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Innenpolitik

Klein-Müntefering und sein Kapitalismus

Von Thadeus Pato | 01.06.2005

Spätestens als Philipp Scheidemann mit der Ausrufung der Republik 1918 half, das deutsche Kapital vor der drohenden Revolution zu retten, war klar, dass mit dieser SPD kein Sozialismus zu machen sein würde. Im Unterschied zu heute wussten damals die Sozialdemokraten allerdings noch, worum es sich bei dem Begriff Kapitalismus eigentlich handelt.

Wie weit es mit der SPD und ihren Vorsitzenden seither gekommen ist, dafür steht seit kurzem der Bebelnachfolger Franz Müntefering. Der hat eine ganz neue Art der Kapitalismusdefinition gefunden. Meint er jedenfalls. Es gibt nämlich nach seiner Meinung einen sozial verantwortlichen und einen sozial schädlichen. Letzteren sieht er exemplarisch in den so genannten Hedge-Fonds repräsentiert – einer Anlageform, die in der Regel hochspekulativ ist (und im übrigen von der amtierenden Bundesregierung 2004 erstmals in Deutschland zugelassen wurde) und die ihn jetzt zu einem Vergleich aus dem Bereich der Zoologie veranlasste.
Hedge-Fonds
Einmal abgesehen davon, dass die von Müntefering getroffene Unterscheidung verdächtig an andere Versuche aus deutscher Vergangenheit erinnert, zwischen „guten“ und „bösen“ Kapitalisten zu unterscheiden („raffendes“ und „schaffendes“ Kapital hieß das damals zu Adolfs Zeiten), lässt sie eigentlich nur den Schluss zu, dass der Parteivorsitzende nicht begriffen hat, was das Wort Kapitalismus eigentlich bedeutet: Die erste und ausschließliche „Pflicht“ des Kapitals ist es, sich zu verwerten, natürlich möglichst gewinnbringend – während in diesem Prozess alles und jedes zur Ware wird. Dabei fließt es logischerweise in die Bereiche, die die höchste Rendite versprechen und wird ebenso rasch wieder abgezogen, wenn die Gewinnmarge zu niedrig ist. Und dafür sind die Hedge-Fonds ideal. Im Gegensatz zu spezialisierteren Anlageformen wie z.B. Immobilienfonds betätigen sie sich auf allen denkbaren Gebieten – vom Aktientermingeschäft (so genannte Leerverkäufe, s.u.) über den Dienstleistungsmarkt bis zum Rohstoffhandel.
Hedge kommt aus dem Englischen und bedeutet eigentlich „absichern“. Das führt allerdings in die Irre: Hedge-Fonds sind spekulative Anlageformen. Sie sind übrigens nicht neu: Ihre Erfindung geht auf Alfred Winslow Jones zurück, der bereits 1949 mit dieser Form der Spekulation begann.
Heute gibt es mehrere tausend Fonds, die insgesamt rund eine Billion Dollar verwalten, die größten Fonds verfügen jeweils über zweistellige Milliardenbeträge. Sie fahren unterschiedliche Anlagestrategien und setzen dabei oft zusätzlich Kredite ein. So investieren sie in unterbewertete Aktien oder kaufen solche, bei denen wegen außergewöhnlicher Ereignisse (Übernahme, Konkurs) Kursausschläge zu erwarten sind. (Oft treten sie dabei nicht offen in Erscheinung). Oder sie kaufen Aktien oder Anleihen aus Schwellenländern, verdienen an Rohstoffen oder so genannten Leerverkäufen (bei denen sie sich Aktien eines Unternehmens gegen eine Gebühr leihen, diese verkaufen und später günstiger zurückkaufen).
Dabei sind sie prinzipiell auf möglichst starke Marktschwankungen angewiesen. Weil dies in letzter Zeit nicht mehr in ausreichendem Maße der Fall ist, steigen sie nun auch direkt bei Firmen ein, um z.B. das Management abzulösen, Reserven ausschütten zu lassen oder höhere Dividenden durchzusetzen. Das heißt nichts anderes, als dass sie das, was sie bisher als Minderheitseigner andere haben machen lassen, jetzt selbst tun. Denn diese Fonds rechnen mit Gewinnmargen, die weit über den derzeitigen Durchschnittsrenditen bzw. –zinsen liegen und die sollen gesichert werden. Dabei sind sie in erster Linie an kurzfristiger Rendite interessiert, was dann entsprechende Folgen für die Beschäftigten der entsprechenden Unternehmen hat. Auch das Aufkaufen und „Ausschlachten“ von Konzernen ist eine beliebte Methode.

Nichts Neues
Nun sind die einzelnen spekulativen Techniken, die angewandt werden, nichts prinzipiell Neues: So etwas wie Warentermingeschäfte z.B. gibt es vermutlich, seit es einen Markt für Agrarprodukte gibt.
Und dass sich die Durchkapitalisierung der Welt nach oben sozusagen auf einer zweiten, ausschließlich durch das Geld vermittelten Ebene fortsetzt, ist kein Auswuchs eines „ungezähmten“ Kapitalismus, sondern seine logische Entwicklung: Ganze Branchen werden zu einer Ware, die in Anteilscheinen auf dem Markt namens Börse gehandelt wird. Die Hedge-Fonds-Betreiber sind letztendlich Händler auf einer relativ abstrakten Ebene; sie sind sozusagen der reine Ausdruck des Strebens nach Profitmaximierung.
Die riesige Aufblähung dieses Sektors soll dabei nicht bestritten werden, aber sie ist letztendlich auch nur eine Folge der andauernden Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals – oder eine Krisenerscheinung, wenn man so will. Auch Kapitalisten spekulieren nicht ohne Grund. Und dass die Hedge-Fonds riskant sind, zeigte sich beispielsweise, als Ende der neunziger Jahre ein von mehreren Nobelpreisträgern gegründeter Fonds Pleite machte. Wenn es auf „normalem“ Wege nicht genug zu verdienen gibt, dann allerdings fließt Kapital auch in spekulative Geschäfte. Dass dies heute im internationalen Rahmen geschieht, stellt ebenfalls eine logische Entwicklung dar – ebenso, wie die Internationalisierung der Produktion. Und dass es innerhalb der kapitalistischen Entwicklung wesentlich anders ginge, ist deshalb auch ein frommer Wunsch.

Handlungsbedarf?
Den sahen einige in der SPD im Gefolge der Müntefering‘schen Äußerungen tatsächlich. Eilig wurde ein Gesetz angekündigt, mit dem die Fonds einer schärferen Aufsicht unterzogen werden sollen, doch am 17.5. bereits konnte die FAZ Entwarnung geben: Finanzminister Eichel meinte nur kurz, da würde Deutschland Kapital verloren gehen und er setze auf eine europäische Lösung. Wo der Eichel Recht hat, hat er Recht: Geld stinkt nicht und die deutsche Wirtschaft braucht Kapital. Der EU insgesamt wird es allerdings auch nicht anders gehen.
Übrigens war ein ganz Mutiger gar auf die Idee gekommen, die Fonds müssten gesetzlich gezwungen werden, Auskunft über ihre Strategie zu geben. Das wäre etwa so, wie wenn man einem Räuber eine Lizenz zum Rauben gibt und ihm dann gesetzlich vorschreibt, seine Pläne vorher zu veröffentlichen.
Nun wird voraussichtlich gar nichts passieren und es wird die Erinnerung an einen SPD-Parteivorsitzenden bleiben, der einmal eine geharnischte Kapitalismuskritik loszulassen meinte und dabei nicht merkte, dass Bebel wahrscheinlich die Aussicht auf einen solchen Nachfolger als persönliche Beleidigung betrachtet hätte. Denn im Gegensatz zu jenem hatte Bebel seinen Marx nicht nur gelesen, sondern ihn auch verstanden.
Eine Frage bleibt: War es in erster Linie der NRW-Wahlkampf, der Müntefering zu seinen wirren Äußerungen bewegte, oder hat er sie tatsächlich ernst gemeint? Es steht zu befürchten, dass beides stimmt: Er hat es wegen des Wahlkampfs getan und gleichzeitig keine Ahnung gehabt, wovon er redet. Armer Bebel.

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