Das BSW hatte im Wahlkampf teils Parolen wie „Rechnen lernen statt gendern“. Ich halte das für eine unangebrachte Konzession an rechtsextremistische Ideologie.
Natürlich ist – wie meistens – etwas dran. Es ist ganz richtig, darauf hinzuweisen, dass beispielsweise Frauen in der Arbeitswelt schlechter behandelt und im persönlichen Leben immer häufiger misshandelt oder sogar umgebracht werden, während sie andererseits verbal mehr geachtet werden sollen. Und die „Wokeness“ treibt seltsame Blüten. Normale Menschen fühlen sich davon oftmals genervt und unangenehm belehrt.
„Politische Korrektheit“ – Zielscheibe von Hass und Hetze
Zugleich aber ist die „politische Korrektheit“ eine bevorzugte Zielscheibe der Hetze und Hassparolen von Trump und seinen Abziehbildern in allen Ländern. Der Blödsinn, den sie dabei verzapfen, muss rücksichtslos auseinandergenommen und angeprangert werden.
Nehmen wir zum Beispiel die Behauptung, die heterosexuelle Orientierung sei die einzige, wahlweise natur- oder gottgegebene. Wie kommt es dann, dass – was jeder Schäfer weiß – in jeder Schafherde etwa zehn Prozent der Böcke nur Böcke bespringen? Klar, aus züchterischer Sicht sind das „Versager“, die daher geschlachtet werden. Zum Trost sei aber gesagt, dass sich hier wie sonst auch oft Gutmenschen finden, die diese Böcke retten und ihnen auf eigener Weide bis zum friedlichen Lebensende Gnadenbrot (bzw. -gras) gewähren.
Tatsächlich hat also auch Gott nichts gegen Schwulsein und die ganze Palette möglicher sexueller Orientierungen. Linke verteidigen mit Zähnen und Klauen die Rechte und die Gleichberechtigung der verschiedenen „Minderheiten“ auch in diesem Bereich.
Dasselbe gilt für die Geschlechtsidentität, die übrigens mit der sexuellen Orientierung nichts zu tun hat. Trump sagt, die Politik seiner Regierung sei: Es gibt nur zwei Geschlechter, das männliche und das weibliche, und sonst gar nichts.
Bloß stimmt das einfach nicht. In Wirklichkeit sind „männlich“ und „weiblich“ Pole, zwischen denen es alle möglichen Varianten und Übergänge gibt. Neben der genetischen und chromosomalen Ausstattung der Individuen gibt es die hormonelle Ausstattung, die Ausprägung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale und schließlich die psychische und psychosoziale Verfasstheit. Wieder finden wir in der Wirklichkeit alle Varianten und Nuancen. Und dass manche Menschen ganz sicher fühlen, in einem „falschen“ Körper zu stecken, ist ebenfalls eine vielfach belegte Tatsache. Der Druck gesellschaftlicher Normen treibt Menschen oft dazu, ihre Erscheinung besonders männlich oder weiblich wirken zu lassen.
Die extreme Rechte baut auf eine „natürliche Ordnung“
Die rechtsextremistische Dampfwalze will all das plattmachen – ohne Rücksicht auf die realen Menschen und ihre Vielfalt. Sie tut das mit Bedacht, um die patriarchale Klassengesellschaft zu festigen und die latente Wut der Ausgebeuteten und Unterdrückten auf irgendwelche „andersartigen“ und ohnehin benachteiligten Bevölkerungsteile zu lenken. Die extreme Rechte stützt sich dabei auf das Bedürfnis vieler Menschen, sich in ihrer Verunsicherung an irgendetwas scheinbar Feststehendes („natürliche Ordnung“) zu klammern.
Es gibt eine alte, wohlbekannte, einfache und doch ganz richtige Erkenntnis: Die extreme Rechte braucht Sündenböcke, um die Beschäftigten und Eigentumslosen von ihren tatsächlichen gesellschaftlichen Gegnern abzulenken. Nicht das große Kapital und seine Institutionen und Sachwalter sollen ins Fadenkreuz geraten – bewahre! –, sondern möglichst Bevölkerungsgruppen, die ohnehin besonders benachteiligt sind und an denen man weitgehend straflos und risikofrei seinen Frust auslassen kann.
Verteidigung von Minderheiten – ein Beitrag gegen die Spaltung
Die Verteidigung dieser benachteiligten Gruppen entpuppt sich somit als ein Beitrag zur Herstellung der Klasseneinheit gegen den Klassenfeind.
Für mich liegt auf der Hand, dass das auch mit korrektem Benehmen zu tun hat. Es wäre völlig unangebracht, einen Kollegen, mit dem ich beispielsweise gemeinsam einen Streik organisiere, „nebenbei“ rassistisch zu beschimpfen oder zu beleidigen.
Nehmen wir ein letztes Beispiel, bei dem es um das Geschlechterverhältnis geht: den großen Kampf der britischen Miners – der Bergleute – im Jahr 1984. Der Streik ging bekanntlich verloren, mit fatalen Folgen für das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen – weit über England und das Vereinigte Königreich hinaus. Und doch bleibt er bis heute eine Inspiration und eine Erfahrung, aus der alle Lehren gezogen werden sollten.
Die „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher war naturgemäß das Feindbild Nr. 1 der Bergleute und ihrer wichtigsten Unterstützer:innen. Unter diesen ragten die „Women Against Pit Closures“ heraus – die Frauen der Bergmänner, die gegen die Schließung der Bergwerke kämpften und den Abwehrkampf ihrer Männer enthusiastisch und sehr effizient unterstützten.
Das waren Frauen, die sich nicht zu schade dafür waren, dem charismatischen Führer der Bergarbeitergewerkschaft und des Streiks zuzujubeln und ihm den Rücken zu stärken: „Arthur Scargill, we back you ever more!“
Doch unter den von ehrlichstem und ehrenwertestem Klassenhass geprägten Parolen gegen Thatcher mischten sich auch solche, die sie in Zusammenhang mit ihrer Weiblichkeit angriffen – sexistische Sprüche inbegriffen.
Den Women Against Pit Closures stieß das bitter auf, und sie verbaten sich solche Parolen: „Wenn ihr Thatcher als Frau angreift, dann greift ihr uns mit an. Schlimmer noch: Ihr zwingt uns damit, sie – die wir doch hassen wie sonst niemand auf der Welt – gegen euch in Schutz zu nehmen.“
Die Bergmänner hörten zu, verstanden und änderten ihr Verhalten.
Wiederum zeigte sich also: Eine Änderung des Verhaltens im Sinne einer emanzipatorischen, respektvollen Ausdrucksweise war ein Beitrag zur Herstellung der Einheit gegen den Klassenfeind.
Überhaupt sind fortgeschrittene Klassenaktionen Brutstätten für demokratische Selbstorganisation, politische Bewusstwerdung und eine wachsende Sensibilität für alle Belange der Befreiung von Unterdrückung und Diskriminierung jeglicher Art.