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Feminismus

Indien und China: Abtreibung weiblicher Föten

Von B.S. | 01.03.2006

Neu ist das Problem der Abtreibung weiblicher Föten nicht, aber jetzt nimmt es in Indien und auch in China neue Formen an. Auch in Argentinien bleibt die Abtreibungspolitik rückschrittlich. In Indien macht die pränatale Geschlechtsbestimmung durch Ultraschall die gezielte Abtreibung weiblicher Föten möglich. Zwar ist sie in Indien verboten, aber wenn Abtreibungskliniken werben dafür.

Neu ist das Problem der Abtreibung weiblicher Föten nicht, aber jetzt nimmt es in Indien und auch in China neue Formen an. Auch in Argentinien bleibt die Abtreibungspolitik rückschrittlich.

In Indien macht die pränatale Geschlechtsbestimmung durch Ultraschall die gezielte Abtreibung weiblicher Föten möglich. Zwar ist sie in Indien verboten, aber wenn Abtreibungskliniken werben: „Zahl jetzt 1 000 Rupien – und spare später 100 000”, wird das Problem deutlich. Mädchen brauchen bei ihrer Verheiratung eine Mitgift, und die Hochzeitsfeier kostet viel Geld. Mädchen verlassen traditionell die Herkunftsfamilie, Jungen sorgen für ihre alten Eltern. „Ein Mädchen großzuziehen ist wie Nachbars Garten zu wässern”, lautet ein Sprichwort. Dazu kommt ein Männerwahn, der die Frauen deutlich abwertet. Eine Frau wird dadurch aufgewertet, dass sie Mutter eines Sohnes ist.
Folgen
All das führt dazu, dass jedes Jahr 500 000 Mädchen abgetrieben werden und die Sex-Ratio – das Verhältnis männlich zu weiblich, 2001 nur noch 927 weibliche auf 1 000 männliche Kinder zwischen 0 und sechs Jahren betrug. Schon heute wird in Indien der Männerüberschuss auf mehr als 30 Millionen geschätzt. Über die sozialen Folgen lässt sich trefflich spekulieren, aber das sozial Verhalten von Männern wird dadurch sicher nicht gefördert. Prostitution, verbunden mit Aids und Gewalt ist zu erwarten.
Dass es sich nicht nur um ein finanzielles Problem handelt, zeigt sich daran, dass der äußerst wohlhabende Süden Neu-Delhis die geringste Rate an Mädchengeburten aufweist. Auf dem Lande sind die Ultraschallgeräte nicht so verbreitet und die notwendigen Summen nicht gleich zur Hand. Aber das bedeutet nicht unbedingt Sicherheit für weibliche Kinder. In Indien versuchen Frauenorganisationen Kampagnen. Sie setzen Ärzte unter Druck und sind darum bemüht, Mädchen und Frauen in der Gesellschaft aufzuwerten.
China
Für China hat das Problem eine Variante. Durch die propagierte Einkindpolitik wurde die Geburtenrate von 3,7 auf 1,29 % gedrückt. Heute werden auf 1 000 Mädchen 1 190 Jungen geboren, die internationale Norm liegt bei 1 030 – 1 070 Jungen auf 1 000 Mädchen. Hier sind aber auch die armen Familien bestrebt, die umgerechnet 40€ für die Ultraschalluntersuchung und die Abtreibung zu zahlen, denn auch hier sind Söhne die Alterssicherung. Der Abbau der gesellschaftlichen Leistungen für Gesundheit, Bildung, Altersversorgung lässt den Wert der Jungen steigen. Mädchen gehen in die Familie des Mannes, der Sohn aber übernimmt das Stückchen Land, das die Familie besitzt und sorgt traditionell für die Eltern. So vertraut mensch eher auf das Ultraschallgerät als auf den Staat. Allerdings wird auch hier vermutet, dass in 10 Jahren 40 bis 60 Millionen Frauen fehlen werden. Dass dann auch hier Prostitution und Frauenhandel sich gut entwickeln werden, ist eine berechtigte Erwartung. Für China wissen wir nichts von gesellschaftlicher Gegenwehr.
Argentinien – restriktive Abtreibungspolitik
„Sexualaufklärung, um entscheiden zu können, Verhütungsmittel, um nicht abtreiben zu müssen, legale Abtreibung, um nicht zu sterben.” Unter diesem Motto riefen im vergangenen Jahr 250 meist Frauen- und gewerkschaftliche Gruppen zum Protest auf. In Argentinien werden jährlich etwa 700 000 Kinder geboren, aber lt. Human Rights Watch auch bis zu 1 200 000 Abtreibungen vorgenommen. Und wie so oft, relativ sicher und teuer für die, die bezahlen können, barbarisch und teilweise tödlich für die, die arm sind. Abtreibung ist in Argentinien illegal und bleibt nur straffrei bei Gefahr für Leben und Gesundheit der Mutter, die nicht anders abgewendet werden kann, und bei Vergewaltigung einer geistig behinderten Frau.
Viele Ärzte sind nicht besonders interessiert an einer frauenfreundlichen Regelung, denn ohne eine solche können sie ihr schmales Salär z.B. als Krankenhausärzte mit den illegalen Schwangerschaftsabbrüchen aufbessern.
Was geschieht?
Wer eine Abtreibung nicht bezahlen kann, greift zu den Mitteln, die mensch als mittelalterlich bezeichnen kann, etwa das Einführen von Petersilie(!) in die Gebärmutter, was starke Blutungen erzeugen soll, aber auch zur Stricknadel. Wenn die unsicheren Abtreibungen zu Infektionen oder nicht stillbaren Blutungen führen, handeln auch Ärzte unverantwortlich, sie weigern sich oder führen Ausschabungen ohne Betäubungsmittel durch. Täglich sterben ein bis zwei Frauen an einem heimlich ausgeführten Schwangerschaftsabbruch. Human Rights Watch stellt fest: „Wenn einer Schwangeren das Recht verweigert wird, eine unabhängige Entscheidung hinsichtlich einer Abtreibung zu treffen, stellt dies eine Verletzung oder Bedrohung der Menschenrechte in den verschiedensten Bereichen dar.” Nun hat die argentinische Regierung 2003 ein Programm aufgelegt zur kostenlosen Verteilung bestimmter Verhütungsmittel – hormonelle und Intrauterinpessare – durch die Gesundheitsbehörden. Das wird aber behindert durch unzureichende Information, häusliche Gewalt u.ä. Um den „Muttertod-Gefährdeten” entgegen zu kommen, die bis zur Hälfte der frauenmedizinischen Betten der Kliniken belegten, sprach der Gesundheitsminister von Straffreiheit bei Abtreibungen. Der oberste Bischof Argentiniens Antonio Juan Baseotto forderte daraufhin, man solle jenen, die die Abtreibung verteidigen einen Stein um den Hals binden und sie ins Meer werfen. So hat auch die Militärdiktatur sich ihrer KritikerInnen entledigt. Und Präsident Kirchners Ehefrau präsentierte sich als glückliche Mutter und Abtreibungsgegnerin. Viel Hoffnung auf eine radikale Veränderung der Verhältnisse gibt es also nicht.

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