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Feminismus

Mexiko: Ermordete Frauen in Ciudad Juarez

Von Larissa R. | 01.03.2005

Ciudad Juarez ist eine Stadt im Norden Mexikos, die traurige Berühmheit erlangt hat, weil dort seit über 11 Jahren Frauen entführt, misshandelt, vergewaltigt, ermordet und weggeworfen werden, ohne dass dem von behördlicher Seite ernsthaft etwas entgegengesetzt wird.

In Ciudad Juarez, das an der Grenze zu den USA liegt und auch „paso del norte“ genannt wird, leben 1,5 Millionen Menschen. Die Hälfte der EinwohnerInnen stammen nicht aus der Stadt, sondern sind EinwanderInnen. Sie kommen v.a. aus anderen, südlicheren Teilen des Landes und viele von ihnen möchten eigentlich in die USA, aber aus den verschiedensten Gründen bleiben sie in Ciudad Juarez. Andere werden – mit der Hoffnung auf Arbeit – von den dort seit 40 Jahren ansässigen Weltmarktfabriken angelockt. Verteilt auf 10 Industrieparks gibt es in der Stadt ungefähr 500 Maquiladoras mit ca. 300 000 Beschäftigten, deren Anteil zu 70% aus Frauen besteht. Diese sind billiger und arbeiten angeblich mehr. Viele der jungen Frauen kommen alleine nach Ciudad Juarez, da es für sie an den Orten ihrer Herkunft keine Möglichkeiten gibt und ihre Familien das Geld benötigen. Sie leben meistens in großer Armut.
Die eigene Arbeit und Verdienstmöglichkeit und das Leben fern der Familie gibt vielen Frauen eine gewisse ökonomische Selbstständigkeit, was sich darin widerspiegelt, dass sehr viele der Frauen, die in den Fabriken aber auch in Bars und Restaurants oder als Sexarbeiterinnen arbeiten, alleinstehend sind. So ist auch der Anteil an ledigen Müttern in Ciudad Juarez sehr groß.

Drogen und Arbeitslosigkeit

Ciudad Juarez ist aber auch eine der gewal-tätigsten Städte Mexikos, in der es eine hohe v.a. männliche Arbeitslosigkeit gibt und in der – unter dem schützenden Mantel von Polizei und Behörden – Menschenhandel, Waffenhandel, Schmuggel und Prostitution florierende Geschäftszweige darstellen. Die Stadt ist einer der wichtigsten Drogenumschlagplätze Mexikos, ca. zwei Drittel der gesamten Drogenware für den nordamerikanischen Markt finden heutzutage ihren Weg über Ciudad Juarez, was schätzungsweise 200 Mio. US$ pro Tag ausmacht. Die offiziellen Statistiken über Mord, Totschlag, Entführung, und Missbrauch von Amtsgewalt liegen in Ciudad Juarez fünf- bis neunmal über dem mexikanischen Durchschnitt – während gleichzeitig das Anzeigen der Vergehen seit 1997 kontinuierlich abnimmt. Das lässt ein Klima der Angst und des Misstrauens entstehen und erweckt den Eindruck, dass das Recht nicht existiert.
Seit 1993 gibt es noch ein besonders grausames Phänomen: 1993 wurden zum ersten Mal die Leichname von 8 Frauen gefunden, die entführt, vergewaltigt, gefoltert, erwürgt und weggeworfen worden waren.
Seitdem verschwinden in Ciudad Juarez junge Frauen systematisch, werden misshandelt und ermordet. Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen gehen davon aus, dass von 1993 bis heute über 350 Frauen ermordet wurden und dass ca. 500 Frauen weiterhin verschwunden bleiben. Allein im letzten Jahr starben dort 24 Frauen durch Gewaltverbrechen, das sind 10 mehr als im vorhergehenden Jahr. Acht von den Ermordeten wurden noch nicht einmal identifiziert, geschweige denn, dass die Mörder gefunden wurden.
Die Frauen, die i.d.R. nicht älter als 25 Jahre alt sind, schlank und von dunkler Hautfarbe, werden in der Wüste rund um die Stadt, auf Müllhalden oder auf verlassenen Grundstücken tot aufgefunden. Sie stammten aus den ärmeren Gebieten der Stadt, die außerhalb liegen, was bedeutet, dass ihr Weg zur Schule oder zur Arbeit aus langen Fußwegen und Busfahrten durch dunkles, unbelebtes Gelände bestand. Vor allem dann, wenn sie ihn wegen Schichtarbeit mitten in der Nacht zurücklegen mussten.

Keine Aufklärung

Die meisten der Morde wurden bisher nicht aufgeklärt, einige der toten Frauen wurden nie identifiziert, ihre Leichname nie abgeholt. Im Gegenteil – verfolgt man die polizeilichen Untersuchungen über die Jahre hinweg, fallen Unregelmäßigkeiten und grobe Fahrlässigkeiten auf: Irrtümer bzgl. des Datums von Aussagen und Funden der Leichen, Rückstände bei der Lokalisierung, Identifizierung und Suche der Opfer, Fehler in der Aktenführung, Rassismus und Sexismus in den Anklagen. Familienangehörige, die Frauen als vermisst melden, klagen, dass sie von der Polizei nicht ernst genommen und sogar erniedrigt werden und dass sie Sexismus und Rassismus ausgesetzt sind. Jahrelang spielte die Polizei den Ernst der Lage herunter. Es wurde von „Übertreibungen“ und von „Einzelfällen“ gesprochen. Die Presse stellte die Frauen als „leichte Mädchen“ dar, die ein Doppelleben führten oder als Prostituierte arbeiteten und die daher selber die Verantwortung für ihr Schicksal zu tragen hätten. Erst als man den Körper einer jungen Religionslehrerin fand, änderte sich die Berichterstattung.
Nur der Druck durch die sich selbst organisierenden Familien der Betroffenen und ihrer FreundInnen und der internationaler Druck führten dazu, dass die mexikanische Regierung reagierte, eine Sonderkommission und Untersuchungsausschüsse einrichtete und Maßnahmen versprach.
Aber die Maßnahmen, wie z. B. mehr Kontrolle in gefährlichen Wohngegenden und bessere Zusammenarbeit verschiedener staatlicher Stellen, werden nur oberflächlich betrieben und greifen nicht. Den Sonderkommissionen stehen nicht ausreichend Geld und Mittel zur Verfügung, die Untersuchungen liefern kaum Ergebnisse, und die Ergebnisse, die es gibt, sind höchstens partiell. Nichtregierungsorganisationen zweifeln sogar, ob es sich bei den Angeklagten nicht um Sündenböcke handelt. Werden Fehler in den Ermittlungen nachgewiesen, so werden die zuständigen Beamten meistens nicht zur Verantwortung gezogen.
Die Behörden, so scheint es, sind nicht wirklich an einer Aufklärung interessiert, was die Vermutung nahe legt, dass sie selbst bis in höchste Ränge in die Sache verwickelt sind. Korruption, Drogengeschäfte – dabei geht es um viel Geld. Solange gehen die Morde weiter, ohne dass es für die Mörder Konsequenzen hat.

Gesellschaftlicher Kontext

Vermutungen gibt es viele über den Grund für die Morde: Organhandel, satanistische Feiern, gewaltpornographische Filme oder psychopathische Einzeltäter.
Aber was auch immer im Einzelnen der Grund sein mag, eine solche Reihe von ungeahndeten, sadistischen Morden an Frauen sind nur in einem gesellschaftlichen Kontext möglich, in dem die Diskriminierung von Frauen äußert ausgeprägt ist und in dem Gewalt und Verbitterung vorherrschen. Desweiteren bedarf es staatlicher und juristischer Strukturen, die sich nicht mit Entschiedenheit gegen Gewalt gegen Frauen stellen, sondern im Gegenteil den Tätern Straffreiheit gewähren.
Die Konsequenzen für die Morde tragen die Frauen, die sich bei Dunkelheit nicht mehr auf die Straße wagen, denen von höchster Stelle empfohlen wird, keine kurzen Röcke und keine ausgeschnittenen Blusen mehr zu tragen und die mit Drohungen und Beleidigungen umgehen müssen, wenn sie ihre Rechte einfordern.
Die erniedrigende Art in der viele der Frauen vergewaltigt, verstümmelt und unbekleidet abgelegt werden, weisen auf einen Grund hin, der für die Morde – egal ob im privaten Bereich oder auf der
Straße geschehen – eine herausragende Rolle zu spielen scheint: nämlich die Tatsache, dass Frauen Frauen sind.
Diese Morde geben auf eine der grausamsten und extremsten Weisen dem Patriarchat Ausdruck – einem Patriarchat, das in einem sich verändernden Kontext in der kapitalistischen, globalisierten Welt, in der Mangel und Not im Überfluss vorhanden sind, nicht weiß, ob es die Kontrolle behalten kann. Hinter einem Netz aus Vorurteilen, fehlenden Ressourcen, korrupter Bürokratie und Komplizenschaft tritt das Antlitz des Mörders zurück, um in den misshandelten und ermordeten Körpern seiner Opfer wieder zu erscheinen. Auf Müllhalden und an Straßenrändern in Ciudad Juarez ebenso wie in anderen lateinamerikanischen Ländern wie Guatemala, El Salvador, Brasilien, Argentinien und Chile wird der Mörder sichtbar und man bekommt eine Ahnung von seiner Verachtung und der Unvereinbarkeit seiner Vorstellung von der Frau mit einer Realität, in der Frauen – bedingt durch ihre Stellung im ökonomischen Prozess – rigide gesellschaftliche Konventionen überschreiten, kulturelle Brüche provozieren und mehr Rechte und Freiheiten für sich in Anspruch nehmen.
Diese gezeichneten Körper verdeutlichen einmal mehr die Notwendigkeit, gegen die Ungleichheit von Mann und Frau zu kämpfen und festgesetzte, diskriminierende Identitäten wieder und wieder in Frage zu stellen, um eines Tages dahin zu gelangen, dass das Geschlecht keinen Grund für Diskriminierung und Unterwerfung mehr darstellt.

Der Text ist u.a. mit Informationen von diesen Websites entstanden. Hier können auch weitere Infos zum Thema gelesen werden:

www.isis.cl/feminicidio/index.htm
www.mujereshoy.com
www.envio.org

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