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Innenpolitik

Große Koalition: Das Folter-Kabinett

Von Thadeus Pato | 29.10.2005

Was ist von einer großen Koalition zu erwarten? SPIEGEL-online weiß es wie immer ganz genau – und liegt wie immer haarscharf daneben: „Merkel setzt Ziele, der Rest streitet um Posten“. Die Ziele setzt allerdings der ideelle europäische Gesamtkapitalist, nämlich die EU-Kommission.

Was ist von einer großen Koalition zu erwarten? SPIEGEL-online weiß es wie immer ganz genau – und liegt wie immer haarscharf daneben: „Merkel setzt Ziele, der Rest streitet um Posten“. Die Ziele setzt allerdings der ideelle europäische Gesamtkapitalist, nämlich die EU-Kommission.

Die EU Kommission hat pünktlich nach der Wahl dem Delinquenten Bundesregierung schon mal die Folterinstrumente gezeigt und wegen der Überschreitung der Haushaltsdefizitgrenze von 3% mit Strafzahlungen in zweistelliger Milliardenhöhe gedroht. Damit sind die Grundlinien der zukünftigen Finanzpolitik vorgegeben: Die Einsparorgie kann weitergehen.
Der Theaterdonner ist vorbei
Große Koalitionen sind in der bürgerlichen Demokratie ein Notbehelf und nicht ungefährlich. Die Wähler kommen allzu leicht auf schlaue Gedanken wie den, dass die im Wahlkampf beschworenen grundsätzlichen Differenzen zwischen den Parteien gar nicht so groß sind und dass es sich dabei nur um Theaterdonner gehandelt hat. Aber die radikale Weiterführung des neoliberalen Umbaus der Gesellschaft wäre in keiner anderen Konstellation möglich gewesen. Und so werden wir in den nächsten vier Jahren (wenn die Koalition so lange hält, denn ebenso wahrscheinlich ist, dass in den nächsten zwei Jahren die wesentlichen Grausamkeiten begangen werden und dann bereits der nächste Wahlkampf beginnt, in dem sich die beiden Koalitionspartner die Schuld gegenseitig zuschieben) eine konsequente Fortführung der rotgrünen Politik erleben – in jeder Hinsicht.
Sparorgie
Die SPD posaunte es bereits hinaus: 14,5 Milliarden sollen eingespart werden, wenn der Stabilitätspakt schon 2005 eingehalten werden muß (s.o.) sogar 22,5 Milliarden, so der designierte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), dem unisono von Merkel („Haushaltskonsolidierung erste Priorität“) und dem hessischen Ministerpräsidenten Koch („massives Haushaltsstrukturgesetz mit enormen Einschnitten“) sekundiert wird. Während Steinbrück hauptsächlich von „Subventionsabbau“ sprach – wobei sich dahinter im neoliberalen Neusprech auch solche Lohnbestandteile wie die Pendlerpauschale verstecken dürften – wurde Koch deutlicher: auch „soziale Zuwendungen“ müssten angetastet werden.

Was das staatliche Tafelsilber angeht, hat Eichel in den letzten Jahren die Besteckschublade weitgehend geleert. Steinbrück allerdings kann es noch besser: Er lässt bereits die Möglichkeiten für eine Privatisierung der Autobahnen überprüfen. Ansonsten sollen die Sozialsysteme herhalten. Als fast sicher kann gelten, dass es dabei hauptsächlich um drei Bereiche geht: Die Arbeitslosenunterstützung, die Rentenversicherung und die Leistungen, die über Steuernachlässe gewährt werden wie z.B. die Pendlerpauschale. Eine Mehrwertsteuererhöhung, die ebenfalls zu Lasten der Armen geht, dürfte ebenfalls stattfinden. Dass dabei von allen diesen ÜberzeugungstäterInnen immer von „radikalem Subventionsabbau“ (Finanzminister Stratthaus aus Baden-Württemberg) gesprochen wird, soll suggerieren, dass die KapitaleignerInnen auch betroffen werden. Aber gleichzeitig wird das Ziel der Senkung der Lohnnebenkosten, auf deutsch Lohnsenkung, zu deren Gunsten in Kontinuität zur rotgrünen Regierungspolitik weiterverfolgt. Was beispielsweise das Gesundheitssystem betrifft, so hat der Vertreter der „Bürgerversicherung“, Professor Karl Lauterbach, Pharma- und Krankenhauskonzernlobbyist und seit neuestem Bundestagsabgeordneter für die SPD, bereits laut Überlegungen angestellt, der CDU entgegenzukommen und die Kinderversicherung aus der gesetzlichen Krankenversicherung „auszulagern“ und über Steuern zu finanzieren. Damit würden die Kassenbeiträge sinken und die ArbeitgeberInnen massiv Lohnkosten einsparen. Die Lohnabhängigen hingegen zahlen letztendlich über die Steuern die Zeche. Denn Steuersenkungen wurden ausgeschlossen und über die Streichung von Steuervergünstigungen und die Mehrwertsteueranhebung wird eine de facto-Steuererhöhung insbesondere für die Lohnabhängigen die Folge sein.
Kriegspolitik
Einig ist man sich auch in der Kriegspolitik. Der Weg, die Bundeswehr in eine kleine, aber schlagkräftige, weltweit interventionsfähige Einsatztruppe umzubauen, wird nicht in Frage gestellt, und hier sind auch keine Einsparungen zu erwarten. Nicht nur der Bau des Großraumtransporters durch EADS/Airbus (übrigens eine einzige Subventionsorgie, da der Kauf  beispielsweise   der russischen Antonov erheblich billiger gewesen wäre) und die Entwicklung eines Tarnkappenflugzeuges durch EADS zeigen, dass die Rüstungspolitik nicht angetastet werden wird. Auch ideologisch wird umgesteuert. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Schneiderhan, trat bei der diesjährigen Kommandeurstagung laut SPIEGEL explizit gegen die Offiziere an, die es immer noch nicht begriffen haben: „Das alte Motto ´Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen` aus der Zeit des Ost-West-Konflikts trage nicht mehr. Wie schon in der Gründerzeit der Bundeswehr sei nicht ´rückwärtsgerichtetes Denken` gefragt, sondern die ´Bereitschaft, neue Wege zu gehen und gegebenenfalls zu bauen`“. Auf gut deutsch: Jungs, jetzt wird wieder Krieg geführt, nicht verteidigt.
Trübe Aussichten
Und so wird die große Koalition eine Koalition des verschärften Sozialabbaus, der Geschenke ans Kapital und der außenpolitischen Aufrüstung werden. Dabei ist noch längst nicht alles bekannt. Frau Merkel jedenfalls drohte vorsorglich schon: „Ich erwarte Offenheit auch gegenüber Lösungen, die noch in keinem Parteiprogramm stehen. Ich hoffe, dass wir zu einem Klima kommen, in dem wir uns zutrauen, auch einen neuen Gedanken zu fassen.“ Es steht zu befürchten, dass sie ihre Drohung wahrmachen wird. Im Parlament wird sie nicht zu stoppen sein. Das muß auf der Straße geschehen.

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