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DIE LINKE

Links ist viel Platz. Wohin gehört die neue Linke?

Von Edith Bartelmus-Scholich | 27.02.2006

 

 

Diskussionsbeitrag von Edith Bartelmus-Scholich

 

Welche Bedingungen findet die neue Linke vor?

 

Kapital und Regierende  zeigen sich wenig beeindruckt vom Wahlerfolg der Linken. Die große Koalition knüpft an die Politik der rot-grünen Regierung an und setzt diese fort. 100 Tage nach der Wahl der Kanzlerin steht  schon einmal fest: Die Regelleistung für junge ALG II-BezieherInnen bis 25 Jahre wird um 20% abgesenkt und das Renteneintrittsalter für Männer und Frauen ab 2012 Zug um Zug auf 67 Jahre erhöht. Verantwortet werden beide Gesetzesänderungen von Franz Müntefering  (SPD). Angriffe auf die Errungenschaften der ArbeitnehmerInnen werden mit früher unvorstellbaren Mitteln selbst aus den Reihen der öffentlichen Arbeitgeber vorgetragen. Die Gewerkschaft ver.di meldet, dass im Streik gegen die Arbeitszeitverlängerung von 38,5 auf 40 Wochenstunden die kommunalen Arbeitgeber Streikbrecher, darunter sogar 1-€-Jobber, einsetzen. Unvermindert geht die Arbeitsplatzvernichtung in den Großbetrieben weiter. In einem Atemzug verkünden VW, Deutsche Bank und andere Großkonzerne Rekordgewinne und Streichung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen.

 

Die massiven Angriffe von Arbeitgebern und Regierung haben Einfluss auf die öffentliche

Meinung. Bei einer Umfrage im Februar hatte die Bundesregierung für ihre Politik noch Zustimmung bei 53% der Bevölkerung, die SPD sackte auf unter 30% ab. Im Kontrast dazu sagte im gleichen Monat eine Mehrheit der Befragten, die Forderungen der Streikenden im öffentlichen Dienst seien berechtigt – ein Novum für die Bundesrepublik. Gegen Werksschließungen und Massenentlassungen sowie gegen weitere Verschlechterungen bei Arbeitszeit und Lohn wollen die Belegschaften kämpfen. Es zeichnet sich ab, dass jeder dieser Arbeitskämpfe von den Arbeitgebern mit unerbittlicher Härte geführt werden wird. In diesen Auseinandersetzungen und nicht im Bundestag wird entschieden, ob Kapital und Regierende ihren Kurs weiter fortsetzen oder,  ob sie durch den Widerstand gestoppt werden können. Der Ausgang dieser Kämpfe bestimmt  das Kräfteverhältnis von Kapital und Arbeit in der Bundesrepublik und eröffnet oder verschließt Möglichkeiten für linke Politik in den Parlamenten. Nichts desto weniger kann linke Politik dazu beitragen, diese Kämpfe zu gewinnen. In diesen Auseinandersetzungen ist der Platz der Linken an der Seite der kämpfenden Beschäftigten und nirgendwo anders. Die Bundestagsabgeordneten, die der WASG angehören, handeln danach. Oskar Lafontaine stärkt den ArbeiterInnen des von Schließung bedrohten AEG-Werks in Nürnberg mit einer Rede demonstrativ den Rücken.  Nicht begriffen haben dies führende PolitikerInnen der Linkspartei.PDS Berlin. In ihrer Eigenschaft als öffentliche Arbeitgeber beteiligen sie sich an den Angriffen auf die Errungenschaften der Beschäftigten, so z.B. an der Berliner Charité.

 

Linkspartei.PDS und WASG ringen derzeit um ein Profil und ein Programm für eine vereinigte linke Partei. 74% der 4,1 Mio. WählerInnen zur Bundestagswahl, also 3 Millionen, erwarten von der neuen Linken Oppositionspolitik. Die von Soziallabbau und Angriffen der Arbeitgeber betroffenen Bevölkerungsteile wollen eine Linke, die mit ihnen diese Angriffe abwehrt. Eine linke Partei, die sich an neoliberaler Politik beteiligt, braucht kein Mensch. Es gibt sie nämlich schon. Sie heißt SPD und links von ihr ist noch viel Platz.

 

Die Verhandlungen um Profil und Programm der neuen Linken finden im sterilen Raum der Parteivorstände statt. In kleinen Zirkeln, fern ab von den sozialen Kämpfen, wird über Ziele, Strategie und Taktik der zukünftigen Linkspartei gesprochen. Die Linkspartei.PDS ist bestrebt, strategische Optionen durchzusetzen, die ihr erlauben, in der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit, durch Eintritt in neoliberale Regierungen weiter auf Seiten des Kapitals zu agieren. Sie erweist damit der neuen Linken einen Bärendienst. Jeder Angriff einer Regierung an der die neue Linke beteiligt ist, auf die Errungenschaften der arbeitenden und erwerbslosen Bevölkerungsmehrheit, kostet diese Vertrauen und Wählerstimmen. Mit jeder unglaubwürdigen Handlung eines linken Parlamentariers oder Ministers stirbt ein Stück Hoffnung in das was in die neue Linke sein könnte.

 

Welche Bedeutung kommt der “Berlin-Frage” zu?

 

Parallel zu den Verhandlungen spitzt sich in Berlin die Auseinandersetzung um einen eigenständigen Antritt der WASG zur Abgeordnetenhauswahl zu. Die Mehrheit der WASG Berlin steht zur Grundsatzprogrammatik der WASG und an der Seite der von Sozialabbau und Lohndumping Betroffenen. Die
Linkspartei.PDS Berlin möchte weiter mitregieren, in Berlin Sozialabbau betreiben, öffentliches Eigentum privatisieren, die Bedingungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst verschlechtern. Die Linkspartei.PDS Berlin mit ihren 10.000 Mitgliedern hat Geld, bekannte PolitikerInnen und einen Apparat. Die WASG Berlin mit ihren 850 Mitgliedern besitzt von alledem fast nichts. Trotzdem sagten in einer Umfrage im Februar 4,3% der BerlinerInnen, dass sie die WASG wählen wollen. Eine Partei, deren politisches Programm den Interessen der Menschen entspricht, ist nicht zu stoppen, wenn sie zur Wahl steht. In Berlin zeigt sich, dass neben einer Linkspartei.PDS, die mitregiert, auch heute noch Platz für eine weitere linke Partei ist.

 

Es kann erwartet werden, dass, ein eigenständiger Wahlantritt der WASG die Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS in Berlin beenden wird. Dies gilt auch für den Fall, dass die WASG den Sprung über die 5%-Hürde nicht schaffen sollte. Das mögliche Ausscheiden der Linkspartei.PDS aus der Regierung in Berlin wäre auch unter diesen widrigen Umständen  objektiv dem Parteineubildungsprozess der Linken förderlich, weil in der Opposition auch die Linkspartei.PDS Berlin eine qualitativ andere Politik betreiben muss. Darüber hinaus wird jeder Prozentpunkt, den die WASG in diesem Wahlkampf erringt, ein Argument für die inhaltlichen Positionen und die strategischen Optionen der WASG im Parteineubildungsprozess werden. Die WASG hat alle Möglichkeiten gestärkt aus diesem Wahlkampf heraus zu gehen und es ist im Interesse der ganzen WASG den Landesverband Berlin und damit die Positionen der WASG zu unterstützen.

 

Es war die WASG, die in diesem Land einen linken Aufbruch gewagt hat. Ihr Aufbauprozess ist von einmaliger Dynamik. Bis jetzt haben ihre Mitglieder  fast alles richtig gemacht und rasche Erfolge errungen. Eine Grundlage ihrer Erfolge ist die deutliche Absage an neoliberale Politikentwürfe und die klare Parteilichkeit für die arbeitende und erwerbslose Bevölkerungsmehrheit. Die WASG hat als originäre Gründung von Aktiven aus sozialen Bewegungen und Gewerkschaften in ihrer jungen Geschichte eine engere Verbindung mit diesen erreicht als die PDS in 15 Jahren. Diese Verbindung bewahrt sie bis auf weiteres davor, die Interessen dieser Menschen zu verraten.

 

Durch das unvermeidliche Antreten auf offenen Listen der Linkspartei.PDS zur Bundestagswahl wurde im weiteren Verlauf des Prozesses die Linkspartei.PDS führend. Die Tatsache, dass die Linkspartei.PDS bis zur gemeinsamen Listenaufstellung mit der WASG eine Partei mit bröckelnder Wählerbasis im Osten und vollständig ohne Wählerbasis im Westen Deutschlands war, trat in den Hintergrund. Nun besteht die Gefahr, dass die politischen Fehler, die zu den Misserfolgen der PDS geführt haben, übernommen werden. Die WASG als junge Partei wurde durch den Neuformierungsprozess der Linken in eine Krise gestürzt, die derzeit in eine innere Konstituierung mündet. Durch den gemeinsamen Antritt zur Bundestagswahl mit der Linkspartei.PDS wurde zunächst die WASG nach links geöffnet, viele Mitglieder haben antikommunistische Vorbehalte überwunden. In der Zusammenarbeit der linken Kräfte, und in der Auseinandersetzung mit dem Wahlprogramm zur Bundestagswahl und der realen Politik der Linkspartei.PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern hat danach eine Abgrenzung stattgefunden, in deren Verlauf sich die Mehrheit der WASG-Mitgliedschaft auf den Gründungskonsens der WASG zurück begeben hat. Dieser Prozess wurde begleitet von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Programmatik der WASG und den Ansprüchen an praktische Politik. Das Ergebnis ist, dass sich die WASG mehrheitlich nun ihrer Identität als anti-neoliberale und kapitalismuskritische Partei sicher ist. Dieser Prozess hat nichts mit einer Linksradikalisierung der WASG zu tun, wie dies Klaus Ernst und Fritz Schmalzbauer in ihrem Beitrag “Zum Widerspruch zwischen Parteientwicklung und Linksradikalisierung” glauben machen wollen. Die unterstellte Linksradikalisierung ist in Wirklichkeit ein Beharren auf dem Gründungskonsens der WASG. Wenn Klaus Ernst und Fritz Schmalzbauer, diese Positionen nun als linksradikal empfinden, kann das darauf zurück geführt werden, dass sie selbst unter Aufgabe von Positionen der WASG eine Rechtsentwicklung durchgemacht haben.

 

Was beeinflusst die Entwicklung der neuen Linken?

 

Die Entwicklung in der WASG ist zum Vorteil auch für die Bildung der neuen linken Partei. Mit einer selbstbewussten WASG wird die neue Linke in der Lage sein, die Vertretungslücke in den Parlamenten zu schließen und einen Politikwechsel einzuleiten. Die WASG wird allerdings auch darauf bestehen, dies zu tun. Ihre weiteren Entwicklungsmöglichkeiten und die der neuen linken Partei werden als erstes davon abhängen, wie sich die sozialen Kämpfe entwickeln und in welchem Umfang die WASG bzw. die neue linke Partei daran teilnimmt. Die Annahme von Klaus Ernst und Fritz Schmalzbauer, dass es für die neue linke Partei und eine glaubwürdige Politik dieser Partei, überlebenswichtig ist eine solide Verankerung in der Arbeiterbewegung, insbesondere in den Gewerkschaften zu erreichen, ist grundsätzlich richtig. Allerdings sollten Klaus Ernst und Fritz Schmalzbauer unter dieser Voraussetzung eher Ängste in Bezug auf einen Vereinigungsprozess mit der Linkspartei.PDS haben; denn diese Partei war noch nie tief in den Gewerkschaften verankert. Die von Klaus Ernst und Fritz Schmalzbauer hingegen als gefährlich eingestufte Partei-Linke v
erfügt über zahlreiche bedeutende Vertreter der Gewerkschaftslinken und noch mehr aktive Gewerkschaftsmitglieder. Kollegen wie Bernd Riexinger und Wolfgang Zimmermann finden für ihre Positionen Zustimmung sowohl in den Gewerkschaften als auch in der WASG.

 

Zum zweiten wird die Entwicklung der WASG und der neuen linken Partei davon abhängen, ob und wie es gelingt, die soziale Basis der Partei, die Arbeitenden und Erwerbslosen, zur Mitarbeit in der Partei zu gewinnen und in der Mehrheit zu erhalten. Die Veränderungen in den Politikkonzepten der Grünen beruhen zuallererst darauf, dass die soziale Basis dieser Partei sich in den Jahren nach ihrer Gründung gewandelt hat. Heute gehören die WählerInnen und die meisten Mitglieder der Grünen zum gut verdienenden Bildungsbürgertum. Die Partei vertritt deren Interessen. Folglich ist es falsch zu schließen, die Grünen seien gescheitert, weil die innerparteiliche Demokratie nicht funktioniert habe. Die Veränderung der Politik der Grünen ist vor allem auf den raschen Austausch der Parteibasis zurück zu führen. Eine Partei, die über lange Zeit in der Arbeiterschaft gut verankert  war, ist die SPD. Selbst heute, nach einigen Jahren der Erosion, setzt die Mitgliedschaft der SPD sich noch immer hauptsächlich aus Arbeitern, Angestellten und Rentnern zusammen, von denen viele zudem gewerkschaftlich aktiv sind oder waren. Diese Parteibasis hat über Jahrzehnte Fehlentwicklungen zwar nicht auf Dauer verhindern, aber doch im Tempo bremsen können. Die Politik der SPD hat über lange Zeit den Erwartungen ihrer sozialen Basis im Großen Ganzen  entsprochen.

 

Zum dritten wird die Entwicklung der WASG und der neuen linken Partei von den Strukturen bestimmt werden, in denen sich die politische Willensbildung und die Umsetzung des politischen Willens in praktische Politik vollziehen soll. Vorausgesetzt, die soziale Basis einer Partei ist in ihrer Mitgliedschaft ausreichend vertreten, kommt es darauf an, dass die Parteibasis die Partei wirklich regiert. Hier liegen u.a. Schwächen der SPD und auch der Linkspartei.PDS. Apparat, Führung und die Ebene der mittlere FunktionsträgerInnen haben eine starke Stellung inne, die Parteibasis ihnen gegenüber eine schwache. Führung und mittlere FunktionsträgerInnen geben die wesentlichen Impulse und handeln stellvertretend für die Parteibasis. Die Führung übt über gezielte Förderung einen erheblichen Einfluss auf die Auswahl der mittleren FunktionsträgerInnen aus. Unter diesen Voraussetzungen ist in der SPD in den letzten 10 Jahren ein weit gehender Austausch der mittleren FunktionsträgerInnen gelungen. Heute sind dort überwiegend VertreterInnen tätig, die die neoliberale Wende bejahen und ihre politische Aufgabe losgelöst von der Parteibasis verstehen. Die SPD hat sich von einer Partei, in der Stellvertreterpolitik betrieben wurde, zu einer Ansammlung von “Politikfachpersonal” für von oben vorgegebene Aufgaben  fehlentwickelt. Ihre Erosion ist gekennzeichnet durch Massenaustritte und den Rückzug der Parteibasis in die innere Emigration. Bezeichnenderweise kommen die meisten Anforderungen an Basisdemokratie und Transparenz in der WASG von Mitgliedern die aus der SPD stammen. Die WASG und die neue linke Partei müssen durch eine Struktur, die die Rechte der Mitglieder stärkt und die Rechte der Führung begrenzt, solchen Fehlentwicklungen vorbeugen um auf Dauer eine glaubwürdige, den Interessen ihrer sozialen Basis dienende Politik entwickeln zu können.

 

Weniger bedeutend sind die Impulse einzelner Personen für die Entwicklung der WASG und der neuen linken Partei. Hier gilt, auch wenn über die Medien das Gegenteil vermittelt wird, in einer Partei, die im Aufbau begriffen ist, werden nur Impulse Wirkung zeigen, die in den Köpfen und Herzen der Mitglieder und der  sozialen Basis Wiederhall finden. Auch Oskar Lafontaine und Gregor Gysi machen hiervon keine Ausnahme. Ihre Initiative wurde im Sommer 05 zur Erfolgsgeschichte, weil sie an die Bedürfnisse der Linken und von Millionen Menschen anknüpfte. Wäre dies nicht so gewesen, wäre sie verpufft. Spekulationen, ob Oskar Lafontaine die neue linke Partei nach links treiben könne und werde, sind daher müßig. Er könnte dies tun, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen für eine solche Linksentwicklung da sind, aber unter diesen Bedingungen wird sich eine im Aufbau befindliche und unter den arbeitenden und erwerbslosen Menschen verankerte Partei, die von ihren Mitgliedern regiert wird, ohnehin nach links entwickeln. 

 

27.02.2006

 

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