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Innenpolitik

Große Koalition mit neoliberalen Reformen

Von D. Berger | 01.01.2004

Im Verlauf des letzten Jahres ist vielen Menschen die Stoßrichtung der herrschenden Politik klarer geworden. Der Widerstand hat sich belebt. Aber an den Kräfteverhältnissen hat sich noch nicht viel geändert.

Im Verlauf des letzten Jahres ist vielen Menschen die Stoßrichtung der herrschenden Politik klarer geworden. Der Widerstand hat sich belebt. Aber an den Kräfteverhältnissen hat sich noch nicht viel geändert.

Die Ergebnisse des "Vermittlungsausschusses" – von Bundestag und Bundesrat – legen offen, wo wir heute in der Bundesrepublik stehen:

  • · Die beschlossenen Reformen werden die Konjunktur nicht einmal kurzfristig beleben. Im Gegenteil: Schon kurz- bis mittelfristig wird sich u.a. der mit den Reformen hervorgerufene Entzug von Massenkaufkraft belastend auf die Wirtschaftsentwicklung auswirken.
  • · Das Gesamtpaket des weiteren neoliberalen Umbaus der Gesellschaft ist wieder ein Stück befördert worden. Die letzten Kernstücke der Agenda 2010 wie die Arbeitsmarktgesetze sind von der Großen Koalition beschlossen worden.
  • · Die Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums wird neben den Lohndrücker- und Prekarisierungsgesetzen vor allem über die Steuerreform und den dazugehörigen Subventionsabbau vorangetrieben.
  • Zu all dem ist von den Gewerkschaftsführungen nur eine laue Antwort zu hören. Der DGB sieht in den Reformen sogar eine „Chance für die Belebung der Wirtschaft".

Umverteilen…
Wesentliche Zielsetzung der Reformpolitik ist die steuerliche Entlastung der Reichen. Der Spitzensteuersatz sinkt von 48 auf 45 % und für Steuerflüchtlinge ist jetzt endgültig die Amnestie ausgesprochen worden. Wenn sie bis Ende 2004 ihre Steuererklärung abgeben, zahlen sie läppische 25% (2005 35%) (siehe Kasten).
Bezahlt wird dies:

  • · Durch den Abbau von Subventionen wie Kürzung der Entfernungspauschale von 36 (35) Cent auf 30 Cent pro Kilometer; die Eigenheimzulage wird um 30% gekürzt;· Über die Privatisierung von Bundesvermögen. Dies soll 5,3 Mrd. € bringen;
  • · Über eine verschärfte Sparpolitik auf Länder- und Gemeindeebene.


Die zweite Ebene der Umverteilung, die mittel- und langfristig für das Kapital viel bedeutsamer ist, wird durch die Reform der Arbeitsmarktgesetze vorangetrieben. Ab nächstem Jahr wird das Arbeitslosengeld II (ALG II) mit der Sozialhilfe zusammengelegt. Wer ab 2005 länger als 1 Jahr (bzw. 18 Monate für die ab 57-Jährigen) erwerbslos ist, bekommt dann nur noch ca. 300 € im Monat, sprich im Schnitt 600 € weniger als heute!
…und die Statistik schönen
Ergänzt wird dies mit einer weiteren Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln. "Langzeitarbeitslose" sollen "jede legale Arbeit" zu jedem Lohn annehmen müssen – bei Strafe des Entzugs jeglicher Stütze. Zu Recht sprechen

deswegen viele Sozialverbände, Arbeitslosengruppen und Andere von der Einführung einer faktischen Zwangsarbeit. Kurzfristig sind davon mindestens 1,7 Mio. Menschen, mittelfristig 2,5 Mio. Menschen betroffen (siehe Kasten).
Kündigungsschutz, Flächentarif, Arbeitszeit…
Auch die anderen Reformen wiegen schwer: Die Abschaffung des Kündigungsschutzes für neu Eingestellte in Kleinbetrieben (zwischen 5 und 10 Beschäftigten) wird aufgrund der Fluktuation in wenigen Jahren für fast alle Beschäftigten in diesem Bereich gelten. Das Kündigungsschutzgesetz schützt zwar nicht vor Kündigungen, aber erschwert sie. Mittelfristig verlieren also weitere 2 Mio. Beschäftigte diesen minimalen Schutz.

Ergänzt werden diese Maßnahmen durch den Druck zur Aushöhlung des Flächentarifvertrages und zur Verlängerung der Arbeitszeit. Die neoliberale Offensive läuft auf breiter Front, aber die Gewerkschaftsvorstände reden immer noch davon, dass die Reformen sozial gerecht gestaltet werden sollen. Dabei ist der einzige Zweck der Reformen die Steigerung der Profite… und die Schönung der Statistik über das Abdrängen möglichst vieler Menschen in die Scheinselbständigkeit oder in Billig(st)jobs.

 

Steuerreform 2000
Sie bewirkte Ausfälle von 25 – 30 Mrd. € in der Körperschaftssteuer sowie den Wegfall der Steuer auf Gewinne aus Beteiligungsverkäufen. Das brachte dem Kapital eine jährliche (!) Steuerentlastung von insgesamt 40 Mrd. €. Allein die Senkung des Körperschaftssteuersatzes von 40 auf 25% brachte den Kapitalgesellschaften seit 2001 ca. 50 Mrd. € Ersparnis.

D. B.

 

Ziel der Verschärfungen
Sie üben enormen Druck auf die Löhne der “Geringqualifizierten” aus und indirekt auf das gesamte Lohngefüge. Viele Menschen nehmen zum nackten Überleben Arbeit zu Billigstlöhnen an und entlasten so die Statistik. Wenn aus einer Vollzeitstelle drei schlecht bezahlte Teilzeitstellen werden, ist die Statistik um zwei Arbeitslose bereinigt.
Hessens Ministerpräsident Koch setzte durch, dass die Verwaltung des ALG II durch die Kommunen erfolgen kann. So können zukünftig kommunale Aufgaben zu Billigstlöhnen erledigt werden. Das macht tendenziell den Zivildienst überflüssig und begünstigt wiederum den Aufbau einer reinen Berufsarmee.

 

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