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Israels Linke und Besatzung: Welche Bündnisse sind vertretbar?

29.03.2004

junge welt vom 29.03.2004
http://www.jungewelt.de/2004/03-29/015.php
 
Interview: Endy Hagen/ Gudrun Schroeter
 
 
jW sprach mit Michel Warschawski, Mitbegründer des Alternative Information Center (AIC) in Jerusalem

* In seinem neuen Buch »An der Grenze« schildert Warschawski die Erfahrungen aus dem Kampf der israelischen Linken gegen die Besatzung.

F: Welchen Einfluß wird die Übernahme der Führung der Hamas durch den Hardliner Abdel Asis Rantisi haben?

Ich glaube nicht an eine substantielle Veränderung. Rantisi war ohnehin der politische Führer der Hamas, während Scheich Ahmed Yassin sie in spiritueller Hinsicht geleitet hat. Doch es wird zweifellos enorme Vergeltungsschläge geben, deren Ziel nicht nur israelische Zivilisten sein werden. Es wird Ziele in der ganzen Welt treffen, einschließlich jüdischer Institutionen.

F: Neu wäre die Globalisierung der Auseinandersetzung.

Nicht wirklich, denn die Ideen dieser israelischen Regierung befinden sich in totaler Symbiose mit dem globalen, permanenten, präventiven Krieg der Neokonservativen in den Vereinigten Staaten. Die israelische Regierung sieht sich in gewisser Weise als Avantgarde im Krieg der »Zivilisationen« gegen die »muslimische Barbarei«.

F: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der jüdisch-religiöse Fundamentalismus?

Er ist Teil eines Phänomens, das die Franzosen Kommunitarismus nennen. Das bedeutet, daß die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft sehr betont wird, sei sie ethnisch oder religiös. Dies gibt dem Fundamentalismus Nahrung, dem muslimischen Fundamentalismus ebenso wie dem jüdischen oder anderen. In der Geschichte hat es viel öfter muslimisch-jüdische Allianzen gegen das Christentum gegeben als andersherum. Aber wir befinden uns in diesem globalen Krieg, angeführt von einer Koalition aus Neokonservativen und protestantischen Fundamentalisten in den USA. Also sieht der jüdische Fundamentalismus, der mit dem messianischen Krieg in »Eretz Israel« und Palästina seine eigene Agenda verfolgt, die Notwendigkeit, sich dieser weltweiten Allianz anzuschließen.

F: Sie haben in Israel zunächst als Talmudschüler bei Rabbi Kook, dem Begründer der nationalreligiösen Bewegung, studiert. Wie sind Sie zur israelischen Linken gelangt?

Die politische Ideologie dieser Schule war mir zunächst nicht bewußt. Als ich sie bemerkte, habe ich die Schule gewechselt. Nicht, weil ich antizionistisch war oder irgendeiner anderen Ideologie angehangen hätte. Sie bedeutete einfach nichts für mich. Der Beginn meines politischen Engagements hatte nichts mit Religion zu tun und zunächst auch nichts mit Israel. Ich bin kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren, nach Besatzung und Deportation. Für uns war Besatzung die Essenz alles Bösen: Rassismus, Tod, Angst, Ausschluß – und plötzlich, 1967, stellte ich fest, daß ich mich in einer Besatzung befand und daß ich der Besatzer war. Damals war ich wie die meisten Israelis überzeugt, daß die Araber uns angegriffen hatten. Sie trugen die Schuld, und wir schützten uns. Aber bei einer Besatzung auf der anderen Seite zu stehen, war unerträglich. Das hatte nichts damit zu tun, wer angefangen hatte, sondern mit dem Verhältnis Besatzer und Unterdrückte.

F: In Ihrem Buch »An der Grenze« fordern Sie unbedingte Solidarität mit den Palästinensern. Ist diese Position angesichts des zunehmenden Fundamentalismus und Antisemitismus aufrechtzuerhalten?

Mit unbedingter Solidarität meine ich die Widerstandsbewegung gegen Unterdrückung. Unabhängig von ihrer Führung oder Ideologie verdient sie unsere Unterstützung. Auch wenn die Führung der Palästinenser reaktionär ist, kämpfen sie um Befreiung von unserer Besatzung. Das bedeutet nicht, daß ich dem Klassencharakter, der politischen Linie, dem sozialen Charakter und der Perspektive der Bewegung gleichgültig gegenüberstehe. Es ist kein Zufall, daß im Vorstand des AIC Leute aus der palästinensischen Linken sitzen, das ist Ausdruck unserer Vision. Wir wollen keine Besatzung oder Unterdrückung. Aber wir wissen auch, was für einen neuen Nahen Osten wir wollen. Und in diesem Kampf sind unsere Verbündeten nicht beliebig.

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