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Betrieb & Gewerkschaft

IG-Metall: Tarifrunde und Flexibilisierung

Von D. Berger | 01.12.2003

Selten war das Kapital in einer so komfortablen Situation wie heute. Die herrschenden Parteien bilden eine große Koalition des Neoliberalismus und die Gewerkschaftsführungen sind weitgehend gelähmt.

Selten war das Kapital in einer so komfortablen Situation wie heute. Die herrschenden Parteien bilden eine große Koalition des Neoliberalismus und die Gewerkschaftsführungen sind weitgehend gelähmt.

Nach dem verlorenen Kampf um die 35-Stundenwoche in Ostdeutschland ist gerade die IG Metall-Führung weitgehend abgetaucht und hofft, den Angriffen mit einem Minimum an Mobilisierung begegnen zu können. Statt die KollegInnen in einen gemeinsamen Kampf gegen die Unverschämtheiten von Kabinett und Kapital zu führen, werden Appelle an die Bundesregierung gerichtet, die Tarifautonomie zu wahren und in verschiedenen Großbetrieben werden – unkoordiniert – die KollegInnen zu Kundgebungen auf den Hof gerufen. Eine Verknüpfung der Tarifrunde mit den diversen Schweinereien wird nicht hergestellt, wo doch gerade die Gegenseite jetzt rotzfrech mit eigenen Forderungen auftritt.
Gewerkschaftsbürokratie plant nur Routine
Am 10. November gab der IGM-Vorstand die Empfehlung (in Wirklichkeit die verbindliche Marschrichtung) an die bezirklichen Tarifkommissionen heraus, Tarifforderungen von „bis zu 4%" aufzustellen. Ganz brav haben dann die ersten Kommissionen den Rahmen „voll ausgeschöpft" (wie es stolz in den Metall Nachrichten Nr. 8 der Mittelgruppe heißt). Diese 4 % (wieder keine Festgeldforderung!) werden begründet mit einer erwarteten Preissteigerungsrate von 1.3%, einem Produktivitätszuwachs von 2% und einer „Umverteilungskomponente" von 0,7%.

Am 27.11. beschließt dann der Vorstand die endgültige Forderungshöhe, ab Mitte Dezember laufen die ersten Verhandlungen und am 28.1. endet die Friedenspflicht. In den 4% sind aber auch schon 1,39% ERA-Strukturkomponente enthalten, also eine Ausgleichskomponente für die unterschiedliche Anpassung der Löhne und Gehälter bei der Einführung eines gemeinsamen Entgeltrahmens für Arbeiter und Angestellte.

Da die KollegInnen inzwischen seit Jahren die Erfahrung machen, dass der Abschluss bei nur ca. der Hälfte der aufgestellten Forderungshöhe liegt, kann nicht viel Zugkraft bei der Mobilisierung erwartet werden. Denn wer von erwarteten 2% für sich selbst die ERA-Komponente und in jedem Fall die Preissteigerungsrate abzieht, landet ganz schnell im Minus. Keine guten Mobilisierungsaussichten also, wenn die KollegInnen nicht sehen, dass sie mit ihren Aktionen wirklich was Greifbares herausholen können.

Der IGM-Bezirksleiter der Mittelgruppe (Saarl. RLP, Hessen und Thüringen) Klaus Mehrens schreibt in den Metall-Nachrichten: Der „Tarifabschluss…soll ausschließlich eine Erhöhung der Entgelte umfassen." Es wird ausdrücklich keine Verbindung zum Sozialabbau hergestellt. Es wird nicht angestrebt, Verluste beim Lebensstandard wieder wettzumachen und es wird kein Kampf zur Vereidigung der Arbeitsplätze bzw. zum Abbau der Erwerbslosigkeit geführt. Dabei wäre gerade diese Runde eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Fragen der Arbeitszeit, die im Manteltarif geregelt sind, aufzugreifen und endlich mal selbst in die Offensive zu gehen. Das überlässt man dem Gegner, der mit seiner Forderung nach betrieblichen Öffnungsklauseln für die Arbeitszeit genau diese Manteltarifbestimmungen in Frage stellt.
Gesamtmetall fühlt sich im Hoch
Der Vorsitzende von Gesamtmetall Kannegießer hat klar ausgesprochen, was das Ziel ist: Über Löhne könne man verhandeln, wenn die Arbeitszeit flexibilisiert wird. Das Kapital will Öffnungsklauseln in die Tarifverträge einbauen, mit denen es den „Betriebsparteien" erlaubt wird, längere Arbeitszeiten (bis zu 40 Stunden) zu vereinbaren, und zwar ohne Lohnausgleich (zur „Sicherung der Arbeitsplätze"). Dies hat natürlich mehrere Folgen:

Die Arbeit wird drastisch verbilligt, die Profite damit erhöht und die Zahl der Erwerbslosen nach oben getrieben. Damit steigen die Arbeitsbelastung, die gesellschaftlichen Kosten der Erwerbslosigkeit und der Druck auf die dadurch noch leichter erpressbaren KollegInnen. Wenn dann der Tarifvertrag seine Bedeutung verliert, verlieren auch die Gewerkschaften weitgehend ihre Funktion und ihr Erosionsprozess erhielte einen gewaltigen Schub.
Ver.di nicht besser
Trotz verbaler Bekundungen, die der Ver-di-Vorsitzende Bsirske beim ESF in Paris in Sachen Kampf dem Neoliberalismus abgegeben hat, ist auch seine Politik keinen Deut besser. In einem Interview der Tageszeitung „Die Welt" äußerte er sich gesprächsbereit, was die Verlängerung, mindestens die Flexibilisierung der Arbeitszeit angeht. Auf der Homepage von Ver.di hieß es dann am 12. November unter der Überschrift „Längere Arbeitszeiten für Junge und Arbeitszeitkonten möglich": „In der Diskussion um längere Arbeitszeiten ist die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di bereit, bei jüngeren Arbeitnehmern unter bestimmten Voraussetzungen eine Arbeitszeit von deutlich mehr als 35 Stunden in der Woche zu akzeptieren."

 

Flexibilisierung
Der für Tarifpolitik zuständige zweite Vorsitzende der IGM, der Modernisierer Berthold Huber, erklärt im Funktionärsorgan direkt (Nr. 21): „Über längere Arbeitszeiten lassen wir nicht mit uns verhandeln. Wir müssen aber flexible Lösungen suchen, die den konjunkturellen Auftragsschwankungen gerecht werden und gleichzeitig Beschäftigung sichern.“
Unterm Strich bedeutet Flexibilisierung immer die Einsparung von Arbeitskräften. Es muss weniger Personal „vorgehalten“ werden. Aber Huber wird noch deutlicher: direkt:“ Wollen die Arbeitgeber wirklich längere Arbeitszeiten oder flexiblere?“ Huber: „Wenn es ihnen nur um das sachliche Problem ginge, die Arbeitszeiten besser den Auftragsschwankungen anzupassen, ließe sich eine Lösung finden. Wir könnten das zum Beispiel über Konten tariflich regeln.“

 

 

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