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Länder

Leserbrief: Brasilien – Der kontinuierliche Weg in die Katastrophe

Von Anton Dannat/D.B. | 01.04.2004

Joe Hill hat in der AVANTI No.102 eine ungeschminkte Kritik der Politik der Regierung Lula in Brasilien, der PT und auch der VS-Sektion DEMOCRACIA SOCIALISTA (DS) veröffentlicht. Dies steht in erfreulichem Gegensatz zu den verschiedenen Artikeln der letzten INPREKORR (No.282/283), welche zwar ebenfalls die Politik des Präsidenten kritisieren, aber mit keiner Zeile darauf eingehen, dass die DS mit dem Minister für die Landreform Miguel Rossetto in der Regierung vertreten und damit für ihre Politik mitverantwortlich ist.

Joe Hill hat in der AVANTI No.102 eine ungeschminkte Kritik der Politik der Regierung Lula in Brasilien, der PT und auch der VS-Sektion DEMOCRACIA SOCIALISTA (DS) veröffentlicht. Dies steht in erfreulichem Gegensatz zu den verschiedenen Artikeln der letzten INPREKORR (No.282/283), welche zwar ebenfalls die Politik des Präsidenten kritisieren, aber mit keiner Zeile darauf eingehen, dass die DS mit dem Minister für die Landreform Miguel Rossetto in der Regierung vertreten und damit für ihre Politik mitverantwortlich ist.

Was Hill ausblendet, ist die historische Perspektive: Er beschränkt sich auf die aktuelle Politik in Brasilien bzw. Lateinamerika. Fehler oder Systematik? Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass sich Sektionen der Vierten Internationale bzw. des Vereinigten Sekretariats (VS) an bürgerlichen Regierungen beteiligen oder sich in vorgeblich ’linken’ Bewegungen auflösen. Ich erlaube mir, an die Unterstützung der POR in Bolivien für die linksbürgerliche Regierung der MNR in den fünfziger Jahren zu erinnern – kein Führer der damals noch vereinten Vierten Internationale fand etwas daran auszusetzen – die bolivianische Revolution wurde damit verhindert. In den sechziger Jahren wurde die ceylonesische LSSP (heute Sri Lanka) erst als VS-Sektion ausgeschlossen, als sie in die ’linksbürgerliche’ Regierung eintrat; nachdem sie die SLFP jahrelang unterstützt hatte. In Nicaragua weigerte sich das VS, eine eigene Partei aufzubauen, da die Sandinisten ja schon eine revolutionäre Organisation seien …
Die Unterstützung reformistischer Tendenzen führte mehrmals zur Auflösung bedeutender Sektionen des VS: Von der Auflösung der deutschen Sektion in die titoistische UAP zieht sich die Spur der Liquidationen über die Integration der spanischen LCR in ein ’linkes’ Bündnis; die Mehrheit der mexikanischen Sektion schloss sich Cardenas an, die Reste der US-amerikanische SWP sind heute glühende Unterstützer Castros, um nur einige Beispiele zu bringen; als Ironie sei angefügt, dass auch die schweizer Sektion bald von der Bildfläche verschwand, als eines ihrer prominenten Mitglieder Polizeipräsident im Kantönli Zug wurde.
So scheint mir die Kapitulation der DS-Mehrheit in Brasilien kein ’zufälliges’ Umfallen von machtgeilen ex-Genossen, sondern sie steht in der Kontinuität der Geschichte eurer Tendenz der Vierten Internationale, die es zu untersuchen gilt. Eines haben alle diese Ereignisse gemeinsam: Eine Selbstkritik war nach keiner dieser Niederlagen zu lesen! Aber, um ein altes Marx-Zitat zu bringen: Wer nicht bereit ist, aus der Geschichte zu lernen, ist dazu verdammt, ihre Fehler zu wiederholen. Das ist auch der Grund, warum ich als revolutionärer Marxist nicht bei euch Mitglied bin!
Der Autor ist Mitglied der SAV, Sektion des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI) und hat das Buch: „Auf dem Floß der Medusa? Trotzkismus in Frankreich 1924-1939“ aus dem AGM-Verlag Wien verfasst.
 

Antwort
Werter Genosse Anton Dannat!

Mit Recht gehst du sehr kritisch auf die Ereignisse in Brasilien ein. Auch wir sind gegen eine Beteiligung Revolutionärer MarxistInnen an einer bürgerlichen Regierung. Worin sich die Mitglieder der VI. Internationale noch nicht so recht schlüssig sind, ist die Frage, welches der beste Weg ist, diese Sorgen den GenossInnen vor Ort zu vermitteln, denn administrative „Lösungen“ würden rein gar nichts bewegen und gewiss dem revolutionären Marxismus in Brasilien in keiner Weise helfen. Schließlich kommt es darauf an, nicht in besserwisserischer Manier aus der Ferne ein paar allgemeine Weisheiten loszuwerden, sondern in einer konkreten und konstruktiven Debatte mit den GenossInnen an Ort und Stelle die aktuellen Fragen zu erörtern und zu einer gemeinsamen Einschätzung zu kommen. Aber wir führen die Debatte mit den GenossInnen in Brasilien.
Leider sind Deine Ausführungen nicht von der Sorge um eine klare Haltung revolutionärer MarxistInnen geprägt. Dein Brief ist – gelinde gesagt – nichts anderes als ein reines Anpinkeln der IV. Internationale. In jeweils einem Halbsatz stellst Du Behauptungen über Verfehlungen der IV. Internationale in verschiedenen Ländern auf, was in jedem dieser Fälle eine eigene sachliche Richtigstellung erfordern würde. Du solltest dir angewöhnen, nur Dinge zu behaupten, die sich unmittelbar nachvollziehen lassen oder die erkennbar belegt sind.
Und du solltest dich fragen, warum die IV. Internationale für die verschiedensten Sekten, die sonst nichts auf die Reihe kriegen, das begehrte Objekt von Anmache (und der Abwerbungsversuche) ist. Liegt es nicht gerade darin, dass gerade die IV. Internationale – mehr als alle anderen „trotzkistischen“ Strömungen – in so vielen Ländern an vorderster Front im antikapitalistischen Kampf engagiert ist?
Wir werden jedenfalls weiterhin für solidarische Debatten zur Klärung aktueller Fragen des Klassenkampfes eintreten, sowohl innerhalb der IV. Internationale wie auch mit der übrigen Linken hier im Land. Die Art Deines Herangehens lässt bei uns allerdings große Zweifel aufkommen, ob Du an einer solchen Debatte überhaupt Interesse hast.

Für die Redaktion
D. B.
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