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Innenpolitik

Im Sog der Wahlalternative

Von B.B. | 01.09.2004

Während in Ostdeutschland die PDS ihre Positionen ausbaut, strömt in die westdeutsche Wahlalternative so ziemlich alles, was die Linke aufbieten kann.

Während in Ostdeutschland die PDS ihre Positionen ausbaut, strömt in die westdeutsche Wahlalternative so ziemlich alles, was die Linke aufbieten kann.

Bis jetzt sind mindestens vier verschiedene Elemente in der Wahlalternative (WASG) erkennbar:
· Der harte Führungskern der Wahlalternative besteht aus gewerkschaftlichen Hauptamtlichen des „linken“ Flügels der Gewerkschaftsbürokratie, den alternativen Wirtschaftswissenschaftlern und der politischen Strömung um die Zeitschrift Sozialismus (Joachim Bischoff). Selbst die vom sozialistischen Ziel über den Weg der Reformen Überzeugten wollen die programmatische Grundlage der Wahlalternative auf einen Anti-Neoliberalismus beschränken, um möglichst viele Menschen zu sammeln. So empfiehlt Joachim Bischoff den Abwendungsprozess von der SPD und von Kernbereichen ihrer bisherigen sozialen Basis aufzugreifen, „ohne interessierte Potenziale mit radikalen Parolen oder unpassenden Diskussionsbeiträgen über die (Un-) Reformierbarkeit oder Überwindung des Kapitalismus abzuschrecken“. Mit anderen Worten: In dem Moment, in dem das kapitalistische System zunehmend in die Kritik gerät, setzt sich der Reformismus dafür ein, sich auf den Sozialliberalismus zu beschränken.

· Die Mehrzahl der Mitglieder der Wahlalternative stammt aus der Sozialdemokratie und ihrem Umfeld. Meist über vierzig und fünfzig Jahre alt wünschen sie sich die gute alte SPD der 70er und 80er Jahre zurück. Sie sind weder neoliberal, noch sozialistisch, „weder rechts noch links“; sie sind sozialliberal, völlig auf Regierung, Parlamente und Wahlen fixiert und an innerparteiliche Ordnung und Disziplin gewöhnt.

· Die linken GewerkschafterInnen. Die meisten verfügten nie über ein „Parteiprojekt“, obwohl viele früher einmal organisiert waren, und schwankten zwischen „Rot-Grün“ und Syndikalismus. Im Sog der Linken des linken Flügels der Gewerkschaftsbürokratie geben sie ihre lange parteipolitische Abstinenz auf (Stuttgart, Mannheim). Die Organisierung der klassenkämpferischen GewerkschafterInnen könnte ein Fortschritt sein, stößt aber auf die Klassenignoranz von Führungskern und Parteibasis.
· Soweit sie nicht schon in den Grünen und in der PDS aufging, möchte die revolutionäre sozialistische Linke auf keinen Fall ihre letzte Chance versäumen, mittels der Wahlalternative endlich medienwirksam ins politische Geschehen der BRD einzugreifen. Um in der WASG einige Kommandohöhen erklimmen zu dürfen, sind diese RevolutionärInnen zu fast jedem Zugeständnis bereit: Verzicht auf Klassenkampf, auf ein sozialistisches Programm und sogar auf revolutionäre Rhetorik. Für sich selbst haben sie die Rolle des Beraters reserviert – am Krankenbett des Sozialliberalismus.

Gesellschaftliche Dynamik…

Für die Wahlalternative werden in- und außerhalb ihrer Reihen Wahlprognosen von 5 – 20% gehandelt. Revolutionäre SozialistInnen und linke GewerkschafterInnen in der WASG sehen die neue Partei auf dem Weg nach links. Entwickelt sich eine solche Dynamik?
Der politische Rahmen in der BRD hat sich im letzten Jahrzehnt erheblich nach rechts verzogen. Die Große Koalition von SPD-Grünen, CDU/CSU-FDP und Kapitalverbänden drückte der Gesellschaft ihren marktradikalen Stempel auf. Wenn auf der neoliberalen Geisterfahrt Teile der Gesellschaft wie die Gewerkschaft IG Metall, die MontagsdemonstrantInnen, Oskar Lafontaine, Attac oder die Wahlalternative „Halt!“ rufen, heißt das noch lange nicht, dass der Zug auch stehen bleibt. Würde sich die Kritik jedoch so verstärken und vereinheitlichen, dass sie zu einer breiten außerparlamentarischen Bewegung wird, dann könnten sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ändern, dann könnte nicht nur der Zug gestoppt werden, sondern sogar aus den Gleisen springen. Nur eine Dynamik von Straßenprotesten und Streiks würde die WASG nach links drängen. Aber eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und ein paar Montagsdemonstrationen noch keinen heißen Herbst.

… und Eigendynamik der WASG

Die Eigendynamik der Wahlalternative geht in eine andere Richtung: Das Bewusstsein großer Teile der WASG-Mitgliedschaft ist nostalgisch auf die alte SPD gerichtet. Sicherlich ist als Reaktion auf den sozialdemokratischen Neoliberalismus die Sehnsucht nach der sozialliberalen Vergangenheit groß. Dies ist aber ein konservatives, ja reaktionäres Element, weil sich aus dem sozialdemokratischen Sozialliberalismus geschichtlich der sozialdemokratische Neoliberalismus entwickeln konnte und musste. Der eigenen sozialliberalen Mitgliedsbasis passt sich der harte Führungskern der Wahlalternative an, so wie sich die revolutionären SozialistInnen wiederum der Parteiführung anpassen.

Warten auf Oskar

Käme Oskar Lafontaine zur Wahlalternative, dann fände eine weitere Strömung in und außerhalb der WASG ihren Sprecher: Der Linkspopulismus. Lafontaine könnte Tausende für eine linkspopulistische Strömung gewinnen und weitere Tausende zum politischen Leben wecken. Aber in dem Fall der Fälle würde die „Dynamik“ der WASG auf eine Neuauflage der Sozialdemokratie der 70er Jahre weisen. Sie würde nicht den Kapitalismus mit einer sozialistischen Klassenpartei bedrohen, …sondern allenfalls den reformistischen Führungskern der WASG drohen, in die Minderheit zu geraten.

Widersprüche

Der Führungskern der Wahlalternative drängt nach „rechts“ zur Mitgliedsbasis, die Revolutionäre hinter sich im Schlepptau ziehend. Die sozialliberale „Basis“ steht völlig undynamisch dort, wo sie schon in den 70er und 80er Jahren gestanden hat. Mit Oskar Lafontaine würde der Sozialliberalismus mit Linkspopulismus angereichert. Ihnen allen bieten Wahlerfolge und parlamentarische Institutionen die bekannten Möglichkeiten der Anpassung, der Abgehobenheit, des Mitmachens und der Korruption, die wir schon bei den Grünen und der PDS gesehen haben.
Damit sehen die Aussichten für linke GewerkschafterInnen in der WASG nicht gerade rosig aus. Geraten sie in Gegensatz zu o. g. Strömungen, so wie sie in den Gewerkschaften in Opposition zur Bürokratie stehen? Oder wird der Sog der Wahlalternative zum alles Klassenkämpferische und Sozialistische verschlingenden Mahlstrom werden?

Populist Lafontaine

Lafontaine will z.B. Flüchtlinge in Lagern an der nordafrikanischen Küste kasernieren, sprach sich gegen die Einwanderung von Russlanddeutschen aus und half 1993 an vorderster Stelle, die Verfassungsänderung der Asylgesetzgebung Artikel 16 Grundgesetz im Bundestag durchzuboxen. Als SPD-Parteivorsitzender war Lafontaine dafür verantwortlich, dass am 14.9.1997 im SPD-Parteivorstand jenes neoliberale Programm eine überwältigende Mehrheit fand, welches Gerhard Schr&
ouml;der vier Tage zuvor mit 30 Topmanagern der Wirtschaft ausgearbeitet hatte. Lafontaine ist einer der Hauptverantwortlichen für die Wende der SPD zum Neoliberalismus.

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