TEILEN
Innenpolitik

Habermas und der Krieg

Von Trixi Blixer | 01.04.2004

Am 31. Mai 2003 veröffentlichte eine Gruppe prominenter europäischer Intellektueller mit Artikeln in großen Tageszeitungen ihre Vorstellungen zu einer künftigen europäischen Außenpolitik. Einer der Begründer dieser Initiative war Jürgen Habermas, der die neue Rolle Europas gemeinsam mit Jacques Derrida in der FAZ definierte.

Am 31. Mai 2003 veröffentlichte eine Gruppe prominenter europäischer Intellektueller mit Artikeln in großen Tageszeitungen ihre Vorstellungen zu einer künftigen europäischen Außenpolitik. Einer der Begründer dieser Initiative war Jürgen Habermas, der die neue Rolle Europas gemeinsam mit Jacques Derrida in der FAZ definierte.

Der Essay der beiden Philosophen Habermas und Derrida in der FAZ verstand sich als Gegengewicht zu einem Brief, mit dem acht EU-Staaten und Kandidatenländer am 31. Januar 2003 ihre Unterstützung der amerikanischen Außenpolitik gegen den Irak zusagten. Dem stellten sich Habermas/Derrida in einem Essay entgegen, in dem sie für eine außenpolitische Erneuerung Europas plädieren. Als Beweis für das Entstehen einer europäischen Öffentlichkeit sehen sie die internationalen Antikriegsdemonstrationen am 15. Februar 2003: „Die Gleichzeitigkeit dieser überwältigenden Demonstrationen – der größten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – könnte rückblickend als Signal für die Geburt einer europäischen Öffentlichkeit in die Geschichtsbücher eingehen". Leider definierten sie nicht näher, was „europäische Öffentlichkeit" für sie bedeutet und so kann dieses Wort nicht mehr als eine bloße Hülle sein. Ganz abgesehen davon, dass am 15. Februar nicht nur in Europa, sondern weltweit demonstriert worden ist.
„Nach dem Krieg: Die Wiedergeburt Europas"
Die Hauptthese Derridas und Habermas’, dass die Staaten der EU aus dem 2. Weltkrieg gelernt hätten, geht davon aus, dass Europa damit automatisch friedlicher ist. Klassenübergreifend analysieren sie die heutige EU als ein Europa der Ratio, ein Europa, das aus dem Abstand zu imperialer Macht die Chance erhalten habe, eine reflexive Distanz zu sich selbst einzunehmen. Habermas/Derrida erkennen einzig und allein in der Tatsache der Nichtbeteiligung einiger europäischer Staaten am Angriffskrieg gegen den Irak eine positive moralische Grundhaltung. Den Beweis dafür, dass in der EU jetzt eine menschlichere Politik gemacht wird – ganz im Gegensatz zu den USA – sehen die beiden Philosophen in dem Fakt, dass „die selbstkritischen Auseinandersetzungen über diese Vergangenheit die moralischen Grundlagen der Politik in Erinnerung gerufen [haben]. Eine erhöhte Sensibilität für die Verletzungen der persönlichen und der körperlichen Integrität spiegelt sich unter anderem darin, dass Europarat und EU den Verzicht auf die Todesstrafe zur Beitrittsbedingung erhoben haben."

Sie gehen mit solchen Annahmen davon aus, dass es in der heutigen EU keine imperialistischen Interessen mehr gebe. Wie sie dies angesichts des Afghanistan-Einsatzes, des Kosov@-Krieges oder des Eingreifens im Kongo so analysieren können, spricht entweder für ihre Blindheit gegenüber der Weltpolitik oder für ihre politische Absicht. Es ist eher vom Zweiten auszugehen, da sie gleich den entsprechenden Verlautbarungen der Bundesregierung die Rolle Europas und vor allem den Kurs Deutschlands in der EU stärken wollen.
Widerspruch zwischen Staaten statt zwischen Klassen
In dem ganzen Essay ist nichts davon zu finden, welche Interessen hinter der derzeitig herrschenden Politik stehen. Statt diese zu analysieren, sehen Habermas/Derrida die Widersprüche zwischen der EU und den USA nur an der Oberfläche. In dieser Plattheit gefangen, halten sie es für notwendig, sich für die eine oder die andere Seite zu entscheiden. Sie entscheiden sich für die EU, der sie bescheinigen, dass jetzt die Zeit für eine gemeinsame Außenpolitik gekommen ist: „Aber gleichzeitig hat der Krieg den Europäern das längst angebahnte Scheitern ihrer gemeinsamen Außenpolitik zu Bewusstsein gebracht." Allen gegenteiligen Entwicklungen zum Trotz fordern sie ein stärkeres Eingreifen der Europäischen Union in die internationalen Institutionen: „Europa muss sein Gewicht auf internationaler Ebene und im Rahmen der UN in die Waagschale werfen, um den hegemonialen Unilateralismus der Vereinigten Staaten auszubalancieren." Und das solle auf Weltwirtschaftsgipfeln und in den Institutionen der Welthandelsorganisation geschehen. Dass die mächtige Demonstration am 15. Februar, auf die sie sich so positiv beziehen, aus der Bewegung gegen eben diese Institutionen entstanden ist, erwähnen sie mit keinem Wort.
Selbstbild des Intellektuellen
Die Vision eines künftigen Europas sei noch nicht da, und wenn dann nur in zu vielstimmiger Weise. Hier sehen Derrida und Habermas ihre Rolle, denn: „Wenn das Thema bisher nicht einmal auf die Agenda gelangt ist, haben wir Intellektuelle versagt." Und wenn Intellektuelle nur noch die Regierungspolitik unterstützen können, anstatt kritisch zu hinterfragen, dann haben sie sich selbst überflüssig gemacht. Am Beispiel von Habermas und Derrida wird wieder einmal deutlich, wie Recht Engels mit der 11. Feuerbachthese hat: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern."1

1 Engels, Luwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, Dietz Verlag Berlin, S.72 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite