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Innenpolitik

„Gesundheitsprämie“: Etikettenschwindel der Firma Stoiber & Merkel

Von Thadeus Pato | 01.01.2005

George Orwell hatte sie eigentlich schon für 1984 prognostiziert, aber so richtig in den allgemeinen Sprachgebrauch eingedrungen ist die „Neusprache“ erst Jahre später – zumindest in der Gesundheitspolitik. Die neueste Wortschöpfung orwell`scher Provenienz ist die sogenannte „Gesundheitsprämie“.

Dieses Wort muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Eine Prämie für Gesundheit, das klingt positiv, das klingt gesund, das klingt nach Belohnung – und gar nicht so grob und brutal wie zum Beispiel „Kopfpauschale“. Gemeint ist natürlich, wie in der Neusprache üblich, das Gegenteil. Erstens dreht es sich nicht um Gesundheit, sondern um Krankheit, und zweitens handelt es sich auch nicht um eine Belohnung, sondern um schlichte Abzocke.
Der Herr Seehofer von der CSU ist wahrlich kein angenehmer Zeitgenosse. Aber wo er recht hat, hat er recht: Bei dieser neuesten Missgeburt, aus der Ehe zwischen CSU und CDU hervorgegangen, handelt es sich tatsächlich um ein bürokratisches Monstrum, dessen Lebenserwartung noch unter der der beiden seehofer‘schen „Gesundheitsreformen“ aus den neunziger Jahren liegen dürfte. Und dass das auch allen Beteiligten klar ist, das zeigten unter anderem die heftigen Reaktionen auf des Ex-Gesundheitsministers Horst Seehofers Kritik – getroffene Hunde bellen.

Bürgerversicherung versus Pauschale?

Bei der Beurteilung des jetzt vorliegenden Kompromisspapiers muss man unterscheiden zwischen der zugrundeliegenden Absicht – die zwischen den Beteiligten unstrittig ist – und dem Streit darüber, wie diese umzusetzen sei. Zunächst einmal die Absicht: Da braucht man nicht zu mutmaßen, die hat die CDU dankenswerterweise direkt auf ihre Homepage gesetzt: „Abkoppelung der Gesundheitskosten von den Lohnnebenkosten durch Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags (und) …Umstellung von prozentualem Beitrag auf Gesundheitsprämie.“
Bei der Frage, wie man dieses vom Kapital geforderte Ziel am einfachsten und für dieses am vorteilhaftesten erreicht, gingen dann die Meinungen auseinander. Denn einerseits hat Herr Stoiber von der CSU die Hoffnung immer noch nicht ganz aufgegeben, Bundeskanzler zu werden und hatte sich deshalb mit Seehofer verbündet, um ein eigenes Modell präsentieren zu können. Und andererseits war Frau Merkels Konzept der Kopfpauschale in der Öffentlichkeit, weil mit keinerlei sozialem Mäntelchen behängt, derart unpopulär (Originalton Seehofer: „Sympathiekiller“), dass die SPD das Angebot dankbar annahm und ihr – ebenso unsoziales, aber besser verkaufbares – Modell der sogenannten Bürgerversicherung flugs als den nächsten Wahlkampfschlager aus dem Hut zog.
Weil aus den genannten Konkurrenzgründen bei den Verhandlungen zwischen CDU und CSU keine/r ohne Gesichtsverlust von seiner Position herunterkonnte, entstand dann das, was uns jetzt als „Gesundheitsprämie“ präsentiert wird.

Und dann wurde es peinlich:

Denn ausgerechnet der Auftraggeber, nämlich die Unternehmerverbände und ihr Lautsprecher, die FDP, ließen an dem, was da in den Verhandlungen herausgekommen war, kein gutes Haar. Da können sie ja gleich mit der jetzigen Koalition weiterregieren, denn den Arbeitgeberbeitrag einfrieren wollen zum Beispiel die Grünen auch und die ganze komplizierte Rechnerei mit Steuerzuschüssen passt nicht ins Konzept der ebenfalls vom Kapital geforderten weiteren Senkungen des Spitzensteuersatzes. Deswegen ist auch nicht davon auszugehen, dass diese „Gesundheitsprämie“, sollte die CDU/CSU die nächste Regierung stellen, in dieser Form kommen wird. Es wird mit Sicherheit noch schlimmer kommen.
Dabei reicht es schon, was da so alles geplant ist: Der Arbeitgeberanteil wird festgeschrieben, ein Teil der Gelder wird über eine Kopfpauschale von 109 Euro aufgebracht, ein anderer Teil aus Steuermitteln, und dann wird noch (wahrscheinlich zur Versorgung notleidender Politiker) ein bürokratischer Wasserkopf den Krankenkassen vorgeschaltet, der – nach Abzug seiner Unkosten – einen Teil der Gelder verwaltet bzw. verteilt (s. Kasten). Das Perfide daran ist, dass das zum einen die Verfügung der selbstverwalteten Kassen über die Gelder einschränkt und zum zweiten der Möglichkeit Tür und Tor öffnet, bei Sinken der Steuereinnahmen einfach den Zuschussbetrag zu kürzen und dafür die Pauschale zu erhöhen.
Und genau das ist auch der Grund, warum dieses Modell keine lange Halbwertszeit haben wird.

Lohnnebenkosten senken

Die Finanzierung steht auf tönernen Füßen. Es kann davon ausgegangen werden, dass das alle Beteiligten auch wissen – Seehofer wollte deshalb nicht mehr mitspielen und machte den Spielverderber – besonders peinlich, weil man ihm leider nicht mangelnden Sachverstand nachsagen konnte. Vielleicht hat er da etwas nicht ganz begriffen: Es ging und geht weder bei der Variante Kopfpauschale, noch bei der „Gesundheitsprämie“ darum, ein langfristig tragfähiges System einer allgemeinen Krankenversicherung zu entwickeln. Es geht wesentlich seit mindestens 15 Jahren immer um das Gleiche:

– Erstens darum, den Wünschen des Kapitals nach Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten entgegenzukommen (deutlicher gesagt um Lohndrückerei, denn natürlich ist der „Arbeitgeberanteil“ ein schlichter Lohnbe standteil).
– Zweitens darum, bei zementierter Massenarbeitslosigkeit die Bevölkerung schrittweise an den Gedanken zu gewöhnen, dass sich jede/r um seine Krankheitskosten gefälligst selbst zu kümmern hat.
– Und drittens um einen nicht unwesentlichen ideologischen Effekt: Die bisherige Staffelung der Beiträge nach Einkommen (auch wenn sie durch die Beitragsbemessungsgrenze etc. schon immer kein wirklicher gesellschaftlicher Solidarausgleich war, sondern einer, der das obere Drittel der Gesellschaft aussparte oder begünstigte) hat für die VerfechterInnen der reinen Marktwirtschaftslehre den großen Nachteil, dass sie offen den Solidargedanken beinhaltet. Und der soll raus aus den Köpfen. Hat man das erst einmal geschafft, dann ist der Weg frei zu amerikanischen Verhältnissen, hierzulande bereits seit über zehn Jahren von der FDP propa giert: Jede/r ist seines Glückes Schmied, und jede/r bekommt soviel und so gute Versorgung, wie er/sie es sich leisten kann – der Rest ist auf eine Art Minimal- oder Bodensatzversorgung angewiesen, die noch dazu sich danach bemisst, was der Steuersäckel gerade hergibt – oder auch nicht.

Ein florierendes Geschäft

Ein weiterer Punkt, der allerdings bei allen Modellen, ob nun CDU, CSU, FDP, SPD oder Grüne sich zu diesem Thema einlassen, schamhaft verschwiegen oder allenfalls am Rande erwähnt wird, ist, dass es sich inzwischen bei dem, was so sanft und orwellsch als „Gesundheitswesen“ umschrieben wird, längst um einen der größten und florierendsten Industriezweige der westlichen Industrieländer handelt. Der funktioniert nach den ganz gewöhnlichen kapitalistischen Marktgesetzen und seine Entwicklungschancen hängen nicht unwesentlich davon ab, dass das freie Spiel der
Marktkräfte gefälligst nicht von regulierenden Maßnahmen beeinträchtigt wird, wie zum Beispiel einer solidarischen Einheitsversicherung.
Natürlich drückt die CDU/CSU das nicht so aus. Sie findet dafür andere Worte: „(Eine) Einheitsversicherung (ist) mit freiheitlichem Staatsverständnis nicht vereinbar“, kann man auf der Homepage der CDU lesen. Dann wird noch gedroht: dabei handele es sich um eine „Zwangsversicherung für alle“. Und als nächstes macht sie sich auch noch herzergreifend Sorgen um die Ärmsten in diesem Lande, nämlich um den „Grundrechtsschutz bislang privat Versicherter“ und die „Berufsfreiheit privater Krankenversicherer“, wenn es denn zu einer Einheitsversicherung käme. Mit anderen Worten: Eine Einheitsversicherung ist nicht möglich, weil dann niemand mehr Werbeprämien und Beiträge von Privatversicherten kassieren kann und weil dies gegen das grundlegende Menschenrecht auf Profit verstößt.
Vielleicht sollten sich Frau Merkel und Herr Stoiber einmal Sorgen um das Grundrecht auf Gesundheit machen. Aber vermutlich ist das ja wieder mit einem freiheitlichen Staatsverständnis nicht in Einklang zu bringen….

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