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Kultur

James Cameron: Avatar – Menschheit abgeschrieben

Von Philipp Xanthos | 01.02.2010

Wie Leo Trotzki 1939 in einem Leserbrief an die in New York erscheinende Partisan Review formulierte „enthält jedes echte Kunstwerk immer einen Protest gegen die Wirklichkeit, sei er nun bewusst oder unbewusst, aktiv oder passiv, optimistisch oder pessimistisch.“ Und James Camerons neuer Kinofilm Avatar – Aufbruch nach Pandora 70 Jahre später ist ausgesprochen pessimistisch.

Wie Leo Trotzki 1939 in einem Leserbrief an die in New York erscheinende Partisan Review formulierte „enthält jedes echte Kunstwerk immer einen Protest gegen die Wirklichkeit, sei er nun bewusst oder unbewusst, aktiv oder passiv, optimistisch oder pessimistisch.“ Und James Camerons neuer Kinofilm Avatar – Aufbruch nach Pandora 70 Jahre später ist ausgesprochen pessimistisch.

In Avatar sehen wir eine Abrechnung mit der spät-bürgerlichen Kultur. Zwar sind die Handlungsmotive alle aus anderen Filmen oder Büchern übernommen; Cameron wäre der Letzte, der sich für geistiges Eigentum aussprechen darf. Jedoch treffen wir auf eine neue Entwicklung des Science-Fiction-Films: Während in klassischen Filmen dieses Genres, etwa Camerons „Aliens – die Rückkehr“ (1986), stets die gute alte Menschheit gegen böse Aliens kämpfte, wechselt der neue Film die Seiten, wie das schon in Blomkamps „District 9“ (2009), zu sehen war. Die gleiche Richtung beschritt bereits Romeros „Land of the Dead“ (2005) – hier waren die Zombies (!) plötzlich die erniedrigten Sympathieträger. Was sich seit Ende der 80er Jahre geändert hat und filmisch zum Ausdruck kommt, ist, dass die Attraktivität des kapitalistischen Gesellschaftsmodells von ihrem höchsten Punkt auf einen Tiefpunkt gestürzt ist. Doch der Zeitgeist wird nicht in den Ideen eines einzigen Menschen offenbar. Dieser Film lag seit 1996 in der Schublade. Was ihn zum Spiegel des gesellschaftlichen Zustands macht, ist, dass die Ideen in ihm heute den Status von nicht hinterfragter Plausibilität erlangen – und zwar nicht nur für wenige Intellektuelle, sondern für Massen. So hatte der Film bereits nach 19 Tagen über 1 Mrd. US-$ eingespielt.
Zeitbezüge
Die inhaltlichen Motive stammen aus der Gegenwart. Der Protagonist des Films ist ein moderner kriegsversehrter Proletarier: ohne wissenschaftliche Ausbildung, ohne Zukunftsperspektiven, ohne die notwendige medizinische Behandlung. „Die können ‘ne Wirbelsäule richten, wenn man die Kohle hat, aber die Versehrtenrente reicht da nicht. Nicht bei der Wirtschaftslage“. Was er verkaufen muss, ist nicht nur seine Arbeitskraft, sondern sein Erbgut. Eine noch entfremdetere Arbeit als seine ist kaum denkbar: ungewaschen, querschnittsgelähmt und vollständig überwacht liegt er – als Ersatz für den verstorbenen Bruder – betäubt in einem Sarg mit LEDs und steuert so den im Reagenzglas erzeugten fremden Körper. Erst hier erlangt er ein „richtiges“ Leben und erkennt, dass er bisher nur „Zeit verschwendet“ hat. Die gelegentlichen Pausen, in denen er sich mit Fastfood ernährt, erscheinen bloß als notwendige Übel.

Die imperialistische Expansion wird von einem privaten Söldner­unternehmen ausgeführt. Asymetrischer Krieg, Pseudo-Diplomatie, „Entwicklungshilfe“ und als Hauptgeschäft Rohstoffförderung werden sinnigerweise von ein und derselben Firma betrieben. Auch geht es heute wie in der vorgestellten Zukunft um Bodenschätze. Der Held Jake spricht eine Banalität aus, wenn er sagt: „So läuft das doch ständig. Wenn irgendwer auf irgendeiner Scheiße sitzt, die du haben willst – mach ihn zum Feind, das rechtfertigt dann, dass du es dir nimmst“. Ständige Aussagen und Zeitbezüge dieser Deutlichkeit sprechen zwar den ZuschauerInnen jegliche Urteilskraft ab, führen jedoch zwangsläufig von der Kritik zur Frage nach Alternativen. Da die Offenheit, mit der die Immoralität der profitgierigen Aktionäre von RDA uns und den Beschäftigten vor Augen geführt wird, geradezu langweilig ist, rebellieren letztlich mit dem Helden auch eine Handvoll wissenschaftliches Personal und eine (!) Soldatin und solidarisieren sich mit den anti-imperialistischen, aufständischen Aliens. Die Desertion wird zur Privatsache bei Nacht und Nebel. Dass der Vertreter der bösen Menschen, eben noch Agent, nun gerade der Anführer wird, auf den die Na’vi nur gewartet haben, glorifiziert eine naive Vorstellung von „Solidarität“, die selbst rassistisch ist.
Welche Alternative?
Hollywood knüpft nicht nur am Massenbewusstsein an, sondern beeinflusst es auch. Welche Perspektive wird uns also mit Pandora angeboten? Eine vormoderne Welt mit unberührter Natur, nacktem Oberkörper, patriarchalischer Stammeskultur, trauter Zweisamkeit und das Ganze auf dem Mond eines fremden Planeten in einer fremden Galaxie. Die andere Gesellschaft beruht nicht auf rationaler Übereinkunft, sondern auf einem besonderen Ökosystem. Die Häuptlingstochter nimmt da selbstverständlich nur auf dem Rücksitz des gezähmten Flugsauriers platz (die desertierte Pilotin durfte unter den Menschen immerhin noch selbst fliegen). Die 300 Millionen US-$ teure Alternative ist gleichermaßen unrealistisch wie reaktionär. Die Aussöhnung mit der bürgerlichen Ideologie besteht also darin, dass der Untergang der menschlichen Zivilisation als alternativlos, wenn nicht sogar wünschenswert dargestellt wird. Für Cameron ist die Lage der in Dekadenz und Destruktivität gefangenen Menschheit völlig hoffnungslos. So führt die Aussage des Films, die selbst dekadent ist, zu Lethargie und Vereinzelung. RevolutionärInnen jedoch müssen Hoffnung haben in die Zukunft der Menschheit. Denn nicht sie ist dem Untergang geweiht, sondern allenfalls die bürgerlichen Produktionsverhältnisse. Der Weg zum echten Leben führt nicht rein, sondern raus aus der virtuellen Realität der Avatare. Doch solange wir weder Colonel Quaritchs Kampfanzug als Super-Waffe noch den Baum der Seelen als historisches Gedächtnis haben, brauchen wir wohl eine revolutionäre Organisation.

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