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Ökologie

Hungerkrise: Nicht nur eine Folge der Börsenspekulation

Von D. Berger | 01.05.2008

Wenn sich heute Weltwährungsfonds und Weltbank Sorgen um die „Ernährungskrise“ machen, dann deshalb, weil sie Angst vor den Hungerrevolten und den politisch wie wirtschaftlich unkalkulierbaren Folgen haben. Dass Zeitpunkt und Ausmaß der aktuell so dramatischen Lage in erster Linie an den Strukturanpassungsprogrammen liegen, die von diesen Institutionen durchgedrückt wurden und werden, möchten sie gerne vergessen machen.

Wenn sich heute Weltwährungsfonds und Weltbank Sorgen um die „Ernährungskrise“ machen, dann deshalb, weil sie Angst vor den Hungerrevolten und den politisch wie wirtschaftlich unkalkulierbaren Folgen haben. Dass Zeitpunkt und Ausmaß der aktuell so dramatischen Lage in erster Linie an den Strukturanpassungsprogrammen liegen, die von diesen Institutionen durchgedrückt wurden und werden, möchten sie gerne vergessen machen.

Sie führen die aktuelle Krise lediglich auf die Auswirkungen zu freier Kapitalbewegungen und auf den Einfluss der Spekulanten zurück. Die Zusammenhänge sind komplexer und sind nicht nur ein Ergebnis von Spekulationen an der Chicagoer Warenterminbörse.

Erstens sind in den vergangenen Jahren Millionen von Bauern/Bäuer­innen in den Ruin getrieben worden, weil die heimischen Märkte für Nahrungsmittelprodukte aus den Industriestaaten geöffnet wurden und sie dieser (meist subventionierten) Konkurrenz nicht standhalten konnten. Landwirtschaftliche Flächen wurden aufgegeben und verödeten, Bäckereien mussten schließen, weil über Hilfslieferungen Fertigprodukte geliefert wurden und so die Existenz dieser KleinproduzentInnen unterminierten usw. Das Freihandelsabkommen, das beispielsweise 2007 zwischen den USA und Mexiko abgeschlossen wurde, öffnet den mexikanischen Markt noch mehr für die Agrarindustrie der USA, was das Ende vieler MaisproduzentInnen in Mexiko zur Folge hat. Jetzt herrscht dort absoluter Mangel an diesem Grundnahrungsmittel und Mexiko muss für  $ 10 Milliarden subventionierte Nahrungsmittel in den USA kaufen. Auch die Artenvielfalt geht dabei verloren, ganz zu schweigen von der wachsenden Abhängigkeit vom Saatgut der Genmanipulierer Monsanto und Konsorten. Die EU ist da nicht besser: Sie subventioniert jährlich mit 1,4 Milliarden € Konzerne, die ihr Fleisch, Eier, Zucker usw. in die ganze Welt verkaufen. Unter anderem an die Hilfsorganisationen, die dann mit Steuergeldern oder Spenden diese Produkte abkaufen und in die abhängigen Länder liefern – mit den oben beschriebenen zerstörerischen Folgen für die lokale Produktion.

Zweitens wächst immer noch die Anbaufläche für Biosprit, obwohl die Folgen für die Nahrungsmittelproduktion längst bekannt sind.

Drittens werden riesige Flächen für die Fleischproduktion in Beschlag genommen, nicht nur in Brasilien und Argentinien, sondern zunehmend auch in den großen Schwellenländern Indien und China. Hier wirkt sich besonders katastrophal aus, dass hunderte von Millionen Menschen sich von ihrer angestammten vorwiegend vegetarischen Ernährung zunehmend auf Fleisch umstellen.  Der chinesische Fleischkonsum ist zwischen 1980 und 2007 von 20 kg pro Kopf auf 50 kg gestiegen. Für die Produktion von 1 kg Fleisch benötigt man 7 kg Getreide. Beim Wasser ist es noch dramatischer. Für einen Kilo Weizen benötigen die Bauern 1000 bis 2000 Liter Wasser, für 1 kg Fleisch zwischen 10 000 und 13 000 Liter. China muss jetzt vermehrt Nahrungsmittel importieren und auch das treibt die Preise in die Höhe.

Viertens ist es im Kapitalismus nicht möglich, für eine Ankurbelung der Nahrungsmittelproduktion in den betroffenen Regionen zu sorgen, denn gerade die Marktgesetze verhindern dies. Speziell in Zeiten des Neoliberalismus ist es zudem politisch verpönt, regulierend einzugreifen, sei es mit Schutzzöllen, staatlichen Investitionsprogrammen und erst recht nicht mit gesellschaftlich geplanter Produktion. Hinzu kommt die Hebelwirkung der Nahrungsmittelbörsen, die auch ohne „ausgemachte Spekulanten“ wirkt, weil nach den Marktgesetzen schon geringe Verknappungen große (bisweilen exponentielle) Verteuerungen bewirken.

Fünftens wirkt der Klimawandel: Verödung großer Flächen, Wassermangel in den einen Regionen, Überschwemmungen in den anderen usw.
Hilfsprogramme oder umsteuern
Weltbankpräsident Zoellick forderte Mitte April, noch vor dem 1. Mai solle ein Hilfsprogramm über  $ 400 Mio. zur Vermeidung weiterer Hungerrevolten anlaufen. Doch was soll dieser vergleichsweise lächerliche Betrag bewirken, wenn die Weltmarktpreise von Grundnahrungsmittel in den letzten 3 Jahren im Schnitt um 83% gestiegen sind? Kann dies mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein, wenn im Verlauf der letzten 10 Jahre die Zahl der Armen auf der Welt um 500 Mio. zugenommen hat und wenn heute laut UN in 37 Ländern Hungerkatastrophen drohen?

Weder Weltbank noch Weltwährungsfonds machen sich für eine Re-Regulierung der Märkte stark und schon gar nicht für staatliche Eingriffe in die Produktion. Angesichts der schreienden Unzulänglichkeit, ja der tödlichen Wirkung des kapitalistischen Systems muss der Kampf für eine menschliche, eine sozialistische Gesellschaftsordnung viel breiter als in der Vergangenheit propagiert werden.
 

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