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Innenpolitik

Müntes Scheinkritik

Von D. B. | 01.07.2005

Spätestens seit Anfang des Jahres dämmerte es der SPD-Führung, dass sie – auch nach ihren eigenen Maßstäben – mit ihrer Politik gescheitert ist: Unaufhaltsam liefen ihr die Wähler davon. Damit begann die Suche nach einem neuen Profil.

Aus diesem Grund fiel Münteferings ??Kapitalismuskritik nicht vom Him-??mel. Es war der Versuch, aus einer Sackgasse auszubrechen, denn eine völlige Kehrtwende zu machen und plötzlich von einer Angebotspolitik zu einer keynesianischen Wirtschaftspolitik umzuschwenken hätte ein Trommelfeuer öffentlicher Kritik ausgelöst. Das hätten Partei und Regierung nicht durchgestanden.
Erst recht nicht wollten und wollen sie zu einer klassisch sozialdemokratischen Wirtschafts- und Sozialpolitik wechseln, zu sehr sind sie (wie auch die Grünen) von der Alternativlosigkeit, ja sogar von der Richtigkeit neoliberaler Politik überzeugt. All das plötzlich über den Haufen zu werfen, was man jahrelang selbst aktiv vorangetrieben hat, hätte sie endlosem Spott und grenzenloser Verachtung aller übrigen herrschenden Kreise ausgesetzt. Und da ihnen überdies niemand eine solche Kehrtwende abgenommen hätte, wären damit auch keine Wahlen zu gewinnen gewesen. Die NRW-Wahl hat dies letztendlich bestätigt.
Müntes moralisierender Ansatz
Deswegen sucht der SPD-Chef einen Weg, mit verbaler und folgenloser Kritik an bestimmen Formen (oder Auswüchsen) des Kapitalismus, die Verantwortung für die wachsende Armut und vor allem für die zunehmende soziale Unsicherheit weiter Bevölkerungsteile auf einige Akteure im aktuellen Wirtschaftsgeschehen zu lenken: Zum einen auf bestimmte Formen des Aktienkapitals – vor allem die Hedgefonds, siehe dazu die letzte Avanti – wie auch auf ausländische Aktienbesitzer und Manager, die "keine Rücksicht" auf die deutsche Bevölkerung nehmen.
Die Bedienung fremdenfeindlicher Ressentiments ist auch dann eklig, wenn es um KapitalistInnen geht, sie lenkt nämlich von der Systemfrage ab und schürt nationalistische Gefühle. (Die Deutschen Bank ist wohl auch deswegen zum Lieblingsfeind von Münte und Konsorten geworden, weil ihr Vorstandsvorsitzende, Ackermann, ein Schweizer ist. Breuer wurde seinerzeit nicht angegriffen. Im Gegenteil, er wird immer noch als ehrenwert angesehen, schließlich hat er mit Seifert zusammen den Clou gestartet, mit dem die Frankfurter Börse die Londoner Börse übernehmen wollte.)
Selbst da, wo Münte vom Kapitalismus spricht, geht es ihm nur um die Kritik an bestimmten Formen der Kapitalverwertung (s. Kasten).
Kapitalismuskritik populär
Nachdem vor allem in den 90er Jahren kaum noch jemand wagte, das Wort Kapitalismus in den Mund zu nehmen, ist in den letzten Jahren ein gewisser Stimmungswandel eingetreten. Nicht zuletzt die Leidtragenden der Agenda 2010 in der SPD haben das ihren Parteivorsitzenden spüren lassen.
Der Hintergrund ist eindeutig: Es ist vor allem die weit verbreitete Unsicherheit der Arbeitsplätze. Kaum eine Woche vergeht, ohne eine Hiobsbotschaft über neue Massenentlassungen, oft in der eigenen Region. Oft trifft es Menschen, die man/frau kennt.
Und es ist der drastisch vorangetriebene Sozialabbau (nicht zuletzt Hartz IV) und es ist die sich ausbreitende Erfahrung mit Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung.
Neoliberalismus aktiv gefördert
Auch wenn viele Menschen noch keine konkrete Alternative zur Politik der Bundesregierung sehen und wahrscheinlich die Mehrheit sogar Merkel wählen wird: Eines ist der übergroßen Mehrheit klar. Für die neoliberale Zurichtung der Bundesrepublik der letzten Jahre zeichnet vor allem Rot-Grün verantwortlich. Schließlich hat die Regierung nicht nur die Agenda 2010 in Gang gesetzt, sie hat vor allem gleichzeitig dem Kapital größere Freiheiten gewährt:

– Im Jahr 2001 wurde die Körperschafts- steuer von 40 auf 25% gesenkt. (die jährliche Netto"entlastung" der Konzerne beträgt bis zu 20 Mrd. Euro. Schröder und Münte wollen nach wie vor diesen Steuersatz gerne auf 19% senken.)
– Seit Eichels großer Steuerreform brauchen Kapitalgesellschaften ihre Gewinne aus Aktienverkäufen nicht mehr zu versteuern. Damit wurde ganz konkret die Auflösung der Deutsch- land AG (also der Verflechtungen und Überkreuzbeteiligungen) geför- dert. Kein Wunder, wenn also jetzt Kapitalbewegungen heute so viel häufiger stattfinden als früher. Bei Müntes Klagen gehört also die rot- grüne Bundesregierung als erstes auf die Anklagebank.
– Auch das Wirken von Hedgefonds wurde erst von dieser Bundesregie- rung (nämlich 2003) in Deutschland erlaubt.
– Auch von dieser Bundesregierung zu verantworten: Wenn Firmen ihre Fertigungsstätten ins Ausland verla- gern, können sie die Verlagerungs- kosten (einschließlich der Finanzie- rungskosten) von der Steuer abset- zen. Die anschließend an die hier ansässigen KapitalistInnen abgeführ- ten Gewinne werden nur mit 2% versteuert.

Sei es der Sozialabbau, sei es die Steuerreform: Münte hält nach wie vor alles für richtig, nur sollen doch bitte die KapitalistInnen die "Interessen der Arbeitnehmer" im Auge behalten und nicht ständig nur an die eigene Bereicherung denken.

Müntes Heuschrecken
Wir müssen "in der globalisierten Wirtschaft die Rechte derer schützen, die hilflos sind, wenn anonyme Aktionäre ihnen die Arbeitsplätze zerstören. Wir müssen denjenigen Unternehmern [!!], die die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen und Interessen ihrer Arbeitnehmer im Blick haben, helfen, gegen die verantwortungslosen Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt Erfolg messen, Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen, wenn sie sie abgefressen haben. Kapitalismus ist keine Sache aus dem Museum, sondern brandaktuell." Müntefering: "Freiheit und Verantwortung" in "Tradition und Fortschritt" hrsg. von der SPD, Januar 2005

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