Gemeinsame Aktion für solidarische Lösungen

Foto: Ithmus, CC BY 2.0

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Kompetent sind die Betroffenen der Krise

Gemeinsame Aktion für solidarische Lösungen

Von Manuel Kellner | 23.10.2022

Als meine Gewerkschaft, die IG Metall, ihre Forderung von 8% mehr Lohn mit der Teuerung begründet hatte, die ausgeglichen werden müsse, da sträubten sich mir die Nackenhaare. Wie? Tarifabschlüsse sollen nicht zu Reallohnerhöhungen führen, sondern bloß der sinkenden Kaufkraft hinterherhinken?

Die Beschäftigten können sich immer weniger Güter des täglichen Bedarfs leisten, und die nominalen Lohnerhöhungen gleichen die Auswirkungen der Inflation allenfalls teilweise aus – die 8%-Forderung der IG Metall war wenige Wochen, nachdem sie in die Welt gesetzt war, von der Inflation schon überholt worden.

Hierzulande ist aber dieser sogenannte „Indexlohn“ weitgehend unbekannt geworden.

Damit muss Schluss gemacht werden! Die Löhne müssen automatisch an die Preise angepasst werden. Dann erst sind Tarifbewegungen dazu da, Reallohnerhöhungen zu erkämpfen. In Belgien (aber auch Luxemburg, Malta oder Zypern) gibt es das seit langem als staatliche Regelung, in anderen Ländern zumindest als Bestandteil von Tarifverträgen, in Ansätzen sogar schon in Deutschland, so bei Condor und Eurowings. Hierzulande ist aber dieser sogenannte „Indexlohn“ (früher auch „gleitende Lohnskala“ genannt) trotzdem weitgehend unbekannt geworden.

Doch wird er nicht nur von kleinen linkssozialistischen Gruppen wie beispielsweise von der SAV oder der ISO propagiert. Im Mai dieses Jahres hatte Forsa eine Meinungsumfrage dazu veranstaltet und fasste das Ergebnis wie folgt zusammen:

„Das Konzept des sogenannten ,Indexlohns‘, das unsere Nachbarn schon seit einigen Jahren praktizieren, findet laut aktueller Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL/ntv auch bei den Deutschen großen Anklang: 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger halten das Konzept auch in Deutschland für sinnvoll. Nur 20 Prozent halten nichts von dem Konzept, zehn Prozent haben keine Antwort auf die Frage („weiß nicht“). Das Konzept scheint rundum, sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands beliebt zu sein, auch unter den Anhängern der verschiedenen Parteien spricht sich jeweils die Mehrheit für das Konzept aus.“

Kämpferische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und sozialistische Linke, brauchen keine Sorge zu haben, dass ihre Forderung als exotisch abgetan werden.

Zwar stellt Forsa auf ihrer Website auch klar, dass diese Umfrage „nicht repräsentativ“ sei, und doch finde ich dieses Ergebnis einigermaßen ermutigend. Kämpferische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und sozialistische Linke, die unter Menschen der unteren Einkommensschichten arbeiten, brauchen keine Sorge zu haben, dass diese Forderung als exotisch abgetan wird. Sobald Gelegenheit ist, die Grundidee zu erklären, ist viel Zustimmung zu erwarten.

Natürlich ist es sinnvoll, diese Forderung in die Tarifbewegungen und die Diskussionen über deren Forderungsstrukturen hineinzutragen. Sie eignet sich aber ganz besonders als Beitrag zum Aufbau einer großen, betriebs- und branchenübergreifenden Bewegung gegen die Teuerung und für umfassende solidarische Lösungen. Die Gewerkschaften sind aufgerufen, nicht bloß einzeln in Tarifgefechte zu gehen, sondern sich zur gemeinsamen Aktion zusammenzufinden und eine breite gesellschaftliche Mobilisierung zu entfachen. Das betrifft nicht nur die anhängig Beschäftigten, sondern auch jene besonders Benachteiligten, die auf ALG II (demnächst „Bürgergeld“) oder andere Sozialleistungen angewiesen sind. Denn die brauchen die automatische Anpassung ihrer Bezüge an die Preisentwicklung ganz besonders.

Für die Verwirklichung der Forderung, aber auch für ihre Popularisierung, ist die Frage wichtig, wie die automatische Anpassung an die Preisentwicklung konkret organisiert werden soll. Es geht darum, kontinuierlich und in möglichst kurzen Zeitabständen zu prüfen, wieviel der Warenkorb eines durchschnittlichen Haushalts kostet, zum Beispiel im Vergleich zum Vormonat, und auf dieser Grundlage auszurechnen, um wieviel die Löhne und Sozialleistungen nominal steigen müssen, damit real kein Kaufkraftverlust eintritt.

Nichts dürfen wir den bürokratischen Gremien überlassen.

Die schlechteste Lösung wäre, dies irgendwelchen staatlichen Stellen oder gemischten Kommissionen aus, sagen wir, Gewerkschaften, Unternehmerverbänden, Wohlfahrtsverbänden und staatlichen Stellen zu überlassen. Nicht abgehobene bürokratische Gremien sind in dieser Frage kompetent, sondern die Betroffenen selbst.

Sie sind dazu aufgerufen, aus ihren Reihen selbst Komitees zu bilden, die die Preisentwicklung des entsprechenden Warenkorbs ermitteln, kontrollieren und daraus die erforderliche Anpassung ableiten. Schon bevor die Forderung selbst durchgesetzt ist, gilt es, die Bildung solcher Komitees zu organisieren. Die Beschäftigten und Benachteiligten machen sich damit ihre Lage sehr konkret klar, gewinnen Argumente für die Forderungen im Sinne ihrer eigenen Interessen und tragen allein dadurch entscheidend dazu bei, dass eine breite Bewegung von unten entsteht, um diese Interessen durchzusetzen.

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