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Griechenland:: Die Streiks, die Linke und die Wahlen

Von Andreas K. | 01.12.2003

Die Streikwelle, die im Oktober und Anfang November den öffentlichen Sektor erschütterte, stand dieses Jahr im Zeichen des Vorwahlkampfs, da im Frühjahr nationale Wahlen stattfinden und alle Prognosen auf eine deutliche Niederlage der regierenden PASOK zugunsten der oppositionellen Rechtspartei „Nea Dimokratia“ hinweisen.

Die Streikwelle, die im Oktober und Anfang November den öffentlichen Sektor erschütterte, stand dieses Jahr im Zeichen des Vorwahlkampfs, da im Frühjahr nationale Wahlen stattfinden und alle Prognosen auf eine deutliche Niederlage der regierenden PASOK zugunsten der oppositionellen Rechtspartei „Nea Dimokratia“ hinweisen.

Die Streiks der Angestellten der kommunalen Selbstverwaltung in Städten und Gemeinden, der LehrerInnen der Grund- und höheren Schulen und der Beschäftigten im öffentlichen Gesundheitswesen brachten die Regierung wochenlang unter beachtlichen Druck. Besonders der 10-tägige Streik der Beschäftigten der Müllabfuhr sorgte in den großen städtischen Zentren Athen, Piräus und Saloniki für erheblichen Gestank und brachte die Regierung an den Rand des Zurückweichens und der Aufgabe der Privatisierungspläne, die auch in diesem Bereich anstehen, und anderer Zugeständnisse. In letzter Minute aber, als die Einsatzkommandos der Polizei bereits zu Angriffen auf die Streikenden an den Müllkippen übergegangen waren, konnte sich die PASOK-Fraktion in der Gewerkschaftsführung durchsetzen, die den Streik für beendet erklärte.

An den Schulen und in den Krankenhäusern war die Streikdynamik schwächer, hauptsächlich weil niemand erwartete, dass mit den von den Gewerkschaftsführungen routinemäßig ausgerufenen Streiks irgendwelche, und sei es noch so berechtigte Forderungen hätten durchgesetzt werden können.

Die diesjährige Streikrunde brachte so wieder einmal die Strukturschwäche der Gewerkschaftsbewegung, wie sie sich besonders in den 90-er Jahren entwickelt hat, zum Vorschein. Hierfür charakteristisch sind:

-Das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit verschiebt sich ständig zuungunsten der letzteren, die Arbeitsintensität und -produktivität steigen kontinuierlich zugunsten der Profite. Unter- und Teilbeschäftigung, Arbeitslosigkeit und Verarmung nehmen zu, entscheidende Bereiche der griechischen Ökonomie wie die Elektrizitätsgesellschaft DEI, das Luftfahrtunternehmen „Olympiaki" und die Mineralölgesellschaft „Petrelea" werden privatisiert, die Arbeitslosigkeit ist auf 500.000 (über 10%) angestiegen, der 8-Stundentag ist für den größten Teil der Beschäftigten praktisch außer Kraft gesetzt und aufgrund fehlender Schutzvorkehrungen mussten in den letzten Jahren Hunderte von arbeitenden Menschen bei Arbeitsunfällen ihr Leben lassen oder wurden schwer verletzt. Das öffentliche Schul- und Ausbildungswesen und das Gesundheitswesen werden schleichend ausgehöhlt und praktisch dem Profitprinzip überantwortet, ein Mindesttageslohn von 22 Euro und regelrechte Hungerrenten wurden festgeschrieben und de facto ein Drittel der Bevölkerung ist als sozial „ausgegrenzt" zu betrachten. Dazu sind in erster Linie die ArbeitsimmigrantInnen aus Osteuropa, vor allem Albanerinnen und Albaner zu rechnen, die inzwischen rund 15-20% der insgesamt Beschäftigten ausmachen, deren Rechte aber in keiner Weise anerkannt sind und die zunehmend einer üblen und gezielten staatlichen Repression ausgesetzt sind, wodurch ihnen z.B. die Gewährung einer mehrjährigen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis einfach vorenthalten wird.

Dadurch wächst der Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen für alle Arbeitenden.

  • • Gestreikt wird praktisch nur im öffentlichen Sektor, wo die Beschäftigungsverhältnisse wenigstens teilweise noch einigermaßen stabil sind. In den privaten Unternehmen ist es zu riskant zu streiken, die Gefahr entlassen zu werden ist bei „unbotmäßigem Verhalten" zu groß.
  • • Die Gewerkschaften werden von teils untereinander rivalisierenden, teils miteinander zusammenarbeitenden und weitestgehend bürokratisierten Parteiclans beherrscht. Da auf dieser Ebene die mit PASOK verbundenen Funktionäre dominieren, aber auch die Anhänger von ND Einfluss ausüben, hat man an der Basis – keineswegs zu Unrecht – den Eindruck, dass die Führungen abgekartete Spiele betreiben und die Funktionäre nur um ihre eigene Karriere besorgt sind. Herr Protopappas z.B., früherer Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes GSEE, hat es zum Sprecher der Regierung gebracht, deren Politik von den Interessen des einheimischen und internationalen Finanzkapitals sowie des weltweiten imperialistischen Herrschaftssystems diktiert wird. Der derzeitige Vorsitzende der GSEE, Herr Polysogopoulos (PASOK), bezog gegen die laufenden Streiks der Beschäftigten in den Kommunen Stellung, indem er erklärte, sie hätten keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Man sieht, dass Zwickels Beispiel international Schule macht. Der Zynismus des systematischen Ausverkaufs von ArbeiterInneninteressen ist kaum noch zu überbieten.
  • • Aufgrund der Mischung aus Unmut und Resignation, die für die Stimmung in den Betrieben und Büros kennzeichnend ist, funktionieren die Gewerkschaften an der Basis nicht. Dadurch gelingt es den der Kontrolle von unten entzogenen Führungen immer wieder, die Kampfbereitschaft der eigenen Mitglieder in isolierte Streikaktionen zu kanalisieren und fast jedes Mal in die Niederlage zu führen.

Krise der Linken
Die Schwäche der Gewerkschaftsbewegung ist auch Ausdruck der Krise, in der sich die Linke insgesamt befindet. Die KPG, immer noch größte und einflussreichste Partei links von PASOK, beschränkt sich darauf, die Regierung für ihre anti- und asoziale Politik verbal zu attackieren und die eigene Gefolgschaft in gewissem Umfang zu mobilisieren, anstatt den Versuch zu unternehmen, eine Kampffront der Arbeitenden und Erwerbslosen über die Parteigrenzen hinweg aufzubauen. Das ausgeprägte Sektierertum der KP reflektiert eine tiefe Passivität gegenüber den Entwicklungen und zielt darauf ab, sich selbst als „einzig wirklich linksoppositionelle Kraft" zu profilieren und den Stimmenanteil bei Wahlen zu stabilisieren, um so den bürokratischen Parteiapparat am Laufen zu halten und das Auftauchen einer realen linken Alternative zu verhindern.

Hoffnungen sind mit der Gründung des Griechischen Sozialforums (GSF) zu Beginn dieses Jahres verknüpft, an dem u.a. der ehemals eurokommunistische, heute sozialdemokratisch orientierte Synaspismos (SYN) und eine Reihe von Organisationen teilnehmen, die sich auf kommunistische Ideen oder den revolutionären Marxismus beziehen. Es ist dem GSF gelungen, die absolute Dominanz der KP auf der Linken, z.B. bei Demonstrationen zu brechen, ohne bisher aber in größerem Umfang zu einer Neuformierung der ArbeiterInnenbewegung und des sozialen Widerstands beitragen zu können.

Negativ wirkt zweifellos, dass der SYN starr an seiner völlig reformistischen parlamentarischen Fixierung festhält, internationale Konfliktlösungen im Sinn der UNO propagiert und in übler Weise auch den Aufbau einer Euro-Armee unterstützt, obwohl er sei
t Genua 2001 auch von der Notwendigkeit der Entwicklung von Bewegungen etc. spricht.

Inzwischen haben sich einige Organisationen der außerparlamentarischen Linken, besonders die aus der Spaltung von SEK (der griechischen SWP), hervorgegangene DEA und die aus dem stalinogenen Spektrum stammende KOE auf ein Wahlbündnis mit dem SYN geeinigt. Dieses Projekt kann wegen der Dominanz der gemäßigten Linkspartei nur zur Verbreitung weiterer reformistischer Illusionen führen und ist daher dem notwendigen Aufbau einer antikapitalistischen Alternative, für den sich u.a. auch OKDE-Spartakos, griechische Sektion der Vierten Internationale, einsetzt, alles andere als förderlich.

Trotz aller genannten Probleme in den Bewegungen und auf der Linken kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich in der Gesellschaft ein Konfliktpotenzial aufstaut, das dem heutigen politischen und sozialen System gefährlich werden wird. Die jüngsten Streiks und der spontane Massenprotest gegen die Renten-„Reform"-Pläne vom April 2001 geben einen Vorgeschmack auf die Zukunft.

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