münden.

Zur Kritik an der LINKEN

Die LINKE ist erklärtermaßen– auch nach dem Selbstverständnis der überwältigenden Mehrheit ihrer Mitglieder – eine reformistische Partei. Ihr das vorzuwerfen ist unsinnig. Auch wenn viele Mitglieder der LINKEN sich an außerparlamentarischen Aktionen, in Initiativen und der Gewerkschaft aktiv beteiligen, liegt die Orientierung auf der parlamentarischen Arbeit, was in der Konsequenz in eine angestrebte Regierungsbeteiligung mündet. Reformen können auf der Straße angestoßen werden (sie werden leider selten dort erkämpft), aber in den Parlamenten beschlossen.

Die Hoffnung, dass es mal Mehrheiten in Parlamenten geben würde, die einen erforderlichen Systemwechsel ermöglichen würden, ist ebenso illusorisch wie die Annahme, dass in der BRD und der EU der Kapitalismus im nächsten Jahr durch einen Aufstand der Massen gestürzt und der Aufbau eines demokratischen Sozialismus auf der Tagesordnung stehen würde.

Berlin ist keine Insel

Es geht ganz einfach darum, welche Wahl einer Partei eine Chance auf kleine Verbesserungen des Alltagslebens mit sich bringen würde und ob eine Regierungsbeteiligung ein kleines vertretbares Übel wäre, also für welchen Preis die LINKE in eine konkrete Regierung einsteigen kann.

Berlin ist keine Insel mehr, die Lebensverhältnisse werden sich nicht gravierend verändern können, dafür werden die Rahmenbedingungen beim Bund und der EU gestellt. Ob ich Radfahrer demnächst bei Rot an der Ampel rechts abbiegen darf (Vorschlag der Grünen), ist zwar nett, aber wird eh schon praktiziert. Eine Regierungsbeteiligung der LINKEN in Berlin ist eine Frage der innerparteilichen Begehrlichkeiten, sie ist aber auch eine Vorbereitung auf eine mögliche Koalition im nächsten Jahr im Bund. Diese Debatte wird spannend und die gesamte Linke in der BRD betreffen. Nur ein Beispiel: Der Altersarmut könnte mit einer anderen Rentenpolitik begegnet werden, ohne dass die jüngere Generation überfordert würde oder alte Menschen als Kostgänger des Staates diskriminiert werden. Eine sozial gerechtere Rentenpolitik dürfte aber ohne die LINKE nicht zu erwarten sein. Welchen Preis darf die LINKE zahlen, um Rahmenbedingungen für soziale Reformen zu ermöglichen?

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