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RSB4

„Humanitäre Aktion“ oder imperialistischer Angriff? Revolutionäre SozialistInnen und der Balkankrieg

Von Resolution der 6. Delegiertenkonferenz des RSB | 01.11.1999

Krieg ist dem preußischen Militärtheoretiker Clausewitz zufolge „die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Politik wiederum ist nichts anders als Ausdruck von Klasseninteressen und damit des bewußten oder unbewußten Klassenkampfs. Im Krieg werden Klasseninteressen zugespitzt und soziale, wirtschaftliche und politische Brüche beschleunigt. Krieg ist eine Frage von Leben und Tod. Die Haltung zum Krieg ist deshalb eine entscheidende Prüfung – nicht zuletzt für die Arbeiterbewegung und die sozialistische Linke.

1.

Der Balkan-Krieg vom Frühjahr 1991 hat zwei zentrale Wurzeln: erstens der Zerfall des ehemaligen Jugoslawien und zweitens die Veränderungen des imperialistischen Weltsystems seit dem Zusammenbruch des Stalinismus 1989/90. Für die BRD bedeutet die Beteiligung an dem NATO-Angriff auf Rest-Jugoslawien den wichtigsten außen- und innenpolitischen Einschnitt seit der Vereinnahmung der DDR – der „Wiedervereinigung“.

2.

Im April 1999 feierte die NATO ihr 50-jähriges Bestehen. Die Konfrontation zwischen dem kapitalistischen West- und dem stalinistischen Ostblock ist seit fast 10 Jahren Geschichte. Die Gewichte innerhalb der sogenannten Triade, der Konkurrenz zwischen Nordamerika, der Europäischen Union (EU) und Japan, haben sich aufgrund der Südostasienkrise derzeit zugunsten der USA und der EU verschoben. Die Osterweiterung der NATO zunächst um Polen, die Tschechische Republik und Ungarn ist sowohl Ausdruck des Sieges des Imperialismus im Kalten Krieg über die ehemalige Sowjetunion als auch der unangefochtenen militärischen Vorherrschaft der USA.

Als heuchlerischer Vorwand für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen Rest-Jugoslawien diente der angebliche Schutz der Menschenrechte im Kosov@. Als Anlaß nutzte die NATO das bewußt herbeigeführte Scheitern der „Rambouillet-Verhandlungen“. Im Anhang B des „Vertragstextes von Rambouillet“ wurde nicht mehr und nicht weniger als die Umwandlung der Bundesrepublik Jugoslawien in ein NATO-Protektorat gefordert. Es mußte den führenden Regierungen der „westlichen Staatengemeinschaft“ von vorne herein klar sein, daß Milosevic einem derartigen Diktat niemals zustimmen konnte.

Es war bezeichnend, daß die Bonner Kriegsregierung die Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang bewußt belogen hat und den Anhang B verheimlichte. Schröder, Fischer und Scharping erweckten damit den Eindruck, daß sich die jugoslawische Regierung einer politischen Lösung des „Kosovo-Konfliktes“ verweigerte.

Peinlich wurde die Situation in Rambouillet für die „Balkan-Kontaktgruppe“ (USA, Deutschland, Britannien, Frankreich und Italien) jedoch erst durch die Weigerung der kosovarischen Delegation, ihre Unterschrift unter das Diktat des Westens zu setzen. Der GAU der NATO-Diplomatie stand bevor, war doch Milosevics Jugoslawien bereits als „Schurken-Staat“ auserkoren und Kriegsdrohungen öffentlich ausgesprochen worden. Erst enormer Druck der imperialistischen Regierungen zwang die kosovarische Delegation, dem Rambouillet-Text und damit dem Verzicht auf die Unabhängigkeit Kosov@s und der Entwaffnung der Befreiungsarmee des Kosova (UCK) zuzustimmen. Allerdings geschah diese unter dem Vorbehalt, daß erstens innerhalb von drei Jahren eine Volksbefragung durchgeführt werden müsse und daß zweitens die NATO vor Ort das Abkommen durchsetzen müsse. Dies wiederum war für Milosevic unannehmbar.

Hintergrund dieser skrupellosen diplomatischen Manöver unter aktiver Beteiligung der deutschen Bundesregierung ist die vor allem im Interesse der Weltmacht USA 1997 beschlossene Veränderung der NATO-Strategie. Neben der Osterweiterung steht in deren Mittelpunkt die weltweite Durchführung von NATO-Einsätzen unabhängig von allen anderen überstaatlichen Organisation wie etwa den Vereinten Nationen (UN). Einziges Maß für das militärische Eingreifen der NATO ist seitdem eine vorgebliche „Bedrohung“ ihrer eigenen Interessen.

Hinter dieser Wende vom „Verteidigungsbündnis“ zum offenen Angriffspakt steht nicht nur das gemeinsame imperialistische Interesse, die gesamte Welt der NATO als höchster und entscheidender Instanz zu unterwerfen. Es geht dabei auch darum, das geschwächte Rußland weiter niederzuhalten, ihm gegebenenfalls weitere Schläge zu versetzen und die direkte Ausbeutung der dortigen Rohstoffvorkommen zu sichern. In dem „Krisenbogen“, der vom Mittelmeer bis nach Asien reicht, können Diktaturen und Bürgerkriege leicht einen Vorwand für eine Militärintervention liefern – zumal dort immerhin etwa drei Viertel der weltweit bekannten Erdöl- und Erdgasvorräte lagern.

3.

Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des Stalinismus und der weltweiten Offensive des Kapitals verbinden sich im ehemaligen Jugoslawien zwei Elemente: das Auseinanderbrechen des titoistischen Vielvölkerstaates und die wirtschaftliche, soziale und politische Krise des Systems. Zweifelsohne spielt die Geschichte der jugoslawischen Völker in diesem Prozeß eine besondere Rolle, aber entscheidend sind die aus der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart her rührenden Ursachen. Vor allem der chaotische Übergang von einem nicht-kapitalistischen Herrschafts- und Wirtschaftssystem zu einem kapitalistischen ist hier zu nennen sowie die nationalistische Aufspaltung des Bundesstaates Jugoslawien in einen Flickenteppich von „Nationalstaaten“, die durch entscheidende Sektoren der herrschenden jugoslawischen Bürokratie in Partei und Wirtschaft betrieben wurde. Die historische Verantwortung für die unablässige Folge von bestialischen Bürgerkriegen und Vertreibungen in den 90er Jahren tragen die Cliquen um Tudjman, Milosevic und ihresgleichen, wenn auch die deutsche Außenpolitik unter Kohl und Genscher diese Entwicklung beschleunigt hat.

4.

Die Ursachen des Konfliktes um Kosov@ reichen weit vor die Gründung der jugoslawischen Föderation zurück.

Die neuere Geschichte Kosov@s beginnt 1878 mit der Gründung des Albanischen Bundes in Prisren, dessen Kampf um nationale Unabhängigkeit durch die türkische Armee 1881 unterdrückt wurde. Zwischen 1910 und 1912 führten Aufstände zur Erklärung der albanischen Unabhängigkeit und zur Bildung einer provisorischen Regierung. Die Londoner Konferenz der Großmächte Britannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich-Ungarn und Rußland beschloß jedoch 1913 die Übergabe Kosov@s an Serbien, das erst 1878 als unabhängier Staat gegründet worden war.

Während des Zweiten Weltkriegs war Kosov@ Teil eines „Großalbanien“ unter italienischer Kontrolle, während das damalige serbisch bestimmte Jugoslawien seit 1941 von der deutschen Wehrmacht besetzt war.

Die Mehrheit der Kosovari unterstützte die stalinistischen Partisanen Albaniens und Jugoslawiens, die gegen die fa
schistischen Besatzer und die reaktionären serbischen Tschetniks kämpften.

Im Oktober 1944 befreite die stalinistische Albanische Nationale Befreiungsarmee Kosov@. Trotz gegenteiliger Zusagen Titos an Hodscha wurde Kosov@ nach Kriegsende wieder zu Serbien geschlagen, nachdem ein Aufstand der Kosov@-AlbanerInnen im Winter 1944/45 blutig niedergeschlagen worden war. Kosov@ wurde also unter dem serbischen Namen Kosovo Teil der Republik Serbien. Die Verfassung der föderativen Volksrepublik Jugoslawien von 1946 erkannte Kosovo nicht als einen eigenständigen Teil des Staatsgebietes an.

Erst die neue jugoslawische Verfassung von 1963 sprach Kosovo den Status einer autonomen Provinz der Sozialistischen Republik Serbien zu. Dieses Zugeständnis Titos an die nationalen Gefühle der Kosovari erregte zwar den Zorn serbischer Nationalisten, führte jedoch zu keiner Verbesserung der Lage im Kosov@. Es wurde nur als eine Art serbischer Kolonie betrachtet, dessen Bergwerke Rohstoffe für die serbische Industrie lieferten. Das Durchschnittseinkommen der Kosovari betrug nur ein Viertel des jugoslawischen Durchschnitts.

Nach massiven Erhebungen der Kosovari im Jahre 1968 erhöhte Tito die staatlichen Finanzmittel für das Kosov@. Die jugoslawische Verfasssung von 1974 billigte der dortigen Provinzversammlung das Recht zu, eigene VertreterInnen in das jugoslawische Parlament zu entsenden.

Die materiellen Bedingungen der Bevölkerung besserten sich jedoch kaum. 1981, als die Kosovari massiv den Status einer eigenständigen jugoslawischen Republik forderten, wurde die Arbeitslosigkeit mit 27,5% angegeben – doppelt so hoch wie im jugoslawischen Durchschnitt. Die Protestbewegung des selben Jahres wurde brutal von der jugoslawische Armee unterdrückt. Mehr als 300 Menschen verloren ihr Leben. 7000 meist junge Kosovari wurden zu oft langjährigen Haftstrafen verurteilt.

1986 erarbeitete eine Studiengruppe der Serbischen Akademie der Wissenschaften ein Memorandum für die serbischen Behörden, das die Kontrolle der gesamten jugoslawischen Föderation durch Serbien vorschlug. 1987 übernahm Milosevic die Führung des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ) in Serbien, indem er sich als Hüter der angeblich in Kosovo vernachlässigten serbischen Interessen profilierte. Milosevic setzte ohne Zögern auf die nationalistische, großserbische Karte. Er wollte damit das geringe Ansehen der Parteibürokratie bei der Bevölkerung verbessern und die Ansprüche der Kosovari auf mehr Selbständigkeit zurückweisen.

Neue Proteste flammten im November 1988 in Pristina auf. Als Reaktion auf den Streik der Bergleute Kosov@s im Februar 1989 verhängte das Belgrader Regime das Kriegsrecht. Tausende Soldaten wurden zusätzlich zur Einschüchterung der Kosovari in die unruhige Provinz geschickt. 24 Demonstranten wurden erschossen.

Am 5. Juli 1990 beendete das serbische Parlament die politische Autonomie Kosovos und löste das dortige Provinzparlament auf. Die einzige albanisch-sprachige Tageszeitung wurde ebenso eingestellt wie alle entsprechenden Fernseh- und Rundfunksendungen. Über 100.000 Kosovari verloren ihre Arbeitsplätze. Der albanisch-sprachige Unterricht an der Universität von Pristina wurde verboten. Ein faktisches Apartheid-System diskriminierte 90% der Bevölkerung des Kosov@. Gerechtfertigt wurde diese Unterdrückung mit der Behauptung, Kosovo stelle die geschichtliche „Wiege Serbiens“ dar. Hinter diesem Geschichtsmythos verbirgt sich jedoch die materielle Realität der für Serbien unverzichtbaren und teilweise sehr wertvollen Bodenschätze im nördlichen Teil der Provinz – Braunkohle, Gold, Magnesium, Quecksilber, Silber und Zinn. Zudem befinden sich dort die modernsten Bergwerksanlagen des früheren Jugoslawien. In Belgrad gibt es deshalb Pläne, notfalls einer Aufteilung Kosovos zuzustimmen, wenn der wirtschaftlich interessante Norden unter serbischer Kontrolle bleibt.

Milosevics großserbischer Kurs trug maßgeblich zum Auseinanderfallen Jugoslawiens 1991 bei, aber er konnte das Anwachsen der Bestrebungen nach nationaler Unabhängigkeit im Kosov@ nicht verhindern. Im September 1991 beteiligten sich 87% der WählerInnen an einer Volksabstimmung, die von der durch Belgrad abgesetzten Provinzregierung organisiert worden war. 98% stimmten für die Unabhängigkeit Kosov@s. Aus den Wahlen vom 24. Mai 1992, die ebenfalls gegen den Willen der serbischen Behörden durchgeführt wurden, ging der Schriftsteller Ibrahim Rugova als Präsident der unabhängigen Republik Kosova hervor. Das gleichzeitig gewählte Parlament, das von den serbischen Behörden für illegal erklärt wurde, versuchte als Akt des friedlichen Widerstands eine parallele kosovarische Verwaltung aufzubauen.

Trotz der unbestreitbaren Belege für die ungebrochene Kontinuität des Kampfes für nationale Unabhängigkeit im Kosov@ bestehen die imperialistischen Führungsmächte seit 1913 darauf, daß die Region unter serbischer Herrschaft bleibt.

Besonders verheerend war zweifellos das mörderische Treiben serbischer „Ordnungskräfte“ und faschistischer Banden im Kampf gegen den „albanischen Separatismus und Terrorismus“ in den letzten beiden Jahren vor dem Balkan-Krieg. Etwa 2.000 Kosovari wurden ermordet, hunderte von Dörfern zerstört. 300.000 Kosovari wurden in die Flucht getrieben. Die Mehrzahl der Flüchtlinge waren Frauen und Kinder. Im Kosov@ wurde ein besonderer Krieg gegen Frauen geführt, welcher eindeutig darauf abzielte, die Opfer in ihrer persönlichen Unversehrtheit zu treffen. Systematische Vergewaltigung, Folter und Verstümmelung wurden als Waffe eingesetzt. Sowohl die Frauen selbst als auch deren PartnerInnen und Kinder leiden bis heute darunter, Familien zerbrachen. Frauen wurden zur Erreichung „höherer Ziele“ zu Objekten degradiert. Es ging hierbei nicht nur um die Zerstörung von Individuen, sondern auch der Gesellschaft.

Gegen diesen Terror organisierte die UCK zunehmenden militärischen Widerstand. Die Befreiungsarmee des Kosova hat mao-stalinistische Wurzeln, die aber mittlerweile offensichtlich keine Rolle mehr spielen. Die UCK ist weder politisch noch militärisch wirklich vereinheitlicht. Sie definiert sich vor allem über den bewaffneten Widerstand gegen serbische Militärs und Paramilitärs sowie über die Forderung nach staatlicher Unabhängigkeit des Kosov@. Die UCK ist nationalistisch beschränkt. Im Frühjahr 1999 haben anscheinend der NATO nahestehende Kreise die Kontrolle über die militärischen Strukturen dieser zunächst nur lokal verankerten Guerilla-Armee übernommen. Während des imperialistischen Angriffskrieges gegen Rest-Jugoslawien operierte die bis zu 30.000 Mann starke UCK teilweise als Bodenhilfstruppe der NATO, obwohl sie beispielsweise von der deutschen Bundesregierung bis vor kurzem als „Terrorgruppe“ eingestuft wurde.

Der politische Führer der UCK seit 1998, Adem Demaqi, hatte sich hingegen sowohl gegen die Unterzeichnung des „Rambouillet-Abkommens“ als auch gegen die NATO-Bombardements gewandt. Zu diesem Zeitpunkt war er jedoch bereits durch eine rechte, bürgerliche Strömung politis
ch ausgeschaltet worden, die den Luftkrieg der NATO freudig begrüßte.

5.

Die Stärkung des Nationalismus in Osteuropa und auf dem Balkan hängt eng mit dem Zerfall der Übergangsgesellschaften zusammen. Weil der Nationalstaat „die den modernen Verhältnissen entsprechendste Form des Staates ist, jene, in der er seine Aufgaben am leichtesten erfüllen kann, d.h. die Aufgaben der freiesten, umfassendsten und schnellsten Entwicklung des Kapitalismus“ (Kautsky) suchten die Herrschenden nach dem Scheitern des Titoismus, des jugoslawischen Entwicklungsmodells, in der Schaffung „eigener Nationalstaaten“ ihr Heil. Dabei spielte und spielt der Imperialismus durch „friedliche“ wirtschaftliche und politische Einflußnahme oder durch kriegerische Gewalt die Rolle des Geburtshelfers. Offenkundig ist, daß mit dem Aufkommen des Nationalismus die gesellschaftliche Position von Frauen deutlich verschlechtert wurde und das patriachale Gesellschaftssystem in den Massenvergewaltigungen während des Bosnienkrieges und jüngst in Kosov@ sein wahres Gesicht zeigte.

Als InternationalistInnen sind wir GegnerInnen jedes Nationalismus. Doch unterscheiden wir zwischen dem Nationalismus der Unterdrücker und dem der Unterdrückten. Die Vertreibungen erst der Kosovari durch die serbischen NationalistInnen und dann als Reaktion darauf der SerbInnen durch die kosovarischen NationalistInnen unter den Augen der Kfor-Truppen zeigen, wie schnell sich die Verhältnisse ändern können. Wir sind gegen jegliche Vertreibungen und gegen jede nationalistisch, rassistisch oder sexistisch begründete Unterdrückung. Wir stehen auf der Seite der Unterdrückten gegen die Unterdrücker.

Wenn wir die demokratischen Rechte und Freiheiten aller Unterdrückten verteidigen, verteidigen wir damit auch die Interessen der Arbeiterklasse. Wenn wir das Selbstbestimmungsrecht unterdrückter Nationalitäten bis hin zur Lostrennung verteidigen, verteidigen wir damit auch das Recht der Arbeiterklasse auf politische Selbständigkeit. Aber wie kann im bestehenden jugoslawischen Staat die Einheit der Arbeiterklasse im Kampf gegen ihre Unterdrücker, die mit dem Gift des Nationalismus erfolgreich das Bewußtsein der  ArbeiterInnen verseucht haben, wieder hergestellt werden? Dafür muß der serbische Teil der Arbeiterklasse gegen den serbischen Nationalismus das nationale Recht der KosovarInnen auf Selbstbestimmung bis hin zur Lostrennung betonen und die Aufklärung der von serbischen Nationalisten begangenen Verbrechen an den Kosovari einfordern. Dafür muß der kosovarische Teil der Arbeiterklasse gegen den kosovarischen Nationalismus die soziale und organisatorische Einheit mit den serbischen ArbeiterInnen betonen (z.B. in den Gewerkschaften und anderen Arbeiterorgansiationen) und sich gegen die Verfolgung und Vertreibung von SerbInnen und Roma aus dem Kosov@ wenden. Schließlich müssen alle Arbeiter des Balkan die Würde und Selbstbestimmung aller Frauen auf jeder Ebene achten und die sexistisch-chauvinistischen Exzesse des Krieges vorbehaltlos aufklären und verurteilen. Die revolutionären SozialistInnen in der BRD müssen an erster Stelle den Charakter des eigenen Imperialismus und des Krieges um die Vorherrschaft auf dem Balkan entlarven.

Die Bevölkerung Kosov@s soll in einer Volksabstimmung unter der Kontrolle der internationalen Arbeiterbewegung selbst entscheiden, was sie will. Sie könnte sich für die Autonomie innerhalb Jugoslawiens, für einen unabhängigen Staat Kosov@ oder die Vereinigung mit Albanien entscheiden. Dabei müssen aber die Rechte der SerbInnen und der Roma gewahrt bleiben. Wenn wir das Recht der Kosovari auf Selbstbestimmung bis hin zur Lostrennung verteidigen, dann fordern wir nicht die Lostrennung des Kosov@ oder die Vereinigung mit Albanien. Als InternationalistInnen sind wir für die Abschaffung aller Grenzen und damit gegen die Bildung neuer Kleinstaaten. Auch deshalb lehnen wir die Politik nationalistischer Kräfte wie der UCK ab, zumal sie die Entwicklung der politischen Selbständigkeit des kosovarischen Teils der Arbeiterklasse verhindert und die Unterdrückung der nationalen Minderheiten im Kosov@ befürwortet.

Unsere Forderung nach Autonomie in einer demokratischen Bundesrepublik Jugoslawien beinhaltet die Selbstverwaltung Kosov@s und die Gleichberechtigung aller dort lebenden Nationalitäten. Sie könnte der Ausgangspunkt für eine demokratische und sozialistische Balkanföderation sein, in der alle Völker des Balkan vollkommen gleichberechtigt sind. Diese wird aber nur entstehen können, wenn sich die Arbeiterbewegung von Grund auf politisch und organsiatorisch erneuert und gestärkt hat. Das setzt den Bruch mit den Herrschenden und ihrem nationalistischen Kurs ebenso voraus wie die entschlossene Bekämpfung der imperialistischen Herrschaftsansprüche in der Region.

6.

Für die NATO unter US-Führung war das Scheitern der Rambouillet-Verhandlungen der Anlaß für den Angriffskrieg gegen Serbien und Kosov@ am 24. März 1999.

Die allumfassende und entwickelte Kriegspropaganda der „westlichen Wertegemeinschaft“ behauptete alles Mögliche und Unmögliche, um die 80 Tage andauernden Bombardements zu rechtfertigen.

Es ginge um keinen Krieg, sondern

  • • um eine „robuste Intervention“,
  • • um mit chirurgischer Präzision geführte Luftschläge gegen rein militärische Ziele,
  • • um die Verteidigung der Menschenrechte,
  • • um die Beendigung der ethnischen Säuberungen im „Kosovo“,
  • • um den Sturz Milosevics, der ein neuer „Hitler“ sei
  • • und letztendlich um die Lösung der Probleme auf dem Balkan.

Genau das Gegenteil all dieser Lügen war der Fall:

  • Es handelte sich unbestreitbar um einen nicht erklärten Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, in dem, je länger er andauerte, desto mehr zivile Ziele (Eisenbahnlinien, Brücken, Radio- und Fernsehsender, Fabriken, Kraftwerke, Wohnviertel, Krankenhäuser, Flüchtlingskonvois usw.) bombardiert und zerstört wurden. Ziel dieses Bombenkriegs war offensichtlich die weitgehende Zerstörung nicht nur der militärischen, sondern auch der zivilen Infrastruktur und die Einschüchterung der Zivilbevölkerung vor allem in den Industrieregionen. Die Wirtschaft der betroffenen Gebiete ist auf den Stand vor dem Zweiten Weltkrieg zurück gebombt worden.
  • Zur ideologischen Rechtfertigung dieser Barbarei diente der Überlegenheitsanspruch der „westlichen Demokratien“, die den Rest der Welt und damit auch „die Serben“ wenn nötig auch mit eiserner Hand „zur Ordnung rufen“ müssen. Diese „uneigennützige Opferbereitschaft“ im angeblichen Interesse der „zivilisierten Menschheit“ ist eine „modernisierte“ Neuauflage des kolonialistischen Erbes, das die weißen Herrenmenschen des 19. Jahrhunderts verkörperten.
  • Es ging natürlich nicht um die Menschenrechte, denn diese interessieren die NATO weder auf dem Balkan noch sonst irgendwo auf der Welt. Die Massaker in der Türkei (Krieg gegen Kurdistan), Kolumbien (Ausrottung der politischen Gegner des Regimes), Laos (Spätfolgen der US-Bombardements vor allem für die Landbevölkerung) oder Ruanda (Völkermord) zeigen das zur Genüge. Etwa 2.000 Menschen starben durch die NATO-Angriffe auf dem Balkan, über 10.000 wurden zum Teil schwer verletzt.
  • Die „ethnischen Säuberungen“ bzw. Vertreibungen wurden durch die NATO-Angriffe beschleunigt und massiv verstärkt,  so daß insgesamt etwa 1 Million Menschen aus dem Kosov@ flüchteten. Bezeichnenderweise war die Bereitschaft der Staaten der „westlichen Wertegemeinschaft“, die Grenzen für die Kriegsflüchtlinge zu öffnen und ihnen ein Bleiberecht zu gewähren, nur sehr gering entwickelt.
  • Während die Kriegspropaganda der NATO Staaten mit moralischen Rechtfertigungen nicht sparte, wurden die Flüchtlinge seit den Bombenangiffen jenseits der Grenze des Kosov@ in Lagern weggesperrt. Noch unmittelbar vor dem NATO-Angriff hatte zum Beispiel die deutsche Regierung Menschen aus dem Kosov@ mit der Begründung abgeschoben, dort existiere keine „asylrelevante Verfolgung“. Damit dokumentierte sie stellvertretend für die „westliche Wertegemeinschaft“, daß es  in diesem Krieg keineswegs um „humanitäre“ Erwägungen ging. Flüchtlinge hätten in allen NATO-Ländern dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhalten müssen.
  • Gerade am Schicksal der Frauen im Kosov@ wird die Heuchelei und Doppelmoral der NATO-Staaten deutlich: Einerseits dienten die Vertreibungen und gerade auch das Ausmaß an sexueller Gewalt gegen Frauen zur Legitimierung des Angriffskrieges, andererseits gelten in den meisten Staaten Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen nicht als asylbegründend.
  • Selbstredend ist Milosevic und seine Clique, die sich auch am Ausverkauf der jugoslawischen Staatswirtschaft an „freie, westliche Unternehmer“ bereichern, nach wie vor in Amt und Würden. Die Ansätze einer demokratischen Opposition, die diesen Namen verdient, und einer unabhängigen Arbeiterbewegung sind durch den Krieg noch weiter geschwächt worden. Milosevic ist übrigens jahrelang von den politischen VertreterInnen des „freien Westens“ als Garant für die „Stabilität“ auf dem Balkan gehätschelt worden. Sein politisches Überleben trotz der Massenproteste von 1997 wurde durch den milliardenschweren Verkauf der jugoslawischen Telekom an italienische und griechische Firmen finanziert.
  • Und natürlich ist man der Lösung der Probleme auf dem Balkan keinen Schritt näher gekommen. Im Gegenteil es wurden neue geschaffen, und die Lösung der alten erschwert. Die Bedrohung und Ermordung von SerbInnen und Angehörigen der Roma vor allem durch UCK-Kräfte löste eine neue Fluchtwelle aus dem Kosov@ aus. Die Spannungen zwischen ausländischen „Friedenstruppen“ und UCK sind angewachsen. Schätzungen zufolge kostete die NATO-Angriffe rund 75 Milliarden DM. Der dadurch angerichtete Schaden in Rest-Jugoslawien wird auf weitere 75 Milliarden DM geschätzt. Mit 150 Milliarden DM hätte eine grundlegende Verbesserung der Lage der Bevölkerung im Kriegsgebiet finanziert werden können!

Der Krieg auf dem Balkan war wie bereits der Vietnam- und der Golfkrieg auch ein Krieg gegen die Umwelt gewesen. Die Umwelt des Gegners, so die Logik der NATO-Militärs, muß zerstört oder schwer geschädigt werden, wenn dieser geschlagen werden soll. Seit 1975 ist diese Art der Kriegsführung und die Umweltzerstörung durch Kriegshandlung völkerrechtlich verboten, und der bewußte Verstoß gegen Kriegsrechtsnormen ist zum „Kriegsverbrechen“ erklärt worden.

Eine „ökologische Kriegsführung“ war nur von Seiten der NATO festzustellen. Durch ihre Bomben- und Raketenangriffe auf Anlagen mit gefährlichen Stoffen (chemische und pharmazeutische Industrie, Raffinerien, Pipelines, Tanklager, Ammoniak-, Dünge- und Pflanzenschutzmittelfabriken, Sprengstoffabriken und Munitionsdepots) führte sie einen „stummen Giftgaskrieg“, der die nachhaltige Vergiftung von Luft, Erde, Wasser und damit der dort lebenden Menschen zur Folge hat. Zudem sind Umweltschäden auch durch die Zerstörung ziviler Ver- und Entsorgungseinrichtungen entstanden,

Hinzu kommen die in ihrem Ausmaß unübersehbaren Folgen des Einsatzes von gehärteten, aus Atommüll hergestellten uranummantelten Geschossen. Sie töten Menschen, verseuchen die Umwelt und verursachen langfristig Krebs und Erbgutschäden.

Betroffen von den Folgen der „ökologischen Kriegsführung“ ist nicht nur Rest-Jugoslawien und natürlich das Kosov@, sondern auch Rumänien, Bulgarien und Griechenland.

Neben der „Entsorgung“ älterer Bomben, Raketen und Munition diente der Balkankrieg als Testfeld und als Werbekampagne für die internationale, vor allem aber die US-Rüstungsindustrie. Beispielhaft für den Einsatz neuer Waffen war der Abwurf von Graphitbomben zur Lahmlegung der jugoslawischen Stromerzeugung.

Auf die bald nach Kriegsbeginn veröffentlichten Angebote Milosevics zum Waffenstillstand hatten die fünf Außenminister der „Balkan-Kontaktgruppe“ mit folgenden grundsätzlichen Forderungen geantwortet:

  • 1. Eine überprüfbare Einstellung aller Kampfhandlungen.

  • 2. Abzug aller regulären und paramilitärischen bewaffneten Kräfte Serbiens aus dem Kosov@.

  • 3. Zustimmung zur Stationierung internationaler „Friedenstruppen“.

  • 4. Zustimmung zur bedingungslosen Rückkehr aller Vertriebenen sowie ungehinderter Zugang humanitärer Hilfsorganisationen in das Kosov@.

  • 5. Bereitschaft zur Mitwirkung bei einem politischen Rahmenabkommen auf der Basis des Abkommens von Rambouillet.

Im Kern war dies bereits der sogenannte G8-Plan, den das Parlament Jugoslawiens Anfang Juni angenommen und damit der Kapitulation gegenüber der NATO zugestimmt hatte. Eine internationale,  rund 50.000 SoldatInnen starke „Friedenstruppe“ mit russischer Beteiligung aber unter faktischer NATO-Führung soll die Umsetzung des G8-Plans verwirklichen. Der Frieden auf dem Balkan ist damit nicht gesichert, und eine politische Lösung des „Kosovo-Problems“ ist nicht in Sicht. Stattdessen soll die Provinz „autonomer“ Bestandteil Rest-Jugoslawiens bleiben. Faktisch wird sie auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte ein NATO-Protektorat sein.

7.

Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien verdeckte nur mühsam die unterschiedlichen Interessen der beiden großen imperialistischen Blöcke EU und USA. Durch den Krieg gegen Jugoslawien hat das kapitalistische Europa unter deutscher Führung seine politische Vereinheitlichung weiter vorangetrieben. Zwar konnt
en die sozialdemokratisch Regierungen noch nicht überall die angestrebten „Sozialpakte“ („Bündnis für Arbeit“) in die Praxis umsetzen. Sie haben aber mit Unterstützung ihrer „grünen“ und „kommunistischen“ Regierungspartner die Klassenzusammenarbeit zwischen Kapitalisten, bürgerlichem Staat und Gewerkschaften durch ein „Bündnis für Krieg“ verfestigt.

Die Verschärfung des Krieges war eindeutig im Interesse der USA. Sie konnten ihre politische Vormachtstellung untermauern, doch die Folgen des Krieges wie das Flüchtlingselend bekamen sie kaum zu spüren. Die USA ist nach wie vor politisch und militärisch die Weltmacht. Aber bereits 1955 übertraf die addierte wirtschaftliche Stärke der westeuropäischen Staaten die der USA und Kanadas. Es hat lange gedauert bis diese Quantität in die neue Qualität des europäischen Binnenmarktes und der Europäischen Union umschlug. Selbst Großbritannien, der Vorposten der USA in Europa, mußte sich der Sogwirkung des vereinigten kapitalistischen Europa beugen. Heute ist die EU wirtschaftlich stärker als die USA und verfügt über ein großes Potential an „Synergieeffekten“. Gelingt die wirtschaftliche Integration – was unter anderem von der erfolgreichen Durchsetzung des Euro abhängt –, dann kann dies mittel- bis längerfristig zu einer Überlegenheit der EU führen. Die NATO-Osterweiterung liegt im gemeinsamen Interesse von USA und EU. Dies gilt aber nicht für die geplante EU-Osterweiterung, die den europäischen Markt erweitern und den Abstand des kapitalistischen Europa zur USA langfristig vergrößern würde.

Die Konkurrenz USA – EU hat direkte Auswirkungen auf den Balkan. Waren beide gemeinsam an der  Zerschlagung des wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bündnisses der UdSSR mit den osteuropäischen Staaten interessiert, so verfolgen sie auf dem Balkan unterschiedliche Interessen. Ein einheitliches Jugoslawien war ein direktes Hindernis für die Ausweitung der Vorherrschaft der EU. Deshalb setzte sie sich auf Initiative der BRD für die Zersplitterung der vorherrschenden Regionalmacht Jugoslawien ein. Anders die USA. Sie verteidigte zunächst die Einheit Jugoslawiens. Als aber der Prozeß der Aufspaltung begonnen hatte, drängte die USA auf die Verschärfung des Kosovo-Konflikts. Deshalb forderte sie den Einsatz von Bodentruppen, während die EU-Staaten mehrheitlich auf eine diplomatische Beendigung des Krieges setzten. Die USA braucht den Balkan als ständigen Unruheherd in Europa, um die Notwendigkeit ihres politischen und militärischen Eingreifens in der Region unterstreichen und die EU wirtschaftlich und politisch schwächen zu können.

Je stärker die USA gegenüber der EU wirtschaftlich ins Hintertreffen gerät, um so stärker klammert sie sich an ihren politischen und militärischen Vorsprung. Dies ist nicht neu in der Geschichte. Auch Großbritannien verlor seine Vorherrschaft auf wirtschaftlichem Gebiet bereits Ende des letzten Jahrhunderts an die Vereinigten Staaten. Es dauerte immerhin bis zum Zweiten Weltkrieg bis dies auch auf politischer und militärischer Ebene in seinem ganzen Ausmaß sichtbar wurde.

Noch kommt die wirtschaftliche Überlegenheit der EU nicht voll zum Tragen. Eine staatliche Einheit der EU gibt es bisher nicht. Es wirken immer noch unterschiedliche nationale Interessen, die ein gemeinsames Handeln erschweren. Der Ausgang des europäischen Einigungsprozesses ist nicht sicher, die Möglichkeit des Scheiterns nicht völlig ausgeschlossen. Gelingt er, wird sich das wirtschaftliche Plus der EU gegenüber der USA letztendlich auch in ein politisches und militärisches Plus verwandeln.

Der Weg Westeuropas vom Juniorpartner der USA zur weltweit politisch und militärisch eigenständig handelnden Großmacht EU ist vorgezeichnet. Der Kölner EU-Gipfel im Juni 1999 hat eindeutig das Streben nach einer verstärkten gemeinsamen außenpolitischen und militärischen Handlungsfähigkeit betont. Die militärische Bündnisstruktur der Westeuropäischen Union (WEU) soll bis Ende 2000 in die EU integriert werden, und über die neu geschaffene Funktion des Koordinators der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) soll perspektivisch ein Außenministerium der EU vorbereitet werden. Dadurch wird die Position der EU gegenüber der USA verbessert und die Rivalität der beiden imperialistischen Blöcke verschärft werden.

Drei Entwicklungen sind absehbar: Erstens wird sich die EU mehr und mehr für „europäische Lösungen“ der Probleme Europas unter Ausschluß der USA einsetzen. Zweitens wird die EU die USA stärker in die UNO einbinden wollen. Drittens wird die EU unter dem Deckmantel der WEU als dem europäischen Standbein der NATO verstärkt ihre Aufrüstung betreiben, um eigenständig weltweit eingreifen zu können.

8.

Nach den Bundestagswahlen im Herbst 1998 sprach die Regierungserklärung von SPD und Grünen nicht nur von einer „entschlossenen Reformpolitik“, sondern auch von einer „friedlichen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit“ mit dem Ausland. Im Brustton der Überzeugung wurde verkündet: „Die Beteiligung deutscher Streitkräfte an Maßnahmen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist an die Beachtung des Völkerrechts gebunden. Die neue Bundesregierung wird sich aktiv dafür einsetzen, das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen zu bewahren und die Rolle des Generalsekretärs zu stärken.“

Außer den Worten „Beteiligung deutscher Streitkräfte“ – allerdings an einem Angriffskrieg der NATO unter dem heuchlerischen Vorwand des Schutzes der Menschenrechte in Kosov@ – ist von diesen Phrasen nichts mehr übriggeblieben. Wohl noch nie hat eine Bundesregierung so schnell, offen und brutal die öffentlich verkündeten Grundlagen ihrer Geschäftstätigkeit verlassen.

Die Regierung unter Kriegskanzler Schröder hat damit die wichtigste politische Zäsur seit der „Wiedervereinigung“ von BRD und DDR vollzogen – die Wiedergeburt des kriegerischen deutschen Imperialismus. Sie wäre kaum möglich gewesen ohne die staatliche Eingliederung der DDR in die BRD. Deutschland ist damit endgültig zu der politischen und wirtschaftlichen Führungsmacht in Europa aufgestiegen. Nach dem Fall der Mauer und des „eisernen Vorhangs“ befindet sich die BRD erneut in einer geostrategischen Mittellage auf dem Kontinent. In Kroatien, Ungarn, Tschechien und Polen wächst ihr wirtschaftlicher und politischer Einfluß. Die reichen Erdgas- und Erdölvorkommen der ehemaligen Sowjetunion sind bereits im Visier von Berliner Machtstrategen. Das erklärt das Bestreben des deutschen Kapitals, die Osterweiterung der Europäischen Union (EU) voranzutreiben und seinen Einfluß in den mittel- und osteuropäischen Staaten zu stärken.

Der deutsche Imperialismus hatte im 20. Jahrhundert bereits zweimal mit kriegerischen Mitteln große Teile Europas zeitweise unter seine Kontrolle gebracht. Mit der Gründung und dem Ausbau der EU im engen Bündnis mit der französischen Bourgeoisie hat ein erfolgreicher Strategiewechsel stattgefunden. Er kann mittel- und langfristig den mac
htpolitischen Interessen der BRD gegenüber der Weltmacht USA mehr Geltung als bisher verschaffen.  

Der erste deutsche Kriegseinsatz seit der bedingungslosen Kapitulation der Nazi-Wehrmacht 1945 ist nur der vorläufige Endpunkt einer langfristig angelegten Strategie. Sie hatte 1956 mit dem Aufbau der Bundeswehr begonnen und über zunächst „friedliche“ Auslandseinsätze deutscher Truppen ab 1990 zur Vorbereitung der Balkan-“Mission“ durch die Kohl-Regierung im Sommer 1998 geführt.

Die deutsche Beteiligung am Balkan-Krieg wirkt sich bereits außen- wie innnenpolitisch aus. Auch das ideologische Zentralorgan der deutschen Bourgeoisie hat die Bedeutung dieses Einschnitts verstanden: „Schröders Zeit als ‘Automann’ ist vorbei. Vorbei ist auch die Zeit seines  Wahlmottos, er werde sich politisch daran messen lassen, ob es der rot-grünen Regierung gelinge, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Der Krieg in Jugoslawien bedeutet einen Paradigemwechsel in der deutschen Innenpolitik.“ (FAZ vom 3.4.99.)

Die gesamte finanzielle Zeche für die NATO-Osterweiterung, für diesen Krieg und den angekündigten beschleunigten Aufbau weltweit einsetzbarer „Krisenreaktionskräfte“ durch Bundeswehr und WEU werden wir noch präsentiert bekommen. Bereits jetzt können wir jedoch feststellen, daß das neoliberale Dogma der „Kostenreduzierung“ bei der Kriegsführung und der Aufrüstung keine Rolle spielt. Dafür ist die „Sparpolitik“ der Bundesregierung zu Lasten der arbeitenden Klasse, der Arbeitslosen, der Jugend und der RentnerInnen verschärft worden.

Nur Minderheiten der Politikerkaste von SPD und Grüner Partei lehnten den Angriffskrieg der NATO ab. Die SPD blieb somit ihrer seit dem 2. August 1914 bestehenden Tradition (Zustimmung zu den Kriegskrediten des Kaiserreichs) treu. Neu ist allerdings, daß die SPD jetzt den Kriegseinsatz deutscher Truppen als Regierungspartei direkt zu verantworten hat.

Die Grüne Partei löste sich endgültig von ihren Wurzeln in der Friedensbewegung der 80er Jahre und trat ihr eigenes Programm mit Füßen. Nur 5 von 43 grünen Bundestagsabgeordneten stimmten am 25. Februar 1999 im Parlament gegen die deutsche Beteiligung am Kriegseinsatz. Die Grünen sind damit endgültig zu einem verläßlichen Bestandteil des imperialistischen Parteienspektrums der BRD geworden. Eine Spaltung der Partei auf Bundesebene fand nicht statt. Lediglich örtlich und regional kam es zu einem Prozeß des Abbröckelns am linken und pazifistischen Rand, in dessen Folge wichtige AktivistInnen die Partei verließen.

Die PDS profilierte sich als einzige Antikriegspartei im Bundestag. Sie unterstützte beziehungsweise initiierte auch außerparlamentarische Protestaktionen. Zurecht kritisierte sie den Angriffskrieg der NATO als völkerrechtswidrig und die Beteiligung der Bundeswehr daran als Verstoß gegen das Grundgesetz. Zwar leugnete die PDS nicht die Unterdrückung der Kosovari durch die serbisch-chauvinistische Politik Milosevics, aber sie verteidigte nicht das Recht auf Selbstbestimmung für Kosov@. Zudem setzte sie auf eine „politische Lösung“ des Konflikts im Rahmen der UN, die sich seit ihrem Bestehen für den Erhalt der herrschenden Weltordnung betätigt hat. Vor allem aber standen die Antikriegsparolen der PDS in scharfem Widerspruch zur Fortführung der Koalition mit der Kriegspartei SPD in Mecklenburg-Vorpommern und der Tolerierungspolitik in Sachsen-Anhalt.

Die bestenfalls unklare Haltung der PDS zur nationalen Unterdrückung im Kosov@ ist Ausdruck der Ignoranz zu diesem Thema, die in der deutschen Linken vorherrscht. Sie speist sich aus der ungebrochenen Tradition eines „Anti-Imperialismus“, der dem Lagerdenken unseligen Angedenkens („sozialistisches“ gegen kapitalistisches Lager) und letzlich der bürokratischen Logik stalinistischer Machtpolitik verhaftet ist.

Wenn wir den  Sozialismus als Bewegung verstehen, die anstrebt, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes und verächtliches Wesen ist“  (Marx), dann können wir nicht umhin, uns entweder der Frage des Selbstbestimmungsrechts unterdrückter Nationen oder Nationalitäten zu stellen oder aber politisch unglaubwürdig zu sein.

Die Gewerkschaften und ihre Führungen sprachen sich in ihrer großen Mehrheit nicht gegen den NATO-Krieg aus. Zu sehr ist der überwiegende Teil der bürokratischen Spitzen des Apparats in das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem integriert und der SPD immer noch politisch verbunden, als daß von dieser Seite eine dem eigenen gewerkschaftlichen Selbstverständnis entsprechende eindeutige Haltung und Aktionen gegen den Krieg zu erwarten gewesen wären. Zudem fühlen sich die führenden VertreterInnen der Gewerkschaftsspitze ihrem Hirngespinst eines „Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ verbunden. Die Verstrickung der Gewerkschaften in diese Politik des „Sozialpaktes“ hat das „Bündnis für Arbeit“ zusätzlich zu einem „Bündnis für Kriegsführung“ werden lassen.

Der DGB-Vorsitzende Schulte sicherte der Bundesregierung konsequenterweise Unterstützung für die NATO-Angriffe und bei der Erfüllung ihrer „schweren Aufgabe“ zu. Er machte sich damit nicht nur zum Erfüllungsgehilfen der Kriegstreiber, sondern setzte sich auch über den gewerkschaftlichen Auftrag hinweg, „Konflikte auf zivilem Wege ohne militärische Gewalt zu lösen“ (Grundsatzprogramm des DGB).

Der Vorstand der größten Einzelgewerkschaft der Welt, der IG Metall, wandte sich zwar in allgemeinen Worten gegen Krieg, wagte es aber nicht, sich offen und eindeutig gegen die NATO-Angriffe auszusprechen. Lediglich der Vorstand der IG Medien forderte ebenso unmißverständlich einen sofortigen Stop der NATO-Bombardements wie der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten Möllenberg.

Unterhalb der gewerkschaftlichen Vorstandsebene sah es nicht so düster aus. Verschiedene betriebliche und überbetriebliche Resolutionen und Aufrufe bezogen Stellung gegen die NATO-Angriffe und gegen die Unterdrückung der Kosovari.

Offizielle gewerkschaftliche Protestaktionen gegen Krieg und Vertreibung gab es im Rahmen der Feiern zum 1. Mai. Gleichzeitig wurden Mai-Kundgebungen des DGB wie in Ludwigshafen für Kriegspropaganda mißbraucht.

Durch den damaligen politischen Bonus der Schröder-Fischer-Regierung und die massive, millionenfach durch die Medien verstärkte Kriegspropaganda der NATO befand sich die Antikriegsbewegung von vorneherein in einer extrem schwierigen Ausgangslage. Das reine Bild einer humanitären Miliäraktion gegen den „Hitler des Balkan“ konnte politisch nicht massenwirksam demontiert werden.

Die Spontaneität und der viel größere Umfang der Proteste gegen den Golfkrieg wurde nicht ansatzweise erreicht. Es fehlten offensichtlich die damals verbreitete persönliche Betroffenheit und direkt erkennbare machtpolitische Hintergründe („Kein Blut für Öl!“). Die Antikriegsbewegung d
er BRD war somit weitgehend auf die zersplitterte sozialistische Linke sowie auf christliche und pazifistische Kreise begrenzt. Dennoch fanden in rund 100 Städten während des Krieges regelmäßig Protestaktionen gegen die NATO-Bombardements aber auch gegen die Vertreibungen aus dem Kosov@ statt. Die größte Antikriegsdemonstration auf deutschem Boden war der internationale Protest der EuroMärsche am 29. Mai in Köln mit über 30.000 TeilnehmerInnen.

9.

Die Revolutionären SozialistInnen setzen sich weltweit für die historischen und die Tagesinteressen der arbeitenden Klasse und ihrer Verbündeten ein.

Wir sind deswegen bedingungslos für internationale Solidarität eingetreten: „Wir fordern zur Solidarität mit den serbischen und den albanischen Lohnabhängigen auf, auch wenn sie sich heute feindlich gegenüberstehen. Wir lehnen jeden Kriegseinsatz der BRD ab. Im Krieg der Großmacht BRD gegen Jugoslawien stehen wir auf der Seite Jugoslawiens. Dabei unterstützen wir die linke Opposition und Antikriegsbewegung gegen die Regierung Milosevic. Im Bürgerkrieg im Kosovo stehen wir auf der Seite der AlbanerInnen und verteidigen ihr Recht auf Selbstbestimmung bis hin zur Lostrennung. Als InternationalistInnen sehen wir [allerdings] die einzige Perspektive für [das Kosovo] im freiwilligen Zusammenschluß aller Balkanvölker zu einer gemeinsamen föderativen Republik. Eine solche sozialistische Balkanföderation kann nur unter sozialistischen Vorzeichen entstehen.“ (Politisches Komitee des RSB, 31.3.99.)

Und wir haben uns deshalb für den Widerstand gegen den Krieg eingesetzt: „Wir rufen dazu auf, den Aufbau einer breiten und demokratischen Bewegung gegen den Balkan-Krieg zu unterstützen. Wir  rufen dazu auf, bundesweit und international für den sofortigen und bedingungslosen Stop der Bombardierungen durch die NATO und der rassistischen Politik des Milosevic-Regimes einzutreten. Wir rufen dazu auf, das Selbstbestimmungsrecht der albanischen Bevölkerung im Kosovo und die serbische Antikriegsopposition zu verteidigen. Wir rufen dazu auf, sich für den Austritt der BRD aus der NATO einzusetzen, denn nur so können wir einen Beitrag zur Auflösung dieses Angriffspaktes leisten.“ (Politisches Sekretariat des RSB, 18.4.99.)

Wir sind uns bewußt, daß die Perspektive einer demokratischen und sozialistischen Balkanföderation momentan wenig Gehör findet. Vor allem weil im ehemaligen Jugoslawien die Arbeiterbewegung und die sozialistischen Kräfte durch die chauvinistische und kriegerische Entwicklung der letzten Jahre extrem geschwächt sind. Dennoch: Wenn die arbeitenden Klassen auf dem Balkan aus dieser blutigen Sackgasse herauskommen wollen, dann wird das nicht durch die „Verteidigung nationaler Grenzen“ geschehen können, die samt und sonders willkürlich festgelegt worden sind. Sondern es wird nur durch die Vereinigung der arbeitenden Klassen und der Unterdrückten aller Balkanländer im gemeinsamen Kampf gegen die Verwüstungen des Krieges und der Vertreibungen, gegen die imperialistische Politik der NATO und ihre Truppenstationierungen sowie gegen die wirtschaftliche Ausbeutung der Region durch die Herrschenden möglich sein.

Unsere Aufgabe ist es deshalb, den Aufbau einer unabhängigen Arbeiterbewegung, einer Frauenbewegung und revolutionär-sozialistischer Kräfte auf dem Balkan zu unterstützen. Mit der Stärkung des RSB und der IV. Internationale können wir einen Beitrag hierzu leisten.

20./21.11.1999

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