Hambi bleibt

Truck auf der großen Demonstration gegen die Abholzung des Hambacher Waldes.

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Bericht von den Demos gegen die Abholzung des Hambacher Waldes

Hambi bleibt

Von Angela Klein | 09.10.2018

50.000 Menschen haben am 6. Oktober auf einem Acker vor dem Hambacher Forst den tags zuvor vom Oberverwaltungsgericht Münster verhängten Rodungsstopp gefeiert. Organisiert hatten diese größte Demonstration, die der Landstrich je gesehen hat, die drei großen Umweltverbände BUND, Greenpeace und Naturfreunde, im Verbund mit Campact und unterstützt von den Initiativen Buirer für Buir, Ende Gelände und vielen, vielen anderen. Es war wie in den 80er Jahren in Kalkar: Bis zum Nachmittag strömten ständig Menschengruppen über Feldwege und Kreisstraßen zum Versammlungsort, die von Köln kommenden S-Bahnen spuckten am Bahnhof Buir im Viertelstundentakt ganze Zugladungen aus, obwohl die Polizei schon ab 10 Uhr morgens einen Shuttle-Service mit Bussen von Horrem nach Buir eingerichtet hatte. Die Busse kamen aus dem nahen Bergischen Land und Ruhrgebiet ebenso wie aus Frankfurt, München, Berlin, Leipzig, Dresden…

Und das war keine Eintagsfliege. Seit Wochen kommen an jedem Wochenende Tausende, darunter viele junge Leute, die sich den Wald zurückholen: 7000 vor zwei Wochen, 12.000 vor einer Woche, 50.000 jetzt. Und damit hört es nicht auf: Am Sonntag, den 7. Oktober, haben die „Lebenslaute“ an der Abbaukante des Braunkohle-Tagebaus Hambach gespielt, am Waldspaziergang von Michael Zobel haben wieder 1400 Menschen teilgenommen; am Sonntag, dem 14.10., findet eine große Fahrraddemo von Köln aus statt, zwei Wochen später die Massenaktion zivilen Ungehorsams von Ende Gelände.

Das Ziel all dieser Aktionen ist, den Wald wieder zu besetzen. Die über 50 Baumhäuser, die Anfang September noch standen, sind alle geräumt. Aber mit einer bewunderungswürdigen Hartnäckigkeit nutzen junge Leute jede sich bietende Gelegenheit, in den Wald zu schwärmen und neue zu bauen. Ohne deren Engagement, das betont die vormalige Sprecherin von Buirer für Buir, Antje Grothus, immer wieder, wäre der Wald schon längst gerodet. Deswegen arbeitet sie auch so vehement daran, dass die verschiedenen Aktionsformen, vom Friedensgottesdienst vor der Pfarrkirche St. Lambertus in Immerath (Erkelenz), die im Januar 2018 der Abrissbirne von RWE zum Opfer gefallen ist, bis zu den Baumbesetzer*innen nicht gegeneinander gestellt werden. Unermüdlich moderiert sie zwischen den verschiedenen Gruppen und hat es geschafft, dass bis heute alle an einem Strang ziehen.

Bei der Vielfalt von Akteuren und Akteurinnen, die inzwischen zusammengekommen sind, gibt es kein geheimes Zentralkomitee, das alle Fäden zieht, aber einen Konsens, dass alle Aktionsformen gleichberechtigt sind und keine die andere gefährden oder die Legitimität des Protestes in der öffentlichen Meinung in Frage stellen darf. Das ermöglicht jedem Teil dieses breiten und sehr vielschichtigen Protestes, das Seine zum Gelingen beizutragen – der Protest ist dadurch enorm in die Breite gegangen.

Die Medien und die Wissenschaft tun das ihre dazu. Die Massenmedien stehen nicht auf der Seite von RWE, das kann man nicht sagen, trotz dessen Versuche, mit aktiver Unterstützung der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE) die Protestierenden als Gewalttäter und Chaoten hin­zustellen – dieser Schuss ist nach hinten losgegangen. Und die Wissenschaft hat, seitdem die Kohle­kommission ihre Arbeit aufgenommen hat, zahlreiche Beiträge geliefert, die die Dringlichkeit – und die Möglichkeit! – des sofortigen Kohleausstiegs nachweisen, aber auch betonen, dass die Energiewende sozialverträglich sein muss, wenn sie gelingen soll. Das alles liefert den Aktivist*innen wertvolle Munition.

Viele Ältere, die früher in der Anti-AKW-Bewegung aktiv waren, fühlen sich an Wackersdorf erinnert. Vor allem in einem Punkt: Wie sehr der Protest vom aufrechten Gang und der ungeheuren Standhaftigkeit einiger ortsansässiger Bürger lebt, die sich nie hätten träumen lassen, dass sie mal mit Linksradikalen gemeinsame Sache machen oder im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. In Wackersdorf stand dafür der Landrat Hans Schuierer, in Buir die Umweltaktivistin Antje Grothus, die wegen ihres Engagements inzwischen in der Kohlekommission sitzt. Auf Kundgebungen spricht Antje klarer und im guten Sinne radikaler als alle Umweltverbände und -initiativen zusammengenommen, die Baumbesetzer*innen eingeschlossen.

Und noch eine zweite Ähnlichkeit gibt es mit Wackersdorf: Damit ein solcher Protest, der sich mit mächtigen Industriekonzernen anlegt, denen die Politik hörig ist, Erfolg haben kann, braucht es eine Großwetterlage, eine gesellschaftliche Grundstimmung, die dem Protest den Rücken stärkt. Eine solche hat sich in Wackersdorf, wo es immerhin um den Traum ging, dass auch Deutschland einmal über das militärische Knowhow der Herstellung von Atomwaffen verfügen sollte, erst in der Spätphase der Proteste hergestellt, nämlich durch den Amtsantritt Gorbatschows in der UdSSR und die Tauwetterperiode, die dadurch eingeleitet wurde. Der deutsche Zugriff zur potentiellen militärischen Nutzung von Atomtechnologie passte da nicht mehr ins Bild.

Im Hambacher Wald verhielt es sich umgekehrt: Dort gab es schon seit langem kleinere Proteste, auch Klimacamps, die jedoch von der Öffentlichkeit kaum beachtet wurden. Vor allem der UN-Klimagipfel in Paris hat hier eine Wende gebracht und ein breiteres Bewusstsein von der Dringlichkeit der Bekämpfung des Klimawandels geschaffen. Die Aktionsgruppe ausgeCO2hlt und andere organisierten von Jahr zu Jahr größere Klimacamps im rheinischen Braunkohlerevier, Ende Gelände organisierte effizient und erfolgreich Massenblockaden in den Tagebauen; das blieb nicht auf das Rheinland beschränkt, sondern fand Nachahmung bis nach Polen und Tschechien. Kleinere Initiativen spezialisierten sich auf Sabotageaktionen, andere organisieren breite Bildungsangebote, die Initiative Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen für Klimaschutz nahm sich vor, für andere Beschlusslagen in den Gewerkschaften zu sorgen, die Naturschutzverbände besorgten Gutachten und reichten Klagen ein, die Katholik*innen organisierten Gottesdienste…

Kurzum, die Klimabewegung in Deutschland ist eine Massenbewegung geworden und hat im Hambacher Wald einen Ort gefunden, um den herum sie sich organisiert und weithin ausstrahlt. Einer aber bildet den Mittelpunkt: der Waldpädagoge Michael Zobel mit seinen früher monatlichen, seit August wöchentlichen Waldspaziergängen im Hambacher Wald. Das ist ein Fixpunkt für die Bewegung, weil er alle zusammenbringt, und zugleich die Einstiegsdroge für Schnupperer, wer mal dabei war, der oder die bleibt dabei. Ohne diese Waldspaziergänge hätte die Bewegung nie den Sprung zur Massenbewegung erreicht. Zeitweise waren an einem Nachmittag 10.000 Leute auf diesem Spaziergang.

Ohne ihn, ohne die Buirer für Buir, ohne die Baumbesetzer, ohne Ende Gelände, ohne den BUND würde es diesen breiten Protest nicht geben. Doch ohne die Wende im Massenbewusstsein, die der Klimagipfel in Paris eingeläutet und der diesjährige Sommer der Dürre noch einmal beschleunigt hat, würde er nicht auf so fruchtbaren Boden fallen. Anders lässt sich das Urteil von Münster nicht erklären. Das Besondere daran ist ja, dass ein hohes Gericht in Deutschland eine Fledermaus, die unter Naturschutz steht, genauso ernst nimmt wie die Geschäftsinteressen eines Energieriesen und diesem noch vorrechnet, dass er nicht glaubhaft darlegen kann, seine Tätigkeit sei für das Allgemeinwohl unerlässlich. Das ist ein Riesenerfolg für den Naturschutz und das Klima – damit hat RWE nicht gerechnet, viele in der Bewegung allerdings auch nicht.

Ist jetzt schon alles gewonnen? Nein, der Kohleausstieg bleibt Handarbeit. RWE baut um den Wald einen Graben, der verhindern soll, dass weiter Leute in den Wald gehen und der Konzern dort ungestört machen kann, was er will. Zeitweise war ein meterhoher Zaun rund um den Forst im Gespräch, davon ist man wieder abgekommen, vielleicht ist es zu teuer. In den Wald zu gehen, ist nicht verboten, es soll aber verboten sein, dort Baumhäuser zu bauen, RWE hat den Wald zum Werksgelände erklärt. Damit hat der Konzern eine Handhabe, Baumbesetzer*innen unter dem Vorwand des Hausfriedensbruchs festzusetzen und mit hohen Geldstrafen zu überziehen.

Eigentlich ist es für diese Strategie zu spät, sie macht nur Sinn, wenn RWE die Umzäunung nutzen wollte, um dem Wald das symbolträchtigste Schützenswerte zu nehmen, das ihn auszeichnet: die Bechstein-Fledermaus. Schon einmal haben Leute von RWE versucht, sie aus dem Wald zu vertreiben, indem sie die Baumhöhlen mit Folien verklebt haben, in denen sich die Fledermaus aufhält und wo sie nistet. Damals haben die Baumschützer*innen all diese Untaten aufgespürt und rückgängig gemacht; wenn die aber nicht mehr da sind, hat RWE leichtes Spiel. Das mag sehr zynisch klingen, wer denkt denn an so was? Deutsche Kapitalisten haben aber mehrfach in der Geschichte gezeigt, dass sie nicht dazu lernen, wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen, sondern lieber Taktik der Zerstörung fahren.

Denn durch unseren Massenprotest, in Verbindung mit der Tatsache, dass RWE so offensichtlich an einer Technologie festhält, die sich überlebt hat, ist der Konzern und mit ihm die IG BCE in die Defensive geraten. Am Wochenende bekam RWE die Quittung: der Aktienkurs gab am Freitag um fast 10 Prozent nach und es gibt wieder eine Welle von Kündigungen durch die Stromkunden. Jahr für Jahr macht RWE 100 bis 200 Mio. Euro weniger Gewinn. Gleichzeitig rauschen die Umfragewerte für SPD und CDU weiter in den Keller, dafür gehen die der Grünen steil nach oben. In der Kohlekommission wird all dies nicht ohne Folgen bleiben.

Es ist deshalb richtig, wenn Ende Gelände dazu aufruft, immer wieder in den Wald zu gehen und Bäume zu besetzen und auch den Graben wieder zuzuschütten. Mindestens bis zum Urteil in der Hauptsache, nämlich ob der Hambacher Wald als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet der EU-Kommission gemeldet werden muss, müssen die Klimaschützer*innen kontrollieren, was RWE im Wald macht.

Und noch ein zweites drängt sich nach dem Wochenende vom 6. Oktober auf: Die Klimabewegung muss die Städte erobern. Sie muss sich mit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und mit alternativen Verkehrsplaner*innen verbünden und viel konkreter als bisher Gegenentwürfe zum bestehenden Wahnsinn entwerfen, für die politisch gestritten werden kann. Aus München kam dazu am selben Wochenende ein erster Anstoß: Dort demonstrierten fast 20.000 Menschen unter dem Motto „Mia ham’s satt!“ gegen Flächenfraß, Agrarfabriken und Verkehrskollaps. Aktivist*innen von Ende Gelände und viele andere Teilnehmer*innen solidarisierten sich auf dieser Demo mit den Kampf um den Hambacher Forst.

Angela Klein, 8. Oktober 2018

 

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