TEILEN
Geschichte und Philosophie

Leserbrief zum Artikel „Der Piatakow-Radek-Prozess“

Von Gabriel, München | 01.04.2007

Ich möchte mich dem Leserbrief vom Thomas in der letzten Avanti anschließen, der sehr zu Recht von seiner Irritation im Zusammenhang mit dem Titel von Helmut Dahmers Artikel: „Der Piatakow-Radek Prozess und Stalins Holocaust“, berichtet.

Ich möchte mich dem Leserbrief vom Thomas in der letzten Avanti anschließen, der sehr zu Recht von seiner Irritation im Zusammenhang mit dem Titel von Helmut Dahmers Artikel: „Der Piatakow-Radek Prozess und Stalins Holocaust“, berichtet.

Dieser Titel und der Artikel, wie sich beim zweiten Teil deutlich herausstellt, ist ein provokanter Bruch mit unserer Tradition. Der Artikel ist eine Wiederanknüpfung an Ernst Nolte und das Schwarzbuch des Kommunismus. Der Artikel von Dahmer und sein Titel sind schlicht geschichtsrevisionistisch. Dahmer provoziert (bewusst?) mit seiner Formulierung, klärt aber nicht auf.
Aber zunächst zum Begriff Holocaust: Der Begriff ist sicherlich kein geschütztes Label. Mensch findet ihn mehrfach in der Bibel, wo er die Bedeutung eines Blutopfers hat, (z.B. im Zusammenhang mit Abrahams Opferung seines Sohnes Isaak). Der Begriff aber in seiner heutigen konsensualen und spezifischen Bedeutung wurde 1944 in den USA eingeführt und bezeichnet den Genozid an den europäischen Juden. Der Begriff Shoah, was schlichtweg Katastrophe im Hebräischen heißt, setzt sich später zunehmend durch und wurde unter anderem von Claude Lanzmann mit seinem gleichnamigen Film eingeführt.
In seinem Aufsatz zum Historikerstreit, schreibt Ernest Mandel (in „Der zweite Weltkrieg“):

„Der so genannte Historikerstreit ist an erster Stelle entbrannt über die Frage der Einmaligkeit der Nazi-Verbrechen an den europäischen Juden, dem systematischen, sorgfältig geplanten und in kürzester Zeit industriell durchgeführten Mord an sechs Millionen Männern, Frauen und Kindern. Sie wurden selektiert und ermordet aus einem einzigen Grund: Wegen ihrer von der Obrigkeit nach willkürlichen Kriterien bestimmten angeblichen Abstammung. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass dieses Verbrechen tatsächlich einmalig ist, der bisherige Gipfelpunkt der langen Geschichte der durch Menschen an Mitmenschen verübten Unmenschlichkeit.“

Ganz anders bei Dahmer: Für ihn sind Hitlers und Stalins Verbrechen gleichzusetzen. Im zweiten Weltkrieg stand unsere Bewegung bedingungslos auf der Seite der Sowjetunion und der Roten Armee gegen Nazideutschland: Die Parole war und ist heute noch für uns: Spassibo Danke für die Befreiung! (Was für uns nie eine Zustimmung zu Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Polen, Tschechien usw. und die Bombardierung von Städten wie Dresden  beinhaltet hat.) Aber, hätten wir beide Seiten als gleich reaktionär angesehen, wie Dahmer es am Ende seines Artikels suggeriert, dann hätten wir uns neutral verhalten müssen.

Was Dahmer „nationaler Sozialismus“ nennt und Mensch merkt die semantische Nähe zum Nationalsozialismus, war für uns bis jetzt Stalinismus. Ohne die Zahl der Opfer des Stalinismus verharmlosen zu wollen, ist die Frage erlaubt, ob man von Genozid nach den von der UNO anerkannten Kriterien für ein Genozid sprechen kann. Diese wurden nicht aus ethnischen Gründen verfolgt, sondern aus politischen. (wie z. B. auch die indonesischen Kommunisten durch Suharto. Auch das war trotz einer Million Toter kein Völkermord im ethnischen Sinne des Wortes). Von „politischer Genozid“ zu sprechen, wie es Isaac Deutscher tut, scheint mir deswegen falsch zu sein, weil dadurch der ethnische Aspekt des Begriffes übertüncht wird.

Auch die ukrainische Hungersnot war nicht Ziel sondern Folge der Kulakenverfolgung. Diese wiederum war eine Folge der stalinistisch-bürokratischen Antwort auf den Boykott der Kulaken. Dieser Boykott war wiederum die Folge der falschen bürokratischen Wirtschaftspolitik. Während Hitler in Mein Kampf schon die Endlösung der Judenfrage ansprach, wird sich eine derartige Intention in Bezug auf Trotzkisten, Kulaken o.ä. bei Stalin schwerlich in seinen strategischen Schriften finden lassen. Es waren vielmehr mörderische Folgen von kombinierter bürokratischer „Realpolitik“ und stalinschem Wahn.
Der bürokratische Massenmord der Säuberungen beruhte auf einer völlig anderen sozio­ökonomischen Grundlage als der bürokratisch organisierte Massenmord an den Juden. Der Antisemitismus war für die Nazis eine Mobilisierungsideologie, die durchaus ihr Eigenleben entwickelte. Der Antitrotzkismus taugte nicht als eine solche, schon, weil er jeden Sowjetbürger treffen konnte.

Dass der Artikel von Helmut Dahmer von der Avanti-Redaktion unkommentiert veröffentlicht wurde, ist für mich schwer begreifbar. Nicht nur mir im RSB, glaube ich, hat er „Bauchschmerzen“ bereitet. Ich hoffe, dass es zu einer Stellungnahme kommt. 

 

Vor 70 Jahren: Der Pjatakow-Radek-Prozess und Stalins Holocaust (Teil 1 – Avanti 140)

Der Pjatakow-Radek-Prozess und Stalins Holocaust (Teil 2 – Avanti 141)

Erläuterung von Helmut Dahmer zum Artikel "Stalins Holocaust"

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite