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Irak: Offen fürs Geschäft

Von Harry Tuttle | 01.09.2003

Nach den US-Soldaten werden die Marktextremisten in den Irak geschickt. Doch die brachiale Privatisierungspolitik wird die sozialen Proteste verstärken.

Nach den US-Soldaten werden die Marktextremisten in den Irak geschickt. Doch die brachiale Privatisierungspolitik wird die sozialen Proteste verstärken.

Ahmad al-Rikabi hat den Krieg gegen das Regime Saddam Husseins unterstützt. Er ließ sich von der US-Regierung anwerben und wurde im April nach Bagdad geflogen, um neue Fernseh- und Radiosender aufzubauen. Doch Anfang August kündigte er seinen Job. „Saddam vermarktet sich besser", klagte er, denn seine Arbeitgeber waren nicht bereit, ihre Propaganda auch ausreichend zu finanzieren.

Es fehlte an technischer Ausrüstung, und den Nachrichtensprechern wurde nur die Kleidung oberhalb der Taille finanziert, die auch auf dem Bildschirm zu sehen ist. Dass pro Monat schätzungsweise 3,9 Milliarden Dollar für die Aufrechterhaltung der Besatzung ausgegeben werden, aber an den Hosen der Moderatoren gespart wird, offenbart die Prioritäten des amerikanischen nation building, dem Aufbau eines nationalen Staates.

Auch andere Iraker, die bereit zur Kooperation mit den USA waren, sehen ihre Hoffnungen enttäuscht. „Wir bewegten uns langsam vom Status von Demokraten, die mit einem demokratischen Verbündeten zusammen arbeiteten, zu Kollaborateuren mit einer Besatzungsmacht", erklärte Isam Alkhfaji gegenüber der arabischen Zeitung Al-Ahram Weekly. Er gab seine Arbeit im Iraqi Reconstruction and Development Council, der die US-Verwaltung berät, im Juli auf.
Die Profiteure des Antiterrorismus
Der Arbeitgeber Rikabis und Alkhafajis war die kalifornische Firma SAIC, ein Unternehmen, das überwiegend Software für Militär, Polizei und Geheimdienste herstellt, sich auf seiner Homepage aber auch als „weltweit führender Anbieter im Outsourcing" darstellt. SAIC gehört zu den Hauptprofiteuren des „Kriegs gegen den Terror", an dem auch der US-Verwalter Paul Bremer gut verdient hat. Die Trümmer des World Trade Center waren noch nicht beseitigt, als Bremer im Oktober 2001 die Crisis Consulting Practice gründete, ein Tochterunternehmen des Versicherungskonzerns Marsh&Mac-Lennan, das multinationalen Konzernen „total counterterrorism services" anbietet. Denn Bremer weiß, dass Privatisierung und Globalisierung zu „wachsenden Einkommensunterschieden und sozialen Spannungen" und „sofortigen negativen Konsequenzen für viele" führen.

Ein offizielles Entwicklungskonzept für den Irak hat die US-Regierung bislang nicht vorgelegt. Bereits nach wenigen Monaten aber wird deutlich, dass der Wiederaufbau den Maximen des Marktextremismus folgen wird. Die irakische Wirtschaft, einschließlich des zentralen Ölsektors, soll privatisiert werden. Doch auch die Infrastruktur, Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen stehen zur Disposition.

Anfang August wurde Thomas Foley zum Direktor für die Entwicklung des öffentlichen Sektors im Irak ernannt. Er dürfte bald einer der unbeliebtesten Männer im Irak sein, denn der größte Teil der ihm unterstellten Betriebe dient entweder der nun nicht mehr gefragten Rüstungsproduktion oder ist nicht konkurrenzfähig. Den meisten der bis zu 750.000 Beschäftigten droht die Entlassung, ohne dass es größere Hoffnungen auf einen Aufschwung des privaten Sektors gäbe.

Eine der ersten Amtshandlungen Bremers war es, am 26. Mai zu erklären, der Irak sei „offen für Geschäfte". Ganz offen allerdings nicht, denn US-Konzernen, insbesondere solchen mit engen Verbindungen zur Bush-Regierung, werden Wettbewerbsvorteile eingeräumt. Die Bevorzugung von Konzernen wie Halliburton, dessen Chef US-Vizepräsident Dick Cheney war, beim Wiederaufbau der Ölindustrie führte bereits zu Protesten in der US-Geschäftswelt.
Verabscheuungswürdige Schulden
Während die US-Regierung ungeachtet der drohenden sozialen und politischen Destabilisierung an einer brachialen Privatisierungspolitik festhält, deutet sich in der Frage der Auslandsschulden eine erstaunliche Kehrtwende an. Die irakischen Schulden werden auf bis zu 383 Milliarden Dollar geschätzt. Etwa die Hälfte dieser Summe machen noch nicht überprüfte Reparationsforderungen aus dem zweiten Golfkrieg aus. Nach bisherigen Erfahrungen wird die zuständige UN-Behörde wahrscheinlich nur ein Viertel dieser Forderungen anerkennen. Doch auch mit einem Schuldenberg von über 200 Milliarden Dollar wäre der Wiederaufbau eine Illusion.

Deshalb hat Washington nun den Begriff der „odious debts" (verabscheuungswürdige Schulden) wieder entdeckt. Er wurde zum ersten Mal angewendet, als die USA sich 1898 nach der Eroberung Kubas weigerten, dessen Schulden bei Spanien zu begleichen, da diese den Kubanern „mit Waffengewalt aufgezwungen wurden". Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz klang fast wie ein attac-Sprecher, als er erklärte, die Kredite an Saddam Husseins Regime seien für den Kauf von Waffen, die Unterdrückung der Bevölkerung und den Bau von Palästen verwendet worden, es sei daher moralisch nicht zu verantworten, die Iraker für diese Schulden aufkommen zu lassen. Derzeit versuchen US-Diplomaten, abhängige Verbündete wie Kuwait zu einem freiwilligen Verzicht auf ihre Forderungen zu bewegen.

Da noch nicht alle von deutschen Firmen gelieferten Giftgasfabriken abbezahlt sind, will die Bundesregierung von einem Schuldenerlass nichts wissen. Entwicklungshilfeministerin Heide Wiec-zorek-Zeul fand ein „gewisses Maß an Absurdität" an der Idee, schließlich gebe es ja Öl im Land. Um die 3,9 Mil-liarden an Deutschland fälligen Dollar und eine unbekannte Summe aus nicht bezahlten Kontrakten einzutreiben, soll über die irakischen Schulden im Pariser Club, der Vereinigung der staatlichen Gläubiger verhandelt werden, womit die Legitimität der Schulden bereits grundsätzlich anerkannt wäre.

Die Auseinandersetzung über die irakischen Auslandsschulden könnte globale Bedeutung gewinnen, denn die aus der Not geborene Kulanz der US-Regierung dürfte andere Staaten wie Südafrika, dessen Apartheid-Schulden nicht erlassen wurden, hellhörig werden lassen. Und sie dürfte zu einem zentralen Streitpunkt zwischen den US, Großbritannien und den Kriegsgegnern in der „internationalen Gemeinschaft" führen. Denn die US-Regierung möchte zwar die bestehenden Schulden zumindest reduzieren, will aber im Namen der Irakis neue machen. Um die Besatzungs- und Verwaltungskosten wenigstens teilweise aus irakischen Quellen decken zu können, sollen zukünftige Öleinnahmen verpfändet werden.
Wenig Macht den Räten
Nachdem der UN-Sicherheitsrat im Mai die Besatzungsmacht als „Autorität" im Irak anerkannte und ihr auch die Verantwortung über die Wirtschaftspolitik übertrug, wäre dieses Vorgehen legal. Es stärkt jedoch das Misstrauen der Irakis, und dieses Misstrauen dürfte mit jedem weiteren Schritt der Privatisierung und des Ausverkaufs an multinationale Konzerne wachsen.

Die US-Regierung kann derzeit noch auf zwei Faktoren bauen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist erschöpft von fast einem Vierteljahrhundert des Krieges und des Embargos, und sie
fürchtet eine Rückkehr des alten Regimes. Alle bedeutenden Organisationen der ehemaligen Opposition haben sich gegen den bewaffneten Kampf als Mittel zur Vertreibung der ausländischen Truppen ausgesprochen, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Einschließlich der Gruppierungen, die den Krieg ablehnten und den Abzug der Besatzungstruppen fordern wie die schiitischen Islamisten der Dawa-Partei und des Obersten Rats der islamischen Revolution (SCIRI) sowie die KP, beteiligen sie sich an dem von den USA eingesetzten Regierungsrat.

Die Integration dieser Gruppen war der bisher größte politische Erfolg der USA. Man hat dem Rat etwas mehr als die zuerst vorgesehenen beratende Funktion zugestanden, um sie einzubinden. Wichtige Entscheidungen behält sich jedoch der US-Verwalter Paul Bremer vor.

Fraglich bleibt, wie lange die Ex-Oppositionsgruppen im Rat bleiben, wenn die Besatzungsmacht letztlich doch über Politik und Ökonomie entscheidet, und ob die Bevölkerung ihrer Linie folgt. In Bagdad und in den Großstädten des Südirak kommt es immer wieder zu Protesten gegen die Versorgungsprobleme und den schleppenden Aufbau der Infrastruktur. Andere Aufstände folgten auf die Tötung von ZivilistInnen durch die Besatzungstruppen und für die Bevölkerung nicht akzeptable Durchsuchungsmaßnahmen. Diese sozialen Proteste werden sich zweifellos verstärken, wenn in den kommenden Monaten der öffentliche Sektor zerschlagen wird.
Vorwärts in die Vergangenheit
Die militärischen Angriffe und terroristischen Anschläge dagegen dürften überwiegend auf das Konto ba’athistischer Kräfte gehen. Niemand anders als ehemalige Mitglieder der Repressionskräfte hätte in so kurzer Zeit eine so effektive Guerillatätigkeit mit einem hohen Maß an militärischer Professionalität entfalten und, wie Mitte August geschehen, zweimal innerhalb weniger Tage die schwer bewachten Ölanlagen erfolgreich attackieren können.

Mit ihnen haben sich nun offenbar islamistische Kräfte verbündet. Da Ba’athisten ein Interesse daran haben müssten, die arabische Welt für sich zu gewinnen und die Widersprüche in der UNO zu verstärken, dürften sie nicht für die Bombenanschläge auf die jordanische Botschaft und das UN-Hauptquartier in Bagdad verantwortlich sein. Für Islamisten dagegen ist der Irak eine ideale Bühne in ihrem globalen Kampf gegen die „Ungläubigen", zu denen auch die mit den USA kooperierenden islamischen Staaten und eine Weltorganisation gehören, die nicht der Sharia folgt.

Möglicherweise wird noch eine schiitische Guerilla hinzutreten. Im Gegensatz zu den islamistischen Organisationen und der Mehrzahl seiner Kollegen in der schiitischen Geistlichkeit will Muqtada al-Sadr den bewaffneten Kampf organisieren und eine „Armee des Mahdi" aufstellen, um den „gesellschaftlichen Verfall" und die „Unmoral" zu bekämpfen. Sadrs Predigten werden von bis zu 100.000 Menschen besucht.

Die irakische Bevölkerung ist somit umstellt von den Besatzungstruppen, die ihnen bestenfalls ein marktextremistisches Regime mit demokratischer Fassade bieten wollen und rechtsextremen Kräften, die eine Rückkehr des alten Regimes oder eine neue religiöse Diktatur anstreben. Nur eine Massenbewegung, die sich auf die sozialen Proteste der Bevölkerung stützt und den Kampf für wirkliche Demokratisierung mit dem Widerstand gegen die Diktatur des Marktes verbindet, kann diese Frontstellung durchbrechen.

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