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Kultur

Keine Wahl?

Von Fragen von Wolfgang Alles | 12.05.2013

Ein Interview mit Bernd Köhler

Ein Interview mit Bernd Köhler

Frage: Bernd, „Keine Wahl“ – Deine neue Platte – ist im März 2013 zusammen mit dem gleichnamigen „Lieder- und Geschichtenbuch“ erschienen. Am 6. des Monats fand zudem im Mannheimer Landesmuseum für Technik und Arbeit, vor ausverkauftem Haus und einem begeisterten Publikum, das Konzert mit ewo2 und Gästen zur Vorstellung der CD statt. Zweifelsohne ein großer Erfolg eines sehr ambitionierten linken Projektes mit „Liedern, Gesängen und Balladen aus Arbeitskämpfen“ – aber erkauft um den Preis der Selbstausbeutung?

Bernd: Na ja, das klingt mir jetzt einen Takt zu bitter. Ein solches Projekt anzuschieben und zu handeln bedeutet immer sehr viel Arbeit. Aber das ist ja keine fremdbestimmte Tätigkeit, es ist ja eine Reflektion dessen, wofür ich gelebt habe. Da steckt ja auch viel Selbstverwirklichung drin, Erfahrungen und Erlebnisse, die ich nicht missen möchte.

Nimm zum Beispiel diesen Streik 1985 auf der schwäbischen Alb in Gerstetten. 53 Tage hielten die Streikenden der Willkür des Betriebsbesitzers und des Staates stand, der am Schluss 400 Bereitschaftspolizisten vor Ort kasernierte, um den Streikbrechern den Weg frei zu machen. Die IG Metall-Bezirksleitung organisierte vorbildlich die tägliche Solidarität aus den unterschiedlichen Ecken des Landes, aber im Kern waren es ja die Streikenden, die hier Tag und Nacht gefordert waren, die das durchhalten mussten.

War das Selbstausbeutung? Nein, das war Selbstverwirklichung und Emanzipation – ein Lehrstück fürs Leben. Das Verhalten solcher Kolleginnen und Kollegen war immer der Maßstab für mich, für mein musikalisches Engagement, für meinen persönlichen Einsatz. Wichtig ist natürlich, sich nach solchen Einsätzen oder Projekten auch wieder Auszeiten zu gönnen. Das geht schon seinen Gang, da musst du dir keine Sorgen machen (lacht).

Frage: Das Konzert, das Projekt stand in Verbindung mit der Mannheimer Ausstellung zur Geschichte von 150 Jahre ArbeiterInnenbewegung. Aber es war auch eine persönliche Zwischenbilanz der Zeit von 1971 bis 2013. Wo siehst du die Aktualität?

Bernd: Erstmal ist es ein historisches Projekt über Ereignisse, Einsichten, Erfahrungen, die nicht vergessen werden sollten, aus denen wir etwas lernen können. Ausgangspunkt sind die Lieder, die ich mit Notationen, Akkorden und Texten, also nachsingbar und nachspielbar, festgehalten habe. Aber drumrum gibt es noch, genauso wichtig, die Erzählungen von Zeitzeugen. Geschichten rund um die Aktionen, die zu den Liedern führten.

So ist das Ganze nicht nur ein Liederbuch geworden, sondern ein lebendiges Geschichtsbuch über eine sehr naheliegende geschichtliche Etappe. Gewerkschaftsbewegung aus der Sicht von unten. Es geht um Betriebsbesetzungen, Lehrlinge, die sich zur Wehr setzen, um ungewöhnliche Betriebsversammlungen, harte Arbeitskämpfe, um Siege und Niederlagen und wie sie verarbeitet wurden. Das sind zeitlose, fast klassische Themen. So was wird immer aktuell bleiben.

Frage: Deine Lieder sind nahe dran an realen betrieblichen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen. Wie hast Du zu diesen Themen Zugang gefunden, und was hat Dich hierbei motiviert?

Bernd:
Meine Mutter kam aus einer eher bürgerlichen Familie, mein Vater aus einer Ludwigshafener Arbeiterfamilie – eine ungewöhnliche Konstellation. Aber, bei uns zu Hause wurde viel gesungen, alle Kinder lernten ein Instrument und es wurde auch zusammen musiziert: Klassik, Kirchenmusik, Volksmusik. Da liegen meine musikalischen Roots. Arbeiterbewegung gab es, wenn die Verwandtschaft aus Ludwigshafen zu Besuch kam: Schlosser, Elektriker, Maurer und ein Werkspolizist – da wurde viel getrunken, und es gab heftige und durchaus auch heitere Debatten.

Hinzu kam die politisierte Zeit um ’68. Ich war siebzehn, spielte in einer Sciffle-Group und hörte Radiosendungen über amerikanische Folksongs und deutsche Liedermacher im Radio. Das sollte mich nicht mehr loslassen. Erste eigene Lieder entstanden übrigens, weil ich nur mehr schlecht als recht Gitarre spielen konnte – fremde Stücke nachzuspielen also nicht so mein Ding war – so trivial ist das manchmal im Leben.

Mein Bezug zur Arbeiterbewegung ist neben der politisierten linken Situation auch dem persönlichen Engagement von GewerkschafterInnen und GenossInnen zu verdanken, die klug genug waren, den Protestsänger (so hieß das damals) in gewerkschaftliche oder politisch linke Zusammenhänge einzubinden. Die damalige Mannheimer DGB -Jugenbildungsreferentin holte mich z. B. als Teamer in das gewerkschaftliche Jugendcamp in Markelfingen. Sie schreibt dazu auch einen Artikel im Buch. Ohne diese Zusammenhänge, Kontakte und Herausforderungen wüßte ich nicht, ob das alles so gelaufen wäre, wie es ist.

Letztes Beispiel in dem Zusammenhang ist Alstom und die Leute, die die Idee hatten, mich um ein Lied anzuhauen. Das war vor 10 Jahren, und ich hatte nach diesem politisch toten Jahrzehnt in den 90er-Jahren eigentlich schon mit der Arbeiterbewegung abgeschlossen. Die Erfahrung mit dieser kämpferischen und entschlossenen Belegschaft hat dann aber auch bei mir wieder die Hoffnung geweckt, dass da noch was geht. Das schlug sich auch wieder in neuen Liedern, Texten oder in diesem Projekt nieder.

Frage:
Was sind Deine nächsten musikalischen Projekte?

Bernd: Ich bin jetzt erstmal mit ewo2 und einem Musik-Text-Programm zu 150 Jahre Arbeiterbewegung unterwegs und sehr erfreut über die rege Nachfrage. Der Titel ist nach einem Zitat aus Freiligraths Märzlied von 1849: „Unser die Welt – Trotz alledem”. Unsere Auftrittstermine finden sich auf der website: www.ewo2.de.

Außerdem gibt es dann noch die Konzerte zusammen mit der französischen Chansonsängerin Blandine Bonjour. Und gerne komme ich auch mit Buch und Gitarre zu einer Lesung mit Musik unter dem Motto „Keine Wahl” – auch hier gibt es schon einige Anfragen.

CD und Buch können über www.jump-up.de bestellt werden.

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