Kapitalismus, Chaos und Corona 2.0
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Was tun?

Kapitalismus, Chaos und Corona 2.0

Von Koordination der ISO | 06.11.2020

Ursachen bekämpfen, nicht Symptome

Es schaukelt sich etwas hoch. Die Angriffe der Herrschenden auf die arbeitende Klasse werden massiver. Das Chaos der prokapitalistischen Politik nimmt zu. Die hetzerische Aggressivität der Rechten, der Nazis und Verschwörungsjünger*innen wächst. Zudem sind wir mitten in einer zweiten Welle der COVID-19-Pandemie, deren Ende nicht in Sicht ist. Bekämpfung der Ursachen – Stopp der Naturzerstörung, der Ausbeutung der Tierwelt und der Ausbreitung von Zoonosen, Umstellung der „Lebensmittel“-Produktion? Fehlanzeige.

Vor dieser düsteren Kulisse stellt sich umso dringender die Frage: Was tun? Alle, die mit diesen gefährlichen Entwicklungen nicht einverstanden sind, sollten wirksame Antworten suchen und daraus gemeinsame Vorschläge für den Aufbau einer breiten, bereichsübergreifenden Gegenwehr entwickeln. Dazu ist eine politische Perspektive im Interesse der großen Mehrheit, im Interesse der arbeitenden Klasse zwingend erforderlich.

In ihrem Zentrum sollte deshalb ein Aktionsplan öffentlicher Aufgaben und Maßnahmen sein. Er ist demokratisch zu entwickeln und durchzusetzen. Entscheidend ist dabei die Erringung gesellschaftlicher Kontrolle über die Konzernzentralen als Knotenpunkte wirtschaftlicher und damit letztlich auch politisch, medial, ökologisch und sozial wirksamer Macht.

Unsere Antworten

Dem Klassenkampf von oben kann nur effektiv begegnet werden, wenn es gelingt, eine breite und konsequente Bewegung von unten zu entwickeln. Immerhin gibt es dafür in der letzten Zeit verstärkt positive Ansätze.

  1. Die Warnstreiks im Öffentlichen Dienst haben gezeigt, dass Arbeitskämpfe auch in Zeiten der Pandemie möglich sind. Sie hatten mehr uneingeschränkte und praktische Solidarität verdient. Die Kooperation von ver.di, Fridays for Future und anderen bei der Auseinandersetzung um den Tarifvertrag Nahverkehr (TVN) ist ein wichtiger Schritt in eine begrüßenswerte Richtung gewesen. Der von der allgemeinen Tarifrunde des Öffentlichen Diensts abgekoppelte und jetzt ebenfalls beendete Streit um den TVN hätte die Solidarität aller verdient gehabt, die eine Verkehrswende wollen.
  2. Die provokante Verhandlungsführung der Gegenseite im Öffentlichen Dienst kam nicht zufällig. Der Konflikt um einen neuen Tarifvertrag war nicht nur für ver.di selbst, sondern auch darüber hinaus von großer klassenpolitischer Bedeutung. Die anfangs brüske Zurückweisung der zentralen Gewerkschaftsforderung für die 2,3 Millionen Beschäftigten – 4,8 % mehr Entgelt, mindestens aber 150 Euro pro Monat bei einer Laufzeit von 12 Monaten – hat für sich gesprochen. Der jetzt vereinbarte Tarifabschluss bedeutet für die meisten Kolleginnen und Kollegen eine – wenn überhaupt – nur sehr kleine Reallohnsteigerung und für die Gewerkschaft die Aussetzung der Tarifpolitik für 28 Monate. Dieses schwache Ergebnis droht auch Auswirkungen auf die Anfang 2021 anstehende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie zu haben, dem bedeutendsten industriellen Sektor des Landes.
  3. Der Kampf gegen die Pandemie ist angesichts der zweiten Welle wieder in den Fokus des Geschehens gerückt. Wirk­sa­mer, gesetzlich garantierter Gesund­heits­schutz für alle muss deshalb auch an ers­ter Stel­le ste­hen. Er hat die Aufgabe, in einem kontrollierbaren Kreislaufprozess die Ursachen von Gesundheitsgefährdungen ganzheitlich zu bekämpfen. Aufklärung der Bevölkerung und Prävention sind dabei vorrangig. Nach wie vor fehlen aber eine systematische und kontinuierliche Unterrichtung aller sowie eine praktische Einübung der einfachen AHA-L-Regeln, die bereits ein dreijähriges Kind verstehen und umsetzen kann. Nach wie vor fehlen kostenlose und wirksame Schutzmasken für alle (FFP 2).
  4. Vor allem müs­sen sofort alle Beschäf­tig­ten in Bildungs-, Dienst­leis­tungs-, Gesundheits-, Han­dels-, Indus­trie­-, Pfle­ge-, und Verkehrsbe­rei­chen unter strik­ter Durchsetzung der seit 1996 geltenden gesetz­li­chen Arbeits­schutz­vor­schrif­ten wirk­sam geschützt wer­den. Bisher werden die erforderlichen ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilungen in den Betrieben weitgehend ignoriert. Dieser Zustand ist unhaltbar. Insbesondere Betriebsräte, Gewerkschaften und Berufsgenossenschaften müssen dies ändern.
  5. Die neuen pauschalisierenden Corona-Verordnungen zeigen, wie sehr sich die Herrschenden und ihre Politik bedingungslos für den Aufschwung der Profite im Dienst des Großkapitals einsetzen. Aber sie haben die Zeit nicht genutzt, um die offenkundigen und schwerwiegenden Mängel beim Gesundheitsschutz seit Beginn der Pandemie grundlegend zu beheben: Auf- und Ausbau eines der Gesellschaft dienenden, präventionsorientierten Gesundheitswesen in öffentlicher Hand, Abschaffung des Systems der Fallpauschalen, ausreichendes, qualifiziertes Personal für den Pflegebereich – insbesondere für die Intensivstationen – und für die Gesundheitsämter, gesellschaftlich kontrollierte und nicht profitorientierte Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen … Sie haben zudem versäumt, den Bildungsbereich technisch, organisatorisch und personell besser auszustatten, um sicheren Unterricht auch im Herbst und Winter gewährleisten zu können.
  6. Die Herrschenden reagieren stattdessen mit einem chaotischen Flickenteppich von oft wirkungslosen und daher unsinnigen „Maßnahmen“ („Beherbergungsverbot“, Verbot kultureller Veranstaltungen …), die sie auf dem Verordnungsweg durchsetzen. Dabei reduzieren sie nebenbei die zahlreichen gewählten Abgeordneten noch mehr zu teuer bezahlten Statistinnen und Statisten, demontieren die „Herzkammer“ der parlamentarische Demokratie und schränken wesentliche Rechte unter dem Vorwand des Kampfes gegen COVID-19 ein. Dem gilt es entgegenzutreten, indem wir die Grund- und Menschenrechte verteidigen und Initiativen für direkte und aktivierende Demokratie entwickeln. Eine den Interessen der Beschäftigten und Benachteiligten verpflichtete Politik setzt sich für den Aufbau demokratisch gewählter Komitees in allen Betrieben, Einrichtungen, Orten und Ortsteilen zur Umsetzung und Kontrolle der erforderlichen Gesundheitsschutzmaßnahmen ein.
  7. Ansätze dafür bilden sich zum Beispiel in der Klimagerechtigkeits- und Naturschutzbewegung heraus (Hambacher Forst, Dannenröder Wald …). Es ist seit Jahrzehnten klar, dass eine wirksame Bekämpfung der Klimakatastrophe und der Naturzerstörung eine grundlegende und umfassende Wende erfordert. Ihr Erfolg hängt davon ab, ob sie die profitgetriebene Logik in praktisch allen wirtschaftlichen Bereichen stoppen und durch eine gesellschaftliche, demokratisch geplante ökologische Neuausrichtung jenseits des Kapitalismus überwinden kann.
  8. Gegen Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit für Millionen muss die Arbeit auf alle verteilt werden – durch die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust und mit Personalausgleich in Stufen: 35-Stundenwoche, 30-Stundenwoche usw. Leiharbeit, Werkverträge und alle Formen prekärer Beschäftigung müssen ebenso wie Entlassungen verboten werden.
  9. Armut und Wohnungsnot müssen bekämpft werden. Deshalb ist das Existenzminimum aller durch die Krise in Not geratenen Menschen unbürokratisch zu sichern. Ein garantierter Mindestlohn von 15 € und darüber eine gesellschaftliche Grundsicherung von 1.500 € sind umgehend einzuführen. Das Grundrecht auf Wohnen muss durch die Vergesellschaftung von Grund und Boden vor allem in den Städten sowie das Verbot von Immobilienspekulation und die Enteignung von Wohnungskonzernen durchgesetzt werden.
  10. Das Geld für die Finanzierung all dieser und möglicher anderer Maßnahmen ist da. Es muss „nur“ von den Reichen und Supereichen, von den Investmentfonds und Konzernen zur Verfügung gestellt werden. Die Aufhebung des „Geschäftsgeheimnisses“ durch die Offenlegung der Firmenkonten bei Unternehmen, die Arbeitsplätze vernichten und Subventionen aus Steuermitteln erhalten, das Aufdecken und das Unterbinden der Mechanismen der „Steuer-Optimierung“ und der Geldwäsche, die Beschlagnahmung der durch Konzerne und Einzelpersonen im Ausland versteckten Milliarden, die direkte Haftung der Konzerne und Fonds für die durch ihre Machenschaften verursachten gesellschaftlichen und ökologischen Schäden, eine Solidaritätssteuer von mindestens 20 % auf alle Geldvermögen über 1 Million Euro, und eine Vermögensteuer von 80 % für alle Einkommen, die das Tausendfache des Durchschnitts betragen – all das wird im Kampf gegen die Ausbeutung des Menschen und seiner Mitwelt spürbar helfen.

Solidarische Front jetzt!

Entscheidend ist jetzt, die Bündelung und gegenseitige Unterstützung aller gegen die Kapitalinteressen gerichteten Bewegungen zu verstärken. Dies erfordert ein organisiertes und organisierendes Engagement für den Aufbau einer solidarischen Front nicht nur der sozialen Bewegungen, sondern auch der Gewerkschaften und der linken Organisationen.

Nur so können die herrschenden Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden.

Mehr denn je gilt: Unser Leben oder ihre Profite!

Koordination der ISO

7. November 2020

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